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Herzwärts ins Glück!

Gisela Rieger

(Maxlrain)

Nach anstrengenden langen Monaten war es endlich geschafft: Ich hatte mein Abschlusszeugnis in der Tasche und durfte mich fortan Köchin und Restaurantfachfrau nennen. Die Prüfungen hatte ich mit Auszeichnung bestanden, und so konnte ich mich, ganz wie es der Familientradition entsprach, an einem allein von mir ausgewählten Ort um eine einjährige Anstellung bewerben. Ich sollte Erfahrungen sammeln und neue Eindrücke bekommen, um im Anschluss in unsere Brauerei mit dem dazugehörigen Gasthof im schönen Innviertel einzusteigen. Mein Herz jubelte – denn für mich war eines sonnenklar: Mein Weg würde, ja musste mich nach Bayern, genauer gesagt, nach Oberbayern führen. Seit jeher habe ich ein Faible für die netten und humorvollen bayerischen Gäste, die bei uns im Innviertel nächtigen. Ich liebe den bairischen Dialekt und, ja, ich oute mich hiermit: Noch nie habe ich eine Sendung der Rosenheim-Cops verpasst. Nach kurzer Recherche stand für mich fest: Ich wollte ins Alpenvorland, in die Nähe von Seen und von schöner Natur, also entschloss ich mich dazu, mich im Chiemgau zu bewerben. Endlich würde sich die Gelegenheit bieten, auf den Wendelstein, die Kampenwand und den Heuberg zu wandern. Und vielleicht würde ich so zu mir selbst finden.

»Über den Weg zur Natur findet man leichter den Weg zu sich selbst.«

Als ich meine Entscheidung vor meinen Familienmitgliedern bekannt gab, stellte sich meine Mutter jedoch aus für mich unerklärlichen Gründen total quer: Bayern käme für mich nicht in Frage! Trotz meiner großen Überraschung, mit einer solch harschen Reaktion hatte ich nicht gerechnet, entging mir dennoch nicht, wie mein Großvater bei diesen Worten aufhorchte. Sein späteres Tun brachte schließlich Ereignisse ins Rollen, die niemand hatte voraussehen können. Die Entscheidung, wo ich mein Arbeitsjahr verbringen würde, wurde also erst einmal vertagt.

Für mich war es fast wie ein Sechser im Lotto, als mir mein Opa wenige Tage später eröffnete, dass er eine Golfwoche im schönen Bayern gewonnen habe, die er selbst nicht antreten könne. Sein Rücken würde eine solche Reise nicht mehr mitmachen. Also schenkte er mir diese Tour als Anerkennung für meine bestandenen Prüfungen. Er erklärte mir, dass meine Reise mich in den Landkreis Rosenheim führen werde – meine Rosenheim-Cops würde ich vermutlich nicht antreffen, aber dafür dürfe ich an der Rosenheimer Golfwoche teilnehmen und im empfehlenswerten B&O Parkhotel in Mietraching übernachten. Alle Greenfees im Golfclub Schloss Maxlrain waren bezahlt und, das war mir natürlich klar, Opa würde mir auch noch etwas Taschengeld zustecken. »Der Mama erzählen wir aber nicht, wohin genau du fährst. Da müssen wir ein bisschen flunkern, sonst lässt sie dich womöglich nicht fahren!«, warnte mich mein Großvater.

Mein Opa ist wirklich ein einzigartiger und bemerkenswerter Mensch. Er arbeitet seit jeher sehr gerne und sehr viel. Als mein Vater kurz nach meiner Geburt verstarb, übernahm er auch noch, so gut er konnte, dessen Rolle für mich. Oft nahm er mich mit einem Zwinkern zur Seite und sagte: »Kathi, wir verschwinden schnell und gönnen uns eine kurze Auszeit.« Wenn Opa diesen Satz sagte, wusste ich Bescheid: Auf zum Golfplatz! Alle 18 Löcher schafften wir nur ganz selten, aber jede Woche mindestens zwei Mal spielten wir neun Löcher. Er sagte oft: »Merk dir eins, mein Kind:

Je mehr der Terminkalender mit Arbeitszeiten gefüllt ist, desto mehr Termine sollten für die Auszeiten eingetragen werden!«

Ich freute mich sehr auf diese Woche und bezog voller Vorfreude ein urgemütliches und dennoch modernes Hotelzimmer. Vom Hotel aus machte ich mich direkt auf den Weg nach Maxlrain, schließlich wollte ich den Golfplatz so schnell wie möglich in Augenschein nehmen. Noch im Auto sitzend stockte mir der Atem: Vor mir erhob sich ein unglaublich schönes Schloss. Wie magisch angezogen parkte ich bei der Schlosswirtschaft direkt neben diesem imposanten Gebäude. Ich kann nicht sagen, wie lange ich vor dem großen Gittertor stand, es kam mir alles so bekannt vor. Mein Déjà-vu allerdings musste ich mir einbilden, schließlich konnte ich unmöglich schon einmal hier gewesen sein, denn meine bisherigen Urlaube hatte ich stets mit meiner Mutter verbracht – und die war auf Bayern und seine Bewohner, wie ich jetzt wusste, nicht gut zu sprechen!

Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Meine Mutter hatte ein Fotoalbum – das »Album der besonderen Erinnerungen«, wie sie es nannte. Sie sagte immer:

»Wenn du im Alter glücklich sein möchtest, solltest du früh beginnen, schöne Erinnerungen zu sammeln. Erinnerungen, die du im Herzen trägst, kann dir niemand mehr wegnehmen.«

Nun war ich mir ganz sicher, eine Postkarte von diesem Schloss in ihrem persönlichen Album gesehen zu haben!

Immer noch in Gedanken nahm ich in der Schlosswirtschaft Platz und bestellte mir zu meinem Kaffee ein paar Apfelkücherl mit Vanilleeis. Dabei fühlte ich mich die ganze Zeit über beobachtet, und so schaute ich mich ein wenig um. Ein älteres Ehepaar, der Sprachmelodie nach Einheimische, sprach mich freundlich an und deutete auf meine Haare: Eine so außergewöhnliche blonde Naturkrause und noch dazu solch leuchtend grüne Augen hätten sie bis dahin erst einmal vorher gesehen. Die ältere Frau meinte, dass hier vor etlichen Jahren eine Frau gelebt habe, die mir zum Verwechseln ähnlich sehe. Dann verabschiedete sie sich lächelnd. Langsam begann ich mich zu fragen, wie das alles zusammenpasste – ach Unsinn, ich schüttelte meinen Lockenkopf und hoffte, damit die unpassenden Gedanken zu zerstreuen. Schließlich war ich hier, um Spaß zu haben und nicht, um ständig vor mich hin zu grübeln.

Um die feinen Süßspeisen besser zu verdauen – O.K., ich gestehe, ich hab mir nach den Apfelkücherln noch ein Stück von dem köstlichen Kuchen gegönnt, den ich am Nachbartisch entdeckt hatte – machte ich mich auf den Rundweg um den Golfplatz. Ich war schon ziemlich gespannt, denn mein Opa hatte mir erzählt, dass der Golfplatz von Maxlrain einer der sensationellsten Golfplätze sei, auf denen er in seinem Leben gespielt habe, und Opa war schon an vielen schönen Orten auf dieser Welt gewesen. Noch dazu gehört der Platz zu den 36 schönsten Leading-Golf-Clubs in Deutschland.

Meine erste Erkundungstour war wirklich beeindruckend. Ein Golfplatz inmitten eines idyllischen Schlossparks mit uraltem Baumbestand und vielen mächtigen Eichen. Als bei einer Wegkreuzung ein älteres Paar an mir vorüberging, hörte ich ein »Liesl«, aber sogleich entschuldigte sich die Frau und meinte, sie habe mich wohl verwechselt. Freundlich nickte ich der Dame zu, ertappte mich aber dabei, wie ich im Weitergehen unwillkürlich den Kopf schüttelte. Es war aber auch zu seltsam, denn mich konnte man eigentlich gar nicht verwechseln. Als Kind hatte ich meine blonde Naturkrause gehasst – aber nun gefällt mir meine »Einzigartigkeit« ganz gut – und jeder, der meinen Namen nicht mehr weiß, sagt einfach »Wuschelkopf« zu mir – und ich fühle mich sofort angesprochen.

Meinen Gedanken nachhängend machte ich noch einen ausgiebigen Spaziergang durch den Forst. Da ich nicht ahnte, wie riesig dieser Wald war, verlief ich mich prompt, fand mich allerdings nach einigen Schreckmomenten außerhalb des Waldes in einem beschaulichen Dörfchen namens Weihenlinden wieder. Dort bestaunte ich entzückt die außergewöhnlich große und wunderschöne Barockkirche. Aber wallfahren wollte ich eigentlich nicht gehen. Auf dem Rückweg zu meinem Auto landete ich hungrig und dem Verdursten nahe in der »Schwemme«. Was für ein seltsamer Ausdruck für diesen wundervollen, eingewachsenen Biergarten mit den typischen großen Kastanienbäumen. Neugierig wie ich bin, habe ich die Wirtschaft natürlich auch von innen begutachtet und war entzückt von den alten Gewölben, die einstmals als Pferdeställe genutzt worden waren.

Nach meiner ungeplanten Laufrunde bestellte ich eine bayerische Schweinshaxe. Ich hatte ja keine Ahnung, dass in der Schwemme eine Schweinshaxe zwar super gebraten und mit einer genialen Kruste versehen, aber die Portion wohl nur von einem sehr stämmigen Bayern zu bezwingen ist. Nun, den Hund am Nebentisch hat’s gefreut!

Als ich todmüde wieder im B&O Hotel angekommen war, bemerkte ich auf meinem Nachttisch ein Buch mit dem Titel »Zauberhafte Momente«. Neugierig schlug ich es auf und entdeckte sogleich mein Lieblingszitat von Mark Twain:

»Gib jedem Tag die Chance, der schönste deines Lebens zu werden.«

Ich las noch ein paar der Geschichten und Zitate und lächelte beim Einschlafen selig vor mich hin, da das Zitat so gut zu meinem Tag passte, denn mein erster Urlaubstag hatte wirklich mit vielen zauberhaften Momenten begonnen.

Am nächsten Morgen genoss ich ein ausgiebiges Frühstück auf der Terrasse direkt am Park und freute mich auf meine erste Runde im Golfclub Schloss Maxlrain. Es fühlte sich fast unwirklich an, in einem echten Schlosspark Golf zu spielen. Am Loch Vier musste ich länger stehen bleiben, um den traumhaften Blick auf meinen geliebten Wendelstein zu genießen. Fast das gesamte Spiel über war ich allein auf dem Platz unterwegs und spielte zügig durch, bis ich zum Loch 16 kam. Da staute es sich ein wenig, da das vorhergehende Turnier noch nicht ganz beendet war. Dort wartete bereits ein großer Mann, den ich auf etwa sechzig Jahre schätzte. Ich grüßte freundlich mit einem: »Servus, ich bin die Kathi, wollen wir die letzten drei Löcher zusammen spielen? So könnten wir uns ein wenig die Wartezeit verkürzen.« Er reichte mir die Hand: »Gerne«, und dann stellte er sich vor: »Lobkowicz.« Uppsala – ich spürte, wie mir die Röte ins Gesicht stieg. Eben wurde mir bewusst, dass ich dem Prinzen von Lobkowicz gegenüberstand. Ich musste mich kurz räuspern, bevor ich wieder einen Laut von mir geben konnte, um mich für mein loses Mundwerk zu entschuldigen. Er erzählte, dass vor vielen Jahren eine begnadete Köchin für seine Familie gearbeitet habe, die noch besser backen konnte. Die Prinzessin schwärme heute noch von diesen Kuchen. »Sie sehen dieser Frau zum Verwechseln ähnlich, es könnte Ihre Mutter gewesen sein.« Ich stutzte kurz: »Meine Mutter und ich sehen uns wirklich sehr ähnlich, sie ist auch eine begnadete Köchin und das Backen ist ihre absolute Leidenschaft, aber sie hat noch nie in Bayern gearbeitet.« Ich konnte dem Prinzen ja schlecht sagen, dass sie die Bayern nicht leiden kann. Mein Herz klopfte noch immer wild. Das wird mir daheim keiner glauben, dass ich die Ehre hatte, mit einem echten Prinzen Golf zu spielen. Noch dazu war er sehr charmant und unterhaltsam. So habe ich von ihm erfahren, dass der Vorgängerbau des Schlosses eine Burg war, die 1577 abgebrannt ist. Das heutige Schloss ist ein Achteckbau mit vier Ecktürmen und mehreren Anbauten. Trotz der Wartezeiten an den beiden letzten Löchern verging die Zeit viel zu schnell, der Prinz war ein wirklich guter Erzähler, und die Geschichte des Schlosses interessierte mich sehr. Diese Golfrunde werde ich wohl immer in meiner Erinnerung behalten, und ein Bild von Schloss Maxlrain kommt ganz sicher auch in mein »Album der schönen Erinnerungen«. Wie sagt mein Opa immer?

»Deponiere so viele Glücksmomente wie nur möglich auf deiner persönlichen Bank der Erinnerungen, denn die Rendite ist erstaunlich. In schwierigen Zeiten kannst du dich jederzeit davon bedienen, ohne dass der Kontostand weniger wird.«

Im Anschluss an die Golfrunde bestellte ich mir auf der Clubterrasse einen Salat und einen »Pfiff«. Ein Pfiff ist in Bayern ein kleines Bier, es wird zwar in einem 0,5-Liter-Glas serviert, dabei aber so eingeschenkt, dass ganz viel Schaum entsteht. In Maxlrain allerdings wird recht großzügig gezapft. »Knickert« sind die Bayern also dort nicht.

An meinem dritten Tag durfte ich mein erstes Turnier in diesem Jahr spielen und war wie immer sehr aufgeregt. Die Aufregung ist auch der Grund, weshalb ich meine Turniere so oft verpatze. In meinem Flight waren zwei junge Männer. Einer davon kam mir wahnsinnig bekannt vor – war der nicht auch in dem besonderen Album meiner Mutter? Wann immer sich unsere Augen trafen, bekam ich Herzklopfen. Dieser Max, so hatte er sich mir vorgestellt, verwirrte mich total. Alles ging durcheinander in meinem Kopf. An mein Golfspiel konnte ich gar nicht mehr richtig denken, und wenn Max mich anschaute, wurde mir ganz heiß. So kam es, dass ich an diesem Nachmittag die genialste Runde meiner Golfkarriere spielte, was zur Folge hatte, dass ich mein Handicap enorm verbesserte und den ersten Preis holte. Neben einem Pokal gewann ich auch einen Gutschein für eine Brauereiführung mit anschließendem Fünf-Gänge-Menü für zwei Personen in der Schlosswirtschaft.

Wieder dachte ich an Opa, der immer sagt:

»Wer auf der Siegerseite stehen möchte,

darf die Angst vor dem Versagen nie größer sein lassen

als das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und Stärken.«

Dank Max fand ich keine Zeit für meine Ängste, die bislang dazu geführt hatten, dass meine Bälle entweder im Nirwana oder im Bunker landeten.

Als ich dann bei der Siegerehrung mit meinen Flightpartnern zusammen am Tisch saß, gratulierte mir Max zu meinem grandiosen Sieg. Er umarmte mich herzlich und gab mir ein zartes Küsschen auf die Wange. Diese Berührung ging mir durch und durch. Obwohl ich wahrlich nicht auf den Mund gefallen bin, fehlten mir die Worte. Ich schalt mich: »Kathi, was ist da los? Reiß dich doch mal zusammen!« Aber was soll man machen? Ich hatte mich ohne Zweifel gerade unsterblich verliebt!

»Wenn wir lieben können und glücklich sind,

dann befinden wir uns auf der Sonnenseite des Lebens.«

Max spendierte noch eine Flasche Sekt, um meinen Sieg gebührend zu feiern. Zum Glück konnte ich das Auto stehen lassen und den einen Kilometer zu Fuß zum Hotel zurückgehen. Der Weg dorthin erschien mir fast ein wenig zu kurz. War ich doch in dieser lauen Sommernacht mit dem Sternenhimmel über mir glücklich in Gedanken versunken und total verliebt.

Die Freude auf den nächsten Tag war denkbar groß, da mir Max angeboten hatte, mich durch die Brauerei zu führen. Sein Vater war dort nämlich seit vielen Jahren der »Alte Braumeister« und er selbst der »Junge Braumeister«. So erfuhr ich auch, dass es die Schlossbrauerei bereits seit 1636 gibt. Es kommt nicht von ungefähr, dass die Biere aus der Maxlrainer Brauerei schon so viele Preise eingeheimst haben, schließlich legt der heutige Prinz sehr großen Wert auf die Qualität. Zwischendurch durfte ich auch immer wieder eine Bierkostprobe zu mir nehmen – und das schon am Vormittag. Zum Abschluss klopfte Max an eine Tür, und wir betraten das Büro seines Vaters Franz, dem er mich unbedingt vorstellen wollte.

Als mich der Vater sah, murmelte er ein »Liesl«, wurde kreidebleich und hatte sichtlich Mühe, die Fassung zu wahren.

Nun war ich endgültig irritiert! Zum einen wurde ich schon wieder mit Liesl angesprochen – meine Mutter heißt Elisabeth –, und dann die Verwechslungen und Ähnlichkeiten! Auch Max war das Verhalten seines Vaters wohl nicht ganz verständlich und sichtlich unangenehm, und so verzogen wir uns zu einem Weißwurstfrühstück in die benachbarte Schwemme, wo die »Wirtsbuam«, wie der Prinz die Pächter nannte, meinen Begleiter mit Handschlag begrüßten. Augenzwinkernd wollten die beiden gleich wissen, wo Max ein so fesches Madl aufgegabelt habe. Also, die Bayern sind schon sehr charmant – ich weiß nicht, weshalb sich meine Mutter strikt geweigert hatte, mich mein »Erlebnisjahr«, wie ich es nannte, in Bayern verbringen zu lassen.

Beim Essen sprach Max das seltsame Verhalten seines Vaters an. Er entschuldigte sich dafür und meinte, sein Vater habe ausgesehen, als sehe er ein Gespenst – und das könne natürlich nie und nimmer mit meiner hübschen Erscheinung zu tun haben. Langsam fühlte es sich an wie eine Gewissheit, was ich zuerst für undenkbar gehalten hatte: Meine Mama war schon einmal hier, und sie muss dabei Eindruck gemacht haben! Ich dachte an das »Album der besonderen Erinnerungen«, an das Bild vom Schloss und an das Foto mit dem jungen Mann, der aussah wie Max.

»Es kann schon sein, dass unsere Zukunft geprägt ist. Allein entscheidend ist aber doch, wie wir damit umgehen und was wir daraus machen!«

So beschlossen wir, Nachforschungen anzustellen. Die Großtante meines Begleiters war viele Jahre im Schloss als Hausdame tätig gewesen und kannte Maxlrain in- und auswendig. Als mich die ältere Frau sah, verschlug es ihr ebenfalls die Sprache, denn auch sie kannte eben diese »Liesl«, mit der ich ständig verwechselt wurde. Sie erzählte, dass vor knapp dreißig Jahren eine junge Österreicherin aus dem Innviertel ein Jahr »Erfahrungen sammeln durfte«, um hinterher in ihre Heimat zurückzukehren und in das alteingesessene Familienunternehmen einzusteigen. »Die Liesl hat dir, mein Kind, zum Verwechseln ähnlich geschaut. Ach, was ist sie für eine begnadete Köchin gewesen – und ihre Backwerke haben die Tage der sechs Kinder des Prinzenpaares versüßt. Es hat nicht lange gedauert, und der neue junge Braumeister, also Max’ Vater, und die Köchin des Prinzenpaares, also vermutlich deine Mutter, haben sich ineinander verliebt.« Die Großtante erzählte weiter, dass Liesl als Teil des Schlosspersonals keine Männerbesuche habe empfangen dürfen, schließlich war das Schlosspersonal unter dem Dach des ehrwürdigen Baus untergebracht. Der Braumeister aber hatte eine eigene Wohnung über der Brauerei, und dorthin schlich sich die Liesl, so oft es nur ging. Die jungen Verliebten schmiedeten Zukunftspläne, verlobten sich heimlich und wollten heiraten.

Und dann kam der Unglückstag, an dem der Liesl alle Pläne zunichte gemacht wurden. Ihre Mutter war tödlich verunglückt, und sie musste umgehend zu ihrem Vater ins Innviertel heimkehren, um ihn im Betrieb zu unterstützen. Später lernte sie dann einen neuen Mann kennen und gründete mit ihm eine Familie.

Die Tante erzählte, dass dies ein Jammer gewesen sei, sie habe ein Zimmer neben dem der Liesl bewohnt und die ganze Nacht kein Auge zutun können, weil die junge Frau vor ihrer Abreise dermaßen herzzerreißend geweint habe. »Aber auch der junge Braumeister, der immer ein sehr fröhlicher und geselliger Mensch gewesen ist, hat sich völlig zurückgezogen. Man hat ihn gar nicht mehr lachen sehen, und selbst der beste Schweinsbraten und das gute Bier haben ihm nicht mehr schmecken wollen, zudem hat er sehr an Gewicht verloren.«

Ich wusste, dass meine Großmutter früh verstorben war – jetzt endlich hatte sich das Rätsel gelöst. Froh, die Wahrheit zu kennen, und gleichzeitig ratlos, was nun zu tun wäre, bedankte ich mich herzlich bei Max’ Großtante für ihre offenen Worte. Zusammen mit Max setzte ich mich in eine der vielen blühenden Sommerwiesen, und wir sprachen über unsere Eltern. Ich erzählte ihm, dass mein Vater früh gestorben war und dass meine Mutter nie wieder einen anderen Mann angeschaut hatte. Max berichtete, dass auch er früh seine Mutter verloren habe und sein Vater ebenfalls allein geblieben sei.

Als wir einen Plan ausheckten, wie wir unsere Eltern zusammenbringen könnten, kamen Max und ich uns sehr nahe – es war, als würde die Liebe, die wohl zwischen meiner Mutter und Max’ Vater bestanden hatte, auf uns überspringen – alles fühlte sich so prickelnd, herzlich und auch irgendwie richtig an.

Zweifel blieben freilich: War es wirklich legitim, ein wenig Schicksal zu spielen? Trotzdem tüftelten wir mit Feuereifer an allen erdenklichen Möglichkeiten, unsere Eltern »zufällig« einander gegenübertreten zu lassen. Dabei fiel mir wieder ein Spruch meiner Mutter ein:

»Ehrlich gemeinte Worte, die von Herzen kommen, können zu anderen Herzen gelangen und diese Herzen berühren …«

Wir meinten es wirklich ehrlich – aber eine Notlüge entsteht ja aus einer Not heraus, und wenn diese ehrlich gemeint ist – dann ist das ja nicht wirklich eine Lüge! Zumindest redeten wir uns das schön.

Unter einem Vorwand bat ich meine Mutter mich abzuholen, und lockte sie in den Chiemgau. Ich sei beim Golfspielen in einen Graben gefallen und hätte mir das Bein verstaucht. An eine Rückfahrt im Auto sei nicht zu denken. Meine Flunkerei, was meinen Urlaubsort anging, flog natürlich auf, als ich ihr sagte, wo genau sie mich abholen müsse. Sie quittierte sie nur mit einem lauten Seufzer. »Zufällig« besuchten meine Mutter und ich zeitgleich mit Franz und Max die Schlosswirtschaft. Die Wirtsbuam waren natürlich eingeweiht, und so wurde uns ein großer, gemeinsamer Tisch zugewiesen, da der Biergarten wieder einmal voll ausgebucht war.

Mein schlechtes Gewissen bereinigte ich mit einem Spruch meines Großvaters:

»Manches Mal legt dir das Schicksal Steine in den Weg. Manche davon musst du wegtragen, doch aus anderen kannst du etwas Schönes bauen. Hinter manch vermeintlichem Schicksalsschlag verbirgt sich oftmals ein versteckter Segen.«

Ja, der Segen war echt versteckt – mein getürkter Tapeverband juckte ohne Ende –, aber ich habe unseren Plan keine einzige Sekunde bereut. Als meine Mutter und Franz sich nach so vielen Jahren erstmalig wiedersahen, war es, als wäre die Zeit für sie stehen geblieben …

Und weil die beiden nun keine Zeit mehr zu verlieren hatten, wurde schon wenige Monate später geheiratet. Auf mein Bitten beim Prinzen hin fand die Hochzeit der beiden in der Schlosskapelle statt – als »Kapellenmiete« forderte die Prinzessin den einzigartigen Apfelkuchen meiner Mutter ein.

Mein Opa eröffnete seine Ansprache auf der Hochzeitsfeier mit einem seiner vielen Sprüche:

»Ganz egal, welche Schicksalsschläge sie auch einstecken mussten, im Alter sind die glücklichsten Menschen all jene, die ihre Lebensfreude nie verloren haben. Und manchmal müssen die Väter sogar dem Glück ein wenig auf die Sprünge helfen. Dass ich der Enkelin auch zum Glück verholfen habe, war so zwar nicht geplant, aber es freut mich unglaublich für euch beide!« Mit diesen Worten prostete Opa mir zu.

Ja, was soll ich noch sagen? Ein Bilderbuch-Happy End! Ich blieb in Maxlrain beim Maxl-Bier und beim Maxl-Burger in der Schwemme und vor allem bei meinem Herzens-Mann, dem Max.

Franz zog zu meiner Mutter ins Innviertel und kümmerte sich fortan als Braumeister um die dortige Brauerei. Zu jedem ihrer Hochzeitstage backte meine Mutter ihren ganz besonderen Apfelkuchen und schickte ihn ins Schloss nach Maxlrain – aus Erinnerung und Dankbarkeit für ihr spätes, wiedergefundenes Glück.

Max übernahm die Stelle seines Vaters und braut weiter die besonderen Maxlrainer Bierkreationen, die die Menschen dort seit Jahr und Tag genießen.

»Unsereiner trinkt Maxlrainer« – nun weiß ich, was der Spruch bedeutet. Denn hier fand ich meine neue Heimat – und mein Glück. Auch mein berufliches, denn nach einiger Zeit wurde für das Restaurant des Maxlrainer Golfclubs die Pächterstelle frei, die ich liebend gern übernahm.

Unseren beiden Eltern blieben noch viele glückliche Jahre. Zu meiner Hochzeit verriet mir meine Mutter das geheime Rezept ihres Apfelkuchens, der ja nicht ganz unschuldig am Lauf unseres Schicksals war. Seitdem steht er auf meiner Speisekarte und wurde weit über die Grenzen Maxlrains hinaus berühmt.

Es gibt keine zufälligen Begegnungen in unserem Leben.

Manche sind Prüfungen, manche Lektionen, manche Geschenke.

Jedoch die wertvollsten Begegnungen berühren unser Herz.

Zauberhafte Urlaubsgeschichten aus dem Chiemsee Alpenland

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