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Fußnoten zum Vorwort

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1) Später, als er einen Fernseher hatte, schaute ich bei ihm nie Schnitzlers „Schwarzen Kanal“, ziemlich häufig dagegen Höfers „Frühschoppen“. Allerdings war er stets gehörig glücklich, wenn ich bei Höfer „bürgerlichen“ Journalisten mit linken Argumenten zu widersprechen verstand. Mein Stiefvater hatte 12 Jahre NS-Herrschaft ohne tägliche Anleitung durch eine hauptamtliche Parteiagitation überlebt – ihn zog es zumindest zuhause nicht allzu sehr zu den jeweils amtlichen „Parteiargumentationen“.

2) Ich kam 1956 nach acht Jahren „Grundschule“ zur vierjährigen „Oberschule“. 1958 wurde dann die zehnjährige „Polytechnische Oberschule“ für alle eingeführt, an die sich zwei Jahre „Erweiterte Oberschule“ anschließen konnten.

3) Wolfgang Leonhard: Die Revolution entläßt ihre Kinder, Milovan Djilas: Die neue Klasse, Orwell: 1984. Dabei hatte der gestrenge DDR-Zoll zur gleichen Zeit ein englisch-sprachiges Penguin-Taschenbuch von „1984“ an mich durchgehen lassen, als man für die Weitergabe eines deutsch-sprachigen Exemplars noch inhaftiert werden konnte. (Übrigens soll die DDR-Kulturbürokratie in den 80er Jahren sogar über eine DDR-Ausgabe des berühmten Werkes von Orwell nachgedacht haben.)

4) „Dritter Weg“: damals gedachtes Gesellschaftsmodell zwischen westlichem Kapitalismus und sowjetischem Sozialismus. Vor allem in sozialdemokratischen Milieus hielten sich damals solche Vorstellungen. Vgl.: Dr. Siegfried Heimann: Die Sonderentwicklung der SPD in Ostberlin 1945–1961. Expertise für die Enquetekommission des Deutschen Bundestages: Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur, S. 19.

5) Wie die Führungen anderer osteuropäischer Länder auch. Den Anstoß hatte der XXII. KPdSU-Parteitag im Herbst 1961 mit seiner erneuten Kritik an Stalin und dessen Politik gegeben.

6) Bernsteins Aufsatzfolge in der „Neuen Zeit“, aus der sein umstrittenes Buch „Die Voraussetzungen des Sozialismus und die Aufgaben der Sozialdemokratie“ hervorging, und Kautskys „Die Diktatur des Proletariats“.

7) In der Erstausgabe von 1922. Mit der Einleitung von Paul Levi. (Zu den DDR-Absurditäten damals hatte gehört, dass ein Philosophie-Assistent, wie er uns erzählte, dieses Bändchen ohne „Giftschein“ in einer wissenschaftlichen Bibliothek der DDR nicht erhalten hatte, eine russisch-sprachige Übersetzung des Luxemburg-Textes aber ohne Probleme.)

8) Karl Marx: Debatten über Preßfreiheit. MEW, Bd. 1, S. 54. Ich zitiere diesen Satz – trotz der MEGA – immer noch am liebsten aus meinem bunt angestrichenen Band von damals.

9) Ebenda, S. 51

10) Weil Lenin für seinen Typ von Diktatur, die Diktatur einer Partei mit festgefügtem ideologischen Korsett, von Marx den Begriff „Diktatur des Proletariats“ entlehnt hatte, der die Herrschaft einer sozial bestimmten Gruppe beinhalten sollte, meinen heutige Marx-Gegner allzu gern, dass Marx ein geistiger Vorläufer von Lenin gewesen sei.

11) „Dogmatisch“ war damals im DDR-Politsprech eine Bezeichnung für Menschen, die besonders auffällig an dem klebten, was sie in der Stalin-Zeit und auch noch danach als „Marxismus-Leninismus“ erlernt hatten.

12) Ich bekam z.B. Biermanns „Drahtharfe“ von einer französischen Kommilitonin mitgebracht.

13) Wenn ein Westverlag in den 60ern zu Beginn der Messe von einem in der DDR begehrten Buch mehrere Exemplare in seinen Ausstellungsregalen hatte, gähnte dort zu Messeende oft völlige Leere. Diese Bücher waren, die westdeutschen Verlagsmitarbeiter hatten regelmäßig weggeschaut, von ostdeutschen Messebesuchern inzwischen „umgeeignet“ worden.

14) Ich z.B. diskutierte Elemente zu einer Reform des existierenden „Sozialismus“ mit meinem Kommilitonen Lothar Bisky oder dem Physiker Stefan Welzk, der im Sommer 1968 über das Schwarze Meer in den Westen flüchtete. Letzterer lieh mir u.a. auch Kolakowskis „Mensch ohne Alternative“.

15) Da alle fünf Jahre ein KPdSU-Parteitag stattfand, also auf 10 Jahre. Dieser Vorschlag ist mittlerweile in China realisiert worden. Die osteuropäischen kommunistischen Führungen übernahmen aus den USA aber lieber Elemente der Wahlparteitage der Republikaner und Demokraten: sorgfältige Auswahl der „Diskussions“-Redner durch die Parteiführung, Redaktion von deren Reden durch die Parteiführung vor dem Halten der Rede usw.

16) Nur im neuen Parteiprogramm der KPTsch vom Frühjahr 1968 wurde eine Einheit von politischen und wirtschaftlichen Reformen angestrebt.

17) Ohne die Kohlegruben im neu erschlossenen „Kuss-Bass“ hätten nach der deutschen Besetzung des „Don-Bass“ aus dem Eisenerz des Urals z. B. nicht mehr die vielen T 34 hergestellt werden können.

18) Das klang für mich auf Grund meiner Erfahrungen in der „Produktion“ höchst plausibel. War in meinem ehemaligen Betrieb doch 1960 ein Produktionsablauf neu eingeführt worden, nach dem dort vor der Überführung des Betriebes in eine SAG (Sowjetische Aktien-Gesellschaft) schon produziert worden war. Er ermöglichte eine deutliche Senkung des Produktionsaufwandes.

19) Zu den unsinnigsten Dogmen, die DDR-Studenten Anfang der 60er Jahre noch erlernen mussten, hatte gehört, dass im „Sozialismus“ alle Produktion „unmittelbar gesellschaftlich“ sei, ihre Erzeugnisse sich also nicht erst auf einem Markt zu bewähren hätten. Die bekannte Folge: Lagerbestände bei unverkäuflichen Waren bei gleichzeitigem Mangel an von der Bevölkerung gewünschten. Marxistisch denkenden Ökonomen war in den 60ern – manchen nur vorübergehend – klar geworden, dass in einer modernen, hochgradig arbeitsteilig produzierenden Wirtschaft der Austausch nur über einen intelligent regulierten Markt erfolgen kann. Reguliert bedeutete für meinesgleichen damals allerdings immer: Reguliert nicht durch eine Bürokratie, sondern durch Gesetz und Justiz.

20) Wie das Beispiel der heutigen staatlichen Landesbanken zeigt, wäre so etwas nicht nur für Unternehmen in „sozialistischem Eigentum“ angebracht gewesen.

21) Im Kulturbereich war ich z.B. darauf gestoßen, dass Freiberufler nur zwei Steuerklassen kannten: einen Regelsatz von 20% auf ihre Honorare und einen Ausnahmesatz von 10% bei sehr niedrigem Einkommen.

22) Wie zugleich „sozialistisch“ und „freiheitlich“ meinesgleichen damals dachte, zeigt z. B. mein Studentenstück von 1968 „Die Fragen und die Freiheit“. In: Torsten Hilse/Dieter Winkler (Hg.): Die Fragen und die Freiheit. Schubladentexte aus der DDR. Berlin 1999

23) 1969 hatte ich auf einem westdeutschen Rundfunksender von einem ehemaligen Mitarbeiter Ota Šiks in fehlerfreiem Deutsch hören können, dass die Sowjetunion und ihre Führung in einigen Jahren vor der gleichen Notwendigkeit von Reformen stehen würden wie die ČSSR 1967/68

24) Allerdings war Ende der 60er Jahre noch keinesfalls zu vermuten, dass der Bruch vieler Nomenklaturakinder mit dem „Realsozialismus“ und dem Gewäsch ihrer Eltern vom „neuen sozialistischen Menschen“ ein Vierteljahrhundert später so weit gehen würde, dass sie statt eines Reformsozialismus in „ihren“ Ländern einen brutalen Kapitalismus einführen und dabei vor allem die ehemaligen Staatsbetriebe mit Tricksereien ganz rasch in ihre höchst privaten Hände überführen würden.

25) Ich habe bis heute die Phantastereien zweier junger Ostberliner in einer S-Bahn nach Pankow Anfang März 1990 nicht vergessen, mit denen sie sich für die ihrer Meinung nach zu erwartenden Folgen einer Wahl Helmut Kohls am 18. März jenes Jahres begeisterten: Wie hoch ihre Nettoeinkommen bei westdeutschem Arbeitslosengeld und ostdeutschen Mieten künftig sein würden und welchen schweren Westwagen sie sich davon wann würden leisten können. „Wahnsinn“ nannten sie, was tatsächlich Wahnvorstellungen waren.

26) Die westdeutsche Marktwirtschaft machte nach dem „Beitritt“ eine weitere gewichtige Wandlung durch: Die Politik sah ihre Aufgabe nicht mehr vorrangig darin, gleiche Rahmenbedingungen für miteinander im Wettbewerb stehende Unternehmen zu setzen, sie veränderte diese Rahmenbedingungen dahingehend, dass sie selbst Marktteilnehmer wurde. Die Politik trat in einen Wettbewerb um die Ansiedlung von Unternehmen bzw. um ein Wohlgefallen von „Investoren“. Und denen musste sie dann folgerichtig gute und bessere „Standortbedingungen“ bieten, also niedrigere Steuern und Löhne. In der Folge dieses „Umbaus“ der sozialen Marktwirtschaft konnte die nur Aspekte ihres sozialen Charakters verlieren.

27) Zu den Ironien der Geschichte gehört, dass demokratisch-sozialistische Intellektuelle, in denen vordem vor allem und zu Recht „Demokraten“ gesehen worden waren, nach 1990 gern wieder als „Sozialisten“ abgelegt wurden.

DDR aus der Schublade

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