Читать книгу Zauberhafte Urlaubsgeschichten aus dem Chiemsee Alpenland - Die Rosenheimer Autoren - Страница 8

Оглавление

Verfolgungswahn und Wettschulden

Monika Nebl

(Seebruck, Gstadt, Rimsting, Prien)

Wir sind gern unterwegs, die Minnie und ich, die Toni. Ich liebe meinen Job als Erzieherin, aber meine Ohren und der Geduldsfaden werden an manchen Tagen stark strapaziert – die Ohren von den Kindern, der Geduldsfaden von den Eltern. Meine Freundin Minnie, die eigentlich Arminia heißt und eine etwas seltsame Mutter hat, arbeitet dagegen in ruhigeren Bereichen: Sie töpfert und schreibt. Die Unruhe in ihr Leben bringen besagte Mama, von Berufs wegen Astrologin und reiche Geschiedene, und ihr Papa in Vertretung, der ehemalige Polizist Gustl. Ständig braucht jemand Minnies Hilfe, was sie schon des Öfteren in knifflige Geschichten hineingezogen hat.

Ab und zu reißen wir zwei aus, um unsere Ruhe zu haben. Das kann auf der großen Wiese im lauschigen Open-Air-Kino am Stoa in Edling sein, wenn wir auf der Decke sitzen, Chips mampfen und umher schauen, wer da ist, den wir kennen. Und viel wichtiger, wer mit wem da ist. Manche glauben echt, dass Knutschen in den hinteren Reihen beim genauso unauffällig ist wie im dunklen Kinosaal.

Diesmal ist Sport beim Mädelsausflug angesagt. Puh, wir sind beide weder von Natur aus unsportlich, noch macht uns unser Gewicht das Leben schwer. Bedeutend lieber ist uns am Chiemsee aber der Sundowner im Strandbad anstatt der Schwitzerei.

Doch Wettschulden sind Ehrenschulden, und Minnie hat eine Wette mit ihrem Freund Alex verloren. Sie sagt partout nicht, worum es geht – nicht einmal mir. Alex hat nur etwas hinterfotzig gegrinst, als wir in Wasserburg gestartet sind. Er ist eigentlich ein netter Kerl, aber Männer und Wettgewinne – das ist anstrengend. Auf gut Bairisch kommt da immer ein »Gscheithaferl«, also ein Klugscheißer, zum Vorschein – sogar bei Alex.

Als beste Freundin begleite ich Minnie natürlich. Obwohl ich an ein großes Glas Aperol Spritz denken muss, vor dem Hintergrund des Bayerischen Meers im Abendrot, mit meinen nackten Füßen im warmen Wasser.

»Sag bitte, dass wir nicht einen Rekord von Alex knacken müssen«, flehe ich Minnie an, während ich ihr helfe, unsere Räder in der Nähe von Seebruck vom Fahrradträger zu laden.

Sie lacht ein wenig künstlich, das ist in jedem Fall verdächtig. »Na ja, wir haben viereinhalb Stunden, das ist der Durchschnitt für die ungefähr 58 Kilometer. Das sollte ohne Stress möglich sein.«

Ich seufze. »Also doch ein Limit. Klar ist es zu schaffen. Aber wenn wir uns unterwegs in die Sonne legen oder eine Pizza genießen wollen, wird es knapp.«

Minnies Gesichtsausdruck zeigt ihr schlechtes Gewissen.

»Es tut mir leid, Toni. Ich versau dir dein wohlverdientes Wochenende.«

»Schmarrn! Ein bisserl Sport schadet mir wirklich nicht. Ohne Zeitlimit wäre es eben ein lässiger Ausflug gewesen. Und was ist gleich wieder der Grund dafür?«

Nun guckt sie grimmig drein.

»Du könntest es mir schon verraten, so als Ausgleich«, locke ich sie, sie schüttelt jedoch heftig den Kopf.

»Auf keinen Fall. Das bleibt zwischen mir und Alex.«

»Was ist denn die Folge, wenn wir es nicht schaffen?«

Ihr Kopf wird nun rot. Holla, das wird immer interessanter.

»Dann muss ich ihn im nächsten Roman als Helden einbauen.«

Ich kann mir nicht helfen und fange an zu kichern.

»Du hast es doch in der Hand, wie du den Helden gestaltest. Große Nase, kleiner …«

Nun muss sie ebenfalls lachen. »Das geht nicht. Erstens wäre es gelogen, zweitens mag ich Alex ja sehr gern.«

Auch wieder wahr.

Also packen wir unsere Badesachen und Getränke in den Radlkorb und schwingen uns auf unsere ganz normalen Nicht-E-Bikes. Die Runde beginnt etwas südlich von Seebruck und führt uns zunächst auf einem schattigen Uferwaldweg nach Gstadt.

Hier bleiben wir stehen, obwohl uns die Fraueninsel gut bekannt ist. Doch der Blick vom Hügel über das Dorf unter uns hinüber zur Klosterkirche im großen Blau des Sees ist ein Traum. Die Sonne am weißblauen bayrischen Himmel zeigt ein Postkartenpanorama, wie es kitschiger und schöner einfach nicht sein kann. Die Fähren sind unterwegs, und dazwischen jede Menge Segler und Ruderboote.

Gstadt ist ein bei Touristen und Einheimischen sehr beliebtes Dorf. Hier befindet sich einer der Häfen, von denen die Schiffe zu den Inseln Herren- und Frauenchiemsee oder zu den Rundfahrten starten.

Leider bekommt man von hier oben schon einen Überblick, welche Wegstrecke vor einem liegt, wenn man einmal rund um den Chiemsee möchte. Aber wir sind gut gelaunt und noch frisch, es geht weiter durch den hübschen Ort mit den vielen Cafés.

Ein typischer Sommerwochenendtag bedeutet viele Menschen, sprich viele Fußgänger und andere Radler, mit denen wir uns die Wege teilen müssen. Das bremst, und Vorsicht ist angesagt.

Eine Viertelstunde später erreichen wir Breitbrunn. Hier startet die Versorgungsfähre zu den Inseln. Ansonsten ist es eine hübsche Bucht mit Privathafen, wo ich sonst gerne mit meinem Freund Basti unser Kajak einsetze. Wir sind die gemütlichen Wassersportler. Jedenfalls ich bin gemütlich. Basti sieht es sportlich. Doch solange er nicht jammert, wenn ich zwischendrin nur gucke, statt zu paddeln, soll mir das recht sein.

Ich bremse ihn auch oft aus, weil ich über Bord gehe, um zu baden. Textilfrei, das besänftigt ihn.

»Dort oben auf der Terrasse kann man so schön Kaffee trinken«, jammere ich leise, und Minnie wirft mir wieder einen Blick voll schlechten Gewissens zu.

Zwei Radrennfahrer sprinten plötzlich eng an uns vorbei, biegen allerdings rechts ab, weg vom See. Knackige Figuren, modisch gekleidet, auf teuren Bikes. Nur die »Radl-Etikette« beherrschen sie nicht.

»Ein bisserl langsamer oder mit Warnung wäre nicht zu viel verlangt gewesen«, rege ich mich auf, weil sie mich erschreckt haben.

»Wo wollen die denn hin?«, wundert sich Minnie.

»Keine Ahnung, vielleicht haben sie ihr Auto dort irgendwo geparkt.«

Der Weg wird schmäler, wir kommen keuchend auf der ersten Anhöhe an. Urfahrn hat ein hübsches Strandbad mit einem tollen Spielplatz, viel Liegewiese und einem Pavillon, wo es unter anderem leckeren Kuchen gibt. An diesem Ufer muss man nicht ewig über Steine waten, um eine beschwimmbare Tiefe zu erreichen. Das ist das Schöne an der Westseite des Chiemsees, wohingegen der Osten eben mit spektakulären Sonnenuntergängen aufwarten kann.

Als es wieder bergab geht, klingelt es hinter uns, und wir quetschen uns höflich rechts an den Wiesenrand. Und wer schießt da wohl vorbei?

»Ach, habt ihr doch eine Klingel?«, giftet Minnie, die sich vermutlich ärgert, dass die Jungs sogar auf der Bergstrecke aufgeholt haben.

»Ja, sorry«, kommt es zurück.

»Wo wart ihr denn?«, schreie ich hinterher und höre ein lachendes »verkehrt abgebogen!«.

»Bei dem Tempo bläst es einem schon mal das Hirn unterm Helm raus«, lästert Minnie, und wir grinsen einhellig.

Wir umfahren die naturbelassene Schafwaschener Bucht mit dem dichten Schilf und den blühenden Blumenwiesen und erreichen bald darauf Rimsting. Hier sind Rad- und Fußgängerweg unter Weiden romantisch angelegt. Wir überqueren eine Brücke über ein Bächlein und bleiben oben einen Augenblick stehen, um das Nest einer Ralle und die Seerosen zu bewundern.

Danach geht es auf Teerstraßen nach Prien hinein. Hier verfahre ich mich jedes Mal wegen der vielen Möglichkeiten und ebenso vielen Sackgassen. Aber die Richtung ist klar: Die Berge und damit die Autobahn müssen näherkommen. Prien ist eine Marktgemeinde, groß und doch ländlich, ein teures Pflaster zum Wohnen. Es gibt mondäne Restaurants, einige Kurkliniken an der Promenade und das Erlebnisbad Prienavera. Und an der richtigen Stelle stehend sieht man über den See genau durch die Allee bis auf die Rückseite von Schloss Herrenchiemsee. Kurz nach der Jahrtausendwende war in einer Kälteperiode der See so zugefroren, dass wir mit den Schlittschuhen hinüberfahren konnten. Ein seltenes Highlight!

Wir befinden uns kurz vor der Hauptstraße zum größten Hafen des Sees, als wir weiter vorne bekannte Silhouetten erspähen.

»Das gibt es doch nicht, die haben sich schon wieder verfahren«, sage ich verblüfft, und Minnie fällt vor Lachen fast vom Rad.

»Und wie weit wohl, wenn sie bei ihrem Tempo gerade mal direkt vor uns sind?«

In diesem Moment überholt uns ein Wagen deutlich schneller als mit den erlaubten 30 km/h, um sehr knapp vor uns einzuscheren. Minnie muss die Bremsen energisch ziehen, und ich fahre ihr beinahe auf. Wir starren dem Idioten hinterher, und mein Herz klopft wie wild: »Früher hat es immer geheißen: Hüte dich vor Fahrern mit Hut! Hut wurde eindeutig durch Wollmütze ersetzt.«

Minnie schnaubt zornig: »Wie viele Dummköpfe sind denn heute noch auf dieser Straße?«

Ich fange an, eine mathelehrertaugliche Erklärung zu formulieren, bin aber – wie meist beim Thema Mathe – dafür ungeeignet. »Wenn du überlegst, wie viele um den ganzen See heute unterwegs sind, plus die normalen Touristen und Einheimischen, und du dann den Prozentsatz nimmst, den bestimmt der ADAC oder die Polizei irgendwo veröffentlich haben, kannst du es sicher ausrechnen.«

Minnies Gesichtsausdruck wechselt von »Meinst du das ernst?« über »Du nervst mich!« bis zu dem breiten Grinsen, das ich so sehr an ihr liebe.

Sie ist ein Freak, meine beste Freundin: Sie töpfert seltsame Tiere und schreibt fantasievolle Romane. Manche von ihnen veröffentlicht sie mit Erfolg, für andere gibt es wahrscheinlich kein Publikum, das schräg genug ist, um sie zu verstehen. Einige Wasserburger behaupten, in ihrem Kopf sieht es ebenso aus wie oben drauf – lockig wirr. Aber das stört mich nicht, denn ich hatte noch keine Sekunde der Langeweile mit ihr. Und Alex geht es vermutlich ähnlich, so wie er seine Freundin oft ansieht, mit nachsichtigem Lächeln und Augen, aus denen der Stolz über das verrückte Huhn und die Liebe zu diesem strahlt.

»Man sollte ihn anzeigen«, sagt sie erstaunlicherweise nur, woraufhin ich das Kennzeichen herunterleiere. Sie schüttelt den Kopf. »Das hast du dir gemerkt?«

»Na ja: M für München, CD wie Corps Diplomatique – nur an der falschen Stelle des Wagens – und der Geburtstag meiner Mutter.«

»Jedem Esel seine Brücke«, lästert sie. »Wenn wir an einer Polizei vorbeikommen, können wir ja anhalten.«

»Oder auch nicht, weil es pressiert!«

Der Himmel zieht zu, und wir bekommen Tropfen ab. Aber das macht nichts, denn uns ist wirklich sehr, sehr warm.

Jetzt wird es etwas gemein, weil der Radweg einige Zeit an der Autobahn München-Salzburg entlangführt. Wir haben Gegenwind und das nicht zu knapp. Wir keuchen dahin, der Wind nimmt zu und aus den leichten Tropfen werden dicke. Es donnert, und wir wissen, gleich ist eines der typischen, heftigen Sommergewitter unseres Alpenvorlands direkt über uns.

»Wir stellen uns beim Segelclub unter«, schreit Minnie. Und so treten wir in die Pedale, so fest wir können. Doch ein schützendes Dach erreichen wir nicht mehr. Nur der windgeschützte Vorsprung einer Garage hält uns das Schlimmste vom Leib. Wir lehnen uns eng an die Mauer und starren auf die immer größer werdenden Pfützen, bis neben uns laut Bremsen quietschen. Lachend erkennen wir die Jungs mit dem phänomenalen Orientierungssinn.

»Das ist nicht euer Ernst!«, prustet Minnie, und die beiden schütteln sich wie nasse Hunde nach einem Bad. Bei dem einen sieht es auch so aus: lange Haare und ein für meinen Geschmack zu langer Bart. Der andere ist glattrasiert, hat einen Kurzhaarschnitt und wirkt durch die dunklen Ringe unter den Augen gestresst. Sie stellen sich als Julian und Rainer vor und entschuldigen ihre Ortsunkenntnis mit dem spontanen Einfall der Seeumrundung.

»Wir hatten schon ein bisschen ein Stalkinggefühl«, necke ich den bärtigen Julian, der grinst.

»Ehrlich gesagt, wäre das eine gute Idee gewesen, dann hätten wir uns nicht so oft verfahren. Aber eigentlich ist Radfahren unser Job und kein Hobby.«

»Ihr seid Radrennfahrer und fahrt sonst immer anderen hinterher, deswegen verirrt ihr euch normalerweise nicht?«, hakt Minnie nach, und sogar dem besorgt wirkenden Rainer entkommt ein Lächeln.

»Nein, wir sind Fahrradkuriere. Und ja: In München kennen wir uns wirklich gut aus.«

»Was transportiert ihr denn? Pizza?«

Die beiden schauen sich ein wenig unbehaglich an.

»Eher selten, die haben ihre eigenen Lieferdienste. Meistens eilige Post.«

»Und die ist dann wichtig, oder?«

Ich stelle mir das gerade bildlich vor, wie sie aus dem Gebäude hetzen, ein Briefchen in der Hand – mit dem Vermerk EILT – und aufs Rad springen. Und sich verfahren!

»Ja, gelegentlich.«

»Wie haftet ihr da, wenn was verschwindet?«

Rainer schaut mich entsetzt an, und Julian antwortet zögernd: »Das darf nicht passieren.«

»Und? Passiert es trotzdem?«, will Minnie wissen, die wie ich eine Story wittert.

»Verloren haben wir noch nichts, aber letzte Woche wurde ein Auftraggeber ermordet.«

»Was?«, rufen wir gleichzeitig fassungslos. Rainer wirft Julian einen nervösen Blick zu. Vermutlich hätte der das nicht erzählen dürfen.

»Habt ihr den Toten gefunden?«

»Hattet ihr die Post schon ausgeliefert?«

Nun fragen wir vor lauter Aufregung durcheinander, und Rainer erklärt ein wenig widerwillig: »Nein und nein. Ich habe eine kurze Pause auf dem Weg zum Empfänger gemacht, um eine Semmel zu essen. Da sehe ich das Bild meines Auftraggebers im Fernsehen. Sie berichten, dass er eben tot aufgefunden wurde und Zeugen gesucht werden. Also fahre ich statt zur Abgabe des Briefs zur Polizei, die ihn konfisziert.«

»Und was war in dem Brief?« Wir sind neugierig.

»Das hat die Polizei nicht gesagt. Sie empfahlen mir, besser ein paar Tage aus München zu verschwinden, weil der Empfänger möglicherweise nach mir sucht. Sie versuchen, ihn vorher zu erwischen.«

Mir wird kalt. Das ist ja furchtbar! Jetzt erklären sich auch die Augenringe.

Minnie meint beruhigend. »Ein schlimmes Erlebnis, Rainer. Aber es kommt keiner drauf, dass du um den Chiemsee radelst. Du bist hier sicher.«

Er nickt mit gesenktem Haupt, und sein Freund fügt hinzu: »Es klingt blöd, doch zwischendrin hatten wir das Gefühl verfolgt zu werden.«

Wir sehen uns an und kichern. »Das Gefühl kennen wir.«

Dann sage ich ruhig: »Nein, im Ernst: Verfolgungswahn ist völlig unlogisch, oder? Ihr werdet ja kaum in Instagram Bilder hochladen?«

Sie schütteln beide den Kopf, und ich glaube ihnen.

Bald darauf ist der Regen vorbei. Viel Zeit haben wir glücklicherweise nicht verloren. Die Jungs planen, nach Traunstein abzubiegen, und wir wollen eine Essenspause einlegen. Sie verabschieden sich, nachdem wir ihnen Tipps zum Weg gegeben und Rainer Glück gewünscht haben.

Nun ist es nicht mehr weit, bis wir nach Übersee abbiegen. Im dortigen weitläufigen Strandbad gönnen wir uns eine Pizza, die wir auf der Ufermauer sitzend genüsslich verspeisen. Dann schaut die Sonne hinter einer dicken Wolke hervor, und wir beschließen, weitere zehn Minuten zu opfern, um ins kühlende Nass zu springen.

»Jetzt müssen wir uns aber ranhalten«, sage ich nach einem Blick auf die Uhr. In diesem Moment läutet Minnies Handy mit fürchterlichem Lärm. Alex – der Metal-Fan.

Sie grinst mich an und legt den Finger auf die Lippen. Was hat sie wohl wieder ausgeheckt?

»Hallo, mein Hase.« Alex hasst es, wenn sie ihn so nennt!

Einen Teil des Gesprächs kann ich erraten. Leider nicht den Teil, der mich so brennend interessiert. Staunend höre ich, wie sie flunkert, was unseren Standort angeht.

»Wir chillen gerade am See kurz vor Seebruck, damit wir nicht zu früh kommen. Ich will dich ja nicht deklassieren.«

Pause, dann spricht er. Offensichtlich macht er sich Sorgen.

»Nein, das Unwetter ist vorbei – wir verschieben die Wette ganz sicher nicht. Vermutlich bleibt es doch bei der Verlierer-Rolle im nächsten Buch.«

Pause. Sie kichert und wird rot. »Das besprechen wir wann anders, Hase.«

Mit einem Mal guckt sie böse. »Dann wärst du ein schlechter Verlierer, Alex.«

Oh oh! Jetzt hat er sie geärgert.

»Ciao, ich schicke dir ein Beweisfoto, wenn wir am Auto sind.«

Das hat sie zwischendrin auch gemacht, aber immer mehrere Bilder in einem Zug geschickt, damit er keinen Hinweis darauf hat, wo wir tatsächlich sind. Sie ist schlau, meine Freundin!

»Er sucht sich schon ein Heldenkostüm aus. So weit kommt es noch. Los, lass uns fahren«, grummelt sie und packt eilig zusammen.

Nachdem wir an einigen beeindruckenden oberbayrischen Bauernhöfen, an deren Balkonen üppige rote Geranien und Weihrauch herabhängen, vorbeigefahren sind, kommen wir in eine einsamere Gegend: das wunderschöne Naturschutzgebiet in der Hirschauer Bucht, lange Dammwege durch die Wildnis. Stehen zu bleiben ist hier wegen der Mücken nicht so günstig. Aber der Blick und das Vogelgezwitscher lohnen manch juckende Stelle. Wieder beginnt es zu regnen, wir strampeln verbissen weiter. Wenn es noch mal blitzt, könnten wir uns mit viel Glück in die lauschige Wirtschaft retten, die wir nach der nächsten Kurve erreichen.

Wir haben Pech, kein Auto steht dort auf dem Parkplatz – also ist das Gasthaus mitten im Schilfgürtel geschlossen.

»Lass uns einfach weiterfahren«, sage ich, denn wir sind sowieso nass. Doch dann bleiben wir abrupt stehen und registrieren, was vor uns am Boden liegt. Oder vielmehr wer. Es ist Julian, der sich stöhnend den Kopf hält. Sein Rad befindet sich zerbeult neben ihm. Wir schauen uns nach Rainer um, sehen aber nur ein zweites Bike und keinen Rainer.

»Julian, was ist passiert? Wo ist Rainer?«, fragt Minnie und kniet sich neben ihn in den schlammig-steinigen Weg.

»Sie haben ihn mitgenommen, nachdem sie mich umgefahren haben.« Er stöhnt, und Minnie starrt mich entsetzt an. Ich wähle bereits den Notruf.

»Grüß Gott, hier ist Antonia Hundshammer. Ich stehe hier am Gasthaus in der Hirschauer Bucht. Bitte kommen Sie schnell mit einem Krankenwagen. Ein Radler ist von einem Auto angefahren worden, und sein Freund wurde entführt. Ja, das meine ich ernst. Ja, wir warten hier.«

Keine zehn Minuten später hören wir die Sirenen. Eine Polizeistreife trifft gleichzeitig mit dem Sanka ein. Die Sanitäter kümmern sich um Julian, während die beiden Beamten auf Minnie und mich zukommen. Wir erklären den Sachverhalt, den wir bei unserem Regenmeeting in Übersee von den Jungs erfahren haben. Nun wollen die Polizisten von einem sehr blassen Julian den Namen der zuständigen Bearbeiter bei der Polizei München wissen und fragen nach dem Wagen.

»Ein dunkler Mercedes. Zwei Männer, einer groß, einer klein, aber es ging so schnell. Ich habe kein Kennzeichen erkannt. Der Fahrer trug eine schwarze Wollmütze.«

Minnie und ich sehen uns an. Sie fragt Julian, ob er den Wagen schon mal gesehen hat. Der eine Beamte hebt mahnend die Hand, damit sie sich nicht weiter einmischt, da antwortet Julian zögernd: »Könnte sein, wir hatten ja mehrfach das Gefühl, dass uns jemand folgt.«

Einen Versuch ist es wert, also sage ich es: »Uns hat heute in Prien ein dunkler Mercedes mit einem Fahrer mit Mütze überholt, der hinter euch herfuhr. Viel zu schnell, und er hat uns geschnitten.«

»Das wäre ein großer Zufall«, meint der andere Polizist ruhig und sieht mich nachdenklich an. Ich schüttle den Kopf.

»Gar nicht, wenn die beiden von München aus verfolgt wurden. Sie können ja das Kennzeichen überprüfen.«

Nun werden sie hellhörig, die Herren von der Polizei. »Sie haben das Kennzeichen?«

Ich erkläre warum: »M für München, CD wie Corps Diplomatique – nur an der falschen Stelle des Wagens – und der Geburtstag meiner Mutter.«

Der eine grinst, während der andere zu seinem Wagen geht und eine Überprüfung anfordert. Wir versuchen derweil, Julian zu beruhigen. Halbherzig, denn uns ist klar, dass Rainer tief in der Tinte sitzt. Wir tauschen Handynummern aus, und Minnie und ich versprechen, ins Krankenhaus nachzukommen, sobald wir bei unserem Auto angekommen sind.

Dann müssen wir zusehen, wie der Krankenwagen mit Julian verschwindet. Wir geben unsere Personalien an die Polizisten, die schließlich die demolierten Räder an einen Zaun ketten, bevor sie ebenfalls fahren.

Betroffen schauen wir uns an, und ich sage energisch: »Jetzt sollten wir doppelt motiviert sein, schneller anzukommen.«

Minnie nickt, aber die Freude an unserem Ausflug ist dahin. Wenigstens hat der Regen aufgehört. Statt der guten Laune haben wir dafür jetzt ein deutlich höheres Tempo. Das braucht es auch, denn unsere Zeit wird knapp.

Wir keuchen oberhalb des Sees auf Chieming zu und flitzen durch den beliebten Ort, der sonst viele Veranstaltungen – sei es zum Brauchtum oder sportlicher Art – bietet.

Endlich fahren wir auf dem Radweg am Ufer des Sees entlang in den Hafen von Seebruck. Mein Blick fällt auf die Pizzeria, in der meine Mutter ihren runden Geburtstag gefeiert hat, mit unglaublichen Fischplatten, ein Traum! Ein Eis wäre auch nicht schlecht. Stattdessen strampeln wir über die Brücke, an der bei schönem Wetter zig Schlauchboote die Alz hinunter starten. Das ist ein wunderschöner Bootstrip, wenn nicht gerade Idioten mit Bierkästen und dröhnender Musikbox schreiend das sanfte Wasserplätschern stören.

Ich erhasche die Uhrzeit auf der Kirchturmuhr, als wir die Abkürzung hinter dem Traditionshotel Wassermann nehmen. Acht Minuten, das wird eng! Es geht hinauf zur Kirche, an den römischen Ausgrabungen vorbei. Wir keuchen den Seeweg entlang und mit Vollgas auf unseren Parkplatz zu.

Dort erspähen wir bekannte Gestalten: Basti und Alex, die demonstrativ auf ihre Handys schauen. Die Enttäuschung auf Alex’ Gesicht zeigt uns, dass wir es geschafft haben. Ich falle gewissermaßen vom Rad auf die nasse Wiese, was mir völlig egal ist.

»Was machst du da? Steh auf, die Wiese ist nass!«, schimpft Basti kopfschüttelnd und versucht, mich hochzuziehen. Aber dafür bin ich zu k. o.

Minnie lehnt am Wagen und bringt gerade so hervor: »Das ist unser geringstes Problem heute.«

Alex schaut sie besorgt an und hält ihr eine Wasserflasche hin, die sie ergreift. »Was ist passiert?«

Wir wechseln uns mit dem Erzählen und Trinken ab. Und dann damit, unsere Männer zu beruhigen, die sich über die Gefahr aufregen, in der wir uns befunden haben könnten, wenn …

Rasch springen Minnie und ich zur Erfrischung in den See, obwohl uns nun allmählich kalt wird. Gleich darauf sitzen wir in trockener Kleidung in Bastis Auto – Minnies holen wir auf dem Rückweg nach Wasserburg – und fahren nach Traunstein zu Julian ins Krankenhaus.

Dort empfangen uns ein Julian mit Kopfverband und – Gott sei Dank – auch Rainer, beide lächeln. Rainer war tatsächlich mit dem Wagen entführt worden, dessen Nummer ich der Polizei gegeben hatte. Er gehört einem Mann, den die Münchner wegen organisiertem Verbrechen im Visier hatten.

»Sie haben also den Mercedes lokalisiert, angehalten und mich befreit. Dank euch lebe ich noch«, meint Rainer leise, und wir schlucken betroffen.

»Aber warum waren sie überhaupt hinter dir her?«, wundert sich Basti.

In diesem Moment betreten zwei Männer in Anzügen den Raum, die Rainer als die zuständigen Polizeibeamten aus München vorstellt.

»Da kommen wir gerade rechtzeitig. Sie sind diejenigen, die den Wagen gesehen und das Kennzeichen notiert haben?«, fragt der eine und zückt einen Notizblock. Wir bestätigen das und müssen unsere Sicht der Geschehnisse erneut erzählen.

»Wir brauchen von Ihnen eine Unterschrift unter diese Aussage. Würden Sie das bitte in nächster Zeit erledigen? Sie müssen nicht nach München fahren, das geht auch bei der Polizei hier oder in Wasserburg. Sie sind doch von dort?«

»Ja, aber können Sie uns denn sagen, warum Rainer verfolgt wurde?«

Der Mann zögert, sein Kollege – ein lebhafter Typ, der mit Händen spricht – hat da keine Bedenken.

»Sowohl Absender als auch Empfänger konnten dem organisierten Verbrechen zugeordnet werden. Mit dem Brief wurden Kontoverbindungen weitergegeben, es geht da um sehr viel Geld aus kriminellen Quellen. Doch der Auftraggeber war unvorsichtig, ein Konkurrent erfuhr davon und wollte die Daten an sich bringen. Er ermordete den Auftraggeber, allerdings zu spät, weil der Brief bereits übergeben worden war. Es handelte sich wohl nur um Minuten, deswegen wusste er, dass er sich auf die Suche nach dem Fahrradkurier machen musste. Vermutlich erhalten wir von den beiden im Wagen bald weitere Auskünfte. Immerhin haben sie sich einer Entführung und eines gezielten Anschlags mit Fahrerflucht schuldig gemacht.«

»Wie im Krimi«, flüstert Minnie, und ihre Augen glänzen vor Aufregung. Was keinen von uns drei Freunden wundert, denn sie liebt Kriminalfälle. Ihr Polizistenfreund Gustl ist immer an ihrer Seite, wenn sie in diverse »Fälle« stolpert, was gar nicht so selten vorkommt. Die ziehen sie irgendwie magisch an, aber das ist eine andere Geschichte. Eine, die vor allem Alex schon viel Nerven gekostet hat.

Kurz darauf verabschieden wir uns und fahren zurück nach Seebruck. Minnie sitzt mit Alex hinten, und ich höre, wie sie entschlossen zu ihm sagt: »Also, Hase, mal abgesehen von dem ganzen Mafia-Chaos: Ich habe die Wette gewonnen, deshalb gibt es keine Heldenrolle im nächsten Buch. Tut mir leid.«

Er seufzt, dann grinst er. »Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Wir können ja mal wieder wetten.«

Ich werde aufmerksam. Erfahre ich endlich mehr über den wirklichen Grund für die Wette?

»Alex, worum ging es denn eigentlich?«

Von Minnie kommt ein scharfes »Nein, das bleibt unter uns!«.

Alex lacht unbeeindruckt und wirft mir im Rückspiegel einen vergnügten Blick zu. Mir ist nicht klar, ob Basti die Situation entschärfen will oder Minnies Wunsch nach Geheimhaltung nicht versteht. Auf jeden Fall bricht Alex seinem Freund gegenüber offensichtlich sein Schweigegelübde, falls es eins gegeben hat.

Mein Schatz fragt, während er den Arm um mich legt: »Was ist so schlimm daran? Ich finde, auch in Krimis dürfen heiße Szenen vorkommen.«

Jetzt verstehe ich gar nichts mehr und werde energisch.

»Minnie, mein Freund erfährt es von deinem Freund, und du erzählst es mir, deiner besten Freundin, nicht?«

Sie seufzt und wird schon wieder knallrot.

»Hach, also gut: Alex meinte, ich soll etwas mehr Sex in meine Bücher bringen. Er hat mich provoziert, und ich habe ihm bewiesen, dass ich es kann. Doch es passt nicht zu mir und meinen Geschichten. Darum musste ich die Wette gewinnen, damit ich es aus dem Buch wieder rausnehmen kann.«

»Darf ich die Szene mal lesen, bevor du sie löschst?«

Bei meiner Frage kippen die grölenden Männer beinahe von den Sitzen, während Minnies Kopf noch röter wird. »Auf gar keinen Fall!«

Ich verbeiße mir ein Lachen, denn ich verstehe ihren Standpunkt. Und deshalb wechsle ich auf ihre Seite – wie fast immer. Mit süßlich klingendem Stimmchen schlage ich trickreich vor: »Aber Minnie, so könntest du Alex’ Fähigkeiten Gerechtigkeit widerfahren lassen.« Sie starrt mich zuerst perplex an, dann gleitet ein boshaftes Grinsen über ihr sommersprossiges Gesicht.

»Ja, stimmt, du weißt es ja aus meinen Erzählungen. Warum sollen es andere nicht erfahren? Hier weiß ja auch jeder alles von mir«, schießt sie scharf in Alex’ Richtung, der ein wenig hektisch den Blinker setzt und rechts ranfährt.

Nun ist er es, der grimmig guckt, und mein Basti überlegt wohl gerade krampfhaft, was ich an intimen Einzelheiten über ihn meiner Freundin preisgegeben habe. Das schreit nach einem weiteren Stupser. »Und wenn du es so gut beschreiben kannst, könnten Basti und ich doch genauso verewigt werden, oder?«

Sie nickt fleißig. »Für meine besten Freunde schreibe ich die knackigsten Szenen.«

Bei dem Wort verschluckt sich Basti, und ich kann mich nicht mehr beherrschen. Die Lachtränen rollen über meine Wangen, und Minnie japst nach Luft. Trotzdem bemerken wir den Verbrüderungsblick im Rückspiegel.

»Keine Wette mehr zu dem Thema!«, schlägt Basti seinem Spezl vor.

Alex nickt. »Einverstanden. Und keine heftigen Sexszenen in deinen Büchern, Minnie.«

Sie klappert mit den langen braunen Wimpern. »Natürlich nicht, Hase.«

»Aber die Idee einer Wette mit sportlichem Aspekt finde ich persönlich super«, meint Basti nachdenklich, und wir starren ihn ein wenig genervt an. Ich ahne, was kommt, und jaule auf, denn das ist echt sportlich.

»Was haltet ihr von ›um Herrenchiemsee paddeln in vier Stunden‹? Und damit die Chancen gleich verteilt sind, sitzen Minnie und Alex in einem Boot und Toni und ich im anderen.«

»Wetteinsatz?«, fragt Alex fordernd und grinst seine Freundin an, die seufzt. Wir wissen, er hat sich festgebissen und wird nicht mehr loslassen.

»Wenn wir gewinnen, bekommst du die Heldenrolle im nächsten Buch. Wenn die anderen gewinnen, dann Toni und Basti, okay?«

Die Jungs schlagen lachend ein und besiegeln unser Schicksal, an einem heißen Tag wieder durch die Gegend jagen zu müssen.

Was tut frau nicht alles für Liebe und Fitness!

Zauberhafte Urlaubsgeschichten aus dem Chiemsee Alpenland

Подняться наверх