Читать книгу Out of Pommern Band II - Ablandige Liebe - Dietrich Bussen - Страница 7
5. Kapitel
Оглавление„Ja, lass es krachen!“, schrie Knolle in den Himmel.
Breitbeinig, mit hochgereckten Armen stand er im Innenhof zwischen Stall, Scheune und Wohnhaus. Seine Kleider hatte er sich vom Körper gerissen. Verstreut lagen Hemd, Hose und Unterzeug. Als ob er sie herausfordern wollte, die Mächte über ihm. Nackt und angespannt, erdverbunden und dennoch abflugbereit, so stellte er sich den Mächten, die Hermannsdorf und ihm, ihm vor allem, den Kampf angesagt hatten. Er war überzeugt, dass die geballte Energie sich nur seinetwegen entlüde, der Aufmarsch der Elemente ausschließlich ihm gelte. Bei jedem Donner brach es aus ihm heraus. Wie aus unbekannten Tiefen befreit, brüllte es aus seinem Mund, gleichwertig den tobenden Mächten um ihn herum.
Regengüsse schlugen auf seinen Körper, öffneten seine Poren und schwemmten den Ballast fort, der sich angesammelt hatte über die Zeit.
„Ja, ja, Blitz, Donner und Regen“, und dann wieder Laute, wie Vieh in Bedrängnis oder Hirsche in der Brunft.
Als ob er nicht weichen könnte, stand er wie in Fels gehauen, nur auf eins gerichtet, im Kampf mit den Elementen zu bestehen oder unterzugehen.
Angst und die Wut über seine Angst brüllte er aus sich heraus, während das Gewitter um ihn seiner wütenden Klage archaische Maße verlieh. Er wollte die Tragödie, auch wenn sie ihn verschmähte.
Blitz und Donner zogen ab. Knolle verharrte auf seinem Platz. Seine Rufe jedoch hatte die Kraft verlassen. Wie der Klang von Nebelhörnern verwehten sie nun im aufklarenden Himmel. Mit dem Aufatmen der Natur um ihn wandelte sich auch in Knolle die Macht des Urkräftigen, und er fand wieder zu sich und seiner Umgebung zurück.
Er ging ins Haus, in die Küche, setzte sich an den Tisch, noch immer nackt, dachte an die Wiese und die Kräuter, die er gefunden hatte und sprang wieder auf, als ihm einfiel, dass er Versäumtes schnellstens nachholen musste. Durch das heraufziehende Gewitter gebannt, hatte er nicht mehr an seine Kräuterbündel gedacht. Ungeschützt waren sie den Regengüssen ausgesetzt. Aber auch dem Blitz und dem Donner, dachte er, und es würde ihn nicht wundern, dachte er, wenn sie etwas abgekriegt hätten von den Urgewalten, denen sie ohne den Schutz ihrer natürlichen Standorte ausgeliefert waren.
Jetzt konnte er wieder überschaubar denken und fühlen, wie nach einem Reinigungsritus, vergleichbar der Kinderbeichte am Samstagnachmittag.
Die Beine von sich gestreckt, an den Stuhlrücken gelehnt und mit herunterhängenden Armen saß er an seinem Tisch, und er hatte wieder Hoffnung, dass es für seine Entdeckung am Waldrand eine Erklärung geben würde, die nichts mit ihm zu tun hätte. Er sagte sich, dass es nach diesem Krieg für Vieles viele Erklärungen geben würde. Warum sollte es also ausgerechnet zwischen ihm und seinem Fund einen Zusammenhang geben.
Er fragte sich, was er denn verbrochen haben könnte, dass ihn so etwas treffen dürfe. Da er aber weder an irdische noch an göttliche Gerechtigkeit glaubte, blieben Zweifel.
Zu seiner Entlastung führte er ins Feld, dass er nicht in die Partei eingetreten war. Unter Vorwänden zwar und Ausreden, aber immerhin. Er hatte dem Drängen um ihn herum nicht nachgegeben. Selbst der Pastor hatte ihm zugeraten, von seiner bäuerlichen Standesorganisation ganz zu schweigen.
Glück war auch dabei, zugegeben. Allein, wie ich war nach Vaters Tod, konnte ich auch allein für mich entscheiden, ohne andere mit reinzuziehen. Wenn es mich auch beinahe Haus und Hof gekostet hätte.
Ich sei eine Schande für meinen Berufsstand, hat er gesagt und heute steht er wieder ganz oben, der Bürgermeister von Hermannsdorf! Als ob sie unter Gedächtnisschwund leiden, alle miteinander.
Gerettet hatte ihn schließlich die Bestechlichkeit der kleinen Möchte-gern-Führer in ihren großartigen Hab-ich-gern-Uniformen.
Er musste seit langem zum ersten Mal wieder an diese Zeit denken, den Terror der kleinen Geister und dumpfen Hirne, die sich so stark gefühlt hatten im stramm geschnürten Korsett ihrer Parteiorganisationen. Und heute tun sie so, als ob nichts gewesen wäre. Reden von Wiederaufbauen und Nach-Vorne-Sehen, und dass man im Rückwärtsgang nur im Graben lande.
„Es gibt eine Zeit für Böses und eine Zeit für Gutes.“ Die Zeit für das Böse sei nun vorbei. Jetzt sei die Zeit für das Gute. „Vergesst das Böse, das hinter euch liegt, und tut Gutes, Amen.“
Nee Pastor, so einfach ist das nicht, nirgends, und schon gar nicht in Hermannsdorf.
Manchmal beschlich ihn das Gefühl, dass sie noch immer Leute wie ihn dafür verantwortlich machten, dass alles schiefgegangen sei.
Fehlt nur noch, dass sie leider sagen. Irgendwas hat nicht gepasst, und deshalb ist es leider schiefgegangen. Noch halten sie damit hinterm Berge, aber wer weiß, wie lange noch.
Und an der Heuwiese, ist da auch etwas schiefgegangen, leider? Hat da auch irgendetwas nicht gepasst, leider? Vielleicht sollte ich den Pastor mal mitnehmen. Das Böse ist nun vorbei. Dann muss ich mich wohl verguckt haben.
Bei dem Gedanken an die Wiese und den Waldrand fröstelte ihn, und er bemerkte erst jetzt, dass er noch immer nackt war.
Fräulein Müller war enttäuscht von diesem Bilderbuch-Spätsommernachmittag. So beschwingt sie sich auf dem Heimweg von Falkenmeiers gefühlt hatte, so lustlos räumte sie jetzt in der Praxis Eins vom Anderen weg und alles ans Vorherige. Sie übersah die begehrlichen Blicke, die sie in anderer Gemütsverfassung bereitwillig über ihren Körper rieseln ließ. Auch für den Abend erwartete sie keine grundlegende Wende.
Der Doktor schien mit Routine den Nachmittag überstehen zu wollen. Nichts war zu spüren von seiner selbstverständlichen freundlichen Zuwendung. Fräulein Müller spürte jedenfalls nichts und Bauer Kleinschmitt fragte, ob was mit ihm sei. Er sehe aus, wie seine Frau beim …, na er wisse schon - irgendwie nicht bei der Sache.
„Als ob se neben sich selber liegt dabei und sich fragt, was ich da mit der anderen mache.“ Ob er wisse, was er meine.
Nicht so ganz.
Seien se erst mal verheiratet, und er winkte ab.
Jetzt auch noch so’ne Bemerkungen, dachte Fräulein Müller. Das muntert ja ungeheuer auf.
Er fühle sich eigentlich ganz wohl, sagte der Doktor, aber trotzdem …
Jau, jau, sagte Bauer Kleinschmitt, es läge was in der Luft.
Das stimmt, dachte Fräulein Müller, mich macht’s auch ganz wibbelig.
Er spüre seine Knochen am chanzen Leibe, aber wie!
„Bei mir im Kopp, wie durch die Mangel gedreht, aber vor und zurück, das kann ich dir sagen“, erklärte sein Nachbar.
Der Blödmann auch noch, dachte Fräulein Müller. Dämelacke, alle beide. Fehlt nur noch Heitmeiers Walter mit Geschichten über seinen Stuhlgang, dann pack ich meine Sachen und mache Feierabend für heute. Irgendwie läuft alles in die falsche Richtung.
Das mit dem Kopf würden sie schon wieder hinkriegen, sagte der Doktor. Er habe einen neuen Tee, der wirke wahre Wunder.
„Mit Tee?“
Mit Tee! Stärkere Geschütze könnten sie immer noch auffahren.
„Na in Chottes Namen, cheben se mal her.“ Dann brabbelte er noch Unverständliches vor sich hin. Kräuterknolle glaubte Doktor Rankwitz herauszuhören.
„Aber von wegen stärkere Geschütze“ - jetzt artikulierte er wieder verständlich - „habe ich Ihnen eigentlich schon erzählt, wie ich und die Dicke Berta vor Verdun…“
„Die mit der Ladehemmung?“, unterbrach Heitmeier.
„Chenau. Also …“
„Die Cheschichte können wir schon singen“, unterbrach Heitmeier erneut.
„Ich erinnere mich. Tolle Sache damals“, sagte der Doktor, nickte anerkennend zu Heitmeiers Nachbar herüber und bat Fräulein Müller, Fenster und Tür zu öffnen. In der Praxis sei es außergewöhnlich stickig.
So is er, der Doktor, dachte Fräulein Müller. Da können se noch so nach Schweiß und Kuhstall stinken, dass man die Luft schneiden kann, der findet immer was anderes fürs Durchlüften. Die riechen, wie se aussehen: wie ranziger fetter Speck.
„Dann isses ja chut“, sagte Kleinschmitts Nachbar und war sich im Unklaren, ob er sich über das Doktorlob freuen, oder über die Unterbrechungen ärgern sollte.
„Aber nich, dass Durchzug is. Das ist Chift für mich und meinen Darm.“
Doktor Rankwitz durchsuchte mit Hilfe eines Sekundendurchlaufs sein gespeichertes medizinisches Fachwissen nach Zusammenhängen von Darm und Zugluft: kein Eintrag.
Fräulein Müller stoppte ihren Gang zu dem Regal mit den Teetüten.
Ich hätt’s nicht berufen sollen, Heitmeier und sein Darm! Nun sind se doch noch gekommen, alle beide. Mit diesem Gespann will ich ihn mal nich alleine lassen, dachte sie, obwohl er’s eigentlich verdient hätte.
Der Doktor entschloss sich, Heitmeiers Äußerung auf witterungsbedingte leichte Verwirrtheit zurückzuführen, und er nahm sich vor, noch behutsamer als gewöhnlich mit ihm umzugehen.
Bei dem Wetter gingen bei uns die Fischer vor die Tür, warfen prüfende Blicke in alle Himmelsrichtungen, schnauften ein paarmal tief durch und blieben an Land, erinnerte er sich. Selbst der Ostsee war bei der Luft nicht zu trauen. Die Meerjungfrauen zogen sich in ihre Bernsteingrotten zurück und machten es sich auf ihren Lagern aus Seegras und Tang bequem, träumten von hübschen Jünglingen, denen sie den Kopf verdrehen wollten und warteten ab.
Auch Doktor Rankwitz schnaufte tief durch bei dem Gedanken an seine Meerjungfrau im fernen Ozean auf dem Weg zu neuen Ufern und neuen Jünglingen.
Kleinschmitts Nachbar weilte noch immer in Frankreich. Mehr summend als singend gab er „ich hab mich in Frankreich die Pfeife verbrannt, und alles nur fürs Vaterland“ zum Besten.
Knolle ging vor die Tür, sah seine Kleidungsstücke im Matsch auf dem Hof liegen, sah Doktor Rankwitz, wie er sich über sie beugte und wie er den Kopf wieder hob.
Hastig bedeckte Knolle seine Geschlechtsteile mit den Händen, wusste nicht, was er sagen sollte, versuchte ein Lächeln und wirkte so, wie er sich fühlte: hilflos.
„Hab ich hier was verpasst, oder kann man noch mitmachen? Und wegen mir brauchen Sie nicht …“ Er deutete auf Knolles Hände.
„Wirklich nicht.“
Knolle ließ die Arme sinken. Er war erleichtert, dass ihn kein anderer als der Doktor in diesem Zustand gesehen hatte, und er empfand keine Scham mehr über sich und seine Nacktheit.
„Es hat sich abgekühlt“, sagte Knolle.
„Wurde aber auch Zeit“, sagte der Doktor. Ob er störe.
Er wolle sich nur was anziehen, von Stören könne keine Rede sein, sagte Knolle, ganz im Gegenteil.