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4. Südchinesisches Meer
ОглавлениеSüdchinesisches Meer, 7°26´294"N 104°05`16"E, 08.03.2014, 01:24 Ortszeit
»Ganz ruhig bleiben alter Junge, gaaanz ruhig .... jetzt bloß keine Fehler .....«
Flugkapitän Faizal wischte sich mit der Rechten zwei Schweißtropfen von der Stirn und trocknete die Handfläche am Oberschenkel seiner grauen Uniformhose.
Ein kurzer Blick aus dem Cockpitfenster der Boing 777 lies ihn den nachtschwarzen Himmel über dem südchinesischen Meer erahnen.
Ein zweiter Routineblick zeigte ihm, dass die Angabe des Höhenmessers in seiner Instrumententafel immer noch exakt mit der im Autopiloten einprogrammierten Höhe übereinstimmte.
Reiseflughöhe 35.000 Fuß, alles im Plan.
Für zwei Sekunden schloss er die Augen, um seine Gedanken zu sammeln.
»Ganz ruhig alter Junge und keine Fehler ......«.
Er sprach laut und warf einen weiteren kurzen Kontrollblick nach rechts auf den Sitz neben sich.
Aber sein Misstrauen war unbegründet. Der erste Offizier und Copilot Farruk Habbib hing zusammengesunken in seinen Schultergurten und zeigte keinerlei Regung. Und wenn man den Herstellern des Betäubungsgases vertrauen konnte, würde das auch noch mindestens acht Stunden so bleiben.
22 Minuten vorher, kurz nach dem Umspringen des Höhenmessers auf 35.000 Fuß hatte der Kapitän das Erreichen der Reiseflughöhe wie üblich an den Tower in Kuala Lumpur gemeldet.
Dem Startpunkt seiner wahrscheinlich letzten Dienstreise.
Dort hatte er um 0:42 Uhr die beiden Leistungshebel der Boing 777-200-ER auf 100 % geschoben und sie damit zur Höchstleistung aufgefordert.
Und die zwei Rolls-Royce Trend 892 Triebwerke unter den Tragflächen hatten gehalten, was der Name des Herstellers versprach.
Mit sanfter Gewalt hatten sie exakt 19 Minuten gebraucht, um den Jet mit seinen 227 Passagieren, 12 Besatzungsmitgliedern und den zugetankten 49,1 Tonnen Kerosin in die vorgegebene Flughöhe von 35.000 Fuß zu wuchten.
Damit hatten sie den für sie anstrengensten Teil der Reise erledigt, der Rest war Routine.
Kurz darauf hatte Faizal dem Tower das Erreichen der Reiseflughöhe bestätigt.
Der Towerlotse hatte die Bestätigung des Kapitäns um 1:02 Uhr quittiert und sich verabschiedet.
Damit hatte auch er seinen pflichtgemäßen Beitrag zum Gelingen des Fluges geleistet.
Nach der Antwort des Towers war Kapitän Faizal noch einmal in Gedanken die folgenden Schritte durchgegangen und hatte sich mit einem Griff in die Innentasche der Uniformjacke davon überzeugt, dass seine Notizen an Ort und Stelle waren.
Er strich sich mit der Rechten über den wie immer sorgfältig rasierten Schädel, selbst erstaunt angesichts seiner inneren Ruhe.
Ein Blick auf die Borduhr sagte ihm, dass irgendwann in diesen Sekunden die nächste automatische Statusmeldung erfolgte, mit der das autarke ACARS-System des Flugzeugs alle 30 Minuten den aktuellen Flugzustand an die Bodenkontrolle weitergab.
Zur Sicherheit ließ er einige zusätzliche Augenblicke vergehen, bevor er erneut den Mikrofonknopf betätigt und die Meldung an den Tower zum zweiten Mal absetzte.
Dass er das Erreichen der Reiseflughöhe noch einmal bestätigte, war genauso unüblich wie überflüssig.
Aber jeder der den Funkspruch hörte, würde dieses unbedeutende Versehen wahrscheinlich auf die späte Nachtstunde zurückführen, in der selbst ein erfahrener Flugzeugführer wie er schon mal etwas unkonzentriert sein konnte.
Kein Grund zur Aufregung.
Kurz spürte er den überraschten Blick eines Copiloten, der sicher ähnlich dachte.
Nur wenige kannten den Sinn des vereinbarten zweiten Funkspruchs.
Aber für Flugkapitän Faizal war er sein ganz persönlicher »Point-of-no-return« auf den er die letzten Monate hingearbeitet hatte.
Sein Startschuss für eine Aktion mit der er sicher war in die Geschichtsbücher der modernen Luftfahrt einzugehen.
Und die nächsten Stunden mussten darüber entscheiden, ob er es dort bis in die Kategorie »Strahlender Held« oder nur in die Abteilung »Tragischer Verlierer« schaffen würde.
Denn er war der Einzige an Bord, der wusste, dass einige Kilometer unter ihnen, irgendwo in der Weite des südchinesischen Meeres, mindestens ein dritter Zuhörer auf die Wiederholung dieses Funkspruchs gewartet hatte.
Und dass der nächste Schritt jetzt nicht mehr in seiner Hand lag.
Mit geschlossenen Augen registrierte er die erneute Bestätigung des Lotsen und erwiderte dessen routinierten Abschiedsgruß.
Er lehnte sich zurück und versuchte vergeblich, sich zu entspannen.
Das grellrot blinkende Master-Caution-Light in der Mitte der Cockpitanzeigen und das dazugehörige und nervtötende akustische Alarmsignal riss ihn Sekunden später aus oberflächlicher Ruhe.
Ein kurzer Blick auf die Instrumententafel signalisierte ihm und seinem ersten Offizier den Abfall des Kabinendrucks und der entsprechenden Sauerstoffversorgung.
Faizal schaute nach recht hinüber zum Platz neben sich und versuchte, dabei betont unaufgeregt zu wirken.
Ihm war klar, dass dies der erste offizielle Flug seines 27-jährigen Kollegen war, in dem er ohne Ausbilder als verantwortlicher Copilot fungierte.
Und dass er jede Anweisung des erfahrenen Kapitäns neben sich fraglos befolgen würde.
»Sauerstoffmaske.«
Faizal selbst griff ebenfalls nach der Maske an der Außenseite des Sitzes und beobachtete dabei das routinierte Aufsetzen und Befestigen der Notversorgung durch seinen Copiloten.
Auffordernd hob er die Rechte und suchte den Blickkontakt zu ihm.
First Officer Farruk Habbib erwiderte seinen Blick und hob fragend die Augenbrauen. Für einen Moment sah es so aus, als versuchte er, eine Frage zu formulieren und den Mund zu öffnen um sie zu stellen.
Aber schon der zweite Atemzug, den er mit Hilfe der Sauerstoffmaske tat, reduzierte die Tätigkeit seines Großhirns auf das Notwendigste und beendete diesen Versuch.
Die angehobenen Augenbrauen sanken kraftlos wieder nach unten und die umliegenden Gesichtszüge entspannten sich.
Der fragende Blick in das Gesicht seines Vorgesetzten verlor den Fokus und die Augenlider schlossen sich widerstandslos.
Kapitän Faizal löste die Sicherheitsgurte und erhob sich aus dem Pilotensitz.
Er widerstand der Versuchung den Copiloten anzustoßen, um sich zu vergewissern, dass dessen Bewusstlosigkeit wirklich tief genug war.
Die nächsten Schritte auf seiner Liste mussten schnell folgen, das war klar.
Und er erledigte sie mit einstudierter Präzision.
Mit wenigen Handgriffen zog er einige Sicherungen auf den verschiedenen Tafeln im Cockpit.
Die Notizen, die er dazu aus seiner Jackentasche geholt und entfaltet hatte, dienten ihm dabei nur zur Bestätigung.
Die Positionen der einzelnen Schalter kannte er nach vielen Übungsdurchgängen auswendig.
In wenigen Sekunden hatte er diese Aufgabe erledigt und nahm wieder seinen Sitzplatz im Cockpit ein.
Als Nächstes quittierte er das nervtötende Master-Caution-Signal.
Augenblicklich erlosch die unübersehbar rot blinkende Anzeige auf der Instrumententafel, deren Auslösung den Blutdruck jedes noch so routinierten Flugzeugführers anhob, und es herrschte wieder angenehme Ruhe im Cockpit.
Mit unaufgeregter Hand betätigte er den Schalter zur Aktivierung der Kabinendurchsage.
Seine Stimme wirkte sanft und entspannt, als er Passagiere und Kabinencrew aufforderte, die Ruhe zu bewahren und die Sauerstoffmasken zu benutzen, die aus den entsprechenden Fächern in der Kabinendecke gefallen waren.
Wenn er den Aussagen seiner neuen Freunde vertrauen konnte, gab es auf der anderen Seite der gepanzerten Cockpittür zwar schon niemanden mehr der diese Durchsage hören würde, aber er erledigte sie trotzdem.
Zur eigenen Beruhigung und weil dies zu den Pflichten den Passagieren und seiner Crew gegenüber gehörte.
Auch wenn mit Sicherheit die wenigsten von ihnen mit seiner geplanten Flugplanänderung einverstanden gewesen wären.
Einer Änderung, die er selbst vor vier Monaten noch für unmöglich gehalten hätte.
Die ihm aber, je länger er sich damit beschäftigte, immer besser gefiel.
Fast auf den Tag genau vier Monate waren seit der ersten Begegnung mit Suzann vergangen. Und diese kurze Zeit hatte gereicht, um in seinem Leben alles in Frage zu stellen, was er bisher für unumstößlich gehalten hatte.
Er war natürlich alt genug, um zu wissen, dass Sex alleine keine ausreichende Grundlage für eine dauerhafte Beziehung war.
Aber auf der anderen Seite hatte er sich nie eine funktionierende Partnerschaft ohne befriedigenden Sex vorstellen können.
Und zu befriedigendem Sex gehörte für ihn auch, eine Partnerin zu haben, die Spaß und Lust empfand und die keine Hemmungen hatte das zu zeigen.
Sex als eheliche Pflichtübung hatte er lange genug erlebt.
Dabei hatte er oft an den Anfang seiner Ehe zurückgedacht und daran, wie es in der ersten gemeinsamen Zeit war.
In der Fase des Kennenlernens und des vorsichtigen Ausprobierens und Entdeckens.
An den anfänglichen aufregenden Spaß am Verbotenen und an zu zweit empfundene Lust und Befriedigung.
Irgendwann im Lauf der ersten Ehejahre hatten sie den Spaß und die gemeinsame Lust aus den Augen verloren. Und für ihn war nur gelegentliche körperliche Befriedigung und für sie hauptsächlich eheliche Pflichterfüllung geblieben.
Und als dann später die Kinder da waren, kam ihnen auch das abhanden.
Die letzten Male, die er mit seiner Frau geschlafen hatte, lagen Monate auseinander. Und er war sich dabei jedes Mal vorgekommen wie ein bettelnder Hund, dem man nach langem Jaulen mal wieder einen Knochen hinwirft. In der Hoffnung, dass er für die nächste Zeit Ruhe gibt.
Irgendwann war die Erniedrigung, die er dabei empfand, in Abneigung und Wut umgeschlagen.
Und sie hatte ihm als Rechtfertigung gedient, seine Bedürfnisse an anderer Stelle zu befriedigen.
Das anfänglich schlechte Gewissen hatte sich rasch gelegt und wieder entdeckter Jagdinstinkt hatte die Oberhand gewonnen.
Allerdings war es wohl auch dieser Instinkt, der dafür sorgte, dass er nach erfolgreicher Jagd und Befriedigung seiner Bedürfnisse meist schnell das Interesse an der Beute verlor.
Und der dafür verantwortlich war, dass die Suche nach neuer Herausforderung und die Aussicht auf frische Beute reizvoller war, als der mühsame Versuch eine dauerhafte Beziehung aufzubauen.
Bei Suzann war das seit Jahren zum ersten Mal wieder anders.
Sie gab ihm das Empfinden gewollt und begehrt zu werden. Ein Gefühl, dass er lange Zeit vermisst hatte und das er genoss.
Und das sich zusammen mit lustvollem und prickelndem Sex perfekt ergänzte.
Eine Mischung, die sie in den meist wenigen Stunden, die sie gemeinsam verbrachten, zelebrierten wie ein Festmenü.
Und das in krassem Gegensatz zu den Fast Food stand, das er in den letzten Jahren erlebt hatte.
Bei ihr hatte er seit langer Zeit zum ersten Mal wieder das Gefühl angekommen zu sein und einen neuen Lebensabschnitt vor sich zu haben.
Mit einer Partnerin, die ähnlich dachte und empfand. Und die seine Hand festhielt, um mit ihm in die gleiche Richtung zu gehen.
Durch Suzann hatte er auch Shin Tae-Yong kennengelernt.
Einen ihrer koreanischen Kunden der als Geschäftsmann, wie er es nannte, Anlageberater für viele vermögende Privatpersonen war und sie bei weltweiten Transaktionen beriet.
Suzann hatte bei einem geschäftlichen Termin erwähnt, dass ihr Freund Pilot der Malaysia-Airline war.
Und Shin hatte sie nach der Besprechung beiseitegenommen und gefragt, ob er sie zusammen mit ihrem Freund zum Abendessen einladen dürfte.
Ein paar Tage später hatten sie sich im Zixia-Gate getroffen, einem der nobelsten koreanischen Restaurants der Stadt.
Shin war im edlen schwarzen Zweireiher erschienen und hatte selbstsicher und entspannt gewirkt.
Mit seinem typisch asiatischen Kurzhaarschnitt und der perfekten Rasur wirkte er wie der Prototyp des fernöstlichen Geschäftsmanns und hätte in jedem Hollywoodfilm problemlos den freundlichen Verkäufer von Nobelkarossen oder den chinesischen Drogenbaron besetzt.
Das akzentfreie Englisch, mit dem er seine Gäste empfing und die betont bescheidene und höfliche Art, mit der er sich bewegte wirkten interessiert und sympathisch.
Faizal hatte sein Alter auf Anfang sechzig geschätzt.
Der Oberkellner hatte Shin wie einen gern gesehenen Stammgast begrüßt und sie an einen abgelegenen Tisch im Hintergrund des Lokals geführt.
Nach dem ersten Gang und dem üblichen Small Talk war der Koreaner schnell zum Grund seiner Einladung gekommen.
Er hatte von Kunden erzählt, die immer wieder von meist amerikanischen Banken drangsaliert wurden.
Die USA sahen die Tätigkeiten asiatischer Institute in ihrem Lande nicht gerne und drängten diese Kunden, ihre Geschäftstätigkeiten und Vermögen durch die lokalen US-Banken betreuen zu lassen.
Das ging sogar so weit, dass nichtamerikanische Konkurrenz bei internationalen Geldtransfers oder bei Transporten von Wertpapieren und Bargeldbeständen überall auf der Welt massiv behindert wurde.
Immer wieder kam es dazu, dass asiatische Transportunternehmen die Lizenzen für solche Werttransporte in oder aus den USA nicht bekamen oder dass sich Versicherungen auf Druck der Amerikaner hin weigerten, für diese Bewegungen zu garantieren.
»Im Moment überlegen wir, den Transport einer solchen Sendung als Frachtbeiladung in einer unauffälligen Passagiermaschine durchzuführen.
Damit könnten wir die großen internationalen Lufttransportunternehmen meiden und etwas unbeobachteter agieren. Was meinen Sie Kapitän Faizal?«
Der Koreaner hatte den Piloten über den Tisch hinweg freundlich angelächelt und interessiert die Augenbrauen hochgezogen.
»Sie kennen sich doch seit vielen Jahren im asiatischen Luftverkehr aus«.
»Na ja,« hatte Faizal kurz überlegt. »Ich denke die Beiladungen, die als Fracht in Passagiermaschinen mitfliegen, unterliegen den gleichen Sicherheits- und Zollbestimmungen wie die bei offiziellen Frachtairlines«.
»Da haben Sie natürlich Recht, und wie gesagt handelt es sich nicht um illegale Transporte. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch«.
Shin hatte beschwichtigend die Hand gehoben.
»Aber es ist eine sehr wertvolle Fracht, die nach Möglichkeit ohne große öffentliche Beachtung reisen soll. Für meine Kunden ist oberste Diskretion und die Vermeidung von internationalem Aufsehen außerordentlich wichtig.
Wir verfügen hier über einige ausgezeichnete Kontakte zu den örtlichen Fluggesellschaften. Und die Malaysia-Airlines für die Sie arbeiten fliegt Routen, die für viele unserer Klienten hervorragend passen würden.
Wie gesagt, wir planen zur Zeit einen Transport von Bargeld und Wertpapieren von Kuala Lumpur aus in Richtung Peking.«
»Die Route fliege ich im Moment regelmäßig«.
»Perfekt,« hatte Shin weitergeredet.
»Sehen Sie, mit den chinesischen Behörden pflegen wir seit langem erstklassige Beziehungen. Bei den meisten, sagen wir mal sensiblen Transporten, gibt es dort keine Probleme, die sich nicht mit etwas gutem Willen beilegen lassen.
Es gibt aber in letzter Zeit häufiger Versuche, meine Klienten auch dort zu behindern. Die amerikanischen Behörden setzten alles daran, diesen Kunden Steine in den Weg zu legen.
Das geht so weit, dass man auf politischer Ebene versucht, die chinesischen Stellen zu beeinflussen, um solche Transporte zu verhindern.
Na ja, Sie sind sicher ein gut informierter Mensch Kapitän Faizal.
Sie wissen, wie die USA international auftreten.
Und wie sie auch hier in Asien manchmal davon ausgehen, dass sie sich mit ihrer Arroganz und ihren Dollars alles erlauben können«.
Ohne auf eine Antwort des Kapitäns zu warten hatte er beschwichtigend die Hand gehoben.
»Aber ich will Sie nicht mit Politik langweilen. Dazu sind die Umgebung und das Essen hier viel zu schade.«
Mit einem offenen Lächeln hatte er sein Glas erhoben, um mit seinen Gästen anzustoßen.
Der Koreaner hatte sich an diesem Abend als perfekter und unterhaltsamer Gastgeber gezeigt. Und erst nach vielen anderen Themen war er beim Dessert auf den Grund seiner Einladung zurückgekommen.
»Sehen Sie Kapitän Faizal, es hat mir wirklich sehr gefallen, Sie heute Abend kennen zu lernen. Und ich würde mich ehrlich freuen, wenn Sie uns bei unserem Unternehmen unterstützen könnten«.
»Ich habe mich auch sehr gefreut, Sie kennenzulernen«, hatte Faizal sein Glas erhoben.
»Auch wenn mir bis jetzt nicht richtig klar ist, wie ich Sie bei Ihren Geschäften unterstützen kann.«
»Wissen Sie,« hatte Shin mit einem Lächeln geantwortet, an das der Kapitän noch häufig zurückdenken musste.
»Wissen Sie, mir ging es heute darum, Sie persönlich kennen zu lernen und mir ein Bild von Ihnen zu machen. Und ich denke, dass Sie ein sehr erfahrener und scharfsinniger Mensch sind, der perfekt zu unserem Vorhaben passt.
Von der Technik und der Planung die meine Kollegen in Kuala Lumpur haben verstehe ich selber zu wenig, um es jetzt hier zu erläutern.
Aber wir würden uns freuen, wenn Sie bei Ihrem nächsten Aufenthalt dort etwas Zeit für meinen Partner Doktor Son hätten. Der leitet unsere Aktivitäten im Malaysia und kann Ihnen genau erklären, was er und sein Team planen. Und ich verspreche, dass Sie sich nicht langweilen werden«.
Faizal hatte gelacht. »Gerne, wenn ich mich damit für die heutige Einladung revanchieren kann. Und Sie haben mich neugierig gemacht. Ich bin übermorgen wieder in der Stadt und bleibe dann drei Tage.
Ich werde mich gerne mit Ihrem Herrn Doktor Son in Verbindung setzen und bin gespannt, was er zu erzählen hat.«
Bei der Verabschiedung hatte Shin später in die Innentasche seines Jacketts gegriffen.
Mit geschickter Bewegung hatte er einen kleinen Briefumschlag hervorgezaubert und ihn dem Flugkapitän gereicht.
»Dieser Scheck ist ein erster bescheidener Dank, für die Zeit die Sie opfern Kapitän Faizal, und ein Zeichen wie wichtig unser Klient und sein Anliegen für uns ist«.
»Aber ich bitte Sie. Ein Abendessen und ein Treffen zu einem Gespräch ....«
»Nicht nur das«, hatte der Koreaner Faizals protestierende Hand beiseitegeschoben.
»Es beinhaltet auch die Bitte, dass Sie beide diese Begegnung heute Abend und ihre Unterhaltung mit Doktor Son absolut vertraulich behandeln. Wie gesagt, Diskretion ist eines unserer wichtigsten Anliegen.
Diesen Barscheck löst jede Filiale der Bank of China ein und er ist an keinerlei Verpflichtung gebunden.«
Suzann hatte ihm auffordernd zugezwinkert und so hatte er den Umschlag schließlich angenommen und in seiner Jackentasche verschwinden lassen.
Später im Taxi hatten sie ihn gemeinsam geöffnet und festgestellt, dass er einen Barscheck der Bank of China über hunderttausend Yuan enthielt.
»100.000 Yuan für ein Abendessen .....?«
Faizal hatte ungläubig den Kopf geschüttelt.
»Da stimmt doch was nicht, oder? Hat dir schon einmal jemand hunderttausend Yuan für ein Essen bezahlt?«
»Nein, noch nie, aber ich bin ja auch nicht ein so gutaussehender Flugkapitän wie du.«
Sein Lachen hatte etwas gequält gewirkt, und die nächsten zwei Tage hatte er damit verbracht, sich auszumalen, welche Pläne dieser ominöse Doktor Son ihm präsentieren würde.
Aber seine Vorstellungen hatten dabei nicht im Entferntesten an die Realität herangereicht.
Und jetzt saß er hier im Cockpit seiner Boing 777, 11.500 Meter über dem südchinesischen Meer und ihm war klar, dass er für die nächsten Stunden auf sich alleine gestellt war.
Zumindest würde keiner der anderer 238 Menschen an Bord in der Lage sein mit ihm zu kommunizieren.
Die Kabinendurchsage, die er gerade erledigt hatte, diente lediglich dazu, sich selbst zu beruhigen und einen kleinen Anschein von Routine zu bewahren.
Das Betäubungsgas in der Notversorgung der Kabine hatte genau wie das in der seines Copiloten dafür gesorgt, dass Passagiere und Besatzungsmitglieder die nächsten acht bis zwölf Stunden bewusstlos blieben.
Und laut Doktor Son würde das auch so sein, wenn jemand seine Sauerstoffmaske nicht aufgesetzt hatte. Die Gaskonzentration in der Kabine war auf jeden Fall ausreichen, um alle Anwesenden zu betäuben.
Er konnte sich also die nächsten Stunden auf die Durchführung seines Vorhabens konzentrieren.
Jenes Plans, den er als er ihn das erste Mal von Doktor Son gehört hatte, für völlig undurchführbar hielt.
Und der sich für ihn auch jetzt noch so verrückt anhörte, dass er vielleicht gelingen konnte.
Er dachte kurz an seine erste Begegnung mit Doktor Son zurück.
Zwei Tage nach dem Essen mit Shin Tae-Yong in Peking war er nach Kuala Lumpur zurückgekehrt.
Am darauf folgenden Morgen hatte er die Nummer gewählt, die Shin ihm gegeben hatte und Doktor Son erreicht.
Der Koreaner hatte den Piloten freundlich gebeten ihn am Abend in seinem Hotelzimmer zu treffen. Dort hätte man Zeit und Ruhe über eine Zusammenarbeit zu reden.
Faizal war pünktlich um acht im Hotel erschienen, und auf sein Klopfen hin, hatte Son ihm die Tür geöffnet.
Im ersten Moment hatte er gedacht, den Zwillingsbruder Shins vor sich zu haben. Die gleiche Größe und Statur, Kurzhaarschnitt, frische Rasur und perfektes Englisch.
Doch auf den zweiten Blick wirkte Doktor Son im Vergleich ein paar Jahre jünger und agiler.
Seine Erscheinung war nicht ganz so formal wie die seines Chefs aber er bemühte sich, den Flugkapitän mit derselben asiatischen Freundlichkeit zu begrüßen.
Einen Kollegen, der bei ihm war, hatte er als Sicherheitsmitarbeiter vorgestellt. Seinen Namen hatte Faizal nach einer Minute wieder vergessen.
Son hatte seinen Gast zu einem kleinen Besprechungstisch geführt, auf dem eine Landkarte lag. Ohne die Beschriftung zu lesen, erkannte der erfahrene Pilot die Umrisse des südchinesischen Meeres.
Faizal hatte lächelnd Platz genommen und auf die Karte gedeutet.
»Mr. Shin hat mir von Ihren Transportplanungen nach Peking erzählt. Und davon, dass ich Sie eventuell unterstützen kann.«
»Ja, wir planen zur Zeit einen größeren Transport, das stimmt. Und ich würde Ihnen dazu gerne eine Geschichte erzählen und Sie um Ihre Meinung bitten.«
Son war stehen geblieben und deutete auf die kleine Minibar neben dem Tisch.
»Aber darf ich Ihnen vielleicht vorher etwas anbieten?
Wissen Sie, ich arbeite hier sehr viel mit Kollegen aus europäischen oder amerikanischen Ländern zusammen, genau wie Sie wahrscheinlich auch.
Vieles an deren westlicher Lebensart kommt mir als Asiat oft oberflächlich und dekadent vor. Zweifellos empfinden Sie da oft ähnlich.
Aber mit einer Sache habe ich mich mittlerweile angefreundet. Nämlich mit der Ansicht, dass es sich mit einem guten Bier in der Hand viel einfacher plaudert.
Was denken Sie? Wir haben hier ein Ausgezeichnetes in der Bar, darf ich Ihnen eins anbieten?«
Eine Minute später hatten sie beide an dem kleinen Tisch gesessen und nach einen Zuprosten und einem genüsslichen Schluck aus seiner Flasche war Doktor Son zur Sache gekommen.
»Sehen Sie Kapitän Faizal. Wir beschäftigen uns schon eine Weile mit dieser Planung. Die Hintergründe dafür hat Mister Shin ja erläutert. Ich werde Ihnen unseren Plan vorstellen und bin sehr gespannt Ihre Meinung dazu zu hören.
Aber vorher würde ich Ihnen gerne eine kurze Geschichte erzählen.«
Faizal hatte die Augenbrauen hochgezogen und seinen Gegenüber fragend angesehen.
»Eine Geschichte?«
»Ja, eine Geschichte. Und mich würde interessieren, ob Sie das was ich Ihnen erzähle für möglich halten.«
Doktor Son nahm einen weiteren Zug aus seiner Bierflasche und sammelte sich kurz.
»Kapitän Faizal, stellen sie sich bitte vor, eines Abends startet hier in Kuala Lumpur ein Passagierflugzeug mit Flugziel Peking.
Die Bodencrew hat ihren Job erledigt, die Maschine ist beladen und aufgetankt.
Die Passagiere sind gut gelaunt an Bord, die Crew macht routiniert ihre Arbeit und der Tower gibt den Start frei.
Es herrschen beste Wetterbedingungen und die Maschine hebt wie geplant ab.
So weit so gut.
Doch dann geschehen plötzlich unerwartete Dinge.
Kurz nachdem das Flugzeug die Reiseflughöhe erreicht hat, fällt der größte Teil der Elektronik an Bord aus. Funkgeräte und Instrumente funktionieren nicht mehr.
Der Kabinendruck und damit die Sauerstoffversorgung brechen zusammen. Die Notsauerstoffversorgung funktioniert auch nicht und die Passagiere und die Besatzung werden innerhalb von Sekunden bewusstlos.
Glauben Sie, dass so etwas möglich ist?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Na ja, dass so viele Systeme der Bordelektronik gleichzeitig ausfallen und dass dann auch noch das Notsystem der Sauerstoffversorgung versagt, das ist schon extrem unwahrscheinlich.«
»Unwahrscheinlich oder unmöglich?« Hatte Doktor Son nachgebohrt.
»Mmhh .... , also als Techniker haben wir uns daran gewöhnt das Wort unmöglich, aus unserem Sprachgebrauch zu streichen.
Aber eine solche Situation ist nur schwer vorstellbar. Und selbst diese Ausfälle bedeuten ja nicht zwangsläufig, dass die Maschine verloren ist.«
»Nein, nein, das habe ich ja auch nicht gesagt, meine Geschichte geht ja weiter.«
Son hob beschwichtigend die Hand und nahm einen kurzen Schluck aus der Flasche vor sich.
»Auch wenn alle Funkgeräte an Bord ausgefallen sind, kann der Autopilot ja weiterhin den Kurs halten. Da dazu einige Messdaten fehlen vielleicht nicht mehr so genau, aber das Flugzeug würde zunächst einmal weiterfliegen.
Also nehmen wir an, alle Personen an Bord sind bewusstlos und der Autopilot fliegt die Maschine weiter.
Am Boden fällt natürlich auf, dass routinemäßige Statusmeldungen ausbleiben und dass die Crew auf Ansprache nicht reagiert.
Aber bevor dann weitere Maßnahmen eingeleitet werden, ist das Flugzeug schon tausende Kilometer über dem Meer geflogen und längst von den Radarschirmen verschwunden.«
Er hatte auf der Karte vor sich mit dem Finger einen Kreis in der Mitte des südchinesischen Meeres beschrieben und Kapitän Faizal vielsagend angesehen.
»Aber wie Sie schon sagten, muss ein solcher Ausfall von Systemen ja nicht bedeuten, dass es zwangsläufig zu einer Katastrophe kommt. Auch in unserem Fall nicht. Ganz im Gegenteil.
Lassen Sie mich die Geschichte weitererzählen.
Dadurch, dass verschiedene Messsysteme ausgefallen sind, fehlen dem Autopiloten exakte Daten. Er weicht leicht vom Kurs ab und die Maschine sackt langsam tiefer. Nach einiger Zeit ist sie so weit gesunken, dass zumindest im Cockpit die Sauerstoffversorgung durch die Außenluft wieder ausreichend ist.
Der Pilot kommt zu sich und erkennt die Situation. An der Tatsache, dass nur noch extrem wenig Sprit in den Tanks ist, sieht er sofort, dass das Flugzeug mehrere Stunden führerlos geflogen sein muss.
Seiner Meinung nach fliegt die Maschine also unkontrolliert irgendwo über China.
Er erkennt die Notlage.
Und hat nur wenige hundert Meter Höhe und einen kleinen Rest Kerosin zur Verfügung.
Er probiert einen Notruf abzusetzen, aber keins der Funkgeräte funktioniert.
Er versucht, den Copiloten zu wecken, auch das gelingt ihm nicht.
In seinem verzweifelten Bemühen sich zu orientieren schaut er aus dem Cockpitfenster.
Aber da es dunkle Nacht ist und er nur schätzen kann, in welche Richtung die Maschine die letzten Stunden geflogen ist, hat er natürlich nicht die geringste Chance, seine genaue Position zu bestimmen.
Eine aussichtslose Situation, die sich sicher kein Pilot vorstellen mag.«
Son hatte eine dramaturgische Pause entstehen lassen und in einem langen Zug seine Flasche gelehrt. Genüsslich hatte er sich mit der Hand den Mund abgetupft, bevor er fortfuhr.
»Aber in dieser Nacht meint es das Schicksal gut mit den Passagieren und der Besatzung.
Der Pilot hat mittlerweile selber wieder die Kontrolle über die Maschine übernommen und sie stabilisiert. Und bei seinem Versuch sich zu orientieren meint er, vor sich etwas zu erkennen, das aussieht wie eine Landebahn.
Er steuert darauf zu und sieht bei einem langsamen Überflug, dass es sich tatsächlich um einen schwach beleuchteten Flughafen handelt.
Da es im Umfeld wenig zu sehen gibt, vermutet er eine kleine Militäreinrichtung.
Im Stillen betet er, dass man am Boden seine Notlage erkennt und die Landebahnbeleuchtung eingeschaltet lässt.
Denn ein kurzer Blick auf seine Treibstoffanzeige sagt ihm, dass dieser Flughafen für ihn mit Sicherheit die letzte Möglichkeit ist die Maschine zu retten.
Er beschließt also, eine Schleife zu fliegen und einen Landeversuch zu unternehmen.
Und was soll ich Ihnen sagen, der Flugzeugpilot ist ein absoluter Profi.
Der Landeversuch gelingt und er rettet seine Passagiere, das Flugzeug und natürlich sich selbst.
Alle Menschen an Bord bleiben unverletzt und der Pilot wird nach der geglückten Landung als Held gefeiert.
Na Kapitän Faizal, was halten Sie von dieser Geschichte?«
Der Pilot hatte selber einen Zug aus seiner Flasche genommen und geschmunzelt.
»Eine spannende Geschichte .... und wenn sie in Hollywood gut gemacht würde, könnte ich mir sogar vorstellen sie mir im Kino anzuschauen.
Aber ich denke, mit der Realität hat sie Gott sei Dank nicht viel zu tun, oder?«
»Ok«, hatte Doktor Son mit niedergeschlagenem Blick zugegeben.
»Sie haben natürlich Recht, diese Geschichte passt wesentlich besser ins Kino als in die Realität.
Aber vielleicht ändert sich Ihre Meinung ja, wenn ich Ihnen sage, dass ich ein paar kleine Details verschwiegen habe.«
»Ein paar Details ....?«
»Ja, einige wichtige Einzelheiten die nur wenige von den Beteiligten kannten.
Zum Beispiel die Tatsache, dass sich die Maschine und die Menschen an Bord während der gesamten Geschehnisse nie in ernsthafter Gefahr befunden haben.«
»Aha ... , das müssen Sie mir erklären.«
»Ganz einfach ..., diese ganze Luftnotlage und der Ausfall der Instrumente etc. waren nur fingiert. Man hatte vorher am Boden den Sauerstoff für die Notversorgung der Kabine und für den Copiloten durch Betäubungsgas ersetzt.
Die wurden also bei dem Alarm während des Fluges betäubt. Der Kapitän war natürlich eingeweiht und hatte jederzeit alles unter Kontrolle.
Und er hat selbst für die Abschaltung der Funkgeräte und Transponder gesorgt. Sie wissen, dass man dazu im Cockpit nur ein paar entsprechende Sicherungen ziehen muss und schon ist man für die Außenwelt verschwunden.«
»Aha .... « Faizal richtete sich leicht auf und sah seinen Gesprächspartner erwartungsvoll an.
Der Denkapparat des Piloten war während Doktor Sons etwas einschläfernder Erzählung in den Ruhemodus gewechselt.
Aber jetzt war er schlagartig wieder bei 100% Leistung.
Und im Hintergrund hatten einige rote Lämpchen angefangen zu blinken.
»Jetzt wird Ihre Geschichte langsam zum Krimi, oder?«
»Ja,« hatte Son grinsend zugestimmt.
»An dieser Stelle wird sie zum Krimi. Und es gibt ein paar weitere Details, die ich verschwiegen habe.«
»Ich bin gespannt ...«
Zum Ersten, die Tatsache, dass der Pilot in der Geschichte diesen kleinen Militärflugplatz natürlich nicht zufällig gefunden hat. Sondern dass er ihn 100-prozentig gezielt angeflogen hat und dass er dort erwartet wurde.
Und, dass schon kurze Zeit nach der Landung ein großer Teil der Fracht aus dem Frachtraum der Passagiermaschine entladen und auf LKWs in der Dunkelheit der Nacht verschwunden war.
Und zum Zweiten, die Tatsache, dass ein paar Wochen später, als Experten der Fluglinie und des Herstellers die Maschine besichtigen durften, auch Flugschreiber und einige andere technische Geräte von Bord nicht mehr aufzufinden waren.
Und nicht zuletzt das wichtige Detail, dass der Pilot als er ein paar Tage später mit einem anderen Flugzeug und auf den Schultern seiner applaudierenden Passagiere nach Kuala Lumpur zurückkehrte, zehn kleine Barschecks über jeweils eine Millionen US-Dollar in der Tasche hatte.
Faizal und Doktor Son hatten sich einige Augenblicke stumm in die Augen gesehen.
Der Flugkapitän hatte damals nicht geahnt, dass seinem Gegenüber allein diese Sekunden des Schweigens reichten, um zu wissen, dass er gewonnen hatte.
Ein paar Augenblicke lang widerstand er dem Versuch empört aufzuspringen und zur Tür zu gehen.
Nicht ahnend, dass der anwesende angebliche Sicherheitsbeamte ihn daran gehindert hätte mit seinem neuerworbenen Wissen lebend das Hotelzimmer zu verlassen.
Aber eine Mischung aus Abenteuerlust und Neugierde hielt ihn auf dem Stuhl.
Innerhalb von einer Sekunde hatte er realisiert, dass diese kleine Geschichte die dieser großväterliche Doktor Son ihm wie nebenbei erzählt hatte, schon der ganze Plan war.
Und dass er soeben das Angebot erhalten hatte, in dieser modernen Heldengeschichte die Hauptrolle zu übernehmen.
Aber gleichzeitig wurde ihm auch klar, dass der Held in dieser kinoreifen Erzählung sich in einem ganz entscheidenden Teil von den anderen Hollywoodhelden, die er selbst oft bewundert hatte, unterschied. Und dass sein so strahlender Heldenglanz durch ein wichtiges Detail verdunkelt wurde.
Nämlich dadurch, dass er die Gefahr aus der er seine Passagiere und seine Crew rettete, wissentlich und mit voller Absicht selbst herbeigeführt hatte.
Eindeutig kriminell und mit dem verachtenswerten Ziel, sich und andere zu bereichern.
Eine Vorstellung, die sich weder mit seiner Ausbildung, seinem Berufsethos oder seinen Moralvorstellungen vereinbaren ließ.
Und dass er die Heldentat für die er gefeiert wurde, nicht zufällig und wirklich heldenhaft begangen hatte.
Sondern dass jedes Gericht der Welt ihn dafür völlig zu Recht viele Jahre ins Gefängnis schicken würde.
Ihn, der immer stolz auf seine 25 Dienstjahre als Berufspilot zurückgeschaut hatte.
Und der wie kaum ein Anderer von sich behaupten konnte, dass Pflichterfüllung und Berufsehre in seinem Leben nicht nur leere Worte waren.
Sondern dass für ihn das Wohl und die Sicherheit seiner Passagiere und der ihm anvertrauten Seelen immer an erster Stelle gestanden hatten.
Zugegeben, Werte die in der heutigen Zeit mehr und mehr hinter Kommerz und Leistungsdruck verschwanden. Das hatte er oft genug selbst erfahren.
Aber gleichzeitig auch Ideale die zumindest ihn, seit seiner Berufswahl begleitet und geleitet hatten.
Und von dener er bis zu diesem Moment immer angenommen hatte, dass sie für ihn unumstößlich und unverhandelbar waren.
Und jetzt lag hier, kurz vor dem Ende seiner Berufslaufbahn, ein Angebot an ihn auf dem Tisch.
Das Angebot, diese Leitbilder und diesen Stolz auf seine Karriere für einige Barschecks in seiner Tasche zu verkaufen?
10 Millionen US-Dollar für sein bisher untadeliges Leben?
Oder 10 Millionen US-Dollar für seinen zukünftigen Ruhestand?
Dem Kapitän war klar, dass er für seine Antwort keine Bedenkzeit erhalten würde.
»Sie meinen es wirklich ernst mit dieser Geschichte, oder?«
Der Blick in die Augen seines Gastgebers hatte die Frage wortlos beantwortet.
»Ich glaube nicht, dass es möglich ist ein Flugzeug unauffällig so mit Betäubungsgas zu präparieren, dass man die Passagiere und den Copiloten so einfach ausschalten kann.«
»Wir haben die Möglichkeit, glauben Sie mir,« antwortete Son ohne jeden Anflug eines Zweifels.
»Und niemand wird es im Nachhinein herausbekommen können. Das Gas wirkt schnell, mindestens zehn Stunden lang und verflüchtigt sich rückstandslos.«
»Aber wie wollen Sie einen Militärflugplatz finden, auf dem Sie nachts unbeobachtet eine Boing 777 landen können?«
»Wir haben einen.«
Faizal wurde klar, dass sein Gegenüber sich nicht erst seit gestern mit diesem halsbrecherischen Plan beschäftigt hatte. Und dass er wild entschlossen war, ihn umzusetzen.
Wieder schaute er Doktor Son ein paar Sekunden schweigend in die Augen und versuchte, seine rasenden Gedanken zu sammeln. Später hatte er oft an diese Momente zurückgedacht.
An diese wenigen Augenblicke, in denen er aus heiterem Himmel eine Entscheidung treffen musste, die den Rest seines Lebens dramatisch verändern würde.
Und die, einmal getroffen, unwiderruflich war.
Son hatte ihm ein paar Sekunden Zeit gelassen, um das Gehörte zu realisieren.
»Sagen Sie Kapitän Faizal, wissen Sie eigentlich, was Mr. Sullenberger heute macht?«, riss er den Kapitän aus seiner Verwirrung.
»Wer?«
»Na dieser Mister Sullenberger der vor fünf Jahren sein Flugzeug im Hudson-River notgelandet hat.«
»Nein, keine Ahnung, .... was macht er jetzt?«
»Ich weiß es auch nicht genau, aber ich denke, er genießt eine ausgezeichnete Pension und seinen Ruhm.
Sicher reist er durchs Land und wird überall wie ein Held empfangen. Er verdient Millionen mit der Autobiografie die er schreiben lässt und den Filmrechten an seiner Lebensgeschichte.
Ich bin sicher, seine Heimatstadt hat längst eine Straße oder eine Schule nach ihm benannt.
Und ich stelle mir vor, irgendwann kauft er sich ein kleines Flugzeug und reist mit seiner Frau zu Orten, die er schon immer mal besuchen wollte. Und genießt unbeschwert seinen wohlverdienten Ruhestand.«
Faizal hatte nachdenklich den letzten Schluck aus der Flasche vor sich genommen und seinem Gegenüber einige lange Sekunden in die Augen gesehen.
»Verdammt, sie sind verrückt .... «
Und Son hatte den Blick des Flugkapitäns scheinbar völlig gelassen und mit einem asiatischen Lächeln erwidert.
»Ich weiß Kapitän Faizal ...., ich weiß .... , aber die entscheidende Frage lautet ja: Wie verrückt sind Sie?«
»Alles gut .... ganz ruhig alter Junge ... «
Mit leicht zusammengekniffenen Augen konzentrierte Faizal sich erneut auf den handbeschriebenen Zettel, den er am Steuerhorn vor sich angeklemmt hatte.
In vier einzelnen Abschnitten auf der Vorderseite und zweien auf der Rückseite waren dort Buchstabenfolgen und Ziffer gekritzelt, die für kaum jemanden ohne Pilotenausbildung eine Bedeutung ergeben hätten.
Und selbst ein erfahrener Berufspilot würde Mühe haben, den Sinn hinter dem Notierten zu erfassen.
Leise vor sich hinmurmelnd wiederholte der Flugkapitän die Zeichenfolge des zweiten Abschnitts mit der Überschrift »CB«.
»CB« stand in diesem Fall für Circuit-Breaker.
Ein Begriff, der in fast jeder luftfahrttechnischen Checkliste auftaucht und die kleinen Sicherungen bezeichnete, die an den verschiedenen Panels im Cockpit angebracht waren. Mit ihnen war es möglich einzelne Stromkreise und Geräte der Maschine manuell ein und auszuschalten.
Hinter »CB« folgten 24 dreistellige Bezeichnungen, wobei der erste Buchstabe die Sicherungstafel angab, auf der sich der Schalter befand, und die beiden nachfolgenden Zahlen die Nummer der Sicherung selbst.
»..... ACARS .... checked ..... Anti-Collision-Light .... checked ..... TCAS .... checked ..... ATC .... checked .... «
Mit routinierter Stimme las er die Benennungen der einzelnen Positionen vor und überzeugte sich mit einem Blick auf die jeweilige Schalttafel davon, dass er sie gezogen hatte.
Für diesen zweiten Sicherheitscheck hatte er großzügig 180 Sekunden eingeplant und er wusste, dass er keine Eile hatte.
Im Gegenteil. Die folgende Routinemeldung von Flug MH 370 wurde erst in 25 Minuten erwartet.
Und selbst nach Ablauf dieser langen 25 Minuten würde es noch einige Zeit dauern, bis das Ausbleiben der Meldung Konsequenzen hatte.
Erst wenn die folgenden Versuche, die Maschine über Satellitenverbindung oder andere Funkfrequenzen zu erreichen scheiterten, würde das größere Aufmerksamkeit und eventuelle Suchaktionen auslösen.
Bis dahin würde seine Boing 777-ER im wahrsten Sinne des Wortes vom Radar verschwunden sein. Da hatte Doktor Son zweifellos recht.
Die Flugmanöver, die er dazu geplant hatte, waren zwar etwas ungewöhnlich aber auch nicht extrem anspruchsvoll.
Und die Tatsache, dass er sie alleine und ohne Hilfe seines ersten Offiziers bewerkstelligen musste, beunruhigte ihn auch nicht.
Er war lange genug Pilot und verfüge über die notwendige Routine und Erfahrung. Und er hatte diese Manöver viele Male im Simulator durchgespielt und optimiert.
Anschließend hatte er wieder zwei Stunden bis zur nächsten Kurskorrektur Richtung Norden. Die würde ihn dann auf den endgültigen Kurs und zum heikelsten Teil seiner Reise bringen.
Aber bis dahin war noch Zeit und er konzentrierte sich auf den folgenden Schritt.
Langsam und laut las er den nächsten Abschnitt seiner Notizen und stellte sich dabei jeden notwendigen Handgriff noch einmal vor.
Konzentriert gönnte er sich wieder drei Sekunden, um die Augen zu schließen und seine Gedanken zu fokussieren.
Kurz vor dem Start hatte Son ihn noch einmal angerufen und bestätigt, dass am Ziel seiner Reise alle vereinbarten Vorbereitungen getroffen waren und beste Wetterbedingungen herrschten.
»Alles läuft nach Plan Kapitän Faizal. In ein paar Stunden sind wir am Ziel.«
Mitten in den Startvorbereitungen war der Flugkapitän zu beschäftigt, um über die Bedeutung dieses Satzes nachzudenken.
Und auch wenn er es getan hätte, wäre er mit Sicherheit nicht darauf gekommen wie wenig sein Ziel, mit dem seines Gesprächspartners übereinstimmte.
Ein Blick auf die Art der Vorbereitungen, die in diesen Minuten am geplanten Landeort seiner Maschine getroffen wurden, hätte ihn extrem nachdenklich gestimmt.
Und sicher auch der Inhalt von zwei weiteren Telefonaten, die der Koreaner kurz darauf tätigte.
Und erst recht hätte ihn die Tatsache beunruhigt, dass fast zeitgleich mit seinem Start in Kuala Lumpur an vier verschiedenen Orten innerhalb der Reichweite einer Boing 777 vier sehr ungewöhnliche Wetterballone in den Himmel stiegen.
Wetterballone, die statt mit den üblichen meteorologischen Messinstrumenten nur mit jeweils einem für sie äußerst unkonventionellen Funkgerät und einem kleinen Sprengsatz zur Selbstzerstörung ausgerüstet waren.
Und deren Aufgabe es nicht war, so wie üblich wettertechnische Daten zu sammeln, sondern durch ihre Funksignale die eingeschlagene Route eines Flugzeugs zu verschleiern.
Aber zu diesem Zeitpunkt ahnte der Flugkapitän von solchen Vorbereitungen nichts.
Ihm war nur klar, dass es für ihn höchste Zeit wurde zu verschwinden.
Gleichmäßig und hörbar atmete er dreimal ein und aus.
Dann streckte er den rechten Arm in Richtung des Bedienpanels für den Autopiloten und legte den Zeigefinger an den Hauptschalter.
»Mein Flugzeug« murmelte er mit einem Blick auf seinen elektronischen Kollegen.