Читать книгу Im Risiko zur Macht? - Dieter Hirschmann - Страница 5
Vorbetrachtung
ОглавлениеIm Jahre 1990 schrieb Daniel Yergin das mit dem Pulitzerpreis geehrte Buch The Prize: The Epic Quest for Oil, Money and Power [1]. Die Anmaßung dieses Buches ist es, dass dieselbe Quelle, welche schon Yergin für den Titel seines Buches benutzte, auch hier zur Anwendung kommen soll. So stand die berühmte Bezeugung eines noch berühmteren Engländers auch Pate zum Titel dieses Buches:
Mastery itself was the prize of the Venture [2], schrieb der entlassene 1st Sealord in Jahre 1923, vier Jahre nach Beendigung des 1. Weltkriegs. Von den drei Substantiven bot sich, nachdem »the prize« ausgefallen ist, das Wort »Venture« an. Deswegen sollte das vorliegende Buch eine Anleihe zeichnen und den Titel The Venture tragen.
Schließlich jedoch wurde der in der Brudersprache getätigte Ausspruch großzügig, mit Nachtsicht und Augenzwinkern übersetzt, mit dem Ergebnis, dass er auch »im Risiko zur Macht« bedeuten könnte. Dabei muss noch angemerkt werden, dass »venture« sich im Englischen vieler Bedeutungen erfreut, wie: Unternehmung – so kennen wir es meistens –, aber auch »Wagnis«, »Risiko«, »Spekulation« und »Abenteuer«.
Im Ansatz des Vorliegenden wird vermutet, dass der Gegner Deutschlands im Ersten Weltkrieg, zuvor und danach, »venture« im Sinne von Wette oder Risiko verwendete. Das entspricht seinem Charakter und seiner Herkunft. Ganz sicher jedoch, war dieses politische Bonmot für den Verfasser Anlass genug, sich mit dem Urheber auseinander zu setzten: Wer war der achte Urenkel des ersten Marlboroughs, welcher als zweitgeborener Sohn den Namen Winston Churchill trug, und was waren die Beweggründe für sein politisches Handeln? Und wie passte dieser Engländer in die Epoche seiner Zeit? Große Geister und bedeutende Männer erlangen nur dann Macht und Einfluss, wenn sie weder zu früh noch zu spät, also zum richtigen Zeitpunkt in die Speichen der Geschichte greifen.
Was und wer waren die Umstände, welche um den Jahrhundertwechsel zum zwanzigsten den Lauf für 45 Katastrophenjahre bestimmten? Davon soll hier die Rede sein. Dazu objektive Tatsachen aus subjektiver Sicht. Eine Melange von Fakten und Ansichten, welche einstimmen und zur Ausgangslage führen sollen.
Die Erfindungen des Buchdrucks und des Transistors waren tief greifende Ereignisse in der Soziologie der Menschheit. Sie haben die Welt geschaffen, in welcher wir leben. Technischer Fortschritt und humane Werte entwickelten sich. Informationen wurden schneller ausgetauscht und es entstand ein enormer Bedarf an Beweglichkeit. Und ohne Zweifel ist die Mobilität eine der Haupttriebfedern des geistigen und wirtschaftlichen Erfolgs.
Während in unserer Zeit Mobilität durch Gadgets – elektronische Hilfsmittel – den Austausch von Informationen ohne physische Bewegung möglich machen, war das an der Wende von 19. zum 20. Jahrhundert anders. Der Informationsaustausch war langsamer, mehr Personen waren an ihm beteiligt und, bedingt durch die damaligen Archivierungsmöglichkeiten, war es ungleich schwieriger als heutzutage, den Tatsachen auf den Grund zu gehen. Das Internet mit seinen nahezu unbegrenzten Möglichkeiten macht es heutzutage möglich, Informationen aufzuspüren, welche früher kaum zugänglich waren.
Dieses Buch soll eine soziologische Fotografie im Rahmen der heutigen Forschung zum »Großen Krieg« sein. Gewürzt mit Verantwortungsträgern der Gegenseite und hier speziell der Anglo-Seite. Es ist nicht wissenschaftlich, es handelt von Menschen, wer sie waren und was sie taten. Es soll eine Geschichte in der Geschichte sein. Deswegen wird ein Anspruch auf wissenschaftliche Korrektheit nicht erhoben. Nichtsdestotrotz sind jedoch alle wichtigen angeführten Ereignisse und Fakten belegt oder dem Leser gemeinhin bekannt. Es wurde versucht, mit Darstellungen der englischen Seite und geopolitischen Tatsachen einen neuen Blickwinkel für die Beurteilung der Kriegsursachen zu finden.
William Knox d'Arcy, Henry Drummond Wolf, Admiral John Fischer und Sir Edward Grey bereiteten den großen Auftritt eines englischen Amerikaners, Winston Churchill, vor. Edward VII spielte Schicksal und wollte das unter der langen Regierungszeit seiner Mutter erschlaffte Weltreich zum Segen der unter der britischen Krone vereinigten Gebiete zu neuem Glanze führen. Und vielleicht war ein Deutscher der indirekte Auslöser der Kriegshysterie, denn seine Erfindung war zur Erhaltung dieser imperialistischen Gelddruckmaschine unbedingt notwendig: Rudolf Diesel, dessen Erfindung die Welt wirklich mobilmachte, Segel und Dampf ablöste, Flotten und Handel auf den Weltmeeren zu den Instrumenten machte, welche die Welt in Zukunft beherrschen sollten.
Die politische Zeitenwende zum globalisierten Imperialismus geschah um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert. Mit Kriegen auf Kuba und auf den Philippinen sowie den Annexionen von Panama und Hawaii haben die USA im Westen die Herrschaft über den Pazifischen Ozean erlangt. Kurz vorher hat England in Ägypten seine Machtstellung ausgebaut und hatte somit die Kontrolle über den Suezkanal.
Die wichtigsten Großwasserstraßen, welche den Welthandel revolutionieren sollten, waren nun in den Händen von zwei Großmächten, welche ihre 100 Jahre alten Spannungen überwanden und erkannten, dass sie die Welt unter sich aufgeteilt hatten. Das zweite deutsche Reich suchte nach Krümeln auf der Weltkarte, fand in Afrika, im Stillen Ozean und in China Reste, die von den traditionellen Imperien vernachlässigt worden waren, und glaubte, dass unter den Fittichen des Reichsadlers und durch das »deutsche Wesen« die dortigen Untertanen genesen würden.
Neben diesen geografischen Gegebenheiten erfolgte nahezu parallel eine rasante technologische Entwicklung, welche im Handel und in der Seefahrt zu neuen Ufern führte; Segel und Dampf wurden vom Dieselmotor abgelöst und dieser Wandel führte zu einem sprunghaften Bedarf an Erdöl. Hier wird bezweifelt, dass Deutschland die Schuld am Ausbruch des 1. Weltkriegs alleine zugesprochen werden kann.
Maßgeblich hat ein anderer Hobby-Historiker, Nachfahre eines Recken des Spanischen Erbfolgekrieges und wahrscheinlich unter dem Eindruck von John R. Seeley [3] – welcher in Anbetracht des technischen Fortschritts nur noch zwei Großmächte sah: die USA und Russland –, die französisch-napoleonische Variante ins Gespräch gebracht: Seeblockade der Nordsee, Einsatz von finanziellen Mitteln, um die Kriegslast auf die kontinentalen Partner Russland und Frankreich zu verlagern, mit dem Trumpf des eindeutigen amerikanischen Interesses am Ausgang des Krieges. Aber diese Variante ging nicht auf. Von den fünf europäischen Kriegsteilnehmern war der eindeutige Gewinner Russland und, global gesehen, England der größte Verlierer. Wie das geschah, davon handelt dieses Buch.
Falls nun Ihr Interesse an diesem Buch geweckt wurde oder sich gesteigert hat, empfehle ich Ihnen, die letzten zwei Kapitel dieses Buches zuerst zu lesen. Der Einstimmung auf das Thema folgt ein Zeitabriss der letzten sechzig Jahre vor dem Ausbruch des Krieges. Abweichend von der üblichen Buchform, soll der werte Leser sich 100 Jahre zurückversetzen. Ihm soll bewusst werden, was Geschichte nach Ansicht des Verfassers ist: Ein Zeitrahmen der verschiedensten Ereignisse soll die Welt darstellen, um die diese »Geschichte« gewoben wurde.
Für die vielen englischen Zitate wird um Nachsicht gebeten. Sie erscheinen notwendig, um die feinen, unterschwelligen An- und Absichten des Originals besser erkennen zu können. Eine Übersetzung birgt immer die Gefahr, dass Unterschwelliges – aber enorm Wichtiges – in der Gedankenwelt des Übersetzers verloren geht.
[1] Bei YouTube finden sie unter Eingabe von »the Prize« eine achtteilige Folge über die Geschichte des Erdöls
[2] Winston Churchill, World Crisis, Vol. II, 1923
[3] The Expansion of England , Download von der kostenlosen On-Line-Library, siehe Anhang