Читать книгу Der Andere - Auto-Bio-Grafie eines bisher noch Unbekannten - Dietmar Halbhuber - Страница 7
Musik in den Knochen
ОглавлениеStill!
Stann!
Der Seppel 2 steht still.
- Die Augen!
- Gerade!
– Aus!
Der Seppel lässt seine Augen nach vorne gucken.
- Im Gleichschritt Marsch!
Der Seppel seppelt los.
Links!
Zwoo!
Drei!
Vier!
Ein Bein. Das andere. Wieder das eine …
– Links um!
Der Seppel marschiert straff um die Ecke. Und die Musik dazu beschwingt seine kleinen Beine:
- Wummtata!
– Wumm!
Der Onkel, der da die Befehle erteilt, meint zwar nicht ihn. Immerhin aber: Auch er gehorcht dem Befehle-Geber. Wie die vielen Onkels alle, die in ihren blauen Uniformen straff neben dem Seppel her marschieren.
Und wie da einige von denen auch noch auf das große Ding rauf hauen, das sie vor dem Bauch haben:
Wumms!
Bumms!
Und wie andere in die Blech-Dinger rein blasen, die sie sich vor die Gusche 3 halten:
Tätä!
Tätääääh!
Und wie sie das Alles auf einmal machen: Laufen und blasen und hauen! Alle immer im gleichen Schritt und Tritt!
Links!
Zwoo!
Drei!
Vier!
Und da also seppelt unser Seppel nun zackig mit!
Es ist auf dem Hof der Alten Kaserne in Dresden, wo der Seppel mit der Mutt’l 4 bei seinem Vat’l 5 zu Besuch ist. Erst mal hatte er, wie fast jeden Tag hier, unten auf dem Hof bissel in dem großen Sand-Haufen gebuddelt. Wie er da aber dann dieses Wummtattaa zum ersten Mal gehört hatte, da hatten sich ihm die Augen und die Ohren aufgerissen und gleich auch war er hin geseppelt 6 zu den blauen Marsch-Onkels, hatte sich da am Rande aufgestellt und gehorcht und geguckt, was da wie abging.
Und da dann war ja bald auch das nicht mehr gegangen: Einfach bloß einfach zugucken! Gar zu sehr doch fuhr diese straffe Musik in seine kleinen Knochen hinein. Und schon auch huben die an, zu jucken und zu zucken.
Hatte sich der Seppel irgendwann dann also selbst auch so bissel stramm auf dem Fußweg neben der Marschier-Straße aufgestellt und war mit den jungen Onkels mitmarschiert. Und dass die Musik, die da den Takt angab, an diesem Punkt seines Lebens anhub, sich immer weiter hinein zu fressen in die Zellen seines Körpers, das merkte der Seppel zwar erst weit später in seinem Leben. Immerhin aber: Er merkte es! Und wie stur und wie lange diese Musik da dann hockte! Ja: Immer dann, wenn er später im Leben wieder mal solche Marsch-Musik hörte, begannen die dann schon sehr viel älteren Zellen zu zucken und ließen den Hans mitmarschieren wollen. Auch dann noch, als er lang’ schon ein Renitenter war …
Da!
Plötzlich!
Hört der Seppel das rufen:
- Seppel!
Der Seppel erschrickt.
- Seppel!!
Die Gute Mutt’l! Sie ruft nach ihm! Vom Sandhaufen her, wo er ja doch spielen gesollt hatte …
- Seppel!!!!
Seppelt der Seppel also gleich erst mal wieder zum Sandhaufen und da zu seiner gut’n Mutt’l hin.
- Wo warst du denn?“
- Ich musste mal!
Das schwindelt 7 der Seppel da dann gleich. Hatte ihm seine liebe Oma doch neulich erst verraten, wie er sie gefragt hatte, ob man das darf: Schwindeln.
Und hatte die Oma ihm da das verraten:
- Ja, manchmal darf man das. Aber nur manchmal!
Heute also! Und so fragt der Seppel seine Mutt’l auch gleich erst mal, was denn die Onkels da drüben machen tun, die er, wie er eben bullern 8 war, gesehen hat. Und die Mutt’l erklärt es ihm dann auch gleich:
- Ist doch gleich 1. Mai – und da müssen die das üben: An den Hohen Onkels vorbei marschieren, die da oben auf der Tribüne stehen.
Weshalb sie Beide ja jetzt auch beim Vat’l für paar Tage zu Besuch sein täten. Dass sie den 1. Mai also mal hier mitfeiern könnten.
Warum der Vat’l hier in der Großen Alten Kaserne ist, das hatte die Mutt’l ihrem Seppel erklärt, wie sie mit dem Zug von ihrer kleinen Stadt nach hier ins Große Dresden her gefahren waren: Dass der Vat’l hier doch lernt, wie das geht: Als guter Volgs-Bolizeier 9 aufpassen, dass auch ja Alle im Volk immer gut sind und nicht etwa etwas machen tun, was der Guten Sache nicht gut tun tut. Oder irgendwie so. Dass die Leute also immer alle artig sein sollen, wie er, der Seppel, das ja auch immer sein muss …
Und einen Tag später ist es dann auch so weit:
1. Mai!
Und sie dabei!
Gleich früh am Morgen putzt die Mutt’l sich blau und ihren Seppel weiß heraus und nimmt ihn dann mit hin zu einem Fuhrwerk mit zwei Pferden davor, das hübsch mit Mai-Nelken geschmückt ist. Steigt da hoch, die Mutt’l, hebt auch ihren Seppel da rein und ab geht die Post mit der Kutsche!
Ganz vorne machen die uniformierten Onkels wieder das, was sie gestern mit ihm and der Seite geübt hatten:
Wummtataa!
Wumms!
Bumms!
Dahinter marschiert der Vat’l mit den anderen Polizeiern und da dahinter fahren nun die Gute Mutt’l und er, der Seppel, umflattert von den vielen roten und schwarz-rot-bunten Fahnen und Transparenten mit der Pferde-Kutsche in der Mai-Demo der Bezirks-Hauptstadt lang.
Und wie begeistert die Leute an den Straßenrändern sind!
Jubel!
Trubel!
Heiterkeit!
Bis dass sich dem Seppel auf einmal die Augen aufreißen!
Weit!
Hatte das eine der beiden Pferde vor ihm doch eben seinen Schwanz angehoben und so komische Äpfel hinten aus sich raus fallen lassen!
Wumms!
Plumps!
Und diese Äpfel ballern nun auf das grobe Pflaster der Straße.
Also nee!!!
Diese Frage aber kann sich der Seppel, klein, wie er da noch ist, nicht stellen: Ob die beiden Viecher vor ihm also ganz und gar anders über die Sache denken, vor deren Karren sie heute wieder mal gespannt sind.
Als wie:
– Scheiß drauf!