Читать книгу Out of Pommern Band II - Ablandige Liebe - Dietrich Bussen - Страница 6
4. Kapitel
ОглавлениеDa is se wieder, dachte Frau Steinmüller auf ihrem Beobachtungsposten hinter der Gardine. Dieses Luder, wenn se wenigstens ihr Kleid anständig zuknöpfen würde.
Fräulein Müller blieb stehen, drehte sich zum Steinmüllerschen Fenster, bückte sich, wobei sich der Ausschnitt ihres Kleides öffnete, schob einen Schuh vom Fuß, hob ihn auf und versuchte Störendes aus ihm heraus zu schütteln.
„Mein Chott, bei der kann man ja bis ins Allerheiligste gucken.“
Frau Steinmüller schob hastig die sichtbehindernde Gardine zur Seite. Alle Vorsicht außer Acht lassend starrte sie auf Fräulein Müllers unzüchtiges Oberteil und wandte sich selbst dann noch nicht ab, als sich diese wieder aufrichtete. Die Blicke der Frauen trafen sich, Fräulein Müller lachte über den Kopf von Frau Steinmüller hinweg, strich mit beiden Händen über Busen und Bauch und setzte ihren Weg fort.
„Schamlose Person, und frech is se auch noch.“ Frau Steinmüller schob sich die Gardine wieder vors Gesicht. „Der arme Doktor, chrade erst katholisch und dann so was im Haus. Wenn er se wenigstens heiraten würde, damit se von der Straße wech is. Chottochott, sonst is es aber still heute“, und ihre Blicke glitten den Weg auf und ab.
Warum der mich immer wieder vertröstet, dachte Fräulein Müller. Dass sich erst alles eingespielt haben müsse mit ihm und dem Dorf und der Praxis. Vielleicht klappe es ja alles nicht und er müsse sich womöglich woanders was suchen. Von Woche zu Woche wird sein Wartezimmer voller und dann solche Sprüche. Auf jeden Fall in diesem Jahr, wenn alles gut geht, hat er versprochen. Bin mal gespannt. Jetzt is bald Herbst und im Winter will ich auch nich, bei Schnee und Eis und wenn der Frost ins Bett zieht. Nee, nee, der Winter is fürs Jagen und fürs Wild. Fürs Heiraten is der Sommer oder noch besser das Frühjahr. Im Mai wäre schön, wenn alles wieder sprießt und in die Höhe schießt, auch beim Doktor, dass er wieder richtig scharf is auf mich.
Es beunruhigte sie, dass er in der letzten Zeit nicht mehr so recht bei der Sache zu sein schien, in der Mittagspause. Sie erinnerte sich, dass er es anfangs kaum abwarten konnte und jetzt … Wenn ich nicht das Heft oder auch das ein oder andere in die Hand nehmen würde …, wer weiß.
Sie überlegte sich, ob sie ihn zappeln lassen sollte. Nicht zu lange natürlich, dass er sich ’ne andere suchte, aber gerade lang genug, dass es ihn wieder jucken würde, wenn sie sich vor ihm aufbaute mit ihrem engen Pullover oder dem Weitausgeschnittenen.
Und in der Praxis? Sie habe es schließlich nicht nötig, sich jeden Tag um seine ungewaschene Kundschaft zu kümmern. Heute zum Beispiel, bei dem Wetter. Liegestuhl raus und ab untern Kirschbaum, dass es alle mitkriegten, und er nicht mehr wüsste, wo hinten und vorne ist. Aber nicht zu lange, die Konkurrenz schläft nicht. So ’ne Art Warnstreik, dass er wieder merkt, was er an mir hat, auch in der Praxis. Zur Not tät’s auch wieder ein Engländer, dachte sie, wenn möglich ein Offizier, und sie träumte auf ihrem Weg zurück in die Praxis von einer Zukunft weg von diesem Bauernkaff, vielleicht sogar in England oder gar in einer der Kolonien, weitab von Europa auf einem fernen Kontinent. Aber Frau Doktor ist auch nicht schlecht, sagte sie sich, und ein Spatz in der Hand ist besser als ’ne Taube auf ’em Dach.
Aber das mit dem Liegestuhl wollte sie ausprobieren, nur für ein, zwei Stunden erstmal.
Morgen vielleicht, wenn er von seinem Hausbesuch zurückkommt, und ich im Badeanzug unter dem Kirschbaum.
Ja, unter dem Kirschbaum, der hat den richtigen Schatten und das richtige Licht und überhaupt. Der hat was, der Kirschbaum. Da wird er Augen machen, und sie überlegte sich, an welcher Stelle unter dem Baum sie sich am wirkungsvollsten zur Geltung bringen könnte.
Nur schade, dass er im Augenblick nicht blüht, dachte sie, aber auch ohne hat der was Besonderes, der Baum. Sie erinnerte sich an ihren ersten Kuss von ihrem ersten Freund, und dass sie die Kirschbaumrinde gestreichelt hatte, als er wieder gegangen war.
Ja, die Müllerin … Der Doktor sah durch das Fenster über der Patientenliege auf die Obstwiese. Er überlegte, ob es nicht doch das Beste sei, die Sache schnell hinter sich zu bringen. Bisher sei doch alles überraschend gut gelaufen. Nach so kurzer Zeit schon eine eigene Praxis, in der zwar noch so Einiges fehle - woher auch in diesen Zeiten - aber das Nötigste sei vorhanden und vor allem, immer weniger Leerlauf schon nach den paar Monaten. Wenn auch der ein oder andere männliche Kunde nicht nur wegen ihm, sondern auch - vielleicht sogar ausschließlich - wegen der Müllerin und ihrem schmerzlindernden Anblick käme, selbst, wenn er das nicht ausschließen könne, habe er doch allen Grund auf sich und das Erreichte stolz zu sein.
Aber eine Heirat und dann ein Leben lang mit Fräulein Müller, da kann hinter mich bringen lange dauern. Es sei denn, Knolle hilft aus, wenn’s ganz schlimm kommt, mit seinen Wässerchen und Pulvern, zum Beispiel aus Dollkraut und Fliegenpilzen.
Das, Fräulein Müller, war jetzt ein Scherz, sagte er zu sich und seiner Ratlosigkeit.
Er sah die Äste der Apfelbäume, die sich mit der Last der reifenden Früchte bogen. Er öffnete das Fenster und sonnte sein angeschlagenes Gemüt im Blick auf die Äpfel, die im lichten Schattenspiel ihrer Reife entgegenhingen. Liebesapfelrot und honeymoongelb, dachte er.
Als ob sie sich für den Tag ihrer Ernte und die Stunde des Genusses schmückten, bunt gewandet für den Augenblick der Hingabe.
Wieder musste er an die bevorstehende Hochzeit denken und an eine Frau, für die er nicht die richtigen Worte gefunden hatte, die weitergezogen war mit ihrem Sohn, die ihn zurückgelassen hatte in diesem Dorf, in dieser Praxis und bei dieser Müllerin.
Was war das für eine Frau.
Wie eine griechische Göttin, nur intelligenter und weniger abgehoben, ein wenig schlanker vielleicht auch, aber … die gleiche fließende Grazie, wie bei ihren antiken Schwestern, dachte er. Dazu mit Witz und Wagemut, sanft und selbstbewusst und dann die Beine … Die sah er immer zuerst, wenn er an sie dachte. Er hätte nicht sagen können, ob sie besonders lang oder vollkommen geformt oder auffallend schlank in den Fesseln gewesen wären, oder ob irgendein anderes Detail den Ausschlag gegeben hätte, nein, es war der Anblick eines Gesamtkunstwerkes , das ihn verwirrte und seine Gedanken und Gefühle zu verwegenen Phantasien verführte; in der Erinnerung erst recht. Je weiter sie sich von ihm entfernte, um so intensiver spürte er den Verlust seiner Göttin, manchmal auch Meerjungfrau, wenn er an ihre Schwärmereien vom Stettiner Haff und der Ostsee dachte, und er sich zu allem Überfluss auch noch in Wehmut mit ihr verbunden fühlte an den einsamen Hermannsdorfer Sommerabenden. Da konnte auch Fräulein Müller nicht weiterhelfen. Dann sehnte er sich nach dem Zauber Jankowskischer Erotik und nicht nach dem Sex seiner naturbegabten Müllerin.
Nicht mal in Andeutungen hatte er sich ihr genähert. Das nahm er sich übel. Aber trotzdem, sagte er sich, es hätte ihr auch ohne förmlichen Antrag und schmachtende Blicke auffallen können, hätte ihn ermutigen können, vielleicht sogar den ersten Schritt … Stattdessen, mit Sohn ab nach Kanada und ich mit Fräulein Müller und Praxis in Hermannsdorf. Nennt man so was Schicksal? Nicht zu beeinflussen? Es kommt, wie es kommen muss? Oder gar göttliche Fügung, jetzt, als frisch getauftes Mitglied der heiligen römisch-katholischen Kirche?
So nicht Doktor, sagte er sich.
Wenigstens einen Brief wollte er ihr schreiben, Schicksal hin, Fügung her. Mit der Anschrift könnte Hannes vielleicht weiterhelfen bei der dicken Freundschaft der beiden Kinder.
Wenn der britische Offizier nicht gewesen wäre, mit dessen Hilfe sie sich und ihren Sohn über Wasser gehalten hatte, bis er schließlich wieder nach England zurückbeordert wurde. Aber da war es schon zu spät. Da hatten sie ihren Sohn schon krankenhausreif geprügelt und ihr die Baracke über dem Kopf angezündet. Von da ab hatte er keine Chancen mehr. Rien ne va plus, aus der Traum.
Er sah wieder die Äpfel, wie sie in ihren reifen Farben in der Sonne glänzten, überlegte, dass es auch ihm gut täte, sich von ihr bescheinen zu lassen, vielleicht, dass sie seine Gedanken aufhellte, und er beschloss im Rasen unter dem Kirschbaum auf Fräulein Müller und seine ersten Patienten zu warten.
Hoffentlich empfindet sie das nicht als Aufforderung, sich ihrer Kleider zu entledigen. Heute nicht Müllerin, ganz bestimmt nicht.
Da sieh mal einer an, der Doktor unter dem Kirschbaum. Man könnte meinen, der kann Gedanken lesen, und dass er mir den Wind aus den Segeln nehmen will. Na warte Bürschchen.
Sie sagte sich, dass dort auch Platz für zwei sei, und dass der Doktor sicher nichts dagegen hätte, zumal es für beide unter dem Kirschbaum das erste Mal wäre, und dass es auch nichts schaden könnte, wenn man sie sehen würde und im Dorf herumerzählt würde… Sie müssten ja nicht bis zum Äußersten gehen.
Der Doktor hingegen erhob sich rasch, als er Fräulein Müller auf sich zukommen sah. Der wiegende Gang und das um zwei Löcher zu tief aufgeknöpfte Oberteil sollten ihm heute nicht seine Melancholie verderben.
Ich werde ihr schreiben, auf jeden Fall, und er überlegte sich, womit er Hannes bei seinem Hausbesuch eine Freude machen könnte.
Er brauche sich nicht zu beeilen, rief Fräulein Müller. Das Wartezimmer sei noch leer. Sie habe nachgesehen. Die schönen Tage müsse man ausnützen.
Sie griff nach ihrem Rock, zog ihn hoch bis über die Knie und wedelte sich und ihr Kleid in Richtung Kirschbaum.
Ach meine ferne Meerjungfrau, seufzte der Doktor, soll ich oder soll ich nicht?