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Da saß er nun: tief unter der Erde. In einem stinkenden, fauligen Rattenloch. Nackt. Die Ratten hatten sich schon persönlich vorgestellt. Oder jedenfalls etwas, was auf diesem Planeten die ökologische Nische der Ratten besetzte. Seitdem fröstelte er nicht nur vor Kälte.

Seine Arme hielt er fest um seine Beine geschlungen, aber auch das konnte das Zittern nicht unterdrücken. Er hatte seine Genitalien zwischen den Oberschenkeln und seinem Bauch eingeklemmt. Der Gedanke, dass ihm eine der Ratten ein Fleischstück aus seinem Arm oder aus einem Bein biss, war nicht so schrecklich wie die Vorstellung, dass eines der Viecher seinen Hoden zu nahe kam. Wie lange er schon hier unten saß, wusste er nicht. Er merkte, wie die Müdigkeit langsam seine schmerzenden Glieder ergriff.

Aus einer weit entfernten, anderen Zelle drang leises Wimmern und Stöhnen zu ihm. Und über allem lag der Geruch von Fäkalien … und ein Hauch von Verwesung.

In seiner Fantasie stellte er sich vor, wie in den Nachbarzellen vergessene Gefangene vor sich hinfaulten. Ob er auch bald da liegen würde? Verrottend? Stinkend?

So hatte er sich das nicht vorgestellt! Dass er eine Zelle gegen eine andere tauschte. Die eine Todesart gegen eine andere.

Sein Handeln war aus Panik geboren gewesen. Nach der Erkenntnis, dass am Ende des Fluges der Tod auf ihn wartete, hätte er jeden Strohhalm ergriffen. Da war es ihm wie eine Verheißung erschienen, dass er aus den Daten von diesem Planeten erfahren hatte. Einem erdähnlichen Planeten mit einer menschenähnlichen Bevölkerung! Unter der Quarantäne des Demoriums! Das versprach Sicherheit vor den Klerikalen Söldnern.

Wie einfach sein Fluchtmanöver gelungen war, hatte ihn selbst überrascht.

Wäre er nicht in Panik verfallen, hätte er sich intensiver mit den Systemen der AURORA BOREALIS »beschäftigen« können und vielleicht einen ausgefeilteren Plan entwickelt.

Erneut stiegen Schuldgefühle in ihm hoch. Was war mit denen, die er in die Rettungskapseln getrieben hatte? Den Großteil davon würden die Rettungskräfte direkt aus dem Orbit auflesen können. Doch was war mit denen, die wie er – nur unfreiwillig! – von der Schwerkraft dieses Planeten eingefangen wurden? Seine Fantasie malte Schreckensbilder von Kapseln, die beim Eintritt in die Atmosphäre verglühten. Von versagenden Bremsraketen und Menschen in stählernen Eiern, die es metertief in den Boden rammte. Vielleicht waren auch welche in den Ozean gestürzt. Möglicherweise hatten die Schwimmkammern versagt und die Kapsel war in die bodenlose Tiefe eines fremden Ozeans gesunken.

Und wenn sie sicher den Boden erreicht hatten, wurden sie dann wie er von den Eingeborenen gefangen genommen … und getötet? Oder mussten sie den Rest ihres Lebens auf dieser Welt beschließen, weil die Quarantäne keine Bergung erlaubte?

Ein Übermaß an Fantasie konnte auch etwas Schreckliches sein.

Adriaan Deneersen wimmerte.

Er war schuld an alledem! Und nun würde er büßen. Wer auch immer ihn da draußen vor dem Pöbel gerettet hatte … vielleicht schichtete er nun schon einen Scheiterhaufen auf?

Hätte er sich nur direkt in das Wäldchen verdrückt! Aber nein, er hatte ja Gott spielen müssen, den großen Macker!

Was er anpackte, ging schief!

Die Kälte kroch seine Beine hoch, ließ sein Sitzfleisch gefühllos werden und machte ihn müde.

Es war dunkel um ihn herum. Nicht gerade stockfinster, aber sehen konnte er nicht viel. Dafür roch er genug. Die Reste von Kot, Urin und Erbrochenem aus dem rostigen Blecheimer. Die faulenden Lumpen auf der Pritsche gegenüber.

Und er hörte genug. Das Wimmern aus den anderen Zellen und das Rascheln aus dem Stroh in der Ecke. Den Rest besorgte seine Vorstellungskraft.

Unter der Holztüre und durch ihre Ritzen hindurch flackerte schwach der Lichtschein einer Fackel weit den Gang hinunter. Er war die einzige Lichtquelle und beleuchtete grob gemauerte Wände, eine grob gehauene Decke und eine grob gezimmerte Tür. Mehr wollte Adriaan nicht sehen.

Hier würde es also enden! Hier würde er enden. Er sah sich schon als verwesende, halb flüssige Masse auf dem Boden, an dem sich diese Rattenviecher gütlich taten. Es schüttelte ihn vor Ekel … und vor Kälte.

Adriaan schreckte hoch. Er war eingenickt! Die Müdigkeit hatte ihn, wie er da so kauerte, übermannt. Beinahe wäre er umgekippt und hätte sich lang auf den Boden gelegt. Aber dann wäre er schutzlos den Ratten ausgeliefert! Er schüttelte den Kopf, um die Müdigkeit zu vertreiben. Ein Krampf ergriff seine Waden. Mit klammen Fingern versuchte er, sie zu massieren. Dabei verlor er das Gleichgewicht und fiel zur Seite. Er wollte sich aufstemmen … doch wozu? Umso schneller war es zu Ende. Gleichgültigkeit füllte ihn mit einem trügerischen Ersatz für Wärme.

Hauptsache, es ging schnell!

Er rollte sich zusammen wie ein Ungeborenes im Mutterleib … und fiel in den Schlaf der Erschöpften.

Der Riegel der hölzernen Gefängnistür glitt mit einem überlauten Scharren zurück. Adriaan Deneersen schreckte vom Boden hoch. Schmerzen aus allen Regionen seines Körpers ließen ihn stöhnen. Panisch blickte er an sich herunter, ob die Ratten ihn schon angeknabbert hatten. Aber es waren nur die Auswirkungen seiner unbequemen Schlafposition. Das schmerzhafte Pochen in seinem Kopf, das Brennen in seinen von Kälte steifen Fingern und Füßen, der Krampf in seinen Muskeln und die Stiche in seinem Rückgrat.

Die Tür wurde aufgestoßen. Er bedeckte seine Augen, als ihn das Licht einer Fackel blendete. Kamen sie jetzt, um ihn zu seiner Hinrichtung abzuholen? Auf Händen und Füßen krabbelte er in eine Ecke seiner Zelle. Wie ein in die Falle getriebenes Tier kauerte er sich in den schmierigen Schmutz der Ecke. Er wimmerte. Der Lichtschein kam näher. Tritte schwerer Stiefel. Etwas stieß ihn an der Schulter an. Adriaan wagte nicht, nach oben zu sehen. Vier Beine ragten vor ihm auf. Nackte Beine, gegurtet mit ledernen Beinschützern, die nach oben unter einem Kilt verschwanden und unten in verzierten Stiefeln endeten.

Erneut stieß ihn einer der zwei Wärter an. Dabei bellte er etwas in seiner kehligen Sprache. Adriaan kauerte sich noch mehr zusammen. Als Adriaan nicht weiter reagierte, stupste der andere Wärter ihn mit seinem Stiefel an. Adriaan nahm seine Arme hoch und barg schützend den Kopf darin. Jeden Moment mochten Schläge auf ihn niederfahren und Tritte ihn traktierten. Doch die beiden Wärter packten ihn nur an den Oberarmen und stellten ihn auf seine Beine … die ihn nicht tragen wollten.

»Nu’ bleib doch steh’n!«

»Mann, hat der Schiss! Der pisst sich gleich an!«

»Dann halt ich ihn aber in deine Richtung!«

»Untersteh dich, Umma!«

»Wenigstens wehrt er sich nicht.«

»So wird das nichts! Der geht nicht von selbst. Pass auf … ich fass ihn hier unterm Arm, du bei dir, dann tragen wir ihn. Hier, halt mal die Fackel!«

»Tragen? Ich schleif’ den rüber!«

»Tust du nicht! Ihm soll nichts geschehen!«

»Außer’n paar Kratzern passiert ihm ja auch nix.«

»Nix da! Der Befehl kommt von ganz oben.«

»Der Wachoffizier kann mich mal!«

»Ich sagte ›von ganz oben‹!«

»Oh …! Muss sich der Kommandant jetzt auch schon bei uns einmischen?«

»Hallo! Noch höher …! Jetzt kapiert?«

»Äh …«

»Na also! Los, pack an!«

»Warum soll’n wir ihn ausgerechnet zum alten Sob’uhn stecken?«

»Der hier kommt aus irgendeinem fremden Land …«

»Könnte ein Demaware sein. Hast du jemals solche Augen gesehen? Ob die Demawaren alle so blaue Augen haben?«

»… und soll erst mal Atta sprechen lernen! Denn …«

»Und guck mal, was für’n kleinen, dicken Hayt der hat. Und so behaart! Das ist kein ›Stock‹, das ist ‘ne Raupe.«

»… schließlich ist … war der Alte mal Lehrer.«

»Hey, Kiegon! Ob alle Demawaren so’n kleinen Stock haben? Wie kann man denn mit so was Kinder machen?«

»Anscheinend geht’s, sonst gäb’s keine Demawaren!

»Ob die Weiber von denen dann auch so weite ›Grotten‹ haben? Mit so ‘ner Frau würd’s bestimmt keinen Spaß machen.«

»Komisch! Das Gleiche hat mir deine Frau auch erzählt.«

»Du Arsch! Ich krieg meine Frau immer zum Stöhnen, wenn …«

»Ja, ist gut! Reg dich ab, Umma! Da sind wir!«

»Sob’uhn, verschwinde von der Tür!«

»So, mein Jüngelchen, das hier is’ Sob’uhn. Eigentlich ganz harmlos … nur reißt er sein Maul zu oft auf.«

»Sag ›Hallo‹, Sob’uhn! Das ist dein neuer Mitbewohner. Noch’n bisschen schwach auf’n Beinen. Aber das gibt sich schon.«

»So, hier setz dich mal! Der liebe Umma geht dir jetzt mal ein paar Klamotten holen, dann brauchst du dir auch nicht mehr deinen Hayt abzufrieren.«

»Macht der liebe Umma doch glatt! Dann muss er nämlich dieses Raupending nicht mehr ansehen!«

Adriaan durfte weiterleben. Vorerst zumindest. Die zwei finster aussehenden Kerkermeister packten ihn grob und schleiften ihn, fortwährend wüste Beschimpfungen in ihrer kehligen Sprache ausstoßend, durch die Katakomben des Verlieses. Und er gab sich schon auf, ergab sich in sein Schicksal. Doch dann machten sie urplötzlich vor einer Bohlentür mit einem Guckloch in Augenhöhe Halt. Einer der Wärter schloss die Tür auf und sie luden ihn unsanft auf einer Pritsche ab.

Die Holzkonstruktion sollte wohl so etwas wie ein Bett darstellen. Zumindest hatte sich sein Zellengenosse mit Decken und Kissen darauf ein Lager eingerichtet. Adriaan schielte sehnsüchtig nach den Decken. Seine Gliedmaßen waren mittlerweile taub vor Kälte. Einer der Wärter, er war älter und etwas dicker als der andere, lehnte wachsam an der geöffneten Tür. Es war ein grimmiger Kerl in martialischer Kleidung, sofern man bei Männern in Röcken von »martialisch« sprechen konnte. Der Kilt war mit Streifen aus Blech bewehrt. Auch die Weste hatte solche sich überlappenden Blechstreifen. Sie mochten so etwas wie eine leichte Panzerung darstellen, aber Adriaan bezweifelte, dass sie gegenüber einem Pfeilhagel ausreichend Schutz boten. Zumal Arme und Beine bis auf ein paar lederne Schienen nackt waren.

Der Wärter blaffte fortwährend seinen Leidensgenossen an. Aus ihren Gesten war herauszulesen, dass sie sich über Adriaan unterhielten.

Adriaans Mithäftling ließ sich wieder auf seine Pritsche nieder. Es war ein Mann um die fünfzig. Mit seinen grau melierten Schläfen sah er wie einer der alten griechischen Philosophen aus, wie man sie von antiken Statuen her kannte. Er ließ seinen Blick nicht von Adriaan, während die Wärter auf ihn einschimpften.

Adriaan kauerte auf seiner Pritsche, die Arme um seine Beine geschlungen, und versuchte das Zittern zu unterdrücken. Nach der Dunkelheit seiner letzten Zelle kam ihm diese hier lichtdurchflutet vor. Eine vergitterte Öffnung hoch über der Liege des Alten ließ das rötliche Licht der für Adriaan fremden Sonne ein. Ein verschlissener Vorhang trennte eine Nische am Fußende ab. Dahinter war ein Blecheimer zu erkennen. Unter dem Bett des Alten stand ein schmutziges Schälchen, in dem eine Art Löffel in den Resten einer gelben Pampe stak. Direkt hinter der Türe stand ein Holztischchen, auf dem eine Schüssel, eine Blechkanne und zwei hölzerne Becher standen.

Schritte näherten sich draußen auf dem Gang. Der zweite Wärter trat in den Raum, eine Decke über die Schultern und ein Bündel in den Armen.

Das Bündel ließ er auf das Fußende von Adriaans Pritsche fallen, die Decke reichte er Adriaan. Dieser warf einen gehetzten Blick zu den Wärtern. Der an der Tür machte eine aufmunternde Geste. Mit zitternden Fingern wickelte sich Adriaan in die Decke ein. Der ältere Wärter hob das Bündel auf, blafft Adriaan kurz an und drückte es ihm an die Brust. Adriaan nahm dies als Aufforderung und wickelte das Bündel auseinander. Es entpuppte sich als sackähnliches Gewand aus grobem Stoff. Adriaan war das egal; jeder Fetzen Stoff mehr würde ihn etwas mehr wärmen. Er warf die Decke ab und zog das Gewand an, begleitet von augenscheinlich bissigen Bemerkungen. Der Jüngere der beiden schob mit seinem Fuß ein Schälchen unter Adriaans Pritsche hervor, anscheinend sein Schälchen. Dann war er allein mit dem Alten.

Eine Weile sahen sie sich schweigend an. Langsam kroch ein Gefühl von Wärme in Adriaans taube Glieder. Er zog die Decke enger um seine Schultern. Dann stand der Alte auf, ging zum Tisch und goss Wasser aus der Kanne in die Becher. Mit einem Behälter in jeder Hand setzte er sich wieder auf seine Pritsche. Dann beugte er sich vor und reichte Adriaan seinen Becher. Dieser griff mit beiden Händen danach und stürzte den Inhalt hinunter.

»Sopp Uhn!«, sagte der Alte plötzlich.

Adriaan sah ihn irritiert an.

Der Alte legte seine Hand flach auf seine Brust und sagte erneut: »Sob’uhn! Tscha Sob’uhn ki ek!«

»Adriaan«, sagte Adriaan versuchsweise und legte dabei die Handfläche auf die eigene Brust.

»Attri Ahn?«, wiederholte der Alte, grinste ihn an und überfiel ihn anschließend mit einem Wortschwall.

Anscheinend hatte Adriaan einen Freund gefunden.

Am nächsten Tag kam der Durchfall, am Tag darauf das Fieber. Ob er das Essen nicht vertrug, fremdartige Viren seinen Körper in Besitz nahmen, er sich in der ersten Zelle verkühlt hatte … oder alles zusammen, Adriaan war das für eine lange Zeit egal. Er wollte nur noch sterben. Bis zur Nasenspitze in die Decke eingemummelt lag er auf seiner Pritsche und zitterte sich die Seele aus dem Leib.

Sein Körper glühte. Verglühte. Er fühlte sich wieder in die Rettungskapsel versetzt. Und diesmal verglühte er. So, wie die Besatzungsmitglieder in seiner Fantasie, die seinetwegen auf den Planeten zutrieben, die seinetwegen in der Atmosphäre verglühten.

In seinem Fieberwahn registrierte er nur am Rande, dass der alte Sob’uhn an seiner Pritsche saß, ihm Wasser und Nahrung einflößte oder wie die Wärter vorbeischauten, um die Verpflegung zu bringen oder den Eimer zu entleeren.

Was er nicht mitbekam, war, dass auch die Gesichter der Wärter besorgter wurden. Am dritten Tag der Verlegung in Sob’uhns Zelle nahm Kiegon seinen Kollegen beiseite und sagte: »Der nippelt uns ab, wenn wir nicht was unternehmen!«

»Wär’ nicht der Erste.« Umma zuckte mit den Schultern. »Kommt vor.«

»Aber bei dem hier kriegen wir Ärger!«, unterstrich Kiegon. »Ich mach’ mir Sorgen um unsere Gesundheit, falls der Fremde ›in den Wind geht‹. – Wir sollten einen Heiler holen!«

»Einen Heiler?« Ummas Gesicht war eine Landkarte der Entrüstung. »Ich hab’ noch nie einen Heiler für einen Gefangenen geholt. Entweder er wird aus eigenen Kräften wieder gesund, oder wir holen den Totenkarren.«

»Glaub mir! Das hier ist was anderes!«

»Und wer soll den bezahlen?«

»Na, die Staatskasse!« Kiegons Gedanken hatten den Weg auf ein für sie ungewohntes Neuland betreten. Sie wollten nicht den Schwanz einziehen und sich nach dieser kurzen Stippvisite in ihre alten Bahnen zurückziehen. »Wenn wir krank sind, bezahlt das doch auch die Staatskasse.«

»Ich möchte mal seh’n, was der Wachoffizier mit dir anstellt, wenn du ihm mit der Rechnung für den da kommst.« Umma schürzte spöttisch die Lippen.

»Dann geh’ ich zum Zetul!«

»Klar gehst du zum Zetul.« Umma nickte übertrieben. »Und anschließend in eine von uns’ren Zellen. Und da bleibst du dann seeehr lange!«

»Der Befehl«, Kiegon brachte sein Gesicht ganz nahe an das von Umma, »dass wir auf diesen Gefangenen ein Auge haben sollen, kommt direkt von ihm!«

Es dauerte eine Weile, bis Umma das Gesagte geistig verdaute, dann entfuhr ihm ein »Oh!«

»Und deswegen ist mir egal, was der Wachoffizier sagt.«

Der Zef'ihl, der vom Himmel fiel

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