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Hauptquartier der bulgarischen Grenzpolizei, Sofia

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Wir treffen den Vizedirektor der Grenzpolizei, Milen Penev, in der Generaldirektion im Zentrum Sofias. Penev, ein schmaler, blasser Mann mit durchdringendem Blick, wird von einer Übersetzerin aus seiner Behörde begleitet. In dem einstündigen Gespräch wird er nicht ein einziges Mal lächeln. Wenn er redet, sucht er selten Blickkontakt, wenn er zuhört, bleiben seine Augen starr nach unten gerichtet. Er spricht vom Zaun und dem neuen Überwachungssystem im Grenzgebiet zur Türkei und referiert Fakten über Fakten.

Bulgarien hat seine Grenzen in den vergangenen Jahren gesichert. Das Land ist zwar seit 2007 Mitglied der EU, nicht aber Teil des Schengen-Raums. Das soll sich künftig ändern. Seit Ende 2010 kontrollieren die Grenzschützer verstärkt innerhalb der 24-Meilen-Zone am Schwarzen Meer, sagt Penev. Mit einem neuen Überwachungssystem soll es den Behörden gelingen, selbst Jetskis oder kleine Boote zu entdecken. Bulgariens Grenzschutz besitzt jetzt außerdem vier Helikopter, die an der bulgarisch-türkischen Grenze und am Schwarzen Meer eingesetzt werden sollen. Bereits im Juli 2012 wurden 85 Kilometer an der Grenze mit neuer Technologie und Wärmebildsystemen ausgestattet. Dazu gehören Kameras, die auf die Bewegung von Lebewesen reagieren.

All das konnte die Flüchtlinge und Migranten nicht stoppen. Im Jahr 2013 stieg die Zahl der Asylanträge von rund 1400 auf mehr als 7100. Bulgarien setzte zusätzlich rund 1500 Polizisten an den Grenzen ein, unterstützt von 170 Experten der europäischen Grenzschutzagentur „Frontex“14, und beschloss, einen Zaun zu bauen. „Wir haben festgestellt, dass rund 85 Prozent aller Migranten über ein ganz bestimmtes Gebiet nach Bulgarien kamen“, sagt Penev. Er hat eine Rechtfertigung für den Bau des Zaunes, die wir im Verlauf dieser Reise noch häufiger hören werden. „Die Migranten brachten sich in diesem Gebiet selbst in größte Gefahr. Immer wieder mussten wir Personal und Helikopter für Rettungseinsätze zur Verfügung stellen. Deshalb ist dort der Zaun entstanden.“

Es ist davon auszugehen, dass der Bau des Zaunes nicht unbedingt aus humanitären Gründen erfolgte. Das Land behandelt Flüchtlinge seit Jahren wenig wohlwollend. Die Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“ hat Bulgarien immer wieder schwere Verstöße an den Grenzen vorgeworfen. Flüchtlinge wurden demnach zum Teil misshandelt und kollektiv zurückgewiesen, ohne dass ihr Asylantrag geprüft wurde. 2014 wurden 44 sogenannte Push-Back-Fälle dokumentiert,15 das Projekt „Bordermonitoring Bulgaria“ registrierte im selben Jahr zusätzlich 14 Vorkommnisse,16 auch „Amnesty International“ listete mehrere Fälle auf.17

Milen Penev weist die Anschuldigungen zurück: „Wir haben eine große Diskrepanz festgestellt, zwischen dem, was in den Berichten steht, und dem, wie sich die Situation tatsächlich an der Grenze darstellt.“ Was er damit sagen will: Flüchtlinge hätten in ihren Aussagen gegen bulgarische Grenzschützer falsche Uniformen beschrieben. „Sie haben auch Waffen erwähnt, die bei uns gar nicht im Einsatz sind, sie haben von Dokumenten gesprochen, die an der Grenze nicht verwendet werden.“

Penev ist ausgesprochen verärgert über die Vorwürfe. Er kritisiert das Foto auf dem Titelblatt des „Amnesty“-Berichtes. Es ist eigentlich nur ein Symbolbild, das einen Mann in Camouflage-Uniform im Grenzgebiet zeigt. Es zeigt einen Soldaten, vermutlich aus der Phase des Baubeginns, und keinen seiner Grenzpolizisten, die eigentlich für die Bewachung zuständig sind. Es ist für Penev ein Beweis, dass auch vieles andere an dem Bericht nicht stimme. Als es um einen konkreten Vorfall geht, wird er wütend, ohne laut zu werden. Ein Grenzschützer soll an einer illegalen Rückführung beteiligt gewesen sein. Penev sagt, dass dieser Polizist in einer Schicht zuvor noch eine hochschwangere Frau über die Grenze getragen habe. So konnte sie ihr Kind in Sicherheit zur Welt bringen. Die Mutter soll aus Dankbarkeit das Kind nach dem Helfer genannt haben. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieser Polizist bei seiner nächsten Schicht Menschen an der Grenze zurückweist.“ Der Dolmetscherin gehen Penevs Aussagen jetzt sichtlich nahe. Immer wieder macht sie lange Pausen zwischen den Ausführungen. Einmal stockt sie, als ihr beinahe die Tränen kommen. Penev redet sich jetzt in Rage: Bulgarien würde in den Berichten wie irgendein afrikanisches Land dargestellt. Am Ende diktiert er: „Ich möchte, dass Sie das notieren: Grenzpolizisten, denen Push-Backs vorgeworfen werden, das sind die, die den Babys der Migranten Essen gegeben und Windeln gekauft haben. Und dies mit dem eigenen Geld bezahlt haben.“

Es steht Aussage gegen Aussage, aber es wird nicht lange dauern, bis Bulgarien wieder von sich reden machen wird. Im Frühjahr 2015, Penev ist inzwischen zum Chef der Grenzpolizei aufgestiegen, sterben zwei Iraker, die der vom „IS“ verfolgten Minderheit der Jesiden angehörten, im Grenzgebiet. Ihre Gruppe berichtete später davon, dass sie von bulgarischen Grenzpolizisten abgewiesen und brutal zusammengeschlagen worden sein sollen, die Opfer starben an Unterkühlung.18 Penev muss wenig später gehen, es ist bis heute nicht klar, ob dies der Grund war. Es ist aber nicht der letzte Vorfall: Wieder vergehen nur wenige Monate, dann fallen an der Grenze Schüsse, ein Mann aus Afghanistan stirbt.19 Die Organisation „Oxfam“ veröffentlicht Ende 2015 mehrere Fälle von mutmaßlicher Polizeigewalt.20 Die Zahl der Einreisen steigt in Bulgarien trotzdem, wenn auch deutlich langsamer als im Nachbarland Griechenland. 2014 werden in Bulgarien 11.081 Asylanträge gezählt, im Jahr 2015 sind es 20.391.21

Der Zaun

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