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1. KAPITEL: ZU VIEL NÄHE, ZU WENIG NÄHE - UND DANN DAS ANDERE………

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Da liegt er - mein Mann, mein Ehemann, den ich kennengelernt habe als smarten, charmanten Karrieremann, bei all seinem Ehrgeiz liebenswürdig und zuvorkommend, groß, blond mit starken blauen Augen und festen, nicht zu schmalen Lippen - Betreiber eines 3-stöckigen, exclusiven, hochtechnisierten Gesundheits- und Wellnessbetriebes in Berlins Edelgegend Dahlem - mit angeschlossenem medizinischen Zentrum. Mit seinen 35 Jahren und einem kaufmännischen Studium, ausgeprägtem Selbstwertgefühl und seiner sympathischen, kraftvollen Erscheinung unternehmerglaubwürdig und supererfolgreich.

Und hier liegt er jetzt vor mir - im Ehebett, im Tiefschlaf, die blonden Haare dunkel verschwitzt, verklebte Augen, aus dem offenen Mund läuft etwas Sabber, sein Po ragt irgendwie albern aus der Decke -

Es stinkt reichlich im Schlafzimmer trotz des leicht offenen Fensters - und ich steige mühsam und genervt aus dem Bett - auch ich sehe nicht gerade sexy aus - die langen blonden Haare hängen aus dem Haargummi, den ich mir, damit sie nachts nicht im Gesicht kleben, einzwirbele, das Gesicht mit den Cremeresten wirkt müde - irgendwie hängt alles, eine Straffheit muss erst wieder erarbeitet werden.

In der hübschen, kleinen Küche mit den futuristisch anmutenden hochtechnisierten Geräten mache ich mir den ersten starken Cappuccino - eine Zigarette wäre jetzt das Größte, aber ich habe mir das Rauchen seit einem halben Jahr verboten, immerhin halte ich bisher durch und habe mit eisernem Willen auch mein Gewicht gehalten - bei einem Gesundheitsfreak wie meinem Göttergatten eine Notwendigkeit - er kneift in mein kleinstes Pölsterchen und macht dann dämliche Bemerkungen, zumal er an seinem Astralkörper nicht die kleinste Unebenheit duldet.

Mit der Kaffeetasse in der Hand sehe ich müde aus dem Küchenfenster - wir wohnen nahe dem Wellnessbetrieb, nur fünf Gehminuten entfernt (er rennt natürlich immer!) in einer viel

zu teuren 3-Zimmerwohnung mit 2 Terrassen in einer Mehrfamilienvilla, der dazugehörige Garten ist per Mietvertrag nur zum Anschauen, dafür aber sehr gepflegt, die beiden anderen Mietparteien sind ziemlich alte - eher altbackene Leute, zu denen wir keine Beziehung aufbauen können , zu fremd ist das das junge Ehepaar mit seinen intensiven körperlichen Aktivitäten - das Wort Wellness kommt den Alten nicht über die Lippen!

Ich habe keine Lust - auf nichts, weder auf den Tag noch auf meinen Job - seit zwei Jahren arbeitete ich Seite an Seite mit meinem Mann, der den Betrieb unter großen Schwierigkeiten und mit Bankkrediten gegründet hat - der Kredit wird noch jahrelang abgezahlt und obwohl ich durch mein kaufmännisches Controlling in der Buchhaltung um die guten Umsätze weiß, drücken die fixen Kosten für Gewerbe- und Privatmieten, Technik, Personal, Steuern und Kredit jeden viel zu schnell vergehenden Monat aufs neue.

Das Küchenfenster geht zu dem perfekt gepflegten Garten hinaus, die erste Morgensonne versucht, meine undefinierbare Gereiztheit aufzulösen - es wird ein schöner Maitag werden, es ist eine so schöne Jahreszeit - alles könnte als schön empfunden werden, aber mein Mangel an Klarheit über mich selbst geht in ungerechte Aggressionen über -

Ich bin wirklich ungerecht, undankbar, alles klappt doch, ist im Griff, die Ehe verläuft gut bis zufriedenstellend - bei der täglichen Zusammenarbeit sind natürlich so einige Alltagsabnutzungen zu spüren - die man negieren sollte - Christer ist ein optisch guter und auch ansonsten passabler Ehemann - und ich sollte mit meinen 34 Jahren die Reife aufbringen, an meiner Zufriedenheit zu arbeiten. Verliebtsein gibt es nur als Geschenk der ersten Zeit -

Aber jetzt ist wieder das Unbehagen da, das ich schon als ganz junges Mädchen empfand - Als mir klar wurde, dass ein Mann mit dem Organ, mit dem er sich gerade auf der Toilette erleichtert hatte, in mich eindringen wollte - manchmal roch es noch etwas nach Urin - war mir die erste jungfräuliche Romantik vergangen - Vernunft musste eingesetzt werden, schließlich ist das alles menschlich und noch siegte die Neugier auf den überall euphemistisch-mysteriös propagierten Sex.

Auch mussten andere Dinge hingenommen werden: Mundgeruch, Essensreste zwischen den Zähnen, Körpergerüche und eben auch alle anderen „menschlichen“ Regungen, die beim Zusammenleben so auftauchen. Sicher auch bei mir, wobei ich stets bemüht war, meine ästhetische Empfindlichkeit zumindest bei mir selbst umzusetzen.

Unfassbar für mich, wie meine drei Partner vor Christer mit derartigen Emotionen umgegangen sind - bis hin zum Mangel an Hygiene - ich wurde zur Zicke und frigiden Frau gestempelt, weil mir bei Biergestank und Schweißgeruch die Lust vergangen war und die Herren nach reichlichem Fleischgenuss beim Dinner eine ziemlich laute Verdauung im Bad absonderten.

Geht das wirklich nur mir so? Oder spricht man nicht darüber? - Nimmt man es hin, gottergeben, duldet es? - Die erste totale körperliche Nähe, ganze Nächte eng aneinander gepresst, blind und taub und geruchsarm, wich dann der Ausrede „Du schnarchst“ , um sich auf die eigene Bettseite zu verziehen - dazu kommt dann auch noch der oft völlig blöde Gesichtsausdruck, den jeder Schlafende immer mal bieten kann.

Das ist alles nichts für Romantiker und Ästheten - menschlich hin oder her - hier gilt nur: wie kann ich damit umgehen?

Ich mache mir den zweiten Cappuccino - Christer würde jetzt mit maliziösem Gesichtsausdruck irgendwas von „koffeinabhängig“ (klingt nach hundertmal nicht mehr witzig) faseln - und bereite seinen von ihm als genial bezeichneten Wellness-Drink vor, den er sich vorher selbst mischt und im Tiefkühler aufbewahrt - die teure, raffiniert funktionierende Mikrowelle surrt leise für den Lebenstrank, ohne den er keinen Tag beginnt -

Und da kommt er schon in die Küche - frisch geduscht, im weißen Bademantel, die feuchten Haare reichen auf die Schultern, glänzende blaue Augen, die gebleachten schneeweissen Zähne blitzen fast noch mehr - und leider sieht er traumhaft aus - wie ein junger nordischer Gott (seine Mutter ist Norwegerin.)

„Morgen, Schatz, du siehst müde aus“ - sein flüchtiger Kuss auf meine noch nicht so frische Wange, zusammen mit dem banalen, nicht gerade aufbauenden Spruch, verstärkt meine Gereiztheit - bei ihm reicht eine Dusche und er hat bereits die selbstsichere Aura des Siegers - stark, authentisch, unempfindlich, eigentlich unsensibel bis hin zur ersten Stufe von Autismus - was in seiner Sandra so vor sich geht, hat er bei früheren vorsichtigen Andeutungen als „Frauchengehabe“ abgetan und ich würde auch nicht mehr davon anfangen.

Jetzt beginnt der allmorgendliche Rhythmus: er wird joggen, dann Frühstück auf der kleinen Terrasse, natürlich von mir streng nach seinen heiligen Anordnungen zubereitet - nur gesund auf bio - die Gespräche drehen sich nur um den Betrieb - die Dampfsauna hat schon wieder schlappgemacht, die neue Masseurin wird von den anderen 6 Masseurinnen gemobbt, er muss Wechselgeld besorgen - oder könnte sie das nicht machen? - er hat schließlich Termine mit Technikern und Handwerkern - irgendwas geht bei der komplizierten Schwimmbadtechnik immer kaputt - usw., usw….

Ihm scheint alles zu gefallen - sein Leben mit mir (wirklich?), seine vielfältigen Aktionen im Betrieb - er ist ein genialer Unternehmertyp - das ist nicht erlernbar, die nötigen Fachkenntnisse für einen Wellnessbetrieb, der hochentwickeltes, neuestes Technikverständnis, eigene Gastronomie, Massagebetrieb, elektronische Kassensysteme, ständig neue PR-Konzepte, Personalführung und Gästebetreuung bis hin zur gelungenen Kommunikation zu dem angeschlossenen Ärztezentrum beinhaltet, hat er sich scheinbar mühelos angeeignet.

Und ich führe sein Büro, vorrangig im Hauptcontrolling zusammen mit einer älteren Buchhalterin und einer jungen Praktikantin, den gesamten Schriftwechsel mit den zahlreichen Behörden, Lieferanten (um die zwanzig), dem Steuerberater, den 4 Banken und tausend Dingen mehr erledige ich lieber selbst und dazu kommen die permanenten Personalschwierigkeiten, die bei Aushilfskräften und Teilzeitmitarbeitern alltäglich sind. Auch die Gäste, besonders Stammgäste, wollen ständig irgendwas von mir - meckern oder monieren, einfach nur smalltalken oder der dauergenervte Koch von unserem kleinen Restaurant greint mir die Ohren voll wegen nicht einzuhaltender Kosten für …… ach, ich kann es oft nicht mehr hören -.

Gegenverkehr

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