Читать книгу Out of Pommern Band II - Ablandige Liebe - Dietrich Bussen - Страница 8
6. Kapitel
Оглавление„Donnerwetter, aus der Kaserne?“
Doktor Rankwitz nickte. Für ’ne Syphilis, als Schweigegeld sozusagen. Er habe Glück gehabt, dass er an einen Weintrinker geraten sei, dazu noch einen mit Sinn und Verstand für edle Tropfen. Bei Engländern nicht ganz so selbstverständlich.
So? Davon verstehe er nichts, sagte Knolle. Von Engländern nicht und von Wein auch nicht viel, obwohl er ihn gern trinke, so sei es nicht. Aber in diesen Zeiten, woher nehmen ohne zu stehlen.
„Und Sie?“, er deutete auf den Tisch, „gleich drei Flaschen. Sogar aus Frankreich, oder?“
Ja, französischer, und wegen der drei solle er sich man keine Gedanken machen. Er habe noch Reserve im Keller.
„War wohl im fortgeschrittenen Stadium, Ihr Syphilissoldat.“
Das nicht mal. Dessen größte Sorge sei es gewesen, dass es herauskäme. Bei den Engländern seien unkontrollierte Fraternisierungen, also auch Beziehungen zu deutschen Frauen, gar nicht gern gesehen und deshalb - er sah zu den Flaschen auf dem Tisch - Schweigegeld eben.
„Ja, Doktor, Geschlechtskrankheiten können auch was für sich haben.“
„Besonders bei englischen Offizieren“, sagte der Doktor. Beide lachten.
Er würde gern ein Glas trinken. Einen Korkenzieher habe er allerdings nicht dabei.
Knolle stand auf. „Sie haben also ein bisschen Zeit“, sagte er, während er in einer Schublade kramte.
„Heute ja. Vorausgesetzt, es hat keiner mitgekriegt, dass ich bei Ihnen bin. Sonst …, Sie wissen ja, manchmal ist es wie verhext.“
Für den Fall sei es besser, dass sie sich hinter das Haus in die Laube im Garten - also das, was bis vor einiger Zeit noch ein Garten gewesen sei, aber das sei eine andere, er machte eine Pause, eine ganz andere Geschichte -, dass sie sich also dorthin verzögen. Von da hätten sie alles unter Kontrolle und könnten entsprechend reagieren.
„Nehmen Sie den Wein, ich hole Gläser und ’ne Mettwurst. Passt doch zu Rotwein, oder?“
„Die gute Westfälische? Die passt immer.“
Fast so gut wie die Pommersche oder auch Polnische. Bei beiden liefe einem das Wasser im Munde zusammen. Der Doktor lächelte.
„Wartenses ab. Meine hat es auch in sich. Eigentlich nur für Sonn- und Feiertage und“, er überlegte, „wenn was Besonderes ist.“
„So, so“, sagte der Doktor und sah Knolle fragend an.
„Ja, ja Doktor, dass Sie schon heute kommen, nach dem Gewitter.“
Er wollte noch sagen, dass er sich freue über seinen Besuch, heute ganz besonders. Aber das wäre doch zu aufdringlich, sagte er sich.
Er habe raus gemusst nach dem schwülen Nachmittag und der klaren Luft jetzt. Irgendwie sei ihm heute alles aufs Gemüt geschlagen. Er habe auf andere Gedanken kommen wollen und da hätte er an ihn gedacht, hätte sich den Wein geschnappt und da sei er nun.
Andere Gedanken könne er auch gebrauchen, sagte Knolle. Er gehe dann mal zur Wurstekammer. Den Korkenzieher habe er ja nun gefunden.
„Machen Sie man auf“, sagte Knolle, „bei mir geht sonst noch was schief.“
Sie saßen in der Laube. Der Doktor hatte die ersten Gläser eingeschenkt und Knolle hatte die Wurst in fingerdicke Stücke geteilt. Sie prosteten sich zu. Der Doktor nahm ein Wurststück, roch an ihm, nickte, kaute bedächtig und konzentriert mit leicht nach vorn geneigtem Kopf, als ob er den Geschmack, der sich in ihm ausbreitete, hören wollte, fuhr sich mit der Zunge über die Lippen - „und , wie is se?“, fragte Knolle - wiegte den Kopf hin und her, sah Knolle an und sagte: „Knolle, ich fürchte, da kann mein Wein nicht mithalten.“
„Na sehn se“, sagte Knolle und nahm sich auch ein Stück.
Sie genossen die Ruhe und die Luft und mit jedem Glas verbanden sich der Wein und die Wurst und ihre Gedanken inniger miteinander. Sie sahen auf den Garten vor sich mit den Kräutern, den Beerensträuchern und den wild gesäten Blumen, Sonnenblumen vor allem in voller Blüte.
„Ein idyllisches Plätzchen“, sagte der Doktor.
„Eine verwilderte Ecke“, sagte Knolle.
„Vielleicht deswegen“, sagte der Doktor.
„Alles hat eben seine drei Seiten“, sagte Knolle.
„Drei Seiten?“
„Meine, Deine und Seine. Hab ich von meinem Vater. Eigentlich logisch, oder?“
„Interessant“, sagte der Doktor. „Zwei plus eine sozusagen. Darauf sollten wir trinken.“
Er schüttete nach, hob sein Glas, sagte: „Auf Ihren Vater“, und Knolle erwiderte: „Auf die drei Seiten.“
„Logisch“, sagte der Doktor, und dass er sich lange nicht so wohl gefühlt hätte, wie an diesem Abend. In der letzten Zeit gingen ihm so viele Dinge durch den Kopf, die ihm im wahrsten Sinne des Wortes Kopfzerbrechen bereiteten. Wenn er es sich recht überlege, habe sein Vater schon recht mit seinen drei Seiten. Manchmal habe er den Eindruck, es könnten sogar noch ein paar mehr sein. Und mit jeder Seite würde es komplizierter.
„Dann kommt man ins Grübeln. Wenn man allein ist, erst recht“, sagte Knolle. „Aber Sie mit Ihrer Müllerin …“
„Mit meiner Müllerin, Knolle, genau das ist mein Problem, beziehungsweise mein Problem ist eigentlich Frau Jankowski …“
„Die Jankowski? Die ist doch über alle Berge.“
„Drum“, sagte der Doktor.
„Ach so“, sagte Knolle.
Doktor Rankwitz schlug vor, auch die letzte Flasche in Angriff zu nehmen, wie er dazu stehe.
„Positiv“, sagte Knolle.
„Freut mich“, sagte Rankwitz, „ich heiße übrigens Ludwig.“
„Absalon“, erwiderte Knolle.
„Ach herrje“, entfuhr es Rankwitz.
Knolle sei ihm auch lieber, und da es jetzt ja wohl auf Du hinausliefe, würde er vorschlagen, es bei Doktor und Knolle zu belassen, auch beim Du.
„Mit umarmen?“, fragte der Doktor.
Damit hätte er es nicht so, sagte Knolle. Ein kräftiger Schluck würde ihm auch genügen.
„Dann wollen wir das so machen“, sagte der Doktor. Aber einmal müsse er es ihm gestatten. Man träfe schließlich nicht alle Tage einen Absalon.
„Also prost Absalon und ab sofort wieder Knolle. Und vielleicht erzählst du mir irgendwann mal die Geschichte mit Absalon. Ich meine, so ohne weiteres… Na du weißt schon.“
Sie stießen die Gläser aneinander und besahen die Sterne über sich und sie fühlten, dass sich irgendetwas ereignet hatte, das ihnen guttat.
„So kann man’s aushalten“, sagte der Doktor.
„Immer nur mit sich, war auch nix“, sagte Knolle.
Darüber mache er sich auch so seine Gedanken in der letzten Zeit, sagte der Doktor, und er lande immer wieder bei Frau Jankowski und Fräulein Müller.
„Die Auswahl is ja nu nich mehr“, sagte Knolle.
„Eben“, sagte der Doktor. Und ausgerechnet jetzt entdecke er, wie sehr sie ihm fehle. „Warum passiert einem so was, Knolle. Ich glaube, sie hätte ja gesagt. Ich bin sogar ganz sicher. Nur, den richtigen Moment, Knolle, den richtigen Moment hätte ich erwischen müssen. Das Komische ist, dass ich heute weiß, wann der da war, nur damals war ich mir nicht so sicher, und dem Engländer wollte ich auch nicht in die Quere kommen.“
„Meistens kommt man sich selber in die Quere, wenn’s darum geht“, sagte Knolle.
„Stimmt auch wieder. Aber trotzdem. Außerdem hat er mich mit Treibstoff versorgt. Verstehst du, Knolle? Ohne den wäre ich aufgeschmissen gewesen.“
„Man kann eben nicht alles haben. Motorrad und die Jankowski ging eben nich.“
„Vielleicht doch, Knolle, vielleicht doch. Hauptsache, man erwischt den richtigen Moment.“
Im Augenblick sei der richtige Moment für Rotwein, sagte Knolle und hielt ihm sein Glas hin.
„Für Wein und Heidelinde“, sagte der Doktor. „Das wäre die Idealkonstellation. Von dir mal abgesehen. Nicht dass du meinst, na ja, du weißt schon.“ Außerdem stelle er fest, dass der Rotwein langsam Wirkung zeige. Er holte tief Luft. Idealkonstellation sei ihm auch schon mal einfacher vorgekommen.
„Das macht nix, Doktor. So selten wie das oder die vorkommt.“
Auch Knolle bemühte sich inzwischen um flüssige und korrekte Artikulation.
Doktor Rankwitz sah zum Himmel, ließ das goldflimmernde Wunder über ihm auf sich wirken, hätte am liebsten nicht mehr gedacht und geredet, wäre mit dem Wein und den Sternen, der fernen Liebe und dem neuen Freund in der Nähe zufrieden gewesen. Aber er musste von Heidelinde erzählen und seinen Gefühlen zu ihr, und mit jedem Satz erschien ihm seine Meerjungfrau schöner und begehrenswerter und unerreichbarer.
„So weit wie die Sterne, Knolle, und so schön. Um nicht zu sagen erhaben.
Knolle hörte die Stimme des Doktors so, wie man Musik im Hintergrund wahrnimmt, wenn sie einen begleitet auf dem Weg zu sich selbst. Seine Gedanken hatten sich unbemerkt entfernt, hatten sich weggeschlichen zu dem Waldrand über der Heuwiese und dem Fund, der ihn verwirrt hatte.
Er stand auf, sagte dem Doktor, dass er ihm was zeigen wolle. Er käme gleich wieder, und was zum Rüberlegen brächte er auch mit. Langsam würde es frisch, und ein erkälteter Arzt, Doktor, sei irgendwie komisch.
Ein wahrer Freund, dachte der Doktor, und streckte die Beine.
Knolle legte ihm eine Decke über die Schulter. Beim Umschlagen glaubte der Doktor die liebevollen Hände seiner Heidelinde zu spüren, er atmete tief und beobachtete Knolle, der so vorsichtig, wie man es mit einem kostbaren Schatz macht, in eine geöffnet hängende Tasche griff, etwas Ledernes herauszog, das früher einmal Schuhe gewesen sein konnten, und er sagte, er solle es nicht so spannend machen und die Karten endlich auf den Tisch legen.
„Das sind die Karten“, sagte Knolle.
„Aha, und wo ist der Witz, Knolle?“
„Doktor“, Knolle schluckte, „da gibt es keinen Witz.“
Doktor Rankwitz spürte, dass die weinselige Melancholie, die sich mit den letzten Gläsern über sie gelegt hatte, verschwand, wie vom Licht des Mondes aufgesogen. Plötzlich spürte er die Frische der Nacht und er sah die Sterne jetzt wie ein in Frost erstarrtes Blumenmeer.
Er zog die Decke enger und wartete.
„Die hab ich am Waldrand über der Heuwiese gefunden. Ich habe Angst, dass es Anias Schuhe sind. Ich sehe sie vor mir in den Schuhen, seitdem ich sie gefunden habe.“
„In diesem Lederknäuel Knolle? Schuhe ja, vielleicht, aber Genaueres kann man doch beim besten Willen …“
„Anias Schuhe hatten vorne an der Sohle Eisenbeschläge.“ Er griff in die Tasche, hob ein Metallstück hoch und sagte: „Wie dieses Stück hier.“
Ein paar Sekunden hielt er den Arm erhoben, ließ ihn dann fallen, legte das Eisenstück neben das Leder, stand weiter vor Doktor Rankwitz und schien auf etwas zu warten, das er nur aufrecht würde ertragen können.
Sie sahen sich an, und der Doktor sagte, er solle sich zu ihm setzen mit der Decke. Es sei kühl geworden.
Er überlegte, ob er seinen Arm um Knolle legen sollte, oder ihm wenigstens mit der Hand über die Schulter fahren sollte.
Das wäre wie kondolieren, dachte er, zog seinen Arm wieder zurück und fragte, ob Anna die polnische Frau sei, die eine Zeit lang bei ihm gewohnt habe.
„Ania“, sagte Knolle, „mit ‚i’ und einem ‚n’.“ Ja, Ania habe solche Schuhe getragen. Und er könne sich nicht vorstellen, dass sie die freiwillig ausgezogen und dann auch noch liegengelassen hätte. „Sie war auf dem Weg nach Polen.“
Das nehme er auch nicht an, sagte der Doktor. Es sei aber viel wahrscheinlicher, dass es sich nicht um die Schuhe seiner Ania handele. Eisenbeschläge hätten schließlich viele Schuhe.
„Aber nicht solche.“ Er fuhr mit einem Finger an dem Eisen entlang - so vorsichtig, als ob er es streichele, dachte der Doktor -. „Mit einer geraden Kante hinten. Bei uns sind die Beschläge gebogen, vorne und hinten.“
„Immer?“
„Ich habe noch keine anderen gesehen.“
Aber auch das müsse noch nichts heißen, sagte der Doktor.
„Es sind Anias Schuhe, Doktor. Sie kannte den Weg zur Heuwiese. Nur den sind wir zusammen gegangen, ein paar Mal, wegen den Kräutern. Ins Dorf ist sie nie mitgekommen. Sie wollte mit den Leuten nichts zu tun haben.“
Er saß, nach vorn gebeugt, die Arme auf die Knie gestützt, sein Gesicht auf die Schuhe gerichtet mit einem Blick wie nach innen gerichtet auf ein Bild, das er von Anias Schuhen in seinem Gedächtnis gespeichert zu haben schien. Das halb verrottete Schuhwerk vor ihm schien ihm ausschließlich als Marke zu seiner inneren Gewissheit zu dienen. Die Unzuverlässigkeiten des vermodernden Leders waren für ihn ohne Bedeutung. Das spürte der Doktor.
Er fragte, wann sich Ania denn auf den Weg gemacht habe.
Irgendwann habe sie es nicht mehr ausgehalten. Ihre Familie sei ihr wohl wichtiger gewesen als er und seine …, er stockte, und es zuckte in seinem Gesicht und er fuhr fort, ja, so sei das gewesen.
Dann erzählte er von Ania, so wie er sie in seinem Gedächtnis behalten hatte, von ihrer Freundschaft und sanft sei sie gewesen, und wie sie sich verstanden hätten, auch ohne viele Worte. Und wenn sie ihn zu sich in ihr Bett gewunken habe … Der Himmel auf Erden sei es gewesen. Wenn sie geblieben wäre, hätte er sie geheiratet. Das Gerede der Leute habe ihm nichts ausgemacht. Aber eines Morgens habe ein Zettel auf dem Küchentisch gelegen und seitdem sei sie weg.
‚Dziękuję6 Danke’ und ‚Przepraszam7 Absalon’ habe auf dem Zettel gestanden. Irgendwann habe er ihr seinen Vornamen gesagt und was przepraszam7 heiße, wisse er nicht.
Eine Entschuldigung, sagte der Doktor.
„Ach so“, sagte Knolle und es zuckte wieder in seinem Gesicht.
„Knolle, Ania ist weg, mehr weißt du nicht. Alles Andere … Meine Güte, was ist nicht alles passiert nach dem Krieg. Dieses Leder da und der Beschlag, dafür gibt es tausend Erklärungen. Wann ist sie gegangen?“
„Vor zwei Jahren ungefähr.“
„Die ist sicher längst in Polen, so wie meine Heidelinde in Kanada und irgendwann kriegen wir beide einen Brief und sie schreiben uns, dass es ihnen gut geht. Und darauf trinken wir jetzt.“
„Das wär schön“, sagte Knolle und erwiderte das Prost seines Freundes. Trotzdem, er würde gern noch mal zu der Stelle gehen, aber nicht allein. Ob er ihm den Gefallen …
„Am besten gleich morgen, vielmehr heute“, sagte der Doktor beim Blick auf die Uhr.
„Dziękuję6“, sagte Knolle.
„Proszę8“, antwortete der Doktor.
Sie sahen in die Nacht. Der Morgen schob sich nun vor die Sterne.
„Bald muss ich wieder in den Stall“, sagte Knolle.
„Ich muss auch los“, sagte der Doktor und legte die Decke neben sich auf die Bank.