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Staatliche Flüchtlingsagentur von Bulgarien, Sofia

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Die beiden Vertreter von „Amnesty International“ haben sich für heute beim Direktor der Staatlichen Flüchtlingsagentur, Nikolai Alexandrov Tchirpanliev, angekündigt. Tchirpanliev weiß, dass ihm dieser Termin wieder Ärger bringen wird. Er hat ihren Bericht gelesen, auch den davor, und es ist wahrscheinlich, dass sie auch nach diesem Besuch wenig Nettes über seine Behörde schreiben werden. Wieder wird es heißen, dass sein Amt mit der Flüchtlingssituation überfordert sei, dass es nicht in der Lage sei, würdevolle Unterkünfte bereitzustellen, überhaupt, dass die Bedingungen in Bulgarien für Menschen auf der Flucht nicht zumutbar seien. Tchirpanliev weiß, sie sind hier, um noch mehr Schwachstellen in seinem System zu finden.

Nikolai Alexandrov Tchirpanliev ist ein Bär von einem Mann. 57 Jahre alt, hemdsärmelig und jovial, einer, der nie zu lange nachdenkt, bevor er spricht. Er hat Psychologie und Soziologie studiert, lange in der Armee gedient. Zuletzt war er im Verteidigungsministerium beschäftigt. Auch als Leiter der Flüchtlingsbehörde versteckt er seine Vergangenheit nicht und setzt auf militärische Strenge. Er ist stolz, dass jeder Vierte seiner Heimleiter aus der Armee kommt. „Das sind die richtigen Leute für diesen harten Job, nur sie können mit diesem Stress umgehen.“ „Soldaten“, sagt er uns einmal, „sind einfacher zu führen als Migranten.“

Die Amnesty-Delegation hat einen Dolmetscher mitgebracht. Auch Tchirpanlievs Übersetzerin sitzt mit am Tisch, als würden sie nicht einmal den Dolmetschern trauen. Der Amnesty-Programmleiter für Europa und Zentralasien, John Dalhuisen, zitiert zum Gesprächsauftakt eine veraltete Statistik und wird sofort von Tchirpanliev korrigiert. Dalhuisens Kollegin lässt ein Exemplar des neuen Reports über den Tisch rutschen. Sie hat dem Bericht versehentlich etwas zu viel Schwung gegeben. Viel zu schnell schlittert er über die Tischplatte auf Tchirpanliev zu. Als wolle sie ihn provozieren. Es ist ein denkbar schlechter Beginn für das Gespräch.

„Ich kenne den Bericht“, sagt Tchirpanliev und lässt ihn wie ein schmutziges Tuch vor sich liegen. „Wir haben uns bereits einmal getroffen, wir haben viele Dokumente übergeben“, sagt er, „wir machen das auch gern weiterhin.“ Es ist ein höflicher Satz, aber er spricht ihn in einem Tonfall aus, als meine er das Gegenteil, als habe er die Geduld verloren. Tchirpanliev ist zurückhaltend, er lächelt nicht, er ist jetzt ungewöhnlich schmallippig.

Jede Frage der Amnesty-Referentin ist ein charmant verkleideter Vorwurf, den sie mit einem unschuldigen „just for clarification“ einleitet. „Just for clarification: Wie viele Asylanträge wurden bisher von Ihrer Behörde bearbeitet? Just for clarification: Welche Möglichkeiten haben Flüchtlingskinder, um am Schulunterricht teilzunehmen? Just for clarification: Wie viele Sozialarbeiter sind in den Flüchtlingsunterkünften beschäftigt?“ Tchirpanliev lässt dann seine Kollegen aus der Statistikabteilung rufen. Sie notieren die Fragen wie Kellner, die eine Bestellung aufnehmen, und verlassen den Raum wieder. Tchirpanlievs Antworten selbst sind allgemein und ungenau. Alle dürfen zur Schule gehen, sagt er, es gebe genug Sozialarbeiter. Und einmal: „Glauben Sie doch nicht alles, was Ihnen Migranten erzählen.“

Zum Abschied sagt er: „Unsere Flüchtlingszentren sind offen, ich würde mich freuen, wenn Sie eines besuchen.“ Es hört sich wie ein Rausschmiss an. Er meint eigentlich, sie sollten sich das nächste Mal besser informieren. Erst als John Dalhuisen noch einmal mahnt und dabei auch über Europa und dessen verfehlte Migrationspolitik sinniert, finden sie überraschend doch eine Gemeinsamkeit. Nachdem Dalhuisen die Dublin-Regeln kritisiert hat, die weder den Flüchtlingen noch den Ländern nützten, hebt Tchirpanliev zustimmend den Daumen.

Der schlechte Ruf von Tchirpanlievs Behörde kommt nicht von ungefähr. Als die Zahl der Asylbewerber 2013 erstmals sprunghaft anstieg, war das Land nicht vorbereitet. Die wenigen Flüchtlingsunterkünfte waren schnell belegt, die Zimmer verdreckt, die Bäder und Toiletten in beschämendem Zustand. Viele campierten in Zelten und warteten auf die Bearbeitung ihrer Anträge. Es herrschte ein heilloses Durcheinander. Gleichzeitig erschütterten Massenproteste das Land und lähmten die Regierung. Zehntausende Menschen zogen Tag für Tag durch Sofias Innenstadt. Sie forderten eine Reform des politischen Systems und kritisierten die ausufernde Korruption. Mit den steigenden Flüchtlingszahlen trat auch die Fremdenfeindlichkeit offen zutage, islamophobe Ressentiments sind in Bulgarien nach der jahrhundertelangen osmanischen Herrschaft noch heute tief verankert, die Medien heizen die Stimmung weiter auf. Ein Dorf wehrte sich gemeinsam gegen die Aufnahme syrischer Familien, in Sofia patrouillierten Anhänger rechtsextremer Parteien und schikanierten Einwanderer und Flüchtlinge.

Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR gab Anfang 2014 eine seltene Empfehlung an EU-Länder aus. In ein Land mit solchen Zuständen sollten Dublin-Fälle – also Asylbewerber, die dort registriert wurden – von anderen Ländern nicht zurückgeführt werden. Die UN-Behörde sprach von systematischen Mängeln bei den Asylverfahren und der Aufnahme von Asylbewerbern sowie von „unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung“. Danach reagierte die Regierung: Die Unterkünfte wurden saniert, Tchirpanliev erhielt deutlich mehr Personal. Statt 80 Mitarbeiter arbeiten im Sommer 2014 mehr als 300 in der Flüchtlingsagentur. Die Regierung kündigte ein Integrationsprogramm in Zusammenarbeit mit den Kommunen an. Asylbewerber erhielten besseren Zugang zu medizinscher Versorgung, und Anträge wurden zügiger bearbeitet. Selbst Flüchtlingsorganisationen lobten verhalten die Fortschritte. Der UNHCR rückte im April 2014 von seiner Januar-Position ab26 und formulierte deutlich zurückhaltender: Es könne notwendig sein, bestimme Gruppen oder Personen, vor allem jene mit besonderen Bedürfnissen und Vulnerabilität, von einer Rücküberstellung auszunehmen.27

Wir werden Tchirpanliev wenige Tage nach dem Termin mit „Amnesty International“ noch einmal besuchen. Eine Vertreterin des UNHCR ist diesmal zu Gast. Sie waren einige Tage zuvor gemeinsam auf einem Kongress in Schweden und wollen nun ihr Treffen nachbesprechen. Tchirpanliev ist jetzt nicht mehr wiederzuerkennen und zeigt sich mehr als kooperativ. Er lobt die „konstruktive Partnerschaft“ mit dem UNHCR und die produktive Zusammenarbeit mit dem Flüchtlingshilfswerk, nicht zu vergleichen sei das Flüchtlingshilfswerk mit Organisationen wie „Amnesty International“ und „Human Rights Watch“. „Wir wollen jetzt schnell ein Integrationsprogramm umsetzen“, meint Tchirpanliev.

Am Rande sprechen wir noch einmal über die Situation in den Flüchtlingsunterkünften. Die UNHCR-Vertreterin ist nicht mehr in der Nähe, er redet jetzt Klartext. Ungebildet seien die Flüchtlinge, nichts als Lügner die NGOs wie „Amnesty International“, einzig interessiert am Fördergeld, das sie durch kritische Berichte erhielten.

Tchirpanliev wird am 29. Dezember 2014 entlassen. Die Integrationsstrategie ist auch Anfang 2016 noch nicht umgesetzt. Die Integration von Flüchtlingen hat in Bulgarien weiterhin wenig Priorität. Der Spiegel zitiert einen Regierungsbericht aus Sofia, wonach in den vergangenen zehn Jahren die Sicherung der Grenzen in Bulgarien mit 300 Millionen Euro durch die EU finanziert wurde, für die Integration von Flüchtlingen wurden aus Brüssel gerade einmal 5 Millionen Euro überwiesen.28 Allein im Jahr 2013 unterstützte die EU die Grenzsicherung in Bulgarien mit mehr als 13 Millionen Euro. In die Verbesserung der Aufnahmebedingungen und des Asylverfahrens wurden weniger als 750.000 Euro investiert.29

Der Zaun

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