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Kapitel 4 Wiedergeburt und Seelen-Evolution

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Worte Sri Aurobindos

Die Vorstellungen, die sich die Menschen gegenwärtig vom Leben und seinen Umständen bilden, sind größtenteils pragmatische Konstruktionen. Es sind Formen einer Vernunft, die damit beschäftigt ist, sich von ihrer Umwelt nur insoweit sinnvoll Rechenschaft zu geben, als sie dadurch einen hinreichenden Schlüssel für das uns unmittelbar Angehende erhält: für unser Wachstum, unser Handeln und die Befriedigung der Persönlichkeit, für etwas Mögliches und Lebenswertes, das sich auf unsere Reise in der Zeit auswirkt, für etwas Lebensfähiges und Durchführbares. Ob dies irgendeiner wahren Wirklichkeit der Dinge entspricht oder in direkter Berührung mit ihr steht, scheint etwas ganz Zufälliges zu sein. Es genügt anscheinend, wenn wir unsere oberflächliche und willfährige Vernunft von dessen Wahrheit überzeugen können und feststellen, dass es in seinen Auswirkungen für Denken, Handeln und Lebenserfahrung sinnvoll und fruchtbar ist. Zwar gibt es noch eine andere unpragmatische Vernunft in uns, die sich abmüht, diese Forderung der intellektuellen und vitalen Persönlichkeit abzuschütteln; sie will die wirkliche Wahrheit der Dinge unverschleiert und unverstellt anschauen, um das eigentliche Bild der Wahrheit in den stillen Wassern eines leidenschaftslosen, klaren und reinen Mentals zu spiegeln. Aber die Tätigkeit dieser ruhigeren höheren Vernunft wird von zwei ungeheuren Schwierigkeiten behindert. Erstens scheint es nahezu unmöglich, die Vernunft ganz von unserer übrigen Natur zu befreien, von der normalen Verstandeskraft, von dem Willen zum Glauben, von jenem Instinkt der Intelligenz, der gewissermaßen durch ein subtiles Prinzip von Vorliebe und Auslese das Weiterleben der Denkweise unterstützt, die unserer persönlichen Neigung oder dem kultivierten Rahmen unserer Natur zusagt. Sodann: Welche Wahrheit wird von unserer Vernunft gespiegelt? Es ist im Grunde wohl ein indirektes Bild der Wahrheit, nicht eigentlich ihr Selbst und Körper von Angesicht zu Angesicht; es ist ein Bild, geformt aus Daten, Symbolen und Prozessen der Wirklichkeit – wenn es denn eine wahre Wirklichkeit gibt –, wie wir sie aus der sehr begrenzten Erfahrung des Selbsts und den dem menschlichen Mentals zugänglichen vorhandenen Dingen gewinnen können. So stehen selbst die höchste Macht und der weiteste Gang unserer Vernunft stets unter dem vertrackten Zugriff fortgesetzter Unzulänglichkeit und Ungewissheit, die alles Mühen der menschlichen Erkenntnis bedrängen, wenn es nicht eine Möglichkeit gibt, dass die Erkenntnis durch alle Schleier zur Erfahrung der Wirklichkeit selbst durchbrechen kann, oder wenn es nicht einen universalen Logos, ein göttliches Mental oder ein Supramental gibt, das sich selbst und alle Dinge kennt, und unser Bewusstsein dieses widerspiegeln oder damit in Berührung kommen kann.

Nirgends ist dieses Unvermögen unangenehmer als bei jenen Grundfragen zum Wesen der Welt und unseres eigenen Daseins, die doch die denkende Menschheit leidenschaftlich interessieren, denn dies ist letztlich von größter Bedeutung für uns, da ja alles, mit Ausnahme des grob unmittelbar Praktischen, von der Lösung dieser Probleme abhängt. Und bis diese große Frage entschieden ist, ist auch dies nur ein Vorwärtsstolpern auf einer Reise, deren Ziel oder Zweck, Bedeutung oder Notwendigkeit wir nicht kennen. Die Religionen treten für die Lösung dieser gewaltigen Probleme mit inspirierter oder offenbarter Gewissheit ein; aber ihre enormen Unterschiede zeigen, dass auch sie Ideen auswählen, dass es auch bei ihnen verschiedene Aspekte der Wahrheit gibt – der Skeptiker würde sagen, Schaustellungen von Imagination und Falschheit – und eine auf begrenzter spiritueller Erfahrung beruhende Form. Auch bei ihnen herrscht ein Element der Glaubensentscheidung und Glaubenswilligkeit und ein höherer pragmatischer Zweck und Nutzen, handle es sich nun darum, dass sich die Seele dem Leid oder der Unwirklichkeit des Daseins entzieht, oder um himmlische Seligkeit oder eine ethisch-religiöse Sanktionierung und Führung. Die philosophischen Systeme sind ganz offensichtlich nichts anderes als mögliche ausgewählte Reflexionsformen großer Ideen. Dies sind weit eher Möglichkeiten der Vernunft als gesicherte Gewissheiten oder, wenn auf spiritueller Erfahrung beruhend, doch Auswahlformen, eine Art groß angelegter Zugang zu einem Tor, das in das unwissbare Göttliche oder unausdrückbare Unendliche führt. Der moderne naturwissenschaftliche Geist trat für unsere Befreiung von allen nur intellektuellen Konstruktionen ein und wollte uns mit der Wahrheit und nur mit gesicherter Wahrheit konfrontieren; er nahm das Recht für sich in Anspruch, den Menschen von der wahnhaften Behinderung durch die Religion und von der nutzlosen Verschwommenheit der Metaphysik befreien zu können. Doch nun wandten sich Religion und Philosophie gegen die Naturwissenschaften und brachten ihnen auf Grund der von ihnen selbst behaupteten Tatsachen zum Bewusstsein, dass sie diesen beiden allgemeinen Schwierigkeiten der menschlichen Vernunft ebenso unterworfen seien. Das naturwissenschaftliche System scheint seinerseits nur eine andere mögliche fruchtbare Vernunftform zu sein, die sich für ihren eigenen Nutzen Rechenschaft über die physische Welt und deren Beziehungen zu uns ablegt, und weiter nichts. Und ihre Erkenntnis ist entscheidend eingeschränkt durch die Begrenzung ihrer Daten und ihrer Weltanschauung. Auch die Naturwissenschaften erzeugen nur ein von viel Ungewissheit geprägtes Teilbild der Wahrheit, das noch eindeutiger den verkehrten Stempel der Unzulänglichkeit trägt.

Wir müssen zugeben, dass die menschliche Vernunft, die von einem Ausgangspunkt der Unwissenheit ausgehend sich in einem großen Umkreis aus Unwissenheit bewegt, mittels Hypothese, Prämisse und Theorie vorgehen muss und der Nachprüfung in irgendeiner Form unterworfen ist, die unseren Verstand und unsere Erfahrung überzeugt. Es besteht jedoch dieser Unterschied, dass der religiöse Geist die Theorie oder Prämisse – die er überhaupt nicht so nennt, denn für ihn sind dies Gefühlsdinge – mit dem Glauben, mit einem Willen zum Glauben, mit gefühlsmäßiger Gewissheit akzeptiert und die Bestätigung in der zunehmenden spirituellen Intuition und Erfahrung findet. Der philosophische Geist akzeptiert sie ruhig und klug wegen ihrer deutlichen Übereinstimmung mit den Fakten und Notwendigkeiten des Seins; er verifiziert mittels einer alles durchziehenden und nie versagenden Harmonie mit allen Erfordernissen der Vernunft und der intellektualisierten Intuition. Doch das skeptische Mental – nicht der Geist des bloßen Zweifelns oder dogmatischer Verneinung, der normalerweise diese Bezeichnung für sich in Anspruch nimmt, sondern der offene und ausgewogene Geist sorgfältiger, unparteiischer und zurückhaltender Untersuchung – verleiht seinen Hypothesen einen gewissen provisorischen Charakter und erbringt den Nachweis durch die Berechtigung irgendeiner Ordnung oder Kategorie feststellbarer Tatsachen, die er als Beweisgrundlage nimmt und mit schlüssiger Glaubwürdigkeit beziehungsweise Faktizität ausstattet. Es gibt genug Platz für alle drei Methoden und es ist kein Grund vorhanden, warum unser vielschichtiger moderner Geist nicht mit allen dreien zugleich vorgehen sollte. Denn wenn die skeptische oder provisorische Haltung uns bereiter macht, unser Bild von der Wahrheit im Licht neuen Gedanken- und Erkenntnismaterials zu ändern, kann auch der religiöse Geist, vorausgesetzt, er behält ein gewisses festes und tiefes Offensein gegenüber neuer spiritueller Erfahrung bei, schneller zu einem immer größeren Licht fortschreiten, und in der Zwischenzeit können wir damit sicheren Schritts marschieren und ungefährdet unsere Hauptaufgabe in Angriff nehmen, unser Wesen wachsen zu lassen und zu vervollkommnen. Der Nutzen des philosophischen Geistes liegt darin, unserer Denkweise die nötige Weite und Offenheit zu geben – wenn er sich nicht ebenfalls selbst einengt durch einen geschlossenen Kreis metaphysischer Dogmen –, und außerdem stützt er die Harmonie unseres sonstigen Handelns durch die ruhige Zustimmung der höheren Vernunft.

Nun liegt die Ausgangshypothese zu diesem Thema „Seele und Wiedergeburt“ ganz offen vor uns; die Schranke ist gefallen. Denn so viel steht jetzt fest: Die Naturwissenschaften können uns den Schlüssel zu dem Vorgang liefern, aber keinen Einfluss auf die Wirklichkeit der Dinge ausüben. Das bedeutet, dass das Physische nicht das ganze Geheimnis von Welt und Dasein ist und dass auch in uns der Körper nicht das Ganze unseres Wesens ist. Wir gelangen also aller Wahrscheinlichkeit nach durch etwas Supraphysisches in der Natur und in uns selbst, das wir Seele nennen können, was auch immer die eigentliche Substanz der Seele sein mag, zu jener größeren Wahrheit und subtileren Erfahrung, die unseren von den Naturwissenschaften gezogenen engen und strengen Kreis vergrößern und uns der Wirklichkeit näher bringen wird. Auch der rationalste Geist kann jetzt durch nichts gehemmt werden – denn wahrer Rationalismus, wirkliches, freies Denken braucht nicht mehr mit einer Leugnung der Seele und dem Ausspähen von Wahrheiten spiritueller Philosophie und Religion gleichgesetzt zu werden, wie es eine Zeitlang allzu voreilig und intolerant der Fall war –, nichts kann uns davon abhalten, fest entschlossen auf den Gewissheiten spiritueller Erfahrung voranzuschreiten, welche es auch immer sein mögen, die für uns der Boden unseres inneren Wachstums oder die Säulen auf unserem Weg der Selbsterkenntnis geworden sind. Dies sind Seelen-Wirklichkeiten. Doch der eigentliche Rahmen, den wir diesem Wissen geben werden, wird am besten von weitreichender spiritueller Erfahrung gebildet, unterstützt von größeren Intuitionen, bestärkt durch die Hinweise einer weiten philosophischen Vernunft und fruchtbar nutzend, was immer wir an hilfreichen Fakten von Naturwissenschaft und Psychologie erhalten können. Dies sind Wahrheiten des Seelenvorgangs; ihr volles Licht muss durch Erfahrungswissen und Beobachtung der Welt um uns und in uns gewonnen werden.

Die Anerkennung eines Vorhandenseins der Seele kann nicht an sich schon, durch ihre eigene Notwendigkeit, durch irgendeinen unerlässlichen nächsten Schritt, dazu führen, dass die Wiedergeburt akzeptiert wird. Diese unerlässliche Konsequenz kann erst eingeführt werden, wenn es so etwas wie eine Seelen-Evolution gibt, die sich stets selbst Geltung verschafft und zur ständigen Ordnung des Daseins und zum Gesetz des Zeitprozesses gehört. Außerdem ist so etwas wie das Geltenlassen einer individuellen Seele eine erste Bedingung für die Wahrheit der Wiedergeburt. Denn es gibt eine plausible Theorie des Daseins, die eine All-Seele annimmt, ein universales Sein und Werden, dessen greifbares Ergebnis die materielle Welt ist, die jedoch nicht eine bleibende Wahrheit unserer spirituellen Individualität gelten lässt. Die All-Seele kann sich kontinuierlich entwickeln, kann ihr Werden langsam, doch mit Nachdruck herausbilden; aber jeder individuelle Mensch beziehungsweise jedes offenbare Einzelwesen ist für diese Denkweise nur ein Augenblick der All-Seele und ihrer Evolution; aus dieser erhebt sie sich durch die Bildung, die wir Geburt nennen, und sinkt in sie zurück durch die Auflösung, die wir Tod nennen. Aber diese begrenzende Vorstellung kann nur Bestand haben, wenn wir einer schöpferischen biologischen Evolution und ihrem Instrument physischer Vererbung mit der ganzen Ursächlichkeit unseres mentalen und spirituellen Wesens Glauben schenken; doch in diesem Fall haben wir weder eine wirkliche Seele noch ein wirkliches Mental, unsere Seelen-Persönlichkeit oder unser spirituelles Werden ist eine Frucht unseres Lebens und Körpers. Die Frage der Wiedergeburt dreht sich nun fast gänzlich um die eine Grundfrage nach der Vergangenheit des Einzelwesens und seiner Zukunft. Wenn die Schöpfung der ganzen Natur der physischen Geburt gutgeschrieben werden soll, dann sind Körper, Leben und Seele des Individuums nur eine Fortsetzung von Körper, Leben und Seele seiner Ahnen, und für eine Seelen-Wiedergeburt ist nirgends Platz. Der einzelne Mensch hat kein von ihnen unabhängiges vergangenes Sein und kann keine unabhängige Zukunft haben; er kann in seiner Nachkommenschaft weiterleben – das Kind kann sein zweites oder fortgesetztes Selbst sein, wie die Upanishaden es ausdrücken –, doch es gibt keine andere Wiedergeburt für ihn. Kein fortdauernder Strom der Individualität, geleitet von irgendeiner mentalen oder spirituellen Person, überlebt siegreich den Tod des Körpers. Wenn andererseits irgendein Element in uns ist, und gar noch das wichtigste von allen, das nicht nur so erklärt werden kann, sondern eine Vergangenheit oder eine künftige Evolution voraussetzt, die sich von der des Gattungsgeistes und der physischen Abstammung unterscheidet, dann wird eine irgendwie geartete Seelen-Geburt zur logischen Notwendigkeit.

Nun scheinen gerade hier die Ansprüche der physischen und vitalen Evolution und Vererbung als Grund und Ursache unseres ganzen mentalen und spirituellen Seins zu versagen. Gewiss hat es sich gezeigt, dass unser Körper und der größte Teil unserer Lebenstätigkeit weitgehend das Ergebnis von Vererbung sind, jedoch nicht so, dass sie eine unterstützende und möglicherweise wirklich vorherrschende psychische Ursache ausschlössen, die sich von einem Abstammungsbeitrag unterscheidet. Es wurde nachgewiesen, wenn man so will, dass unsere bewusste Vitalität und die davon abhängenden Teile des Mentals – etwas vom Temperament, etwas vom Charakter, bestimmte Impulse und Neigungen – weitgehend von der entwicklungsmäßigen Vererbung geformt – oder nur von ihr beeinflusst? – sind; jedoch nicht, dass sie gänzlich auf diese Kraft zurückzuführen wären, dass es keine Seele, keine spirituelle Wesenheit gäbe, die diese Instrumentierung akzeptiert und benutzt, ohne jedoch deren Erzeugnis oder ihr in ihrem Werden hilflos ausgeliefert zu sein. Noch mehr sind die höheren Teile unseres Mentals von spiritueller Unabhängigkeit geprägt. Es sind keine hilflosen Formationen entwicklungsmäßiger Vererbung. Dennoch stehen alle diese Dinge offensichtlich sehr stark unter dem Einfluss der Umwelt und deren Druck und Möglichkeiten. Und wenn wir wollen, können wir daraus einen einschränkenden Schluss ziehen; wir können sagen, dass sie eine Phase der Welt-Seele sind, ein Teil des Prozesses ihrer Entwicklung durch Auslese; die Gattung, nicht das Individuum, ist der kontinuierliche Faktor, und alle unsere nur scheinbar, nicht wirklich unabhängigen individuellen Anstrengungen und Errungenschaften hören mit dem Tod auf, mit Ausnahme des Anteils an unserem Gewinn, der von einem geheimen Willen oder einer bewussten Notwendigkeit im universalen Sein oder im fortdauernden Werden ausgewählt wurde, um in der Gattung weiterzubestehen.

Gelangen wir jedoch zu unseren höchsten spirituellen Elementen, finden wir, dass wir hier eine sehr klare und souveräne Unabhängigkeit erreichen. Wir können weit über jede Determinierung durch die Umwelt oder durch den Druck der Rassen-Seele hinaus unsere eigene Seelen-Evolution durch die beherrschende Kraft unserer spirituellen Natur weiterführen. Ganz abgesehen von irgendeinem Beweis eines Weiterlebens auf anderen Ebenen oder irgendeiner Erinnerung an vergangene Geburten ist dies Rechtfertigung genug dafür, dass wir jede Theorie des vergänglichen Einzelwesens und der alleinigen Wahrheit des evolutionären Universalen als unzureichend zurückweisen. Gewiss zeigt sich das Einzelwesen hierdurch nicht als von der All-Seele unabhängig; es mag vielleicht nur eine Form von ihr in der Zeit sein. Doch für unseren Zweck genügt es, dass es eine fortdauernde Seelen-Form ist, nicht begrenzt durch das Leben des Körpers und mit seinem Tod aufhörend, sondern unabhängig darüber hinaus fortdauernd. Denn wenn es so von der physischen Rassen-Kontinuität in der Zukunft unabhängig ist, wenn es sich so fähig zeigt, seine eigene künftige Seelen-Evolution in der Zeit zu bestimmen, muss es ein solches unabhängiges Dasein insgeheim durchgehend gehabt haben, und es muss in Wirklichkeit auch seine vergangene Seelen-Evolution in der Zeit bestimmt haben, obschon zweifellos ein anderer, indirekter Nachdruck darauf bestand. Möglicherweise kann es in der All-Seele nur während der universalen Kontinuität existieren, es mag aus ihr in jene aufgestiegen sein, es kann schließlich in sie übergehen. Oder es kann im Gegenteil in seiner eigenen Seelen-Evolution schon vor, oder besser gesagt, unabhängig von der universalen Kontinuität existieren und es gibt eine Art ewiges Individuum. Doch für die Theorie der Wiedergeburt genügt es, dass eine geheime Seelen-Kontinuität des Individuums vorhanden ist und nicht nur eine rohe Aufeinanderfolge von Körpern, die von der All-Seele mit einer ganz flüchtigen Illusion mentaler oder spiritueller Individualität erfüllt werden.

Es gibt Existenztheorien, die die individuelle Seele akzeptieren, jedoch nicht die Seelen-Evolution: zum Beispiel das eigentümliche Dogma einer Seele ohne Vergangenheit, aber mit einer Zukunft, durch die Geburt des Körpers erschaffen, doch unzerstörbar durch den Tod des Körpers. Doch dies ist eine gewaltsame und irrationale Annahme, eine unbewiesene Vorstellung ohne Wahrscheinlichkeit. Sie impliziert die Schwierigkeit eines Geschöpfes, das in der Zeit beginnt, aber in alle Ewigkeit fortdauert, ein unsterbliches Wesen, dessen Existenz auf einen physischen Zeugungsakt angewiesen ist, das selbst jedoch stets gänzlich unphysisch und unabhängig von dem aus der Zeugung hervorgegangenen Körper ist. Diese Einwände sind für den Verstand unüberwindlich. Doch erhebt sich hier auch die Schwierigkeit, dass diese Seele eine Vergangenheit erbt, für die sie in keiner Weise verantwortlich ist, oder dass sie belastet wird mit beherrschenden Neigungen, die ihr nicht durch ihr eigenes Tun auferlegt wurden, und dass sie doch für ihre Zukunft verantwortlich ist, die so behandelt wird, als wäre sie keineswegs durch jenes oft beklagte Erbe, damnosa hereditas, oder jene unfaire Erschaffung determiniert, sondern wäre ganz ihr eigenes Werk. Wir sind hoffnungslos das, was wir sind, und sind doch verantwortlich für das, was wir sind – oder zumindest für das, was wir in Zukunft sein werden, was unvermeidlich zum größten Teil durch das bestimmt wird, was wir von Anfang an waren. Und wir haben nur diese eine Chance. Plato und der Hottentotte, das vom Glück begünstigte Kind von Heiligen oder Rishis und der geborene geschulte Verbrecher, der von Anfang bis Ende in der niedrigsten stinkenden Korruption einer modernen Großstadt untergetaucht ist – sie alle haben gleichermaßen durch Handeln oder Glauben aus diesem einen ungleichen Leben ihre ganze ewige Zukunft zu erschaffen. Dies ist ein Paradox, das die Seele wie die Vernunft, das ethische Empfinden wie die spirituelle Intuition verletzt.

Es gibt auch die verwandte Idee, hinter der eine Wahrheit dunkel schimmert, dass die Seele des Menschen etwas Hohes, Reines und Großes ist, das in das materielle Dasein fiel und durch den Gebrauch seiner Natur und seines Tuns im Körper sich erlösen und zu seiner eigenen himmlischen Natur zurückkehren muss. Doch es ist klar, dass dieses eine irdische Leben nicht für alle genügt, um diese schwierige Rückkehr zu bewerkstelligen, sondern vielmehr wohl die meisten sie tatsächlich ganz verfehlen; und wir müssen dann entweder vermuten, dass eine unsterbliche Seele zugrundegehen oder zur ewigen Verdammnis verurteilt werden kann, oder aber, dass sie mehr Leben hat als dieses armselige, gefährliche eine, das ihr offenbar gegeben wurde, mehrere Leben oder Seinszustände, die zwischen ihrem Fall und der endgültigen Bewerkstelligung einer sicheren Erlösung liegen. Doch die erste Vermutung ist allen Schwierigkeiten jenes anderen Paradoxes ausgesetzt. Abgesehen von dem Problem, warum dieser Herabstieg erfolgt ist, ist schwer einzusehen, wie diese verschiedenen Seelen direkt vom himmlischen Sein unmittelbar in solche äußerst unterschiedlichen Abstufungen bei ihrem Fall geraten sein sollen, und zwar so, dass jede einzelne für die im Übrigen grausamen und ungleichen Bedingungen verantwortlich ist, unter denen sie so summarisch ihre ewige Zukunft zu bestimmen hat. Jede muss doch sicherlich eine Vergangenheit gehabt haben, durch die sie für ihre gegenwärtige Lage verantwortlich wurde, wenn sie so streng gehalten werden soll, dass sie über alle Auswirkungen und über den Gebrauch, den sie von ihrer oft allzu dürftigen, missgünstigen und zuweilen ganz hoffnungslosen Gelegenheit macht, Rechenschaft abzulegen hat. Die eigentliche Natur unseres Menschseins setzt für die Seele sowohl eine variierende, wesentliche Vergangenheit als auch eine sich daraus ergebende Zukunft voraus.

Annehmbarer ist daher eine neuere Theorie, die vorschlägt, dass ein Geist oder mentales Wesen von einer anderen, höheren Ebene herabgestiegen ist und die materielle Existenz auf sich genommen hat, als die physische und tierhafte Evolution weit genug vorangeschritten war, dass eine menschliche Einkörperung auf der Erde möglich wurde. Er schaut auf eine lange Reihe menschlicher Leben zurück, die an dem Punkt beginnt, der jeden von uns in seinen jetzigen Zustand gebracht hat, und nach vorn auf eine sich noch fortsetzende Reihe, die alle Leben durch ihre eigenen Stufen und nach ihrer eigenen Zeit zu irgendeiner Erfüllung, Verklärung, Rückkehr bringen wird, die die sich selbst verkörpernde menschliche Seele erwartet und die Krönung ihres langen Mühens ist. Doch auch hier stellt sich wieder die Frage: Wodurch kommt diese Verbindung eines spirituellen Wesens und einer höheren mentalen Natur mit einem physischen Wesen und einer niedrigeren Tiernatur zustande? Wodurch wird dies Aufgreifen eines niedrigeren Lebens durch den Geist erforderlich, der hier Mensch wird? Es könnte gewiss scheinen, dass hier eine Vorverbindung bestanden haben muss; das besitzende mentale oder spirituelle Wesen muss die ganze Zeit dieses niedrigere Leben, das es so in Besitz nimmt, für eine menschliche Manifestation vorbereitet haben. Die ganze Evolution wäre dann von Anfang an eine geordnete Kontinuität, und das Eingreifen von Mental und Geist wäre kein plötzliches, unerklärliches Wunder, sondern ein Zutagetreten dessen, was immer schon dahinter stand, ein offenes Aufgreifen des manifestierten Lebens durch eine Kraft, die insgeheim immer schon die Lebensevolution geleitet hat.

Diese Theorie der Wiedergeburt setzt eine Evolution des Seins in der materiellen Welt von der Materie zum eingekörperten Mental und einen universalen Geist voraus, der diese Evolution beseelt, während unser individueller Geist im Universalen existiert und seinen Lauf nach oben nimmt zu einer beabsichtigten Vollendung oder Befreiung oder zu beiden, die uns am Ende winken mögen. Viel mehr noch kann es bedeuten, doch zumindest dies; eine Seelen-Evolution das eigentliche Faktum, ein Annehmen immer höherer Formen die erste Erscheinung. Wir könnten der menschlichen Seele in der Tat eine Vergangenheit und eine Zukunft zuerkennen, diese aber unter und über diese irdische Ebene stellen und nur eine zufällige oder absichtliche Existenz auf Erden gelten lassen. Doch würde dies zwei Ordnungen progressiver Existenz bedeuten, die unverbunden sind und sich doch für einen kurzen Moment treffen. Es gäbe eine irrende menschliche Einzelseele, die in die geordnete irdische Evolution hereinkommt und beinahe sofort wieder hinausgeht ohne jede verbindende Ursache oder Notwendigkeit. Doch bleibt insbesondere das Phänomen des weitgehend irdischen Tierwesens und der Natur dieser spirituellen und überirdischen Wesenheit ohne befriedigende Erklärung, dieser Seele, ihr Befreiungskampf und die unendlich wechselnden Stufen, auf denen es ihr in verschiedenen Körpern gelang, die niedere Natur zu beherrschen. Eine vergangene irdische Seelen-Evolution, die für diese Veränderungen und Stufen unseres Mischwesens hinreichend verantwortlich ist, und eine künftige Seelen-Evolution, die uns fortschreitend hilft, die Gottheit des Geistes zu befreien, scheint die einzig richtige und annehmbare Erklärung für diese schwere Arbeit einer an die Materie gefesselten Seele zu sein, die eine wandelbare Stufe des Menschseins inmitten einer allgemeinen, fortschreitenden Erscheinung von Leben, Mental und Geist in einem materiellen Universum erreichte. Wiedergeburt ist der einzig mögliche Mechanismus für eine solche Seelen-Evolution.

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Die Evolution der Seele und Natur

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