Читать книгу Out of Pommern Band II - Ablandige Liebe - Dietrich Bussen - Страница 5
3. Kapitel
ОглавлениеEr wolle langsam weiter, sagte Knolle. Dieser Kirschbaum, wie verhext. Erst der Sandmann-Junge, dann der Sohn vom Lehrer. Vielleicht solle man den Baum abhacken.
Abhacken Herr Knolle? - Nu is er wieder bei Herr, dachte Knolle. - Er bezweifle, ob das die richtige Lösung sei. Alles dem Erdboden gleich machen, was einem gefährlich werden könnte oder was einem nicht gefiele? Stellen Sie sich mal Hermannsdorf vor …
Wüste, unterbrach Knolle. Er sehe eine große leere Wüste, wenn’s danach ginge.
Sehnse, Herr Knolle. Er schätze die Lage zwar nicht ganz so düster ein, aber die Richtung stimme schon und nicht nur in Hermannsdorf. Wenigstens die Kirche bliebe doch noch an Ort und Stelle!
Wenn’s nach dem lieben Gott ginge, wahrscheinlich nich, Doktor.
Um Himmels willen. Er sei da gerade erst eingetreten, wehrte Doktor Rankwitz ab. Er solle nicht den Teufel an die Wand malen, schon gar nicht an die Kirchenwand!
Man könne alles so und so sehen. Er sehe es nun mal so, sagte Knolle.
Der Doktor sah Knolle an. Ein richtiger Querkopp, dachte er. Hätte gut nach Pommern gepasst. Gut, dass sie unter sich seien, sagte er. Und noch etwas, er würde in Zukunft gern das Herr weglassen, ob ihm das recht wäre. Es rede sich leichter.
Gern, sagte Knolle.
Ob sie sich jetzt küssen müssten, fragte der Doktor.
Das nu nich Doktor. In Hermannsdorf trinke man bei so was ’ne Flasche Korn, aber die hätten sie ja nu nich. Kartoffelschnaps tät’s allerdings auch. Ob er nicht doch …, zusammen würden sie sicher …
Doktor Rankwitz hob abwehrend die Hände. Wäre doch gelacht, wenn’s nicht auch ohne ginge.
„Auch gut“, sagte Knolle.
Auf beiden Gesichtern lächelte es.
Nun würde es aber wirklich Zeit. Knolle erhob sich und schob seinen Strohhut zurecht.
Er tüftele zur Zeit an einer Mischung, auf die er bei den Aufzeichnungen des alten Keller gestoßen sei. Aufzeichnungen sei vielleicht zu viel gesagt. Notizen in einem Schuhkarton, Zettel ohne jede Ordnung und nur mit Mühe zu entziffern, träfe es wohl besser. Auf jeden Fall habe auf einem dieser Zettel Stärkung der Manneskraft und die Namen von Kräutern gestanden. Bis auf eins habe er alle zusammen. Mit den Mengen müsse man sehen. Bisher habe er es so gehalten: von den stärksten am wenigsten und von den schwächsten am meisten - bei Mischungen.
Wonach er denn gegangen sei bei der Bestimmung von stark und schwach.
Nach Geruch und Geschmack.
Also streng wissenschaftlich, dachte Doktor Rankwitz und glättete seine Stirn wieder.
„ So, so“, sagte er und grinste. „Für den Eigenbedarf?“
Nu ja, eines Tages, da säße man ja nicht drin, sagte Knolle. Im Dorf gebe es den ein oder anderen, der es nötiger habe, außer Anwesenden natürlich. Jetzt grinste Knolle.
Touché, dachte der Doktor und winkte ab.
Ihn würde einfach interessieren, was er davon halte. Er habe doch schließlich auch mit solchen Sachen experimentiert.
Liebstöckel, Sellerie, Knoblauch, Porree, die habe er eindeutig erkannt. Mit einem Kraut komme er jedoch nicht klar. Bocks, dann unleserliches Gekrakel, und am Ende Klee, falls er die Sauklaue richtig entziffert habe.
Volltreffer, Knolle. Bockshornklee. Die Pflanze sei ihm bekannt.
Wirklich? Auf Knolles Augen legte sich erwartungsvoller Glanz.
Ja, in jeder Hexenfibel. Neben Weidenrinde und Stinkmorcheleiern.
„Donnerwetter“, sagte Knolle.
„Wärmebedürftige Pflanze, Vorkommen hauptsächlich in Südeuropa, in Westfalen Fehlanzeige. Möglicherweise am Rhein, im Weinbauklima.“
Das sei zu weit, sagte Knolle, aber - er machte eine Pause - hinter Bockshornklee habe in Klammern wildes Bohnenkraut gestanden. Es sei doch möglich, dass sein Vater einen Ersatz gefunden habe, wegen der - er überlegte - Entfernung zu diesem Klee. Was er davon halte.
Möglich, sagte Doktor Rankwitz. Bohnenkraut sei auf jeden Fall gesund und die wilde Form erst recht, wenn’s nach Geruch und Geschmack ginge. Nur, auch das müsse man erst mal finden.
Ob er Krähwinkels Heuwiese kenne, fragte Knolle. Nicht? Wenn überhaupt, dann da. Südhanglage, nach Norden hin uralte Fichten. So manches Kraut habe er dort schon gefunden. Die Wiese im Rheinland, Doktor!, und selbst der Bocks… Er stockte. - „Bockshornklee“, half der Doktor aus. - Genau, der würde da auch, frag nich wie! Jetzt würde es aber wirklich Zeit. Kartoffeln müsse er auch noch ausmachen. Er käme die Tage wieder vorbei. Und, ehe er es vergäße, über Fliegenpilze habe er auch was gefunden in dem Schuhkarton und Dollkraut, aber das habe Zeit.
Hoffentlich, dachte Doktor Rankwitz, dem bei Dollkraut Schirling einfiel und bei Schirling Schirlingsbecher und Sokrates und Exitus.
Nu ja. Knolle lüftete seinen Strohhut, sagte „do widzenia doktorze1“, der Doktor stutzte, fragte „czy pan mόvi po polsku2?“, Knolle fiel der Hut aus der Hand, sagte „tylko trochę3“, und der Doktor antwortete „ja też4“.
Knolle ging einen Schritt zurück, so, als ob er das Phänomen vor ihm aus sicherer Entfernung betrachten wollte und in der Hoffnung, dass eine andere Perspektive auch andere Einsichten ermögliche, trat auf seinen Lieblingshut, fuhr sich durch die Haare und sagte, zwischen Frage und Erkenntnis schwankend: „Aus Pommern, deshalb, fast schon Polen, natürlich.“
Knolle bückte sich nach seiner Kopfbedeckung. Er schien erleichtert.
Ganz so einfach sei es nun doch nicht, umso erstaunlicher, dass er, Knolle, weitab von Pommern und Polen polnisch …
Das sei ’ne Geschichte für sich, unterbrach Knolle. Die brauche Zeit und ’nen ordentlichen Schluck aus der Pulle. Er könne ja mal abends vorbeikommen.
Doktor Rankwitz sagte zu. Um Alkohol brauche er sich nicht zu kümmern, den würde er mitbringen. Vorsichtshalber, dachte er.
Er hätte sonst auch welchen da, sagte Knolle im Herausgehen.
Da sei Gott vor, dachte der Doktor.
Hat sich also nicht bis zum Doktor rumgesprochen, dachte Knolle.
Tagelang war von nichts anderem die Rede gewesen im Dorf. Das hatte er gespürt, körperlich gefühlt, nicht nur angenommen oder geahnt.
Die Gespräche verstummten, sobald er in ihre Nähe kam. Grüße fielen verhaltener, verschämt und misstrauisch aus. Alte Bekannte liefen Gefahr, sich in unbekanntem Terrain zu verstolpern bei ihren unbeholfenen Versuchen, ihn zu übersehen. An der Theke rückte man zur Seite. Frau Falkenmeier war eine der wenigen Ausnahmen, aber die ging auch nicht in die Kneipe.
Vielleicht nur wegen den Kartoffeln, dachte er, aus Dankbarkeit und weil sie nichts zu tauschen hatte. Nu ja, is auf jeden Fall ’ne patente Frau, diese Frau Falkenmeier. Da kann der Mann froh sein. Wollte nur wissen, ob sie katholisch sei und woher sie komme. Dann hat sie ihr freundlich die Hand gegeben. Dafür hat se dann noch ein paar Kartoffeln mehr gekriegt.
Wieder wunderte er sich, dass die Geschichte nicht bis zum Doktor vorgedrungen war.
Nu ja, gehört eben doch nich dazu, der Doktor. Vielleicht auch besser so, bei den Dösköppen.
Es irritierte ihn, dass ihn dieser Gedanke eher heiter stimmte.
Auf dem Kartoffelfeld hatte er sie erwischt, bei seinen Schätzen, die er hegte und pflegte, mit denen er das Jahr über lebte wie mit Schutzbefohlenen, angewiesen auf ihn und seine Fürsorge. Sie dankten es ihm mit glatter Schale, makelloser Form und gelbfleischiger Frucht und vielleicht auch irgendwann einmal mit dem Wässerchen, das er begehrte. Dass sie es sich entlocken ließen, und er ihre wahre Kraft spüren würde, wenn sie Körper und Geist durchdrängen und plumpe Materie zu Glück und Seligkeit verflüchtigten. Auch seine Kräuter würden sie beleben, wenn sie sich mit dem veredelten Saft seiner Knollen verbänden. Knollen? ... Nein, Knollen wuchsen auf den Feldern der anderen. In seiner Erde schlummerten und keimten und vermehrten sich Früchte, pommes de terre allenfalls wie in französischen Böden.
Seit der Kartoffeldiebin aber lauschte er dem Klang von ziemniaki5, wenn er seine Schützlinge auf dem Feld und im Keller besuchte.
Ziemniaki5 hatte sie ausgebuddelt und in ihrem hochgeschürzten Kleid versteckt, als er sie überrascht hatte. Und dann war mit ihnen das Wunder passiert, das sich manchmal zwischen zwei Menschen ereignet, wenn Worte ihre Bedeutung verlieren, Grenzen sich auflösen und der Himmel sich einen winzigen Spalt breit öffnet.
Schade, dass se wech is, dachte er auf seinem Weg zur Wiese am Südhang.
Er sah sie wieder vor sich. Sie hatte ihr Kleid losgelassen, die Kartoffeln waren heruntergefallen, dann lief sie los, stolperte und kam allein nicht mehr auf die Beine.
Liegen lassen kann man se auch nich, hatte er gedacht, und sich nach den Kartoffeln und der Frau gebückt.
Zu Hause hatte er ihr geschwollenes Gelenk in Kräuterwickel gepackt, und das Wunder hatte Fahrt aufgenommen mit der Heilung und mit ihrem Körper, dem er beim Atmen zusah, wenn sie schlief und mit der Dankbarkeit und der Freundlichkeit, die sich in seinem Haus ausbreitete.
Sie war wenige Tage vor Kriegsende geflohen aus einem Lager. Lager war eines der wenigen Wörter, das sie in deutscher Sprache aussprach. Sie hatte sich bis zu seinem Kartoffelfeld durchgeschlagen, immer auf der Hut vor den Menschen mit der Sprache ihrer Aufseherinnen.
Auch in der Zeit bei Knolle mied sie jeden Kontakt, beobachtete aus sicherer Entfernung bettelnde Frauen und Kinder. Einzig Frau Falkenmeier war ihr so nahe gekommen, dass sie einer Berührung nicht mehr ausweichen konnte.
Vielleicht schreibt se ja mal, wenn se angekommen is.
Ihm fiel der Doktor ein und dessen Sprachkenntnisse und er machte sich Gedanken über die sonderbaren Zufälligkeiten des Lebens.
Unterdessen überlegte Hannes, dass ihm immer noch der Kirchturm bliebe. Dass man vielleicht von dort oben bis zum Meer und dem Schiff mit Bert und dessen Mutter sehen könne. Schön wäre, wenn man jemanden fragen könnte, der schon mal oben war. In dieser Frage hätte er sich gern mit seiner Schwester beraten, aber seit die im Kloster war … Von dort war keine Hilfe zu erwarten.
Die kam von anderer Seite.
Er hörte, wie jemand zur Vorsicht riet und ihm empfahl, sich dieses Vorhaben noch ein paar Mal durch den Kopf gehen zu lassen. Der Kirchturm gehöre schon seit langem zu den magischen Orten (natürlich nicht in die erste Kategorie wie die Menhire in Stonehenge und der Bretagne oder die Externsteine), aber immerhin. Er erinnere sich an den Kirschbaum? Magische Orte seien nun mal so eine Sache für sich, immer für Überraschungen gut und unberechenbar. Ganz zu schweigen von den metaphysischen Ausdünstungen, die wie Nebelhorngetön in die Phantasie der allzu Gläubigen eindringe und deren Gedanken verneble. „Schön gesagt, oder?“
„Weiß nich.“
„Ach Hannes, ich vergesse immer wieder, dass uns beide Welten trennen, nicht nur metaphernmäßig, ich meine sprichwörtlich, oder bildlich gespro…“
Er unterbrach sich, winkte ab, lächelte und entschuldigte sich für seine Ausführungen. Auch er, der Anselm, müsse noch lernen, mit seinen neuen Möglichkeiten richtig umzugehen. „Das ist so wie mit neuen Schuhen, die muss man auch erst einlaufen, bis man keine Blasen mehr …“
„Neue Schuhe habe ich noch nie gekriegt“, unterbrach Hannes.
„Ach so“, sagte Anselm, „entschuldige, dumm von mir. Wie gesagt, vergiss es einfach“, fuhr er fort. Aber, es habe schon seinen Grund, dass die Hermannsdorfer glaubten, dass der Deubel in der Spitze säße. Mit Spitze meinten die nämlich die Kirchturmspitze. Den Kirchturm ließen sie nur deshalb weg, weil sie Angst hätten, sie würden es sich auch noch mit dem lieben Gott verderben, wenn sie sein Haus mit dem Teufel in Verbindung brächten. Ob er sich denn noch nie Gedanken über den Hahn auf dem Kirchturm gemacht hätte, der dort unermüdlich seine Runden drehe, übrigens nicht nur in Hermannsdorf. Der solle den Teufel in Schach halten und zur Not krähen, wenn es ganz schlimm käme. Einige wollen ihn tatsächlich schon gehört haben. Baumkötters Ludwig zum Beispiel, den habe man - trotz erheblichen Alkoholkonsums - wie ein aufgescheuchtes Huhn durchs Dorf laufen sehen. Am nächsten Tag habe der behauptet, der Hahn vom Kirchturm sei hinter ihm her gewesen. Seitdem würden sich die notorischen Säufer - die Gewohnheitstrinker meine er natürlich - auf ihrem Nachhauseweg um einen weiträumigen Abstand zum Kirchturm bemühen. Alles in allem, er rate von einer Besteigung ab.
Hannes wachte auf, spürte, dass er pinkeln musste, war erleichtert, dass es diesmal nicht ins Bett gehen würde, dankte dem heiligen Rochus, verrichtete sein Geschäft, öffnete das Klofenster, sah den vom halben Mond beschienenen Kirchturm, sah über dem Turm Goldenes in unregelmäßigen Abständen aufschimmern und war überzeugt, dass er den Kirchturm lieber meiden sollte.
Dann ging ihm Anselm durch den Kopf, und während er wieder einschlief dachte er, dass er von ihm geträumt hätte, und dass man es vielleicht doch versuchen könnte, nur nicht allein, auf keinen Fall.