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4. KAPITEL VERÄNDERUNGEN
ОглавлениеHeute Abend sind wir im Ärztezentrum, das sich über unserem Wellnessbereich befindet, zum Geburtstag von Frau Dr. Nastasija Dubowka eingeladen. Die russische Sportmedizinerin, die wir alle Nastja nennen, etwas über vierzig, ist sehr groß, sehr schlank, mit pechschwarzem Haarknoten und den markantesten Wangenknochen, die ich je gesehen habe. Eine äußerst aparte Erscheinung, die durch ihre tiefe, starke Stimme abgerundet ist.
Wir beide haben uns von Anfang an sehr gut verstanden, obwohl ich heimlich etwas neidisch auf ihren Bildungsstatus und ihre unglaubliche Beliebtheit bei allen Patienten, ob männlich oder weiblich, bin. Ihre coole, dabei nicht kühle, souveräne Art, mit jedem klarzukommen, ist einmalig und sehr förderlich für den Erfolg der 3 anderen Orthopäden, mit denen sie gleichberechtigt die sehr gut ausgestatteten Praxisräume (alle wahnsinnig teuren Apparate sind geleast, ansonsten kaum zu finanzieren) teilt.
Man profitiert von unseren Wellnessgästen und Patienten aus der Gegend bis hin zu oft extra einfliegenden russischen Kranken, die hier durch die geeigneten Kontakte von Nastja spezielle Behandlungen nach Reha oder Unfällen Wunder erwarten, die sie in Zusammenarbeit mit ihren Kollegen oft erfüllen kann. Kurz: sie ist einfach großartig und scheint nicht an ihrem Privatleben zu leiden, das es so nicht gibt.
Die 3 weiteren Kollegen, Nico, Jonas und Tom, zeigen zwar oft Ansätze von Revierkämpfen um gewisse Patienten, können sich letztendlich aber immer noch rechtzeitig einkriegen, was auch an Nastjas diplomatischem Verhandlungsgeschick liegt.
Der Empfangstresen der Praxis ist mit Blumen, Geschenken und nettem Kalt- und Warmbüffet zugestellt, das sonst grelle Oberlicht hat man gedämmt, Tom hat für leise Lounge-Musik gesorgt und alle Eingeladenen stehen oder sitzen mit Sekt- oder Weingläsern herum und machen richtig blöden Smalltalk.
Ich ärgere mich jetzt, dass ich mich so richtig dezent in Jeans und Blazer geworfen habe, denn die meisten der weiblichen Gäste haben sich regelrecht glamourös in Szene gesetzt. Besonders die russischen Freundinnen von Nastja zeigen viel Figur in engen, kurzen Kleidern, wobei Nastja trotz ihres gereiften Alters den kürzesten Fetzen in schwarz-glimmer trägt und absolut super aussieht, zumal sie ihr tiefschwarzes Haar offen über dem Rücken trägt, was wir so noch nie gesehen haben.
„Hi, Sandra “ - ihre melodiöse Stimme mit dem harten russischen Akzent beeindruckt mich immer wieder, „ich stelle dir hier meine Tochter vor - Damia ist gestern aus St. Petersburg gekommen und will ein paar Wochen bleiben, bis sie ihr Studium im Herbst anfängt.“
Dabei schiebt sie ein schmales, hübsches Geschöpf nach vorn, das nun von uns Herumstehenden interessiert gemustert und besonders die Herren unruhig macht. Unser Dr. Jonas will umgehend ein Gespräch starten, was aber aufgrund mangelnder russischer oder
deutscher Sprachkenntnisse in etwas holprigem Englisch mündet . Damia lacht mit breiten vollen Lippen, sie weiß, dass sie gefällt und nutzt es, während Nastja sie mit unbändigem Stolz beobachtet. - Wieder eine Seite, die wir von ihr nicht kennen, da sie ansonsten pragmatisch und eher energisch auftritt.
Hinter mir legt Christer seine Hände um meine Schultern. „Die Kleine ist ja echt süß - aber gegen die rassige Mutter kommt sie nicht an.“
Irgendwie stören mich diese Worte, ohne dass ich eifersüchtig bin - eher wieder ekelhaft neidisch auf die Wirkung dieser Frau, die ich absolut wertschätze - ja, nahezu bewundere, und dennoch …..
Die drei männlichen Arztkollegen stehen jetzt in Reih und Glied und singen grausam laut und grausam falsch ein Geburtstagsständchen für Nastja, die vor Lachen fast zusammenbricht und dann alle nacheinander abküsst. Auch die Arzthelferinnen, meine Buchhalterin Vera, unsere goldige Vivi und ich werden russisch-intensiv geküsst, und dann geht sie etwas langsamer zu Christer - und es ist anders!
Nicht mehr albern und witzig! Ihre schmalen, etwas schräggestellten Augen verengen sich, ihre nackten Arme legen sich zielbewusst und dominant um seine Schultern, ihre Lippen treffen auf seine und…..! die Spannung ist für alle spürbar - Christer scheint erstarrt, hypnotisiert - und schon ist der Augenblick vorbei, Nastja lacht wieder unbefangen, wendet sich den anderen Gästen zu, während ich meinen Mann anstarre. Er versucht ein Grinsen, und doch wissen wir beide, dass der bewusste Augenblick seine eigene Dynamik entwickeln würde.
Warum bin ich nicht wütend, beleidigt , verunsichert - ich ärgere mich nicht wegen Nastja, die ihn ja offensichtlich herausgefordert hat, sondern nur über ihn - wie ein Trottel hat er diese Bevorzugung genossen, sich und mich damit lächerlich gemacht, obwohl alle anderen sich längst abgewendet und es teilweise auch gar nicht bemerkt haben.
Ich sehe nur an Veras leicht besorgtem Gesichtsausdruck, dass sie sich Gedanken macht. Sie kommt mit einem frischen Glas Sekt zu mir, während Christer sich auffällig-unauffällig zu Jonas gesellt. Ich grinse Vera beruhigend an: „Nastja ist schon eine tolle Frau, der kann man gar nicht böse sein – oder?“
„Böse nicht - aber vielleicht vorsichtig, die nimmt sich, was sie will“ Vera spricht zwar leise, aber hart.
„Ich kann nichts verhindern, vielleicht geht das mit den beiden schon länger“ ich wundere mich selbst über meine Ruhe - und Vera auch:
„Würden Sie das denn so hinnehmen - ich meine, das ist doch nur eine Vermutung und …“
Ich unterbreche sie lächelnd wie eine Sphynx: „ Mir gefällt dabei nur mein trottliger Mann nicht - sie setzt einfach nur ihre Wirkung ein - und schon verlieren die Typen ihre Selbstkontrolle - beeindruckend, oder?“
Meine normale Vera ist fast entsetzt, ich bin ihr unheimlich und sie versucht es mit einem anderen Thema, während ich mich gedanklich überprüfe.
Es ist wahr! - Ich bewundere Nastja - seit heute mehr denn je - in allem, was sie sagt und darstellt, auch wenn sie sich vielleicht an meinen Mann herangemacht hat oder es vorhat.
Ich muss völlig falsch gestrickt sein - normal ist meine Reaktion natürlich nicht, aber was ist schon normal. - Und jetzt kommt Nastja mit ihren starken, sicheren Schritten auf mich zu, ihr breites, slawisches Gesicht leuchtet, von ihr geht eine kraftvolle Herzlichkeit und Wärme aus, die ich bei Christer nie erlebe - auch nicht bei meiner wirklich lieben Freundin Cora und schon gar nicht bei meinen Eltern. Es ist fast schmerzhaft, diese Euphorie zu erleben und ich versuche mühsam eine gelassene Miene.
„Wie gefällt Ihnen meine Damia? Sie wird Elektronik studieren - mit fabelhaften Zukunftsaussichten“ ihre Gefühle für Ihre Tochter!! Selbst die verursachen mir Schmerz und Unbehagen. Ich bin unmöglich…
„Sie ist ganz die Mutter“ labere ich irgendwie - „gutaussehend und ehrgeizig“
Nastja lacht wieder in ihrer lasziv-lauten Art, ihr herber Duft kommt über die unbedeckten Achseln zu mir herüber, vermischt mit etwas Teurem, Undefinierbaren von Chanel oder Boss.
„Sie müssten erst mal den Vater von ihr erleben - ein Klassemann, aber wie eine Dampfwalze - wenn er hier wäre, würde man nur ihn sehen. Wir haben nie geheiratet, aber mit Damia hat er mir das Beste angetan, was er zu geben hatte“ und wieder beeindruckt mich ihr gute deutsche Sprachweise, sie hat in Deutschland studiert und auch promoviert.
Christer, der sich offenbar zu mir gesellen wollte, sieht, dass ich mit Nastja spreche und flüchtet umgehend zu anderen Gästen. Feigling! Ich fühle mich so angeregt, fast erregt, dass ich stundenlang mit ihr reden, sie ansehen, ihre wärmende Stärke spüren möchte.
Und bitte: ich habe kein lesbisches Gefühl zu ihr - es ist etwas anderes, was ich noch nicht erlebt habe und auch noch nicht benennen könnte. Heute Abend wird mir zum ersten Mal klar, dass ich mich emotional ganz stark zu ihr hingezogen fühle - so stark, dass mir schwindlig wird und …
*
„ Ich würde Sie gern näher kennenlernen, Sandra, die 3 Jahre, die ich hier arbeite, haben bei uns beiden nie weiter als bis zum smalltalk geführt - ich denke aber, wir hätten uns mehr zu sagen - ist das richtig“ ? Ihre schmalen, dunklen Augen leuchten intensiv in meine und verursachen noch mehr Unruhe in mir.
Will sie mich u n d meinen Mann? Oder irre ich mich in beiden Fällen und sie umgibt sich nur mit der befriedigenden Aura einer Unwiderstehlichen? Vielleicht mag sie mich aber auch einfach nur - doch mit unwichtigen Dingen oder Gefühlen gibt sich diese Frau garantiert nicht ab. Allerdings weiß sie nichts von meiner Phobie beim Körpereinsatz - und an einer solchen Phobie leidet Nastja garantiert nicht - alles an ihr ist Körpereinsatz, gepaart mit dem starken Willen, alles zu erreichen.
Bei Christer könnte sie auch alles erreichen - bei mir, da bin ich ganz sicher, würde es nicht funktionieren - ich bewundere, verehre sie - ich würde gern s i e sein, doch will ich auch ihren Körper ? - Dieses Animalische, Triebhafte kenne ich nicht, will ich nicht und mag ich nicht!
„Ich würde mich gern mal mit Ihnen treffen - falls Sie noch Zeit neben Christer aufbringen können!“
Habe ich das eben wirklich gesagt? - Ich halte die Luft an …
Sie lächelt - locker, maliziös - „Sie interessieren mich einfach - morgen um 13Uhr im Maddalena? “
Und schon sind wir wieder von anderen umgeben, die Arztqueen hält Hof und beachtet mich von da an nicht mehr.
Mir ist heiß - ihre Worte „Sie interessieren mich einfach“ rotieren. Ich kann mich unmöglich mit ihr treffen, falls sie auch Christer im Visier hat und überhaupt: das wirklich gute Arbeitsverhältnis zwischen Praxis und Wellnessbetrieb kann durch derartige Extravaganzen gestört werden. Und meine Ehe …..?
Ich lehne allein an einem Schreibtisch, der inzwischen nur noch Buffettreste aufweist und beobachte meinen Mann, der jetzt in der Clicke um die Queen herum das Wort führt. Ich muss zugeben, dass er sich wieder gefangen hat, sehr lässig, top gestylt, sehr gut aussehend.
Man palavert über die verderblichen Auswirkungen der Massenmedien auf unser Gesellschaftssystem - und ich sehe mit meiner neu sensibilisierten Intuition, wie auch Nastja meinen Mann bei den Wortspielen beobachtet. Sie hat wieder diese verengten Augen, die ihr Gesicht grausam wirken lassen, obwohl der Mund lächelnd verzogen ist - und: ich erkenne eine Verachtung, die sicher niemand bemerkt - die Gestik und Sprache ihres großgewachsenen, aufreizend verkleideten Körpers lenkt total ab.
*
Verachtung? Ich muss mich irren! So, wie sie ihn vor aller Augen umarmt und geküsst hat?
Jonas kommt zu mir - er ist ein hochehrgeiziger Arzt, lang, dünn, mit Hakennase, gewinnt aber durch seine stille, freundliche Art, die mir nach der aufregenden Nastja sehr angenehm ist.
Ich glaube nicht, dass er von den subtilen Vorkommnissen etwas gemerkt hat - und wenn schon! Eigentlich müsste ich doch um meine Ehe zittern - um Christer! - und: nichts!
Jonas und ich trinken das letzte Glas Wein zusammen - plaudern dabei locker - bis Christer kommt.
„Feierabend - lass uns noch kurz nach dem Rechten bei uns schauen und dann ab nach Hause“ - er will den Chef geben - o.k., kann er haben - mir reicht es auch für heute und wir verabschieden uns von allen.
Nastja umarmt jetzt niemanden mehr - sie wirkt kühl und geschäftsmäßig, als wenn ihr Tank leer ist oder sie einfach keine Lust mehr hat. Auch mir gegenüber lässt sie keine Regung zu, die auf „morgen um 13 Uhr im Maddalena“ deuten könnte.
Wir ziehen das Geschäftsehepaar durch, das im Betrieb den Endlauf des Geschäftstages durchzieht - das Mädel an der Kasse ist müde, will nur noch flüchten und Christer nervt sie mit Kleinigkeiten, der Bademeister , Rentner auf Kleinjob, die Studentin von der Bar - schauen hilfesuchend zu mir - es ist nach 24 Uhr und alle wollen nach Hause, während der Chef noch einmal kurz zur Hochform aufläuft.
Auch wenn er meistens im Recht ist - um diese Zeit will keiner mehr Instruktionen und Fragen entgegennehmen - er wird es nie lernen! Genau so gut könnte er gegen die weißen Wände reden.
Heute ist mir jeder Aufschub allerdings sehr angenehm - ich habe keine Lust auf Wohnung, auf meinen Mann, auf Ehe! Und wozu habe ich Lust?
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Es müsste jetzt 13 Uhr sein und ich treffe Nastja - falls sie das ernst gemeint hat.