Читать книгу Gegenverkehr - Diana Bendzko - Страница 5
3. KAPITEL ALLTAG
Оглавление„Wir müssen unbedingt ein neues Kühlsystem für die Bierfässer bestellen - und wir müssen den Dampfgenerator austauschen“ - Christer teilt dies wie immer locker mit, als ginge es hier nicht um etwa 8.000 Euros - Ausgaben, die die Gäste nie zur Kenntnis nahmen, da diese „unterirdisch“ waren, eben hinter den Kulissen - Gäste sehen nur das „Make-up“ der äußeren Ausstattung - viel Chrom, elegantes Mobiliar, gute Küche, freundliches Personal, Sauberkeit aller Bereiche - dass die Technik ständige Kosten verschlingt, will niemand hören -
„Können wir nicht damit noch warten? - ich habe jede Menge offene Rechnungen….“
O Gott, wie ich diese „Frühstücksgespräche“ hasste! Immer die Firma, dies und das - nie über andere Dinge, die die Welt auch noch zu bieten hatte, geschweige über unsere Ehe oder Gefühle - ja, spontan einfach mal über seine oder meine Gefühle zu reden - es scheint unmöglich zu sein…
Er tätschelt lässig meine Wange - „das schaffen wir schon - hast du Lust auf einen kleinen Quickie? Komm, Süße, ganz schnell, dann fühlen wir uns gleich besser…“
Und wieder o Gott! - aus dem Nichts heraus soll ich Lust auf ihn bzw. einen kleinen „Quickie“ haben? Er fummelt recht liebevoll an meinem Busen herum (als wenn man dann lustvoll wäre) und packt mich Richtung Wohnzimmer, drängt mich ebenso liebevoll wie aber auch bestimmend auf den Teppich, um mit geübtem Griff meinen Bademantel zu öffnen und ebenso geübt in mich einzudringen - nicht gewaltsam – nein - aber irgendwie doch das Übliche - er will es, ich spiele mit, es ist nicht wirklich unangenehm - er riecht noch nach Zahnpasta, Duschgel und frischem leichten Schweiß (also ist er auch nicht gerade in Ekstase - wann war er eigentlich bei mir noch in erotischer Ekstase?), um dann nach kurzem Tätscheln und „ist doch immer wieder gut mit uns“ im Bad zu verschwinden.
Der Sex-Alltag - so kann er also nach 3 Jahren Ehe sein - die ständige Verfügbarkeit eliminiert die Spannung, die Anspannung - da nutzt auch keine Hobbyphilosophie - so ist es nun mal - finde dich damit ab, Mädel - es funktioniert doch, er scheint doch recht zufrieden (woher weiß ich das wirklich?), seine wirklichen Vorstellungen von einem ihn wirklich befriedigenden Sexleben könnte ich nicht benennen -
Zu Anfang klappte einfach alles - ich war sogar zu Handlungen fähig, die ich heute nicht mehr liefern könnte, ohne mich zu zwingen - und ich zwinge mich nicht dazu! - damit muss er leben! - kein Oralsex mehr - die dauerintime Situation sämtlicher seiner persönlichen Einzelheiten hat mir die Lust genommen - wenn ich allein schon sehe, wie er zigmal am Tag mit Zahnseide völlig ungeniert an seinen Zähnen fummelt! - kann er das nicht allein im Bad erledigen? - und dann - wie blöde er dabei wirkt, wenn er vor dem Weggehen am Flurspiegel den Kopf hebt, in seine Nasenlöcher starrt und ein eventuelles Fitzelchen entsorgt - ich muss dann immer wegsehen …..
Dieser Alltagskram sollte mich doch wirklich nicht stören - aber es ist so und es gibt noch zig weitere Einzelheiten, die ich verdrängen muss,
gefakter Orgasmus ist nun fast normal bei mir - und ausgefallene „gymnastische Stellungen“ finden zwischen uns auch nur noch selten statt - zu spät, zu müde, zu viel gegessen, die Ausreden werden immer banaler - gesprochen wird darüber nicht - es wäre zu gefährlich.
*
Cora ist seit vielen Jahren meine wirklich tolle Freundin aus meiner Bankerzeit - sie ist jetzt dreißig, blond und schlank trotz Kind und sehr dickem Ehemann, den sie als Auszubildende bei der Deutschen Bank kennengelernt hat und seit 11 Jahren ihn und n u r ihn hatte - „nie! Und das kann ich schwören - hatte ich jemals einen anderen!“
Ihr Mann Frank ist Jurist und leitet inzwischen die Rechtsabteilung der Zentrale Berlin - wuchtig und schwergewichtig, immer ein wenig schwitzend, aber wirklich sympathisch und ein liebevoller Ehemann und Vater, der seine knappe Freizeit wirklich nur mit seiner kleinen (ehrlich gesagt pummligen) Tochter und seiner von ihm fast angebeteten Cora verbringt.
Und mit Cora kann ich auch nicht über meine ästhetischen Vorbehalte sprechen - wie auch: sie liegt mit einem dicken, schwitzenden Mann im Bett und klagt nie über derartiges - sie genießt ihr Ehe- und Mutterleben - und schweigt …..
Nur einmal, vor längerer Zeit, habe ich versucht, mit ihr über derartige Schwierigkeiten zu sprechen. - „ Mach dich damit nicht verrückt - das ist alles menschlich, und wenn du Christer liebst, wirst du damit auch leben können. - und glaubst du nicht, dass er auch bei dir schon einiges gehört und gesehen hat , was nicht unbedingt nur appetitlich war? …….
Das hatte gereicht - und es hatte mich noch mehr beunruhigt - ich würde also an mir arbeiten müssen - das „Menschliche“ tolerieren lernen usw. usw.
Aber der „Quickie“ heute morgen, fast lässig durchgezogen, brachte eigentlich gar nichts - galt sein flüchtiges Begehren mir - oder war es personell austauschbar - und schnellstens war er in seinen Joggingklamotten auf und davon - natürlich zum Betrieb, wo er den Wellness-Gott darbieten konnte.
Nach einer Dusche prüfe ich sehr genau mein Gesicht: dunkle, lange, fließende Haare, schmale, braune Augen, eine feingeschnittene , fotogene Nase (auf die ich stolz bin) und gutgeformte Lippen - alles in allem immer noch ein „Modelgesicht“ - nur eben das eines über 30 !
Und auch mein Körper kann sich auch nackt noch gut präsentieren - allerdings sitzt immer der Gedanke an „noch weniger wäre besser“ im Hinterkopf, der wohl nach den vielen Modeljahren hartnäckig platziert bleiben wird -
Der Betriebsalltag wartet auf mich - seufzend binde ich meine Haare streng nach hinten (Christer mag es lieber offen, aber der kann mich heute mal - nach dem albernen „Quickie“), Schminken im trendigen „nude“, was raffiniert natürlich rüberkommt und ein weißes enges Tank-Top zu weißen engen Hosen (ich trage so gut wie nie Jogginganzüge, ich hasse die geradezu, man hat darin immer ein paar Pfunde zuviel).
Und fertig ist die „Wellness-Chefin“ - als Bankerin immer im Kostüm oder Hosenanzügen, als model irgendwie - und jetzt immer in weiß, weiß, weiß …. Laaaangweilig ……
Und auch mein mir zugeeignetes Buchhaltungscontrolling und der Schriftwechsel sind langweilig, immer dasselbe, für das meiste habe ich Vorlagen im Speicher, die ich je nach Fall abändere, mit der Buchhalterin, Vera, mit der ich schlau ein gutes Verhältnis aufgebaut habe, sind auch nur die ewig gleichen Themen durchzukauen, unsere sehr junge Praktikantin, Vivi - sie ist wirklich süß mit ihren Rauschgoldengelshaaren und einer unglaublich zierlichen Figur, lernt bei mir Büroabläufe und flitzt dann erleichtert zu Christer, um die „Praxis“ mit ihm durchzuziehen. Und sie flirtet nie mit ihm (jedenfalls nicht vor mir) und ist wirklich ein Glücksfall - die Gäste lieben sie und wird daher von mir bei besonders hartnäckig Meckernden erfolgreich eingesetzt.
Vera ist fast fünfzig, sieht passabel aus mit ihren eingeschlagenen dunklen Haaren und in Jeans und Blazer, legt mir die Mappe mit den vorbereiteten Überweisungen vor, die dringend zur Bank müssen. Rechnungen, Rechnungen - wir zahlen immer auf den letzten Drücker, ehe es zu einer Mahnung kommen könnte - nervig! -
Ich setze mich an meinen Schreibtisch neben den von Vera, und wie trinken erst mal einen Riesenpott Kaffee - sie grinst wegen meiner Bittermiene: „heute wieder mal die Strahlechefin, was? - ich kann dich gleich noch mehr erheitern - der Chef hat Neuteile in Höhe von 12.000 Euro bestellt - und das vor den großen Ferien, wenn der Umsatz blank liegen wird - naaaa?“
Ich schicke ihr einen Hassblick - „ich sperre dir wegen brutalen Verhaltens zwei Gehälter!“ - und dann stoßen wir mit unseren Kaffeetassen an und ich bin wieder mal froh, sie zu haben. Wir sind nicht gerade befreundet, aber Vera ist einfach, praktisch und mit ihrer derben Art holt sie mich immer runter von höheren Sphären, in die ich mich reinsteigern kann.
Und wie so oft clicke ich auf meinem wirklich tollen Hochleistungsrechner (Geschenk von Christer, bei technischen Dingen ist er immer großzügig) mein Lieblingsthema an: Städtereisen!
Rom, Nizza, Florenz, Madrid, selbst Istanbul, das bekanntermaßen nicht nur aus Elendsvierteln besteht - ich liebe ein Wochenende in möglichst interessanten Städten, mit mediterraner Lebensweise, mit mehr Leichtigkeit im Denken und Handeln - und ich will keinen Strand sehen mit dicken Touris in Latschen - das Meer sehen - irgendwo, aber ohne Menschenmassen im Frühling oder Herbst, sogar lieber im Winter -
Leider teilt Christer diese Wünsche nicht mit mir. „Wir haben doch jeden Tag Wellness, du kannst in unserem eigenen Pool schwimmen, auch nachts allein, wir leben im Grünen und in einer angesagten Stadt! Herz, was willst du mehr? - oder du nimmst dir eine Freundin mit - ich kann hier nicht weg!“
Klar - Berlin ist ziemlich angesagt - aber mit meinen Lieblingsstädten kaum zu vergleichen - als Model war ich so viel unterwegs, und seit der Betriebsgründung ist Reisen kein Thema mehr -
Ich will ja auch nicht undankbar sein, komme aber nicht mit dem Euphemismus klar, den man unbedingt bei einer längeren Partnerschaft einsetzen muss. Ganz realistisch gesehen, weicht die Leidenschaft für den anderen einer leicht gereizten, noch verborgenen und nicht eingestandenen Duldung des Alltags mit all seinen Vor- und Nachteilen.
DER VORTEIL: MAN IST NIE ALLEIN ! - DER NACHTEIL: MAN IST NIE ALLEIN !
(womit nicht eine kurzfristige Abwesenheit des Partners gemeint ist, sondern natürlich die emotionale Situation).
*
Leider wäre zur Zeit kein mir näher bekanntes weibliches Wesen für ein Städte-Weekend bereit - kein Geld - oder Baby - oder „Franz, Karl, Emil“ duldet so etwas nicht - oder - oder sonst was…. Ich bin jetzt eindeutig in diesem mittleren Alter, in dem die Eheaufbaujahre mit Job und Kind Vorrang haben und man bei spontanen Plänen dieser Art eher als leichtfertig angesehen wird. Zumindest ist dies in meinem Umfeld der Fall und ich habe hier schon so einige ätzende Reaktionen erlebt - wobei mein Umfeld ja auch nicht aus reichen Müßiggängern besteht, sondern aus wirklichen hardworkern und tapferen Ehefrauen - so wie ich eine bin - oder etwa nicht?
Das Wort „tapfer“ ist altbacken und nicht wirklich zutreffend, aber man braucht schon viel Energie, um all das darzustellen, was ein durchaus verwöhnter Ehemann sich vorstellt. Ständig habe ich das Gefühl, mehrere Lebensrollen spielen zu müssen und das ohne Kind!
Auch wenn die ehemalige Frau des geschassten ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff viel Häme über die in ihrem biografischen Buch geäußerten Ansichten geerntet hat, so kann ich sie in einigen Punkten irgendwie doch verstehen. Bettina Wulff war ja nicht nur die jüngste Ehefrau in diesem Amt, sondern auch eine Frau mit zwei kleinen Kindern, was bei den älteren Präsidenten-Gattinnen nicht mehr der Fall war. Frau Bettina hat auch dahingehend Aufklärung erteilt, dass selbst persönliches Personal wie Babysitter im „Königsbereich“ lag und schwer erkämpft werden musste.
Selbst ich als kinderlose, aber berufstätige Ehefrau leide ja an schlechtem Gewissen, wenn ich nach einem Arbeitstag nicht die weiteren Rollen als Haushaltsmanagerin, Gastgeberin und Geliebte irgendwie erfülle. Christer geht hier ganz locker mit allem um! Er kommt so gegen 19 Uhr nach Hause, duscht und will essen oder essen gehen oder Besuch haben - wobei es natürlich ständig vorkommt, dass er plötzlich wieder in den Betrieb muss, weil irgendeine Technik versagt, die auch der Bademeister nicht in den Griff bekommt oder es passieren tausend andere Dinge, die seine Entscheidung verlangen.
Oft kommt er dann erst nach Betriebsschluss nach 24 Uhr zurück und ich sitze dann mit dem Besuch zu Hause oder im Restaurant oder ganz allein in der Wohnung herum, was mir allerdings in letzter Zeit nichts mehr ausmacht. - Ich relaxe, lese, träume - und zwar nicht vom Ehemann - er hinterlässt kein Vakuum - wobei diese Träume ganz diffus und nicht greifbar sind - völlig unklare Elemente, die in meinem Hirn herumtanzen in emotionaler Instabilität.