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2. KAPITEL 4 JAHRE FRÜHER

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Ich habe Christer kennengelernt, als ich noch Model war - keins von der Handvoll Topmodels, die man aus Magazinen kennt - ich gehörte eher zu den dauer- und gutbeschäftigten Werbe- und Katalogmodels und hatte bei meiner früheren Agentur eine Superbookerin, die mir teilweise hochbezahlte Werbung bei L´loreal oder Fashiontourneen für angesagte Designer verschafft hatte.

Mit 17 wurde ich an einer Bushaltestelle von einer modelbookerin entdeckt und wenig später von der Hamburger Agentur „Fay“ unter Vertrag genommen. Meine Berufsausbildung zur Bankkauffrau habe ich trotzdem abgeschlossen und auch noch mehrere Jahre bei der Deutschen Bank in mehreren Abteilungen gearbeitet - langweilig, aber gediegen - und hatte damit eine gewisse Coolness gegenüber der unberechenbaren Modeltätigkeit - ob ein Casting erfolgreich war oder nicht - gegenüber den berufslosen, um jeden Job kämpfenden anderen Mädels hatte ich immer meine Bodenhaftung mit dem Ziel, mich später zur Fondsmanagerin der Bank ausbilden zu lassen.

Alles war ganz gut - ich war nicht unzufrieden, aber auch nicht happy - aber wer ist schon mit allem happy - auch an die Ehe glaubte ich nicht wirklich - meine Eltern gaben ein total abschreckendes Beispiel - an die große Liebe konnte ich nach meinen eigenen Erfahrungen auch nicht mehr glauben, aber irgendetwas musste doch wohl noch passieren!

Ich war fast dreißig und wurde bereits in meiner Agentur als „Seniormodel“ geführt. Mit nicht mal dreißig! - wie im Sport ist das bereits eine Altersära, in der man eben nicht mehr jung ist - also alt!

Mit fehlte aber immer die Zeit zum Grübeln oder depressiv werden -der Witz war, dass ich bei der Bank noch im Juniorsegment wäre - wäre, wenn ich dort geblieben wäre. Mein damaliger Vorgesetzter hatte mich bei meiner Kündigung gewarnt: Sie hätten bei uns gute Zukunftsaussichten - ich habe Sie für die Fortbildung zur Fondsmanagerin vorgeschlagen - Sie sollten sich genau überlegen, ob Sie bei uns wirklich aufhören wollen - wie lange können Sie denn noch als Model arbeiten - 4, 5 Jahre - und dann…..?

Seine negative Wertvorstellung bestärkte mich nur: ich wollte raus dem Büro-Gefängnis, reisen, jobben - frei sein - (als wenn man als Model wirklich frei wäre, man hatte nur mehr Freizeit - und das oft zu lange - ich musste später einsehen, dass das Auftragsbooking die Nerven anspannte - jeden Tag warten auf einen Anruf oder eine E-Mail von der Agentur, zu Castings in verschiedenen Städten anreisen - sehr oft vergeblich, stark bleiben bei Absagen - „Sie sind zu dick, zu dünn, zu alt, nicht typgeeignet usw. - ). Aber ich wollte es ja - damals - und war bescheuert genug zu verdrängen, dass ich nach ein paar Jahren Auszeit nicht einfach wieder an eine Bankkarriere anknüpfen könnte.

Und dann kam Christer!

Und er hat mich einfach umgehauen! Sein angstloser Optimismus, seine überbordende Kraft, fundamentiert durch sein Wirtschaftsstudium - sein Strahlecharme und nicht zuletzt ein nahezu blendendes Aussehen - und bei alldem hatte er nicht mal die übliche Bindungsphobie der jungen Erfolgreichen - eine Minorität unter den angebotenen Jungmännchen -

Ich sah keine Chance, mich gegen ihn zu wehren (obwohl das hier auch nur eine Ausrede für viele Ungereimtheiten bei mir war) - das Timing für eine richtige Beziehung stimmte bei ihm und bei mir - das booking für gute Aufträge stagnierte gerade auffällig, die Nachteile eines Modellebens habe ich in den Jahren gründlich erleben müssen - das Härteste war u.a. das militante Figurhalten - Größe 36 bei 177 cm Größe - und das galt schon bei mehreren Auftraggebern als zu dick - mehr und mehr waren die Größen 34 und 32! angesagt - kurz: ich hatte es satt ! - mein Leben verlief bis dahin wie von selbst - überall ergaben sich gute Aussichten - und jetzt sollte also ein Privatleben starten.

Privatleben??

Ohne es noch allein steuern zu können, war ich plötzlich im Riesenstress einer Unternehmerfrau eingebunden - und dazu in einer Beziehung mit einem Mann, um den mich das naive Umfeld zwar beneidete, den ich aber kaum kannte - in kürzester Zeit unterschrieb ich die Kredithaftung, die Bürgschaft für Gewerbemiete, wanderte wieder in ein „Bürogefängnis“ mit größerer Verantwortung als bei der Deutschen Bank (es geht ja jetzt um das eigene Geld) , den ganzen Tag ist multitasking mit Personal (und die kommen bei uns aus allen möglichen Ländern) , Gästen, Behörden und - nicht zuletzt mit meinem Mann - angesagt.

Christer ist für jeden und alles ansprechbar - nur bei mir setzt er alles voraus - will über nichts diskutieren - du machst das schon - zum Glück warst du ja nicht nur Model! Wesentliche Entscheidungen trifft er oft allein - besonders im technischen Bereich, bei dem die Kosten die Buchhaltung zu sprengen drohen - und trotzdem: seine Leichtigkeit, sein euphemistischer Umgang mit Problemen umzugehen, verliert sich in meinen kritischen Vorbehalten. Der „Macher“ ist schließlich er - ich gehöre irgendwie zum Personal, zum Inventar, auch zu ihm - natürlich - „du bist doch meine Frau, meine Partnerin, meine Geliebte….“

Geliebte??

Es ist alles wieder da - alles, was mich schon beim „ersten Mal“ gestört hat, behindert hat, bald nicht mehr auszuhalten war - die Gerüche, ja, die nicht immer wirklich angenehmen Gerüche des anderen, die Feuchtigkeit, fremde Körperflüssigkeiten, die Vereinnahmung meines Körpers, auch wenn ich dafür nicht in Stimmung war, nur damit er Ruhe gibt, das Bemühen, dies alles nicht zu zeigen, die Rolle der Sexy-Ehefrau auszuspielen, das Müdesein nach einem langen Tag - verdeckt mit Make-up und anderem, zeitaufwendigen Styling.

Und Christer ist trotz seines ebenso langen Tages trotzdem freier - mein perfektes Styling braucht zusätzlich eine Menge Zeit - während er nach einer Dusche und Zähneputzen im Bett auf mich wartet, muss ich tausend Dinge im Bad tun, um gut duftend, abgeschminkt und trotz nötiger Nachtcreme versuchen, appetitlich auszusehen, die langen Haare hübsch zusammengebunden, in eines ihrer engen, reizvollen Nachthemdchen gehüllt, auf Hauspantöffelchen mit Absatz zu ihm staksen und die Verführerin oder Verführte geben….

So will er es - und so kennt er es von anderen vor mir. - Nur, dass die vor mir sich immer mal in ihr eigenes Zuhause zurückziehen konnten und dort wahrscheinlich im T-Shirt und ohne jeden anderen Aufwand ins Bett werfen konnten - ohne zu wissen, wie herrlich diese Freiheit ist - ein eigenes Bett im eigenen Zimmer - danach sehnt man sich erst, wenn dem nicht mehr so ist - mal ehrlich …??!!

Und ich will nach 3 Jahren Ehe endlich wieder mein eigenes Bett in einem eigenen Zimmer! Nicht, dass ich Christer nicht mehr mag - ich bin nur nicht mehr verliebt, es wird anstrengend, so vieles will ich nicht mehr sehen, riechen oder ertragen!

Wäre es wieder spannender, wenn er mich in „meinem“ Zimmer besucht oder ich ihn in „seinem“? und, wenn sich einer mal unwohl fühlt oder Grippe hat oder sonst irgendwelche Befindlichkeiten, lässt man sich einfach mal in Ruhe und erholt sich?

Wie gehen die anderen Ehefrauen damit um, auch wenn sich sicher nicht alle die Mühe geben, die ich mir antue, die viel gelassener damit umgehen, alles natürlich finden - und die jungen Mütter, die schon gar nicht die Zeit für all diese Gedanken und Bemühungen haben?

Stumpft man auf lange Sicht ab? - ehrlich oder unehrlich - man bekommt selten oder nie eine ehrliche Auskunft, wichtig ist nur, dass s i e verheiratet ist, dann aber eventuell aus finanziellen Gründen oder wegen der Kinder nicht mehr aussteigen kann - und nur im Glücksfall bleibt eine Verliebtheit , die aber bei Wegfall der Vernunft untergeordnet wird.

Und ich will mein eigenes Bett - und zwar schnellstens! Wir haben drei Zimmer, wir können 2 Schlafzimmer und ein Wohnbüro daraus machen - wir haben noch kein Kind, unsere Ehe ist nicht wirklich stabil - auch Christer wird doch ab und zu einen kurzen Gedanken dieser Art - heimlich - zulassen - oder doch nicht?

Ich kann ihn einfach nicht wirklich einschätzen - wie tief er tickt, ob es eine wirkliche Tiefe bei ihm überhaupt gibt - auch unsere Ehe hat noch keine Tiefe, falls die je kommen sollte,

Alles untersteht dem Unternehmen, das nicht wirklich stabil ist - in dem ich mich gefangen, beengt und in der Verbindung mit der bei mir wieder aufgekommenen ästhetisch bedingten Sex –Phobie (die hoffentlich schnell wieder verschwindet) mein Gleichgewicht empfindlich stört.

Und ich fürchte die sich daraus entwickelnde Eigendynamik.

Gegenverkehr

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