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Kapitel 1 Wiedergeburt
ОглавлениеWorte Sri Aurobindos
Die Theorie der Wiedergeburt ist fast so alt wie das Denken selbst, und ihr Ursprung ist unbekannt. Wir können sie je nach Neigung als Frucht uralter psychologischer Erfahrung annehmen, die erneuerungsfähig und nachprüfbar und daher wahr ist, oder sie als philosophisches Dogma und geniale Spekulation abtun. Doch in beiden Fällen wird die Lehre, genauso wie sie allem Anschein nach fast so alt ist wie das menschliche Denken selbst, wahrscheinlich auch fortdauern, solange Menschen denken.
Früher war die Lehre in Europa unter der grotesken Bezeichnung „Seelenwanderung“ in Umlauf und bescherte dem westlichen Geist die komische Vorstellung, wonach die Seele des Pythagoras aus der göttlichen Menschengestalt wahllos wie ein Zugvogel in den Körper eines Meerschweinchens oder in den eines Esels wanderte. Die philosophische Würdigung der Theorie drückte sich in dem wunderbaren, doch ziemlich unpraktischen griechischen Wort Metempsychose aus, das „Beseelung eines neuen Körpers mit demselben seelischen Individuum“ bedeutet. Die griechische Sprache hatte immer eine glückliche Hand, Gedanke und Wort miteinander zu verbinden, und es konnte gar kein besserer Ausdruck gefunden werden. Doch in das Englische eingezwängt ist das Wort nur noch lang und pedantisch, ohne dass eine Erinnerung an seinen feinen griechischen Sinn anklingt, und man muss darauf verzichten. Wiederverkörperung ist der jetzt allgemein übliche Ausdruck, doch der Wortgedanke neigt zu vergröbernder oder äußerlicher Auffassung des Sachverhalts und geht von vielen falschen Voraussetzungen aus. Ich ziehe „Wiedergeburt“ vor, denn es gibt den Sinn des weiten, schmucklosen, aber hinreichenden Sanskrit-Ausdrucks punarjanma wieder, „von neuem geboren werden“, und verpflichtet uns lediglich auf den Grundgedanken, der der Kern der Lehre ist und ihr Leben gibt.
Wiedergeburt ist für das moderne Denken nicht viel mehr als lediglich Spekulation und Theorie. Sie ist durch die Methoden der modernen Naturwissenschaften nie bewiesen worden, auch nicht zur Befriedigung des neuen, von der Wissenschaftskultur geformten kritischen Denkens. Sie wurde auch nicht widerlegt, denn die modernen Naturwissenschaften wissen nichts von einem Leben vorher oder einem Leben nachher für die menschliche Seele. Sie wissen nicht einmal etwas von einer Seele überhaupt, können es auch nicht wissen; ihre Domäne ist der Körper, das Gehirn und die Nerven, der Embryo und seine Bildung und Entwicklung, weiter nichts. Auch hat der moderne Kritizismus keinen Apparat, mit dem er die Wahrheit oder Unwahrheit der Wiedergeburt nachweisen kann. Tatsächlich ist er, trotz seinem ganzen Anspruch auf gründliche wissenschaftliche Forschung und gewissenhafteste Bestimmtheit, bei der Wahrheitsfindung nicht so tüchtig. Außerhalb des unmittelbar Physischen ist er fast hilflos. Für die Entdeckung von Tatsachen ist er geeignet, wenn die Schlüssigkeit dieser Tatsachen jedoch nicht aus deren eigenem Äußeren hervorgeht, hat er keine Möglichkeit, sich auf die allgemeinen Aussagen zu verlassen, die er in der einen Generation so selbstsicher verkündet und in der nächsten widerrufen muss. Er hat keine Möglichkeit, die Wahrheit oder Unwahrheit einer fragwürdigen historischen Behauptung zweifelsfrei herauszufinden. Nach einer ein Jahrhundert dauernden Kontroverse ist er nicht einmal in der Lage, uns zu sagen, ob Jesus Christus gelebt hat oder nicht. Wie kann er sich also mit einer Materie wie der Wiedergeburt befassen, die Gegenstand der Psychologie ist und besser durch psychologisches als durch naturwissenschaftliches Beweismaterial geklärt wird?
Die Argumente, die gewöhnlich durch Befürworter und Gegner vorgebracht werden, sind oft nur schwach oder nicht sehr sinnvoll und selbst im besten Fall unzureichend, um irgendetwas auf der Welt zu beweisen oder zu widerlegen. Ein häufig triumphierend vorgebrachtes Argument lautet zum Beispiel: Wir haben keine Erinnerung an unsere vergangenen Leben, also gibt es keine vergangenen Leben! Man muss schmunzeln, wenn man sieht, dass eine solche Argumentation allen Ernstes von denen gebraucht wird, die sich einbilden, den intellektuellen Kinderschuhen entwachsen zu sein. Der Beweis wird mit psychologischer Begründung weitergeführt, und doch bleibt dabei gerade die Natur unseres normalen oder physischen Erinnerungsvermögens unberücksichtigt, das der Durchschnittsmensch als einziges benutzen kann. In welchem Umfang haben wir eine Erinnerung an unser gegenwärtiges Leben, das wir ja unbestreitbar im Augenblick führen? Unser Gedächtnis ist normalerweise gut für das Naheliegende, wird verschwommener oder weniger aufnahmebereit für entferntere Gegenstände, erfasst weiter weg nur noch einige ins Auge springende Punkte und fällt, was den Beginn unseres Lebens angeht, in ein reines Nichts. Können wir uns auch nur an die bloße Tatsache, an den simplen Zustand erinnern, als wir ein kleines Kind an der Mutterbrust waren? Und doch gehörte dieser frühe Kindheitszustand, und das ist nicht etwa eine buddhistische Theorie, zu demselben Leben und zu derselben Person – gerade zu der, die sich nicht daran erinnern kann, sowenig wie an ihre vergangenen Leben. Dennoch verlangen wir von diesem physischen Gedächtnis, von diesem Gedächtnis des rohen Menschengehirns, das sich nicht an unsere frühe Kindheit zu erinnern vermag und dem so viel von unseren späteren Jahren entfallen ist, sich doch die Zeit vor der Kindheit, vor der Geburt und bevor es selbst gebildet wurde, wieder in Erinnerung zu rufen. Und wenn es das nicht kann, sollen wir unsere Stimme erheben: „Widerlegt ist eure Theorie der Reinkarnation!“ Die neunmalkluge Weisheit unseres gewöhnlichen menschlichen Argumentierens musste in einer solchen Schlussfolgerung steckenbleiben. Wenn unsere vergangenen Leben erinnert werden sollen, entweder als Tatsache und Zustand oder in ihren Ereignissen und Bildern, kann es offenbar nur durch ein erwachendes psychisches Erinnerungsvermögen geschehen, das die Beschränkungen des Physischen überwindet und Eindrücke wiederaufleben lässt, die anders sind als die dem physischen Wesen von der physischen Gehirntätigkeit eingeprägten.
Auch wenn wir Beweise für die physische Erinnerung an vergangene Leben oder für ein solches psychisches Erwachen hätten, bezweifle ich, ob die Theorie als irgend besser bewiesen denn zuvor gelten würde. Man hört jetzt viel von solchen zuversichtlich vorgebrachten Beispielen, wenn auch ohne jenen Apparat von verifiziertem, verantwortlich geprüftem Beweismaterial, das den Ergebnissen psychischer Forschung Gewicht verleiht. Der Skeptiker kann sie stets als bloße Erfindung und Einbildung anzweifeln, wenn und bis sie nicht auf eine feste Beweisgrundlage gestellt sind. Auch wenn die angeführten Tatsachen bestätigt sind, kann er sich auf die Behauptung zurückziehen, dass es sich nicht um wirkliche Erinnerungen handelt, sondern dass sie der vorbringenden Person mittels normaler naturwissenschaftlicher Methoden bekannt geworden oder ihr von anderen eingegeben und in eine Erinnerung an Wiederverkörperung verwandelt worden seien, entweder durch bewusste Täuschung oder durch einen Vorgang der Selbsttäuschung und Selbsthalluzination. Und auch angenommen, das Beweismaterial wäre zu stichhaltig und einwandfrei, als dass man es mit diesen bekannten Tricks loswerden könnte, wäre es doch möglich, sie nicht als Beweis für die Wiedergeburt zu akzeptieren; das Mental kann für eine einzige Faktengruppe hundert theoretische Erklärungen beibringen. Spekulatives Denken und Forschung der Moderne haben diesen Zweifel eingeführt, so dass er drohend über jeder psychischen Theorie und allgemeinen Aussage schwebt.
Wir wissen zum Beispiel, dass etwa bei den Erscheinungen des automatischen Schreibens oder bei der Verbindung mit den Toten darüber debattiert wird, ob sie von außen kommen, von einem entkörperten mentalen Geist, oder von innen, vom unterschwelligen Bewusstsein, oder ob die Verbindung wirklich und unmittelbar von der abgelösten Persönlichkeit ausgeht oder aber, ob es ein an die Oberfläche gelangter telepathischer Eindruck ist, der dem Geist des damals Lebenden entsprang, jedoch in unserer unterschwelligen Mentalität untergetaucht blieb. Derartige Bedenken könnten auch den Materialien der Erinnerung an eine Reinkarnation entgegengebracht werden. Man könnte die Behauptung aufstellen, dass durch diese Materialien die Kraft einer gewissen geheimnisvollen Fähigkeit in uns bewiesen wird, ein Bewusstsein, das ein unerklärliches Wissen vergangener Geschehnisse in sich bergen kann, dass diese Geschehnisse aber zu anderen Persönlichkeiten als der unseren gehören und dass ihre Zuordnung zu unserer eigenen Persönlichkeit in vergangenen Leben eine Fantasievorstellung, eine Halluzination ist oder aber ein Beispiel der Selbstaneignung von wahrgenommenen Dingen und Erfahrungen, die jedoch nicht uns angehören – eine jener unbezweifelbaren Erscheinungen mentalen Irrtums. Durch eine solche Ansammlung von Beweismaterial würde vieles bewiesen, nicht jedoch die Wiedergeburt, zumindest nicht für den Skeptiker. Wäre das Material hinreichend ausführlich, genau und reichhaltig sowie persönlich genug, würde es sicher eine Atmosphäre schaffen, die letztlich dazu führen würde, dass die Theorie als eine moralische Gewissheit von der menschlichen Art allgemein angenommen wird. Beweisen ist jedoch etwas anderes.
Im Grunde ist das meiste, was wir als Wahrheit annehmen, eigentlich nichts anderes als moralische Gewissheit. Wir alle haben den tiefsten, unerschütterlichsten Glauben, dass die Erde sich um ihre eigene Achse dreht, doch wurde diese Tatsache nie bewiesen, wie ein großer französischer Mathematiker aufzeigte; es ist nur eine Theorie, die eine gute Begründung für einen zu beobachtenden Sachverhalt abgibt, weiter nichts. Wer weiß, ob sie nicht in diesem oder einem anderen Jahrhundert durch eine bessere – oder schlechtere – ersetzt wird. Alle beobachteten astronomischen Erscheinungen wurden durch Sphärentheorien und was sonst noch alles großartig erklärt, bevor Galilei mit seinem „Und sie bewegt sich doch!“ auftrat und die Unfehlbarkeit von Papst und Bibel, Wissenschaft und Gelehrtenlogik erschütterte. Man hat das sichere Gefühl, dass großartige Theorien erfunden werden könnten, um die Tatsache der Gravitation zu erklären, wäre unser Intellekt nicht von den früheren Beweisführungen Newtons1 voreingenommen. Dies ist die unserem Verstande eigene und ihn stets verwirrende Plage; denn wenn er anfängt, weiß er nichts und hat sich mit unendlich vielen Möglichkeiten zu befassen, und die möglichen Erklärungen für jede beliebige Faktenreihe, bis man wirklich weiß, was dahintersteckt, sind endlos. Letztlich wissen wir eigentlich nur das, was wir beobachten, und auch dies unterziehen wir einer quälenden Untersuchung, zum Beispiel, dass grün grün und weiß weiß ist, obgleich es so aussieht, als wäre die Farbe nicht Farbe, sondern etwas anderes, das das Erscheinen von Farbe hervorbringt. Jenseits der beobachtbaren Tatsachen müssen wir uns mit annehmbarer Erfüllung der Logik, mit sehr großer Wahrscheinlichkeit und mit moralischer Gewissheit zufriedengeben – wenigstens so lange, bis wir für die Beobachtung Sinn haben, dass es höhere Möglichkeiten in uns gibt als den sinnenabhängigen Verstand – und die Entwicklung abwarten, mit denen wir zu größerer Gewissheit gelangen können.
Zugunsten der Theorie der Wiedergeburt können wir in der Tat keine solche sehr große Wahrscheinlichkeit oder Gewissheit behaupten, wie wir es gegen den Skeptiker getan haben. Der noch verfügbare äußere Beweis ist letztlich nur ein Ansatz. Pythagoras war einer der größten Weisen, aber seine Behauptung, er habe vor Troja unter dem Namen des Antenoriden mitgekämpft und sei durch den jüngeren Atreussohn erschlagen worden, ist eben nur eine Behauptung, und seine Identifizierung des trojanischen Schildes wird niemanden überzeugen, der nicht schon überzeugt ist; die moderne Beweisführung ist bis jetzt um nichts überzeugender als der Beweis des Pythagoras. In Ermangelung eines äußeren Beweises, der für unseren sachbeherrschten, sinnenhaften Intellekt allein schlüssig ist, haben wir das Argument der Verfechter der Wiederverkörperung, dass ihre Theorie alle Fakten besser erklärt als jede andere schon vorgebrachte. Der Anspruch ist berechtigt, aber er schafft überhaupt keine Gewissheit. Die Theorie der Wiedergeburt verbunden mit der Karma-Theorie gibt uns eine einfache, symmetrische und schöne Erklärung der Dinge; doch eine ebenso einfache, symmetrische und schöne Erklärung der Himmelsbewegungen gab uns auch die Sphärentheorie. Doch wir haben jetzt eine ganz andere Erklärung, eine viel komplexere, in ihrer Symmetrie viel gröbere und schwankendere, eine unerklärliche Ordnung, die sich aus chaotischen Unendlichkeiten herausentwickelte und die wir als die Wahrheit der Sache akzeptieren oder zu akzeptieren pflegten, aber jetzt wird uns zu verstehen gegeben, dass diese Ordnung nur ein von unserem eigenen Geist geschaffenes oder von der Beschaffenheit unseres Gehirns bestimmtes Schema ist, eine Syntax und Logik von Worten und Gedanken, die wir einer Welt aufzwingen, die in Wahrheit nichts Derartiges enthält beziehungsweise enthalten kann. Und doch, wenn wir nur denken wollen, werden wir vielleicht erkennen, dass auch dies nicht die ganze Wahrheit ist. Es steckt viel mehr dahinter, was wir noch nicht entdeckt haben. Daher ist die Einfachheit, Symmetrie und Schönheit und das Befriedigende der Theorie der Reinkarnation keine Garantie für ihre Gewissheit.
Gehen wir in die Einzelheiten, wächst die Ungewissheit. Die Wiedergeburt erklärt zum Beispiel das Phänomen des Genies, angeborener Fähigkeiten und so manch andere psychologische Geheimnisse. Doch dann kommt die Wissenschaft mit ihrer Vererbung, die allem gerecht wird und alles erklärt – obschon, wie bei der Wiedergeburt, nur für die, die ohnehin bereits daran glauben. Zweifellos wurden die Ansprüche der Vererbungslehre unsinnig übertrieben. Es gelang ihr in vielem, nicht in allem, die Begründung unseres Körperbaus, unseres Temperaments und unserer vitalen Eigenheiten. Ihr Versuch, eine Begründung für Genie, für angeborene Fähigkeiten und andere psychologische Erscheinungen höherer Art zu liefern, ist dagegen in seiner Anmaßung ein Fehlschlag. Dies mag daran liegen, dass die Naturwissenschaften überhaupt nichts Grundlegendes über unsere Psychologie wissen – nicht viel mehr als die ersten Astronomen von der Zusammensetzung und den Gesetzen der Sterne, deren Bewegungen sie doch schon mit hinreichender Genauigkeit beobachteten. Ich glaube nicht, dass die Wissenschaft in der Lage sein wird, auch wenn sie mehr und besser weiß, diese psychologischen Dinge mittels Vererbung zu erklären; doch kann der Wissenschaftler sehr wohl so argumentieren, dass er erst am Anfang seiner Untersuchungen stehe, dass die Verallgemeinerung, die so vieles erklärt hat, sehr wohl alles erklären könne und dass seine Hypothese mit ihrem beweiskräftigen Material an Fakten auf jeden Fall eine bessere Ausgangsposition gehabt habe als die Theorie der Reinkarnation.
Dennoch ist das Argument des Theoretikers der Reinkarnation so weit ein gutes Argument und verdient Respekt, obwohl es nicht schlüssig ist. Doch gibt es ein anderes, lautstärker vorgetragenes, das mir der feindseligen Argumentation vom fehlenden Gedächtnis zu entsprechen scheint, wenigstens in der Form, in der es normalerweise vorgebracht wird, um unreife Gemüter anzuziehen. Es ist das sittliche Argument, mit dem man Gottes Umgangsweisen mit der Welt oder die Umgangsweise der Welt mit sich selbst zu rechtfertigen sucht. Es muss da eine moralische Weltregierung geben, so wird gedacht; oder mindestens ein Dekret in der Weltordnung zur Belohnung der Tugend und zur Bestrafung der Sünde. Doch auf unserer wirren und chaotischen Erde tritt keine solche Sanktion in Erscheinung. Wir sehen, wie der gute Mensch in die Presse der Misere und des Elends hinuntergestoßen wird und der schlechte wie ein grüner Lorbeerbaum gedeiht und an seinem Ende eben nicht jämmerlich dahingerafft wird. Nun, das ist unerträglich. Es ist eine grausame Anomalie, es wirft ein schlechtes Licht auf Gottes Weisheit und Gerechtigkeit und ist beinahe ein Beweis dafür, dass es Gott nicht gibt; wir müssen das in Ordnung bringen. Oder wenn es Gott nicht gibt, müssen wir irgendeine andere Sanktionierung der Rechtschaffenheit haben.
Wie tröstlich wäre es, wenn wir einen guten Menschen und sogar den Umfang seines Gutseins – denn sollte nicht der Höchste ein genauer und ehrbarer Buchhalter sein? – am Umfang des Ghee (geklärte Butter) erkennen könnten, das er in seinen Magen tun darf, an der Anzahl von Rupien, die er auf sein Bankkonto klingeln lassen kann, und an den verschiedenen Arten von Glück, die ihm zufallen. Ja, und wie tröstlich auch, wenn wir auf den Schlechten, der von keiner Verheimlichung mehr gedeckt wird, mit dem Finger zeigen und ihn anschreien könnten: „O du schlechter Mensch! Denn wenn du nicht böse wärst, wärst du in einer von Gott oder wenigstens vom Guten regierten Welt so zerlumpt, hungrig, unglücklich, von Kummer verfolgt, ehrlos unter den Menschen. Ja, es ist erwiesen, dass du schlecht bist, denn du gehst in Lumpen. Gottes Gerechtigkeit ist hergestellt.“ Da die Höchste Intelligenz zum Glück weiser und edler ist als das kindische Wesen des Menschen, ist das unmöglich. Doch trösten wir uns! Der Gute hat anscheinend deshalb nicht genug Glück, Ghee und Rupien, weil er wirklich ein Schuft ist und aufgrund seiner Verbrechen leidet – ein Schurke in seinem vergangenen Leben, der im Mutterleib plötzlich ein neues Blatt aufgeschlagen hat; und wenn jener schlechte Mensch prächtig gedeiht und die Welt großartig mit Füßen tritt, dann nur wegen seines Gutseins – in einem vergangenen Leben, da der damalige Heilige mittlerweile – war es durch seine Erfahrung, dass die Tugend auf Erden eitel ist? – zum Kult der Sünde übertrat. Alles wird geklärt, alles gerechtfertigt. Wir leiden für unsere Sünden in einem anderen Körper; wir werden in einem anderen Körper belohnt für unsere Tugenden in diesem; und so wird es ad infinitum weitergehen. Kein Wunder, dass die Philosophen dies für ein schlechtes Geschäft erklärten und als Heilmittel, um Sünde wie Tugend loszuwerden, vorschlugen, man solle aus einer so unbegreiflich regierten Welt irgendwie hinausklettern, und dies uns sogar als unser höchstes Gut empfahlen.
Offensichtlich ist dieses System nur eine Variante der alten, spirituell-materiellen Lockung und Drohung: Der Gute erhält die Lockung eines Himmels reichlicher Freuden und dem Schlechten wird mit einer Hölle ewigen Feuers oder bestialischer Qualen gedroht. Die Vorstellung vom Weltgesetz, das in erster Linie Belohnungen und Strafen austeilt, ist verwandt mit der Vorstellung, dass das Höchste Wesen ein Richter, „Vater“ und Schulmeister ist, der seine guten Jungen fortwährend mit Bonbons belohnt und seine nichtsnutzigen Bengel dauernd verhaut. Sie ist auch verwandt mit dem barbarischen und gedankenlosen System der manchmal grausamen und stets entwürdigenden Bestrafung für gesellschaftliche Verstöße, worauf die menschliche Gesellschaft immer noch beruht. Der Mensch besteht fortwährend darauf, Gott nach seinem eigenen Bilde zu erschaffen, anstatt danach zu trachten, sich immer mehr nach dem Bilde Gottes zu gestalten, und alle diese Vorstellungen sind ein Spiegel für das Kind, den Wilden und das Tier in uns, die wir immer noch nicht umgewandelt haben und über die wir immer noch nicht hinausgewachsen sind. Wir sollten eigentlich darüber erstaunt sein, wie diese Kinderfantasien ihren Weg in so tiefe philosophische Religionen wie den Buddhismus und den Hinduismus gefunden haben, wäre es nicht so offenkundig, dass die Menschen sich nicht den Luxus versagen werden, den Kehricht ihrer Vergangenheit mit den tieferen Gedanken ihrer Weisen zusammenzubringen.
Zweifellos müssen diese Vorstellungen, da sie so markant sind, ihren Nutzen für die Erziehung der Menschheit gehabt haben. Wahr ist vielleicht auch, dass der Höchste mit der Kinderseele kindgemäß umgeht und ihr erlaubt, ihre sinnenhaften Fantasien von Himmel und Hölle noch eine Zeitlang nach dem Tod des physischen Körpers weiterzuträumen. Vielleicht waren diese Vorstellungen vom Leben nach dem Tode und von der Wiedergeburt als Spielfeld für Strafe und Belohnung notwendig, weil sie zu unserer halbmentalisierten Tierhaftigkeit passten. Aber nach einer bestimmten Entwicklungsstufe hört das System auf, wirklich effektiv zu sein. Die Menschen glauben an Himmel und Hölle, aber sündigen fröhlich weiter und kommen schließlich doch davon infolge päpstlicher Nachsicht, der letzten priesterlichen Absolution oder der Reue auf dem Totenbett oder durch ein Bad im Ganges oder einen heiligen Tod in Benares – das sind die kindlichen Einfälle, mit denen wir uns von unserer Kindlichkeit freimachen! Und am Ende wird der Geist erwachsen und legt den ganzen Kinderstuben-Unsinn verächtlich beiseite. Ebenso unwirksam wird die Lohn-und-Strafe-Theorie der Wiedergeburt, obschon etwas gehobener oder zumindest weniger grob sinnlich. Und es ist gut, dass es so ist. Denn es ist unerträglich, dass der Mensch mit seiner göttlichen Fähigkeit um einer Belohnung willen tugendhaft bleiben und die Sünde aus Angst meiden soll. Besser ein starker Sünder als ein egoistischer Feigling oder eine kleinliche, mit Gott feilschende Krämerseele; in ihm ist mehr Göttlichkeit, mehr Fähigkeit zur Erhebung. Die Gita hat es wahrhaftig gut gesagt, krpanah phalahetavah2. Und es ist unvorstellbar, dass das System dieser weiten und majestätischen Welt auf diesen kleinlichen und armseligen Motiven beruhen soll. Vernunft sei in diesen Lehren? Dann nur die kindliche Vernunft der Kinderstube. Sittlichkeit? Dann nur Sittlichkeit des Schmutzes, schmutzig.
Die wahre Grundlage der Theorie der Wiedergeburt ist die Entwicklung der Seele oder vielmehr ihr Aufblühen aus dem Schleier der Materie und ihre allmähliche Selbstfindung. Der Buddhismus enthielt diese Wahrheit in seiner Lehre vom Karma und vom Auftauchen aus dem Karma, versäumte aber, sie bekanntzumachen; der Hinduismus kannte sie von alters her, verfehlte aber später das rechte Gleichgewicht des Ausdrucks. Heute sind wir wieder in der Lage, die alte Wahrheit in einer neuen Sprache zu formulieren, und dies wird bereits von einigen Geistesrichtungen getan, obschon die alten Inkrustationen die Neigung haben, sich an diese tiefere Weisheit anzuheften. Und wenn dieses allmähliche Aufblühen wahr ist, dann ist die Theorie der Wiedergeburt eine intellektuelle Notwendigkeit, eine logisch zwingende Folge. Doch was ist das Ziel der Evolution? Nicht konventionelle oder interessierte Tugend und das fehlerlose Aufzählen der kleinen Münze des Guten in der Hoffnung auf eine gerechte Zuteilung materieller Belohnung, sondern ein fortwährendes Wachsen zu göttlichem Wissen und göttlicher Kraft, Liebe und Reinheit. Diese Dinge allein sind wirkliche Tugend und diese Tugend trägt ihren Lohn in sich selbst. Der einzige wahre Lohn für die Werke der Liebe besteht darin, immer in der Fähigkeit und Freude der Liebe zu wachsen, empor zur Ekstase der allumfassenden Umarmung und Liebe des Geistes; der einzige Lohn für die Werke des rechten Wissens besteht im immerwährenden Wachstum in das unendliche Licht; der einzige Lohn für die Werke der rechten Macht besteht darin, immer mehr die Göttliche Kraft in uns Wohnung nehmen zu lassen, und für die Werke der Reinheit, immer mehr vom Egoismus befreit zu werden in diese makellose Weite hinein, in der alle Dinge umgewandelt und in der göttlichen Gelassenheit versöhnt sind. Einen anderen Lohn suchen heißt, sich selbst an eine Torheit und eine kindliche Unwissenheit zu binden; und auch diese Dinge als Belohnung anzusehen, zeugt ebenfalls von Unreife und Unvollkommenheit.
Und wie steht es mit Leiden und Glück, Unglück und Wohlstand? Dies sind Erfahrungen der Seele in ihrer Erziehung, Hilfe, Stützen, Mittel und Wege, Disziplinen, Tests, Zerreißproben – und Wohlstand ist oft eine schwerere Prüfung als Leiden. Tatsächlich können Not, Unglück, Leiden oft eher als Belohnung für Tugendhaftigkeit denn als Strafe für die Sünde angesehen werden, da es sich herausstellt, dass sie die größten Helfer und Reiniger der um ihre Entfaltung kämpfenden Seele sind. Sie lediglich als das harte Urteil eines Richters, als den Zorn eines gereizten Herrschers oder auch als die mechanische Rückwirkung der Folge des Bösen auf dessen Ursache zu betrachten, bedeutet, Gottes Umgang mit der Seele und das Gesetz der Welt Evolution so oberflächlich wie nur möglich zu beurteilen. Und wie steht es mit weltlichem Wohlstand, Reichtum, Nachkommenschaft, dem äußeren Genuss von Kunst, Schönheit und Macht? Gut, wenn sie ohne Verlust für die Seele erreicht werden und nur als Ausgang göttlicher Freude und Gnade auf unsere materielle Existenz genossen werden. Aber wir wollen sie zuerst für andere oder vielmehr für alle suchen und für uns selbst nur als einen Teil des universellen Zustandes oder als eines der Mittel, die uns der Vollkommenheit näher bringen.
Die Seele braucht keinen Beweis für ihre Wiedergeburt, genauso wenig wie sie einen Beweis für ihre Unsterblichkeit braucht. Denn es kommt eine Zeit, da sie bewusst unsterblich ist und sich selbst in ihrer ewigen und unwandelbaren Substanz kennt. Wenn diese Verwirklichung einmal erreicht ist, fällt alles intellektuelle Fragen für und wider die Unsterblichkeit der Seele ab wie der nichtige Lärm der Unwissenheit um die selbstevidente und ewig gegenwärtige Wahrheit. Tato na vicikitsate. Das ist der wahre Glaube an die Unsterblichkeit, wenn sie für uns kein intellektuelles Dogma wird, sondern eine so klare Tatsache wie die physische unseres Atmens und genauso wenig eines Beweises oder einer Erörterung bedürftig. So kommt auch eine Zeit, da die Seele sich selbst in ihrer ewigen und wandelbaren Bewegung erkennt; sie erkennt dann die Zeitalter hinter dem, was die gegenwärtige Organisation der Bewegung bildete, sie sieht, wie dies in einer ununterbrochenen Vergangenheit vorbereitet wurde, erinnert sich an vergangene Seelenzustände, Umgebungen, besondere Tätigkeitsformen, die ihre gegenwärtigen Bestandteile aufgebaut haben, und weiß, worauf sie sich durch Entwicklung in einer ununterbrochenen Zukunft zubewegt. Das ist der wahre dynamische Glaube an die Wiedergeburt und auch da hört das Spiel des fragenden Intellekts auf; die Vision der Seele und die Erinnerung der Seele sind alles. Gewiss bleibt die Frage nach dem Mechanismus der Entwicklung und nach den Gesetzen der Wiedergeburt, wo der Intellekt und seine Untersuchungen und Verallgemeinerungen immer noch etwas Spielraum haben können. Und je mehr man hier denkt und erfährt, von desto zweifelhafterem Wert scheint die gewöhnliche, einfache, verkürzte und trockene Darstellung der Reinkarnation zu sein. Hier begegnen wir mit Sicherheit einer größeren Komplexität, einem Gesetz, das sich mit schwierigerem Gang und komplizierterer Harmonie aus den Möglichkeiten des Unendlichen herausentwickelte. Doch dies ist eine Frage, die eine lange und ausführliche Betrachtung erfordert; denn „fein ist das Gesetz davon“. Anur hyesa dharmah.
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1 Dies wurde vor dem Bekanntwerden der Theorie Einsteins geschrieben.
2 Arme und unglückliche Seelen sind es, die die Früchte ihrer Werke zum Gegenstand ihrer Gedanken und Aktivitäten machen. [Gita 2.49]