Читать книгу Das Geheimnis der Haushälterin - Dieter Landgraf - Страница 5
Vernehmung der Familienangehörigen
ОглавлениеIm Hotel erwartet ihn die Hauptkommissarin. Sie hat in dem von Armin Wenzel als 'Salon' bezeichneten Raum Platz genommen. Das Aufnahmegerät für die Vernehmung der Familienangehörigen liegt einsatzbereit auf dem Tisch.
»Gibt es von Dr. Monika Bieberstein greifbare neue Ergebnisse?«, fragt Jens Knobloch.
»Ja, sie arbeitete wie immer fleißig. Bei der Toten wurde kein Wasser in der Lunge gefunden. Ein sicheres Zeichen, dass Saskia Jungblut stranguliert und danach in den See gestoßen wurde. Der Todeszeitpunkt liegt zwischen zwölf und ein Uhr. Das vermutete sie ohnehin am Fundort der Leiche.«
»Na ja, zumindest eine gesicherte Erkenntnis«, bemerkt Jens Knobloch, nicht unbedingt begeistert..
»Nun warte doch einmal ab. Das Wichtigste kommt erst noch. Die Kollegen von der Spurensicherung fanden ein Seilende am Seeufer. Es handelt sich eindeutig um das Tatwerkzeug. An Hand des Musters der Abdrücke am Hals von Saskia Jungblut vermochten unsere Kollegen den Zusammenhang nachzuweisen.«
»Gibt es Anhaltspunkte, woher dieses Seil stammt?«
»Bisher leider nicht. Zumindest wäre es möglich, dass es zu einem der Boote an dem Anlegesteg gehört. Das heißt, die dort befestigten Wasserfahrzeuge sind in Augenschein zu nehmen«, antwortet Veronika Sommercamp.
»Das sind in dieser Jahreszeit zum Glück nicht allzu viele Boote, die im Wasser liegen. Wie ich bisher gesehen habe, handelt es sich um sechs Angelkähne. Die werde ich haargenau unter die Lupe nehmen. Für unsere Ermittlung verspreche ich mir dabei keine Wunderdinge. Denn wer wird sich ein solches Seil vom eigenen Boot besorgen, wenn er die Absicht hat, damit einen Mord zu begehen?«, stellt Jens Knobloch fest.
»Im Bericht des Kriminaltechnischen Institutes steht übrigens, dass das Tatwerkzeug mit einem scharfen Messer abgetrennt wurde. Die Schnittstelle ist sicher unschwer zu erkennen. Aber wie du bereits sagtest: Viel weiter wird uns das nicht bringen. Wenden wir uns jetzt besser den Vernehmungen der Familienangehörigen zu. Dabei erhoffe ich mir einige, der Ermittlung dienende, konkrete Hinweise zu erhalten.«
»Bist du nicht neugierig auf die Ergebnisse des Gesprächs, welches ich mit Solveig Lilienthal führte?«
»Doch, doch! Allerdings kennen wir uns zu viele Jahre, als das ich danach fragen müsste. Wenn du brisante Neuigkeit erfahren hättest, dann wüsste ich diese längst … oder?«
»Hast ja recht, unterm Strich ist für uns nichts Verwertbares herausgekommen. Ein hieb- und stichfestes Alibi besitzt sie freilich nicht. Solveig Lilienthal war allein zu Hause. Wie können ihr nicht nachweisen, dass sie um Mitternacht allein die Villa verließ zum Seeufer ging«, erwidert Jens Knobloch.
»Übergab sie dir eine Kopie des Testaments?«, will Veronika Sommercamp wissen.
»Selbstverständlich forderte ich eine solch von ihr. Außerdem überließ mir Solveig Lilienthal die Vermögensaufstellung von Friedbert Voß. Übrigens findet sich der Inhalt des Briefes, den wir bei Saskia Jungblut fanden, im Testament bestätigt. Damit haben ihre Geschwister ein eindeutiges Motiv«, antwortet Jens Knobloch
»Warum schließt du Solveig Lilienthal aus, die Tat begangen zu haben?«
»Ihr gehören Villa und Yacht allein. Deren Wert entspricht der Höhe des Barvermögens, welches die fünf Geschwister erben. Demzufolge bestand keinerlei Veranlassung, Saskia Jungblut zu töten.«
Veronika Sommercamp schaut nachdenklich zu Boden und sagt mit besorgter Miene: »Es sieht ganz nach einem verflixt schwer zu lösenden Fall aus. Wir kennen weder die Stelle, wo Saskia Jungblut in den See gestoßen wurde, noch hat der Täter oder die Täterin am Opfer Spuren hinterlassen. Allein aufgrund eines Motivs haben wir keine Befugnis, eine der dafür in Frage kommenden Personen festzusetzen.«
»Ich nehme an, dass sie vom Ende eines Anlegesteges ins Wasser gestoßen wurde. Es wäre auch vorstellbar, dass der Täter mit einem Boot bis zu Mitte des Sees gefahren ist und sie dort über Bord warf«, sagt Jens Knobloch.
»Das schließen unsere Kriminaltechniker kategorisch aus. In keinem der Angelkähne befinden sich Ruder. Allein mit den Händen den Kahn fortzubewegen, wird als nahezu unmöglich eingeschätzt.«
»Dann beenden wir unsere theoretischen Gedankenspiele und wenden uns der praktischen Arbeit zu. Bestehen bei dir Vorstellungen, mit welcher Person wir die Vernehmung anfangen?«, fragt Jens Knobloch.
»Das ist belanglos. Ich kenne keine der Familienmitglieder. Dir geht es nicht anders. Richten wir uns simpel nach den Zimmernummern und arbeiten diese nach der Ziffernfolge ab«, sagt die Hauptkommissarin.
»Im Grunde genommen gebe ich dir recht. Durch das Gespräch mit Solveig Lilienthal besteht bei mir vor allem ein Interesse an Alida Morgenroth. Sie telefonierte weder mit ihrem Vater, noch stattete sie jemals ihrem Vater einen Besuch in der neuen Villa ab.«
»Ich bin einverstanden. Bitte hole die Person herein, die dich am meisten interessiert.«
Alida Morgenroth betritt mit ihrem Ehemann Tassilo den Salon. Ihre in zarten Pastellfarben gehaltenen Haare sind im Nacken kunstvoll zu einem Dutt zusammengefügt. Im Knopfloch des türkisfarbenen Hosenanzuges trägt sie ein schwarzes Band als Zeichen ihrer Trauer. Man merkt sofort, dass sie sich ihrer Ausstrahlung auf ihr Umfeld bewusst ist. Dagegen wirkt ihr Ehepartner in seinem dunklen Nadelstreifenanzug eher wie ein überflüssiges Zubehör. Der erste Eindruck bestätigt sich, als Alida Morgenroth zu ihm sagt: »Nun setz dich, damit wir alles möglichst schnell hinter uns bringen.«
Dann wendet sie sich an Veronika Sommercamp: »Was wollen Sie überhaupt von uns? Bei mir besteht absolut kein Bedürfnis, hier weiterhin meine kostbare Zeit zu vertrödeln. Ich bin gehalten, das Geld hart zu erarbeiten. Unsere Boutique in Hameln läuft nicht anstandslos von allein. Es ist erforderlich, immer präsent zu sein. Auch um diese Jahreszeit beherbergt unsere Stadt genügend Touristen. Man wird hier behandelt, wie ein kriminelles Subjekt.«
Tassilo Morgenroth scheint der theatralische Auftritt seiner Gattin peinlich zu sein. Er äußert zurückhaltend: »Wir sind zugegeben jetzt schon zwei Tage unterwegs und wollten längst die Rückfahrt angetreten haben. Mit solch einem Vorfall konnte niemand rechnen. Letztendlich verrichten die Kommissare nur ihre Arbeit.«
Der ausgesprochen giftige Blick seiner Ehefrau lässt ihn augenblicklich verstummen. Der Hauptkommissarin sind solche arroganten Auftritte, wie der von Frau Morgenroth, aus der langjährigen Arbeit im Morddezernat nicht fremd. So etwas erlebte sie bereits öfters. Betont ruhig antwortet Veronika Sommercamp: »Ich verstehe, dass es für Sie keine erfreuliche Situation ist. Aber wir ermitteln in einem Mordfall. Da gehören unangenehme Begleiterscheinungen für die einzelnen Betroffenen einfach dazu.«
»Was heißt hier Betroffene? Unterstellen Sie mir etwa, dass ich meine Schwester umgebracht habe?«, äußert sich Alida Morgenroth empört.
»Davon sprach kein Mensch. Es wird niemand verdächtigt. Wir untersuchen lediglich das gesamte Umfeld des Opfers und natürlich auch die Gegebenheiten zum Zeitpunkt der Tat. Als Hotelgast und Schwester der Ermordeten gehören Sie mit dazu. Wenn Sie mir meine Fragen beantwortet haben und Ihre Antworten plausibel sind, steht einem unverzüglichen Verlassen von Akazienaue nichts im Wege.«
»Und was sind das für Fragen?«, will Alida Morgenroth, immer noch aufgebracht, wissen.
»Wo waren Sie gestern am späten Abend. Ich grenze die Zeit ein. Mir reicht die Angabe zwischen Mitternacht und zwei Uhr?«
»Wo soll ich schon gewesen sein. Natürlich im Hotelzimmer. Ich lag um diese Zeit im Bett. Mein Mann war ebenfalls bei mir.«
»Das kann uns ihr Ehepartner sicher auch selbst sagen. Also, Herr Morgenroth, wo sind Sie in der fraglichen Zeit gewesen?«
Der Angesprochene druckst herum, als wäre ihm die Frage äußerst unangenehm. Dann kommt es zaghaft über seine Lippen: »Hm, ja, also. Wir waren in der Hotelbar und sind anschließend ziemlich spät nach oben gegangen.«
»Was heißt wir? Die Personen haben sicher einen Namen.«
»Zu der Männerrunde gehörten Malte, Falko und Norbert. Wir nahmen gemeinsam einen kleinen Drink an der Hotelbar«, sagt er kleinlaut.
»Ha, ha! Dass ich nicht lache. Einen kleinen Drink nennst du das. Sternhagelvoll bist du gewesen und warst nicht in der Lage, dir deine Schuhe auszuziehen«, wirft Alida Morgenroth ein.
Zur Bestätigung nickt ihr Mann verschüchtert mit dem Kopf. Man merkt ihm an, dass ihm die ganze Sache peinlich ist.
»War Ihre Frau anwesend, als Sie von der Männerrunde in das Zimmer kamen?«
»Ja, also, so genau erinnere ich mich nicht. Aber wenn sie mir die Schuhe ausgezogen hat, dann muss es wohl so gewesen sein. Wo soll sie sich sonst aufgehalten haben?«
»Es waren nicht nur die Schuhe. Was glaubst du, wer den Anzug auf den Bügel aufhängte? Du warst nicht einmal in der Lage, das das Hemd aufzuknöpfen. Und durch dein Schnarchen bin ich ewig nicht zum Einschlafen gekommen.«
Veronika Sommercamp wendet sich wieder Alida Morgenroth zu: »Haben Sie das Hotelzimmer nach der Rückkehr Ihres Mannes nochmals verlassen?«
»Nein, es war nicht nötig. In der Minibar standen gekühlte Getränke. Davon habe ich mich bedient. Es steht alles auf der Rechnung. Bei einer Prüfung werden Sie meine Angaben bestätigt bekommen«, antwortet Alida Morgenroth in einem herablassenden Ton.
»Sie wissen selbst, dass diese Aussage nichts wert ist. Ich glaube nicht, dass man auf dem Nachweisbeleg über die Entnahme von Getränken die genaue Uhrzeit einzutragen hat. Etwas mehr Sachlichkeit von Ihrer Seite wäre angebracht«, weist Veronika Sommercamp sie zurecht.
»Dann muss Ihnen die Bestätigung meines Ehemannes genügen, dass ich anwesend war.«
»Sie wissen, was die Aussage von ihrem Ehepartner bedeutet, wenn er sich in dem von Ihnen geschilderten Zustand befand.«
»Das verstehe ich jetzt nicht. Welche Bedeutung meinen Sie damit?«
»Ich kann Ihnen das ganz einfach erklären. Für die Zeit, als der Mord an ihrer Schwester geschah, haben Sie kein Alibi. Deshalb durchsuchen wir unverzüglich ihr Hotelzimmer. Selbstverständlich können Sie mit dabei sein. Danach teilen wir Ihnen mit, ob einer Abreise nichts im Weg steht.«
Pikiert äußert Alida Morgenroth: »Dann tun Sie es. Aber möglichst schnell, damit wir endlich von diesem abscheulichen Hotel wegkommen. Es entzieht sich meinem Vorstellungsvermögen, was sie überhaupt finden wollen. Bei uns sind Sie an der falschen Adresse. Das müsste Ihnen eigentlich klar sein.«
Auf dem Weg in das Zimmer des Ehepaares Morgenroth treffen die Kommissare am Empfangstresen Wachtmeister Fritz Bauerstolz. Sofort macht er sich bemerkbar und ruft Veronika Sommercamp entgegen: »Ich habe eine brandaktuelle Information für Sie.«
Die Hauptkommissarin sagt zu Jens Knobloch: »Gehe bitte inzwischen mit den beiden in das Hotelzimmer und fange mit der Durchsuchung an. Es schaut ganz danach aus, als hätte der Wachtmeister etwas recht Interessantes aufgespürt. Das wird sicher nicht allzu lange dauern.«
»Was gibt es Wichtiges mitzuteilen, dass Sie eigens hier auf mich warten?«, wendet sie sich an Fritz Bauerstolz.
»Ich habe den Angelkahn gefunden, von dessen Festmachleine das Tatwerkzeug abgeschnitten wurde und mit dem der Täter zu einem späteren Zeitpunkt das Opfer erwürgte.«
»Woran haben Sie denn einen Zusammenhang zwischen den Seilen erkannt?«
»Bei den Wassersportlern sagt man nicht Seil, sondern es heißt Leine.«
Veronika Sommercamp kann ein verhaltenes Lächeln über den belehrenden Ton von Fritz Bauerstolz nicht verbergen und entgegnet: »Ist schon in Ordnung. Gegenwärtig steht mir keineswegs der Sinn danach, in den speziellen Sprachgebrauch von Freizeitkapitänen eingewiesen zu werden. Kommen Sie bitte recht schnell zum Wesentlichen Ihres Anliegens und fassen Ihre Erklärung in aller Kürze zusammen. Ich habe nicht viel Zeit.«
»Von mir wurden alle festgemachten Boote sorgfältig unter die Lupe genommen. Es war nicht schwierig, die frische Schnittstelle zu erkennen. Demgegenüber hatte ich bereits weitaus kniffligere Probleme zu lösen.«
Bei diesen Erklärungen zeigt er ihr eine Plastiktüte. Darin befindet sich ein zirka fünfzig Zentimeter langes Seilende. Unbeirrt des Hinweises der Hauptkommissarin, sich möglichst kurz zu fassen, setzt Fritz Bauerstolz seine Ausführungen fort: »Die Schnittflächen werden von den Mitarbeiter im Kriminaltechnischen Institut mit dem Tatwerkzeug verglichen. Sollten die beiden Enden der Leinen zueinander passen, dann wissen wir, wie und wo sich der Mörder das Seilende besorgte.«
»Toll gemacht! Sollten die Schnittstellen beider Seile übereinstimmen, dann werden sich die Kollegen von der Spurensicherung den Anlegesteg nochmals sorgfältig anschauen. Möglicherweise hat der Täter nicht die erforderliche Vorsicht walten lassen und uns damit unfreiwillig ein Indiz in die Hände gespielt. Es kann sich tatsächlich um einen bedeutenden Hinweis handeln.«
Wachtmeister Fritz Bauerstolz freut sich über das Lob von der Hauptkommissarin und ergänzt seine Ausführungen: »Die Adresse des Besitzers des Bootes fand ich bereits. Es wird alles in meinem Bericht stehen. Jetzt will ich Sie mit dieser Sache nicht länger damit aufhalten.«
Kurze Zeit später betritt Veronika Sommercamp das Hotelzimmer des Ehepaares Morgenroth. An der Mimik und Gestik ihres Kollegen erkennt sie, dass die Durchsuchung bisher ohne ein greifbares Ergebnis verlief. Jens Knobloch schaut die Hauptkommissarin an und zuckt ein klein wenig hilflos mit den Schultern.
»Ich habe den Eindruck, dass du nicht fündig geworden bist«, stellt Veronika Sommercamp mit einem kurzen Blick auf ihren Kollegen fest. Noch immer sichtlich verärgert fragt Alida Morgenroth: »Was suchen Sie eigentlich? Dass Sie hier nichts finden werden, habe ich bereits dem Kommissar vor der Durchsuchung mitgeteilt. Es besteht absolut kein Grund, in unserem Reisegepäck herumzuschnüffeln. Wie von mir mehrfach geäußert, frage ich Sie nochmals: Was wollen Sie von uns? Einer Beantwortung meiner Fragestellung sind Sie aus mir unerklärlichen Gründen bisher ausgewichen.«
Veronika Sommercamp schaut sie mit einem leichten Lächeln im Gesicht an und bemerkt leise: »Nichts. Für Sie hat es sich vorerst hier in Akazienaue erledigt. Wir benötigen lediglich noch ihre Telefonnummer. Ansonsten steht aus unserer Sicht einer Abreise nichts im Weg.«
Jens Knobloch fügt hinzu: »Bitte verlassen Sie in den nächsten Tagen nicht Ihren Wohnort. Wenn die Ermittlungen abgeschlossen sind, erhalten sie von uns Bescheid.«
Im Gehen begriffen schaut sich die Hauptkommissarin nochmals um und äußert: »Sie fragen, wonach wir bei Ihnen suchten. Im Moment kann ich darauf keine Antwort geben. Wir stehen erst am Anfang der Ermittlungsarbeit. Zu einem späteren Zeitpunkt werden Sie es auf alle Fälle erfahren. Das verspreche ich Ihnen.«
Wieder im Salon zurück zeigt die Hauptkommissarin Jens Knobloch das Stück Seil, welches ihr Wachtmeister Fritz Bauerstolz übergab. Er nimmt die Plastiktüte in die Hand und schaut sich interessiert die Schnittstelle an.
»Das war eine verdammt scharfe Klinge. Das Tatwerkzeug wurde mit einem Schnitt abgetrennt.«
»Ich habe es mir ebenfalls sorgfältig angesehen. Das kann selbst eine Frau ohne übermäßige Kraftanstrengung bewerkstelligen«, kommentiert Veronika Sommercamp seine Bemerkung.
Es klopft nahezu zaghaft an die Tür. Falko Rosenkranz steckt schüchtern den Kopf durch den Türspalt und bittet höflich, eintreten zu dürfen.
»Kommen Sie ruhig näher. Welche interessanten Neuigkeiten veranlassen Sie, uns aufzusuchen?«, äußert Jens Knobloch.
Sichtlich verlegen antwortet er: »Meine Frau beauftragt mich, Sie zu fragen, ob wir nicht die Nächsten sein könnten, die vernommen werden. Vor uns liegt ein weiter Weg der Rückreise nach München. Die Damaschkes wohnen hier gleich um die Ecke in Berlin. Freya ist damit einverstanden. Die beiden Schwestern haben sich vorab dazu verständigt.«
Die Kommissare schauen sich an und Veronika senkt als Zeichen des Einverständnisses kurz ihre Augenlider.
»Unter der Voraussetzung, dass Malte Baader mit der Änderung einverstanden ist, entsprechen wir Ihrem Wunsch. Er sollte entsprechend unserer Festlegung als nächster hier erscheinen. Ihm steht ebenfalls eine ähnlich weite Strecke bis nach Baden-Baden bevor«, sagt Jens Knobloch.
»Für Malte ist es belanglos, wann mit ihm das Gespräch geführt wird. Er hat die Absicht, erst morgen zurückzufahren. Ich frage ihn trotzdem, damit es keinen Ärger gibt.«
Falko Rosenkranz verlässt den Raum. Veronika Sommercamp schaut ihren Kollegen an und bemerkt spöttisch: »In den Familien scheint das absolute Matriarchat zu herrschen. Da haben die Frauen das Sagen. Ich kann mich des Eindruckes nicht erwehren, dass deren Männer alles ausführen, was ihnen aufgetragen wird.«
»Spielst du mit deiner Bemerkung darauf an, dass sie ohne zu zögern auch einen Mord begehen?«
»Sicher! Genau daraufhin zielt meine Feststellung«, antwortet Veronika Sommercamp.
»Möglicherweise vererbte Friedbert Voß den Töchtern die entsprechenden Gene für ihr heutiges Verhalten. Wenn er ein erfolgreicher Geschäftsmann war, liegen derartige Vermutungen förmlich auf der Hand«, sinniert Jens Knobloch.
Bevor die Kommissare ihre Gedanken weiter austauschen können, öffnet sich die Tür und Dagmar Rosenkranz betritt an der Seite ihres Mannes den Raum. Das schlichte schwarze Kostüm bildet einen eindrucksvollen Kontrast zu den schulterlangen blonden Haaren. Ihr Erscheinen erinnert dezent an die am gestrigen Tag stattgefundene Beerdigung. Jens Knobloch überlegt: Verdammt gutaussehende Töchter hatte Friedbert Voß durchaus. Doch weiter kann er diesem Gedanken nicht nachhängen. Seine Vorgesetzte beginnt augenblicklich mit der Befragung.
»Ihre Schwester wurde gestern zwischen Mitternacht und zwei Uhr getötet. Uns interessiert, wo Sie sich beide in den genannten zwei Stunden aufhielten?«
Statt eine einfache Antwort auf die Frage zu geben, sagt Dagmar Rosenkranz: »Das mit Saskia ist furchtbar. Es hat mich zutiefst getroffen. Ausschließlich ihr ist es zu verdanken, dass nach dem Tod unserer Mutter die Familie nicht vollends auseinanderfiel.«
»Sind Sie nicht ein wenig neidisch, dass ihre Schwester im Testament derart bevorzugt wurde? Sie erhält immerhin das Vierfache von dem, was Ihnen zusteht.«
»Oh nein, mit Ihren Gedanken befinden sie sich völlig auf dem Holzweg. Ich gönne es ihr. Sie ist doch die einzige gewesen, die sich um unseren Vater kümmerte. Abgesehen davon betreibe ich in München ein Reisebüro. Die Erlöse gestatten uns ein finanziell gesichertes Leben.«
Falko Rosenkranz ergänzt die Ausführungen seiner Frau: »Eine halbe Million Euro sind eine Menge Geld. Endlich sind wir in der Lage, uns ein Auto der Oberklasse zu leisten. Ein solches zu besitzen war bisher lediglich ein unerfüllter Wunschtraum. Jetzt wird er Wirklichkeit.«
Der strafende Blick seiner Ehefrau bringt ihn umgehend zum Schweigen. Schuldbewusst senkt er den Kopf. Dagmar Rosenkranz nimmt die durch die Bemerkung ihres Ehemannes unterbrochenen Ausführungen sofort wieder auf und sagt merklich verbittert: »Ich bin noch immer zutiefst empört, dass Solveig Lilienthal die Villa erhält. So eine Dahergelaufene. Sie hat es von Anfang an nur auf das Geld unseres Vaters abgesehen. Die sogenannte Lebensgefährtin sollten Sie sich einmal genauestens anschauen. Vielleicht reicht ihr der Besitz des Hauses und der Motoryacht nicht aus und sie trachtet auch nach dem Geld.«
»Das ist wirklich zu weit herbeigeholt. Solveig Lilienthal ist die Person, die als Einzige nicht vom Tod von Saskia Jungblut profitiert«, versucht Veronika Sommercamp, den Redefluss zu stoppen.
»Ist ja gut. Ich wollte Ihnen nur meine Meinung zu dieser Person sagen. Mir ist natürlich bewusst, dass sich an der ganzen Angelegenheit nichts mehr ändern lässt.«
Bevor sich Dagmar Rosenkranz erneut zu Solveig Lilienthal äußert, ergreift die Hauptkommissarin rasch das Wort und sagt: »Dann kommen wir auf meine anfangs gestellte Frage zurück. Wo waren Sie, als das abscheuliche Verbrechen verübt wurde?«
»Im Hotelzimmer. Wenn Sie es wissen wollen, erzähle ich Ihnen auch, was ich dort getan habe. Mein Ehemann hatte einige Cognacs zu viel getrunken. So blieb mir nichts anderes übrig, ihn wie ein kleines Kind zu Bett zu bringen. Was soll ich darüber überhaupt noch erzählen? Ihnen ist sicher längst bekannt, was die Herren bis Mitternacht in der Hotelbar trieben.«
»Dementsprechend kann außer ihrem Ehemann keine weitere Person den Aufenthalt im Hotelzimmer bezeugen.«
»Doch, doch, ich telefonierte eine halbe Stunde nach Mitternacht mit meiner Schwester Freya.«
»Das ist eine recht ungewöhnliche Zeit. Um welche bedeutungsvolle Sache handelte es sich, um zu dieser recht späten Stunde miteinander zu sprechen?«
»Nichts Besonderes. Ich wollte nur wissen, ob ihr Mann ebenfalls sternhagelvoll aus der Bar nach oben gekommen ist.«
»Sie hat es Ihnen bestätigt?«
»Wir tauschten uns vordergründig über Solveig Lilienthal aus und nicht zu der Bagatelle, dass unsere Ehemänner zu viel getrunken hatten. Meine Schwester war richtig wütend, dass diese Person die Hälfte von dem Vermögen unseres Vaters erhält. Dazu habe ich keine andere Meinung. Es ist eine zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit, dass Solveig Lilienthal derart umfangreich im Testament bedacht wird. Schließlich waren es nur zwei Jahre, dass sie mit unserem Vater zusammen lebte. Zu der ganzen Angelegenheit gab es zwischen uns beiden keinerlei unterschiedliche Auffassung.«
Nach der üblichen Belehrung, sich in ihrem Heimatort zur Verfügung zu halten, wird das Ehepaar von den Kommissaren verabschiedet. Auch sie erhalten die Erlaubnis, Akazienaue mit sofortiger Wirkung zu verlassen.
»Dann bleiben von den Familienangehörigen Malte Baader und das Ehepaar Damaschke aus Berlin übrig. Wir sollten uns zunächst den Letztgenannten widmen. Malte Baader verbleibt im Hotel und verlässt Akazienaue erst morgen im Laufe des Tages. Dementsprechend steht er unter keinerlei Zeitdruck. Ihm wird es gleichgültig sein, wann das Gespräch geführt wird. Ich gebe Bescheid, dass jetzt die Damaschkes hereinkommen sollen und hoffe auf dein Einverständnis«, äußert Jens Knobloch.
Freya und Norbert Damaschke betreten in Begleitung des Kommissars den Raum. Sie ist, ähnlich wie ihre Schwester Dagmar, in Schwarz gekleidet. Der maßgeschneiderte Hosenanzug strahlt eine schlichte Eleganz aus. Ihr Ehemann Norbert ist ebenfalls im schwarzen Anzug erschienen. Mit ernster Miene setzen sie sich an den Tisch. Die vom Weinen geröteten Augen verraten, dass Freya der Tod ihrer Schwester ziemlich schmerzlich berührt. Veronika Sommercamp überlegt kurz: So sieht eine kaltblütige Mörderin nicht aus. Doch ist Vorsicht geboten. Es besteht die Möglichkeit, dass uns nur etwas vorspielt wird. Dazu habe ich in meiner Laufbahn als Kriminalkommissarin zu viele unliebsame Überraschungen erlebt. Ohne weitere Umschweife sagt die Hauptkommissarin: »Wir können die Zeit, in welcher Ihre Schwester Opfer eines Gewaltverbrechens wurde, ziemlich genau eingrenzen. Deshalb interessiert uns, wo Sie sich in der vergangenen Nacht zwischen zwölf und zwei Uhr aufhielten.«
»Wie alle anderen war ich ebenfalls im Hotelzimmer. Um Ihrer nächsten Frage zuvorzukommen, füge ich hinzu, dass es außer meinem Ehemann niemand bezeugen kann. Saskia ist meine Zwillingsschwester. Ihr Tod bewegt mich zutiefst. Im Gegensatz zu den anderen Geschwistern, besaßen wir ein inniges Verhältnis. Das könnte daran liegen, dass wir gleichaltrig aufwuchsen.«
»Fiel Ihnen in der Nacht irgendetwas auf? Zum Beispiel, ob eine Person das Haus verließ und zu später Stunde das Hotel wieder betrat?«
»Nein, auf keinen Fall. Außer, dass ich mit meiner Schwester Dagmar telefonierte, geschah nichts Erwähnenswertes. Unser Zimmer wurde auf Ihre Anweisung hin durchsucht. Ich gehe davon aus, dass die Aktion ohne Ergebnis verlief. Ansonsten hätten Sie es uns mitgeteilt. Nebenbei bemerkt kann ich mir nicht vorstellen, was Sie zu finden hofften.«
»Die Bemerkung finde ich überflüssig. Durch ihre Schwestern haben Sie sicher vernommen, dass wir Ihnen darauf keine Antwort geben«, sagt Jens Knobloch.
»Das ist richtig. Natürlich haben wir uns kurz ausgetauscht, um was es sich bei der Vernehmung handelt und welche Fragen Sie stellen. Ich habe mich danach erkundigt, weil sich nur noch Malte Baader im Hotel aufhält. Dass es zwischen ihm und uns zu keiner Verständigung kommt, dafür werden Sie mit Sicherheit sorgen. Dementsprechend gibt es nicht den geringsten Grund, mir keine Erklärung für ihr polizeiliches Vorgehen vorzuenthalten.«
Anstatt auf den recht deutlichen Vorwurf näher einzugehen, erfolgt eine Belehrung über die Verhaltensregeln bis zur Aufklärung des Verbrechens. Dann können auch Freya und Norbert Damaschke die Heimreise antreten.
Die Kommissare schauen sich nachdenklich an. Jens Knobloch bricht als erster das kurze Schweigen und bemerkt: »Wenn nicht ein Wunder geschieht und Malte Baader uns etwas gänzlich Neues liefert, weiß ich nicht, wie wir nach dem bisher Gehörten den Fall lösen. Entweder bot eine von den drei Schwestern eine brillante schauspielerische Leistung oder sie haben tatsächlich nichts mit dem Mord zu tun.«
»Bevor wir uns darüber den Kopf zerbrechen, hören wir uns klugerweise den Sohn von Friedbert Voß an. Eventuell liefert er uns den entscheidenden Hinweis.«
Malte Baader kommt mit einem Lächeln in den Raum und setzt sich an den Vernehmungstisch. Lässig schlägt er die Beine übereinander und lehnt sich entspannt zurück. Die merklich verwunderten Blicke der Kommissare werden von ihm mit der Bemerkung kommentiert: »Warum soll ich Ihnen den trauernden Bruder vorspielen. Meinen vier Halbschwestern bin ich seit jeher ein Dorn im Auge. Wenn nicht Friedbert darauf gedrungen hätte, wäre ich bei keiner Familienfeier dabei gewesen. Von mir aus pflegte ich die Verbindung zu ihnen nicht. Das beruhte selbstverständlich auf Gegenseitigkeit.«
Bereits beim Betreten des Raumes mustert ihn Veronika Sommercamp unauffällig. Die kurzen, leicht gewellten schwarzen Haare sowie der dunkle Teint bewirken ein recht interessantes und attraktives Erscheinungsbild. Banal würde man von einem idealen Schwiegermuttertyp sprechen. Auch scheint er sich seiner Wirkung auf Frauen bewusst zu sein. Ohne den geringsten Anflug von Verlegenheit schaut er der Kommissarin herausfordernd in die Augen. Genau so, als wolle er damit zum Ausdruck bringen wollen: Hallo, du bist wohl ziemlich beeindruckt von meiner Erscheinung! Sein Benehmen hat gleichzeitig etwas Theatralisches an sich. Das Lächeln wirkt aufgesetzt und Veronika Sommercamp glaubt, bei ihm eine gespannte Erwartungshaltung zu spüren, die er geschickt zu verbergen versucht. All ihre Überlegungen zu den Äußerlichkeiten laufen in sekundenschnelle ab. Augenblicklich löst sie sich davon und beginnt mit der Vernehmung.
»Nachdem Sie derart offenherzig ihre Beziehungen zu den Töchtern von Friedbert Voß offengelegt haben, ist meine erste Frage beantwortet, bevor ich sie überhaupt gestellt habe. Etwas mehr Pietät beim Tod eines Familienangehörigen wäre trotzdem angebracht.«
Wie ein vom Lehrer zurechtgewiesener Schuljunge verändert Malte Baader die großspurige Sitzhaltung und legt die arrogante Pose ab.
Wumm! Das hat gesessen, überlegt Jens Knobloch. Ihn beeindruckt, wie es seine Vorgesetzte schafft, mit wenigen Worten und dem entsprechenden Tonfall darauf hinzuweisen, wer bei der Vernehmung die Chefrolle innehat.
Veronika Sommercamp registriert mit Genugtuung die Wirkung ihrer Worte auf Malte Baader und führt das Gespräch fort. »Wir hörten, dass Sie häufiger hier in Akazienaue zu Besuch waren.«
Die Hauptkommissarin bemerkt bei ihm ein unscheinbares Zusammenzucken. Jedoch antwortet er ohne zu zögern: »Ihre Bemerkung halte ich für leicht übertrieben. Es ist genau zweimal gewesen, dass ich meinen Vater besuchte. Das war zu seinem fünfundsiebzigsten Geburtstag. Zuvor waren wir lediglich an einem Wochenende hier.«
»Was heißt ‚wir’. Sie waren demnach nicht allein gekommen.«
»Selbstverständlich nicht. Ausschließlich wegen Gesa fuhr ich hierher. Woher wissen Sie überhaupt von dem Besuch. Davon besitzt nur Solveig Lilienthal Kenntnis. Sie sah ich bisher nicht im Hotel.«
Spöttisch wirft Jens Knobloch ein: »Ich wollte mir einen Überblick zu den Vermögensverhältnissen Ihres Vaters verschaffen. In der Villa war zufällig die Haushälterin anwesend. Mit ihr habe ich mich längere Zeit unterhalten. War übrigens durchaus aufschlussreich, was sie mir berichtete. Bei dem Aufenthalt im Haus von ihrem Vater soll es immer erstaunlich gesellig zugegangen sein.«
Erstmals scheint Malte Baader etwas verunsichert zu sein. Schnell hat er sich wieder im Griff und bemerkt: »Hm, ja, wissen Sie, als Generalvertreter einer Versicherungsgesellschaft habe ich ein gutes Auskommen. Aber für Champagner reicht das Geld selbstverständlich nicht. Den gab es bei meinem Vater stets gratis. Solch eine Gelegenheit muss man doch nutzen. Die Anzahl der Flaschen im Weinkeller von Friedbert Voß hätten manchen Weinhändler geradezu in Verzücken gesetzt. Es waren keineswegs die allerbilligsten Sorten, die er anbot. So war es bereits, als er noch nicht in der Villa in Akazienaue lebte.«
»Enttäuschte Sie der Inhalt des Testaments? Wenn man die Aufteilung des Vermögens sachlich betrachtet, dann erben Sie schließlich nur einen Bruchteil davon«, fragt Veronika Sommercamp weiter.
»Für mich bedeutet sein letzter Wille eine ganze Menge. Mit dem Geld ist es möglich, mir sämtliche Wünsche zu erfüllen. Die Hälfte davon erhält meine Mutter. Ich denke, dass ich damit auch im Sinne von Friedbert handle. Ohne sie hätte er mich im Testament sicher nicht bedacht. Ihr habe ich es schließlich zu verdanken, dass ich von seinem Reichtum etwas abbekomme.«
»Noch eine letzte Frage: Haben Sie das Haus nach Beendigung der Männerrunde in der Hotelbar nochmals verlassen?«
»Ich glaube, dazu war weder ich noch einer der Beteiligten in der Lage. Wir haben uns gemeinsam über den Geldsegen gefreut. Da keiner der Anwesenden bevorzugt wurde, begossen wir die ganze Sache reichlich mit Alkohol. Ich hoffe, dass eine solche Männerrund nicht gegen geltendes Recht verstößt.«
»Ging es bei den Gesprächen in der Hotelbar auch um den Erbanteil von Solveig Lilienthal? Bei Ihren Halbschwestern stand dieses Thema nach Kenntnis des Testamentes im Mittelpunkt der Unterhaltung«, fragt Jens Knobloch.
»Na ja, eigentlich nicht.«
»Was heißt ‚eigentlich’? Tauschten Sie sich dazu ihre Meinungen aus oder spielte die Lebensgefährtin keine Rolle?«, fordert Veronika Sommercamp ihn auf, etwas präziser auf die Frage zu antworten.
»Es war Tassilo Morgenroth, der nach den ersten Gläsern Cognac dieses Thema ansprach. Seine abfälligen Äußerungen über Solveig Lilienthal bezogen sich hauptsächlich auf den Altersunterschied zwischen ihr und Friedbert Voß. Zudem beklagte er lautstark, dass sie in dem Testament zu reichlich bedacht wurde. Ich erinnere mich genau, dass er die Worte ‚die zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit muss geahndet werden’ verwendete. Es interessiert sich jedoch außer mir keiner so richtig dafür. Ich war übrigens der Einzige, der ihn in seiner Meinung bestärkte. Alle Anderen waren wegen des unerwarteten Geldsegens überglücklich und schmiedeten eifrig Pläne, was man mit dem Geld anfangen könne.«
»Belassen wir es einmal bei den Ausführungen über Solveig Lilienthal. Schließlich ist sie am Leben. Vielmehr interessieren mich Äußerungen zum Erbschaftsanteil von Saskia Jungblut. Tauschten Sie sich darüber ebenfalls die Meinungen aus? Aus der Sicht der Ehemänner muss die ungleiche Verteilung der Erbschaft ebenfalls auf Empörung gestoßen sein«, fragt Veronika Sommercamp.
»Nein, ganz und gar nicht. Saskia war es doch, die unseren Vater mehrmals besuchte und auch anwesend war, wenn bei ihm gesundheitliche Probleme auftraten. Die Entscheidung Friedberts wurde von allen vorbehaltlos akzeptiert.«
»Eine letzte Frage. Wem trauen Sie denn am ehesten eine solche Tat zu? Ihre Antwort behandeln wir selbstverständlich vertraulich. Sie können ganz offen mit uns sprechen«, sagt Veronika Sommercamp.
Nach einer kurzen Überlegungspause äußert Malte Baader: »Es muss ein Außenstehender gewesen sein. Wenn die Tat mit einem Strick verübt wurde, kann es sich nur um eine kräftige männliche Person handeln. Alle im Hotel anwesenden Männer waren zum Zeitpunkt der Tat auf Grund des bereits geschilderten reichlichen Alkoholgenusses dazu nicht in der Lage.«
Bei diesen Worten werden die Kommissare hellwach. Bisher haben sie in keiner der Vernehmungen erwähnt, wie Saskia Jungblut ermordet wurde. Die Kenntnis darüber könnte ein interessanter Hinweis sein, überlegt Veronika Sommercamp blitzschnell. Stellte sich Malte Baader mit der Erwähnung des Tatwerkzeuges selbst eine Falle?
»Oh! Ihre Bemerkung halt ich für recht erstaunlich. Woher wissen Sie, wie Saskia Jungblut ums Leben kam? Bisher haben wir die Tatausführung mit keiner Silbe erwähnt.«
Mit einem selbstgefälligen Lächeln im Gesicht erklärt er: »Das erzählt der Hotelbesitzer doch jedem. Ihm ist gleichgültig, ob es einer hören will oder nicht. Ich glaube, er möchte sich mit dieser Information brüsten, welch gutes Verhältnis er zu den Kriminalkommissaren besitzt. Jedenfalls lässt er keine Gelegenheit aus, um sich als enger Vertrauter der Hauptkommissarin aufzuspielen.«
Nachdem auch dieser letzte kleine Hoffnungsschimmer für eine schnelle Aufklärung des Verbrechens verblasst, erklärt Veronika Sommercamp die Vernehmung für beendet. Malte Baader verlässt den Raum. Die Kommissare schauen sich für einen Moment schweigend an. Dann sagt Jens Knobloch sichtlich zerknirscht: »Verdammt, wir haben uns nicht einen Millimeter weiterbewegt. Obwohl wir das Tatwerkzeug sichergestellt haben und jede der von uns vernommenen Personen ein echtes Motiv besitzt, tappen wir im Augenblick komplett im Dunklen.«
»Im Grunde genommen gebe ich dir recht. Warten wir die nochmalige Untersuchung aller Anlegestege ab. Darauf beruht meine ganze Zuversicht. Oder glaubst du etwa an das perfekte Verbrechen?«
»Nein, so wollte ich mich nicht verstanden wissen. Trotzdem befriedigt das Ergebnis der Vernehmung nicht. Die Männer können wir bei unseren Überlegungen tatsächlich vernachlässigen. Aber auch bei den vier Frauen, Solveig Lilienthal mit eingeschlossen, finde ich keinen Anhaltspunkt, um sie mit dem Mord in Verbindung zu bringen. Weder in dem von ihnen Gesagten noch in der Mimik und Gestik bei den Fragestellungen gab es den geringsten Hinweis hinsichtlich einer Täterschaft«, äußert Jens Knobloch.
»Eine recht befremdliche Bemerkung interessiert mich brennend. Woher besitzt Armin Wenzel Kenntnis über das Tatwerkzeug? Wir erwähnten es bisher in keinem der von uns geführten Gespräche«, sagt Veronika Sommercamp.
Jens Knobloch überlegt und sagt: »Ich werde ihn bei passender Gelegenheit danach fragen. Ob es uns der Lösung näher bringt, wage ich zu bezweifeln. Armin Wenzel der Tat zu verdächtigen ist nach meiner Auffassung abwegig.«
»In dem Fall hast du mich falsch verstanden. Ich wollte ihn damit keinesfalls der Tat bezichtigen. Derjenige, der ihm diese Information gab, könnte jedoch interessant für uns sein«, bemerkt Veronika Sommercamp.
»Dann werde ich keine Zeit verlieren und ihn umgehend befragen«, äußert Jens Knobloch.
Die Auffassung der Kommissare, Armin Wenzel nicht in den Kreis der Tatverdächtigen einzubeziehen, bestätigt sich wenig später. Auf die Frage des Kommissars, woher er Kenntnis über das Tatwerkzeuges erhalten habe, antwortet Armin Wenzel ein wenig verlegen: »Ich war unfreiwillig Zeuge des Gesprächs, welches die Hauptkommissarin mit dem Wachtmeister Fritz Bauerstolz führte. Deshalb ist mir bekannt, wie Saskia Jungblut getötet wurde. Woher sollte ich wissen, dass es sich dabei um eine geheim zuhaltende Information handelt? Hoffentlich ist mir damit keine Indiskretion unterlaufen.«
Jens Knobloch besänftigt den sichtlich beunruhigten Gaststättenbesitzer und bestätigt, dass er daraus keine Konsequenzen zu befürchten habe. Ohne näher darauf einzugehen, fragt der Kommissar: »Ich hätte gerne eine weitere Auskunft von Ihnen. Ist es möglich, dass ein Gast in der Nacht unbemerkt das Hotel verlässt?«
»Selbstverständlich. Nachts ist die Rezeption nicht besetzt. Wozu auch? Das Haus ist verschlossen und die Zimmerschlüssel meiner Gäste passen an der Eingangstür. Zudem befinden sich die Gästezimmer auf der vom Eingang abgewandten Seite des Hotels. Gewissermaßen mit Ausblick auf den Akaziensee. Dadurch bemerkt keiner, ob jemand aus dem Haus geht. Gleiches trifft natürlich auch auf das Betreten des Hotels zu.«
»Auch dieser Umstand erleichtert keineswegs unsere Ermittlungsarbeit«, äußert Jens Knobloch.
»Wenn ich bloß wüsste, was Saskia Jungblut bewegte, das Hotel gegen Mitternacht zu verlassen. Mein Wunsch ist es, Sie bei der Aufklärung des Verbrechens zu unterstützen. Aber diesmal werde ich wohl keine wirkliche Hilfe sein.«
Veronika Sommercamp hatte ebenfalls den Salon verlassen und hört den letzten Satz von Armin Wenzel.
»Vielleicht irren Sie sich«, schaltet sich die Hauptkommissarin in das Gespräch ein, »wir fanden bei Saskia Jungblut kein Handy. Wenn sie von jemandem außerhalb des Hauses angerufen wurde, dann ist es nach meiner Auffassung nur über das Zimmertelefon geschehen. Bei Ihrer akkuraten Buchführung gehe ich davon aus, dass Sie einen umfassenden Nachweis über die geführten Telefongespräche besitzen.«
»Aber natürlich. Die Gäste haben schließlich für die Nutzung des Telefons Gebühren zu zahlen. Die Dauer der Gespräche wird aufgezeichnet und dient als Beleg für die Abrechnung. Diese Listen sind bares Geld für mich und werden von mir wie ein Augapfel gehütet.«
»Uns interessieren vor allem die erhaltenen Anrufe. Gibt es dafür einen Nachweis?«, will Jens Knobloch wissen.
»Diese werden auf jeden Fall ebenfalls aufgezeichnet. Die Gesprächsnachweise enthalten auch die eingehenden Anrufe. Das geschieht automatisch. Selbstverständlich entstehen meinen Gästen dadurch keine Kosten. Wir können ohne größeren Aufwand Einblick in die Listen nehmen.«
Das Verzeichnis ist überschaubar. In der in Frage kommenden Zeit wurde kein Gespräch über die Telefonanlage des Hotels geführt. Jens Knobloch schaut nachdenklich seine Vorgesetzte an und sagt: »Die Gesprächsnachweise sind nicht vollständig. Es fehlt in der Aufstellung das Telefonat, welches Freya Damaschke mit Alida Morgenroth um Mitternacht führte.«
Armin Wenzel hört aufmerksam zu und sagt: »Beide Frauen sprachen über die Hausanlage miteinander. Dabei entstehen keinerlei Gebühren. Die Gespräche innerhalb des Hauses erscheinen deshalb nicht auf der Liste.«
Am Empfangstresen stehen die Ehepaare aus München, Hameln und Berlin und warten darauf, ihre Hotelrechnung zu begleichen. Ungeduldig ruft Alida Morgenroth: »Können wir endlich bezahlen oder bekommen wir die Rechnung per Post zugestellt?«
»Nein, nein, ich komme sofort«, ruft Armin Wenzel eilfertig und entfernt sich von den Kommissaren.
Veronika Sommercamp und Jens Knobloch wünschen den am Tresen Stehenden eine gute Heimreise und verlassen das Hotel. Auf dem Weg zu ihrem Dienstwagen sagt der Kommissar: »Haben wir uns soeben von einen möglichen Täter verabschiedet oder war es durch einen wundersamen Zufall doch ein Außenstehender? Nach dem derzeitigen Stand der Ermittlung wird uns die Beantwortung der Frage sicher noch einige Zeit beschäftigen.«