Читать книгу Das Geheimnis der Haushälterin - Dieter Landgraf - Страница 4
In der Villa
ОглавлениеJens Knobloch lässt sich von Achim Wenzel den Weg zu dem Haus von Friedbert Voß beschreiben. Nach zwanzig Minuten Fußmarsch steht er vor einer eindrucksvollen Villa. Sein Blick fällt auf ein im charmanten Stil der fünfziger Jahre erbautes Gebäude. Umsäumt wird das Haus von einer überaus beachtenswerten parkähnlichen Gartenanlage. Der Pool am Ende des Grundstückes scheint beheizbar zu sein. Das bläulich schimmernde Wasser weist zumindest darauf hin. Ansonsten wäre um diese Jahreszeit das Schwimmbecken geleert. Alles vom Feinsten, stellt Jens Knobloch fest und betätigt den Klingelknopf. Unter Benutzung der Wechselsprechanlage bittet er um Einlass. Das Summen am Türgriff signalisiert ihm, dass er eintreten kann. Mit Blick auf den Dienstausweis sagt Solveig Lilienthal statt einer Begrüßung sichtlich verunsichert: »Polizei? Sie sind Kriminalkommissar. Was führt Sie zu mir?«
Ihre Verblüffung legt sie im Handumdrehen ab und bittet ihn, einzutreten. Dem geübten Auge des Kommissars entgeht nicht ihre sichtliche Nervosität, die sie hinter einem freundlichen Mienenspiel zu verbergen versucht. Nachdem beide in der Couchgarnitur Platz genommen haben, mustert der Kommissar unauffällig seine Gesprächspartnerin. Vom Alter her schätzt er sie auf Mitte Vierzig. Die langen braunen Haare umrahmen ein ebenmäßig geformtes, äußerst anmutsvolles Gesicht. Die sinnlichen Lippen und die großen Augenlider mit dem sparsam verwendeten Make-up unterstreichen ihr attraktives Erscheinungsbild. Nur die sorgfältig lackierten langen Fingernägel und der kostbare Schmuck, den sie an den Handgelenken und Fingern trägt, passen nicht recht in das Bild, welches sich der Kommissar unter einer Haushaltshilfe vorstellt. Insgesamt besitzt sie eine sympathische Ausstrahlung. Ihr interessantes Aussehen unterstreicht sie obendrein mit einem bezaubernden Lächeln. Der Kommissar kann sich des Eindruckes nicht erwehren, dass es ein wenig aufgesetzt wirkt. Er glaubt, bei ihr eine gewisse Unsicherheit zu verspüren. Die kaum merkliche Angespanntheit führt Jens Knobloch auf seine Dienstellung zurück. Ein solches Verhalten hat er öfters auch bei anderen Personen bemerkt. Er misst der Wahrnehmung im Moment keine weitere Bedeutung bei. Vielmehr lässt ihn das in den frühen Vormittagsstunden ungewöhnlich gepflegte Erscheinungsbild ins Grübeln kommen. Umgehend löst er sich von der Betrachtungsweise des Äußeren und der subjektiven Beurteilung ihres Aussehens. Der Kommissar beginnt die Unterhaltung mit einer Frage, die mehr einer Feststellung gleicht: »Sie haben von dem Vorfall in der vergangenen Nacht gehört und können sich denken, weshalb ich zu Ihnen gekommen bin.«
»Was soll sich zugetragen haben? Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.«
»Das Vorkommnis ist im ganzen Ort bekannt. Haben Sie sich am heutigen Vormittag mit niemand unterhalten?«
»Nein. Ich habe mich soeben zum Ausgehen vorbereitet, um ins Hotel zu gehen. Dort übernachteten alle Familienmitglieder. Heute fahren sie wieder zurück und ich beabsichtige, ihnen Lebwohl zu sagen. Seit Sie sich als Kriminalkommissar vorgestellt haben, überlege ich, was es für einen Grund gibt, mich aufzusuchen. Friedbert, äh, Herr Voß, ist einer Krankheit erlegen, leider um einiges zu früh. Wenn mir das, als gewissermaßen Außenstehende, einmal dahingehend gestattet ist, zu sagen.«
Dieser geringfügige Lapsus, ihren Arbeitgeber mit dem Vornamen zu titulieren, entgeht Jens Knobloch nicht. Doch im Moment schenkt er dem keine weitere Beachtung und sagt: »Der Grund für meinen Besuch ist nicht der Tod von Friedbert Voß. Auch interessiert mich im Augenblick nicht, was Sie für ihren verstorbenen Dienstherrn empfinden. Leider ereignete sich in der vergangenen Nacht etwas Abscheuliches. Saskia Jungblut fiel einem Gewaltverbrechen zum Opfer. Sie wurde hinterrücks ermordet. Aus diesem Grund bin ich zu Ihnen gekommen. Außerdem möchte ich mir einen Überblick über die Vermögensverhältnisse von dem Verstorbenen verschaffen. Zu diesem Zweck ist Ihr Einverständnis erforderlich, weil ich aufgrund der Kürze der Zeit keinen Durchsuchungsbefehl besitze. Sollten Sie unumstößlich darauf bestehen, werde ich einen solchen problemlos ausstellen lassen. Wenn Sie nichts zu verbergen haben, und davon gehe ich im Moment aus, steht der Durchsicht der Bankunterlagen und gegebenenfalls vorhandener Wertpapiere keinesfalls etwas im Wege.«
Solveig Lilienthal zögert einen kurzen Moment mit der Antwort. Dann äußert sie sichtlich betroffen: »Saskia! Um Gottes willen! Das ist furchtbar. Wann und wie ist es geschehen. Kennen Sie den Täter oder läuft der Verbrecher noch frei herum?«
»Die Ermittlungsarbeiten begannen vor wenigen Stunden. Aufgrund der Kürze der Zeit ist es mir nicht möglich, Ihre Frage zu beantworten.«
»Selbstverständlich gestatte ich Ihnen, sich überall im Haus umzusehen. Wenn ich zur Aufklärung der abscheulichen Bluttat beitragen kann, dann stellen Sie mir Ihre Fragen. Ich wüsste im Augenblick jedoch nicht, wie ich Ihnen behilflich sein könnte.«
»Das wird nicht schwierig sein. Sie brauchen mir einzig und allein wahrheitsgemäß zu antworten.«
»Ich habe nichts zu verschweigen. Beginnen Sie mit Ihrem Verhör. Dahingehend werden doch derartige Gespräch bei Ihnen bezeichnet«, sagt Solveig Lilienthal in einem dezent ironischen Ton.
»Dann fangen wir mit einer absolut anspruchslosen Frage an: Wo waren Sie gestern Abend? Vor allem interessiert mich die Zeit zwischen Mitternacht und zwei Uhr morgens.«
»Ich war hier im Haus. Völlig allein. Es gibt niemand, der meine Aussage bestätigt. Nach einem überzeugenden Alibi klingt das wahrlich nicht. Genauso oder ähnlich denken Sie doch jetzt mit Sicherheit.«
»Darauf komme ich nochmals zurück, wenn uns die Pathologie den genauen Todeszeitpunkt mitgeteilt hat. Beschreiben Sie mir bitte, was Saskia Jungblut für ein Mensch war. Sie besuchte sicher mehrere Male ihren Vater hier in Akazienaue. Dabei lernten Sie seine Tochter kennen.«
»Saskia war die einzige von allen Geschwistern, die mehrmals bei uns vorbeikam. Sie hing mit viel Herzblut an ihrem Vater. Auch mir gegenüber verhielt sie sich stets überaus korrekt.«
»Was wollen Sie damit zum Ausdruck bringen? Gibt es einen Grund, weshalb sich die Tochter Ihres Arbeitgebers anders verhalten sollte?«
»Nein, nein! Überhaupt nicht«, äußert sich Solveig Lilienthal hastig.
»Warum betonen Sie, dass Saskia Jungblut sich Ihnen gegenüber derartig untadelig verhalten habe. Waren Sie eventuell mehr, als nur die Hausangestellte von Friedbert Voß?«
Solveig Lilienthal schaut ein wenig verlegen zur Seite. Dann äußert sie zaghaft: »Sie werden es ohne jeden Zweifel von anderen erfahren. Somit kann ich es Ihnen genauso zum gegenwärtigen Zeitpunkt sagen. Wir hatten ein Verhältnis miteinander. Es handelte sich nicht um eine Affäre. Ich war die Lebensgefährtin von ihm. Zugegebenermaßen ohne Trauschein. Es war mehr als Zuneigung. Wir verliebten uns ineinander. Es entstand schlicht und einfach aus dem gemeinsamen Miteinander. Sein Vermögen interessierte mich nicht im Geringsten. Friedbert Voß war ein großartiger Mensch. Ich vermisse ihn zutiefst.«
»Der beträchtliche Altersunterschied hat Ihnen nichts ausgemacht?«, fragt Jens Knobloch.
»Nein, ihm hat man sein Alter weder angesehen noch angemerkt. Er trieb regelmäßig Sport und hielt sich darüber hinaus durch den wöchentlichen Saunabesuch recht fit.«
»Haben die Kinder von Friedbert Voß von dem Verhältnis irgendetwas mitbekommen?«
»Ja, Friedbert berichtete mir nach Telefonaten wiederholt, wie er darunter leide, dass ich von den Familienmitgliedern nicht als Lebensgefährtin anerkannt werde. Ausgenommen davon sind Saskia und Malte Baader. Obwohl Letzterer am wenigsten mit seinem Vater telefonierte. Am schlimmsten benahm sich allerdings Alida Morgenroth. Sie besuchte uns im Vorfeld der Beerdigung nicht ein einziges Mal und rief darüber hinaus auch nicht an. In seinem Harmoniebestreben hielt Friedbert den Kontakt zu ihr dennoch aufrecht.«
»Sie sprachen von seinem Sohn. War er in den letzten zwei Jahren hier zu Besuch?«
»Malte Baader kam in Begleitung seiner Mutter. Sie hatte vor vielen Jahren eine Affäre mit Friedbert. Ich nehme an, dass er die große Liebe ihres Lebens war. Indes bedeutete ihm damals die Familie mehr, als diese Liebschaft. Jedenfalls hat er seine Ehegattin und die Kinder wegen einer anderen Frau nicht im Stich gelassen.«
»Gab es in der Vergangenheit möglicherweise Spannungen zwischen Ihnen und Gesa Baader. War sie vielleicht sogar eifersüchtig auf Sie?«
»Sicher kann man es in diesem Sinne so bezeichnen. Aber Friedbert hatte sich nun einmal für mich entschieden. Daran war nichts mehr zu ändern. Ich glaube, sie akzeptierte seinen Entschluss, wenn auch schweren Herzens.«
»Sie erwähnten seine Ehefrau. Von ihr habe ich bisher in keinerlei Hinsicht etwas gehört.«
»Frau Voß kam vor fünf Jahren bei einem Autounfall ums Leben. Über sie erzählte mir Friedbert nie irgendetwas und ich wollte ihn über seine Vergangenheit nicht ansprechen. Er muss sie sehr geliebt haben. Das spürt man als Frau.«
»Danke für die Auskünfte. Nunmehr interessiert mich ein anderes Thema. Kannten Sie das Testament bereits vor der Eröffnung durch den Rechtsanwalt oder wurden Sie von den Verfügungen, vor allem zu Ihrer Person, überrascht?«
»Der Inhalt seines letzten Willens war mir nicht bekannt. Friedbert teilte mir einmal beiläufig mit, dass ich nicht mittellos dastehen werde, wenn er nicht mehr auf dieser Welt sei. Weiteres sagte er dazu nicht. Das Thema war für ihn tabu. Ich hatte auch keinen Grund nachzufragen, was er damit meint und habe es dabei belassen. Für mich spielte sein Geld und das gesamte Vermögen zu keiner Zeit eine Rolle.«
»Das sagten Sie mir bereits. Inzwischen ist Ihnen das Erbe bekannt. Um welchen Anteil handelt es sich?«
Solveig Lilienthal steht auf und holt die Kopie des Testamentes sowie weitere Unterlagen über die Villa und das Vermögen von Friedbert Voß aus der Anrichte im Wohnzimmer. Den Stapel Papier legt sie vor Jens Knobloch auf den Tisch und äußert: »Von dem Geld erhalte ich nichts. Mir gehören die Villa und die Yacht, Saskia die Hälfte des Barvermögens und den Rest haben sich die vier Geschwister zu teilen. So steht es hier im Testament geschrieben.«
Jens Knobloch durchblättert einige Seiten, die ihm Solveig Lilienthal übergibt. Er wiegt bedächtig seinen Kopf und sagt: »Dann sind Sie durch den Tod von Friedbert Voß mit einem Male richtig vermögend geworden. Allein die Villa hat einen Kaufpreis von vier Millionen und die Motoryacht kostete vor zwei Jahren fünfhunderttausend Euro.«
»Ihre Bemerkung halte ich für unangemessen. All das gehörte mir als die Lebensgefährtin von Friedbert bereits vor seinem Ableben. Selbstverständlich verkaufe ich das Haus und die Yacht. Ob ich nochmals solch glückliche Jahre wie mit Friedbert erleben werde, steht in den Sternen geschrieben«, seufzt Solveig unüberhörbar.
Jens Knobloch blättert in den Papieren und stößt einen leisen Pfiff aus: »Das Barvermögen entspricht in etwa der Höhe der Werte, die Sie durch das Haus und die Yacht erhalten. Davon stehen Saskia Jungblut die Hälfte und den anderen vier Geschwistern je fünfhunderttausend Euro zu. Eine solche Verfügung ruft doch zweifellos Neid und Missgunst hervor.«
»Wollen Sie damit zum Ausdruck bringen, dass Saskia Jungblut durch ein Familienmitglied ermordet wurde? Das glaube ich nicht. Das Erbe reicht für jeden, um ein finanziell unbeschwertes Leben zu führen.«
Jens Knobloch erkennt, dass er mit seiner unbedachten Äußerung über eine mögliche Täterschaft eines Familienmitgliedes zu weit gegangen ist. Hastig ordnet er die Seiten vor sich auf dem Tisch und sagt: »Den Papierkram können Sie mir mitgeben. In den nächsten sechs Wochen ist Ihnen rechtlich untersagt, irgendetwas aus dem Erbe zu veräußern. Selbstverständlich quittiere ich Ihnen den Erhalt.«
»Nehmen Sie es an sich. Wenn die Unterlagen zur Aufklärung des Verbrechens beitragen, dann habe ich nichts dagegen. Zu dem Versprechen einer umfassenden Unterstützung bei der Lösung des Falls stehe ich nach wie vor. Jedoch beantworteten Sie mir in unserem Gespräch bisher nicht meine anfangs gestellte Frage.«
»Sie meinen die nach dem möglichen Täter?«
»Ja, genau danach hatte ich Sie gefragt.«
»Hm, es ist so«, kommt es ein klein wenig holperig über seine Lippen, »wir verdächtigen von vorn herein keine Personen. Zu den Ermittlungsarbeiten gehört die Untersuchung des gesamten sozialen Umfeldes der Ermordeten. Dazu zählen vor allem die Begünstigten, die im Testament aufgeführt sind. Es handelt sich um die Kinder von Herrn Voß und dementsprechend ebenfalls um Sie.«
»Sie wiederholen sich. Das wurde mir von Ihnen eingangs erklärt. Sie betreiben pure Zeitverschwendung. Ich hoffe, dass Ihnen das nach unserem Gespräch deutlich wurde.«
Jens Knobloch wundert sich über den plötzlichen schroffen Ton, den Solveig Lilienthal anschlägt. Allerdings hat er keine Möglichkeit, länger darüber nachzudenken. Abrupt erhebt sich seine bisher entgegenkommende Gesprächspartnerin aus dem Sessel und sagt: »Wenn es das gewesen ist, möchte ich Ihre kostbare Zeit nicht länger in Anspruch nehmen. Zudem habe ich in Kürze eine Verabredung. Es gehört zu meiner Wesensart, stets pünktlich zu erscheinen. Außerdem sind von mir die Familienangehörigen zu verabschieden. Diese möchte ich unter keinen Umständen warten lassen.«
Mit den üblichen Bemerkungen, dass sie in den nächsten Tagen Akazienaue nicht verlassen dürfe und zu einer weiteren Befragung sich bereitzuhalten habe, verabschiedet sich Jens Knobloch.
Auf dem Weg zum Hotel ‚Haus am Akaziensee‘ denkt er über das soeben geführte Gespräch nach. Woher ist nur der plötzliche Stimmungswandel bei ihr gekommen? Mit einem Schlag erinnert er sich: Während der Unterhaltung läutete das Telefon und jemand sprach auf den Anrufbeantworter. Weil Solveig Lilienthal nicht darauf reagierte, setzte er das Gespräch mit ihr fort und maß dem keine weitere Bedeutung bei. Mit einem gewissen Zeitabstand und dem veränderten Verhalten von Solveig Lilienthal bekommt die zunächst unbedeutend zu scheinende Begebenheit einen gewissen Stellenwert in seinen Überlegungen. Es wäre möglich, dass es sich um eine nicht unwichtige Nachricht auf dem Anrufbeantworter handelt. Es könnte auch sein, dass sie den Anruf erwartete. Denn unmittelbar nach dem Läuten des Telefons gelang es ihr nicht, die zunehmende Nervosität zu verbergen. Letztendlich wurde er recht nachdrücklich um das Verlassen der Villa gebeten. Auf alle Fälle werde ich mir dazu eine Notiz machen, überlegt er. Kurze Zeit später kommt Jens Knobloch wieder im ‚Haus am Akaziensee‘ an.