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Tod in der Hängematte

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Das will ich nun nicht zu ausführlich schildern. Wahrscheinlich haben Sie noch keinen gesehen, der von oben bis unten mit kochendem Wasser übergossen wurde. Sieht nicht schön aus. Für mich ist das jedenfalls das erste Mal, und ich bin nah am Kotzen, obwohl ich den Verwalter nicht besonders leiden konnte. Also, wie gesagt, ich will das jetzt nicht beschreiben, aber es ist kein schöner Anblick, das kann ich Ihnen versichern. Zumal wenn einer fast nackt ist und man genau sehen kann, wie viel danach von 100 % Haut noch übrig ist. Koch heißt er, oder besser hieß er, der Verwalter, und das ist schon ein Hammer, wenn man Koch heißt und auf diese Weise krepiert. Noch dazu an seinem 55. Geburtstag. Auf den ersten Blick ist das Bild, das sich uns bietet, eher friedlich. Koch liegt in seiner Hängematte. Er benutzt eine geknüpfte Hängematte, weil die luftiger ist. Das hat schon was für sich, da wird man auch von unten ventiliert, und bei Sommertemperaturen von 40 Grad und mehr kann es einem durchaus gelegen kommen, wenn es nachts von allen Seiten kühl fächelt. Trotzdem - Koch ist hier oben der einzige, der so schläft. Schlief, will ich sagen. Ich hab einmal mitbekommen, wie die Peones, die Landarbeiter, sich darüber lustig gemacht haben, abends am Lagerfeuer. In seiner Abwesenheit, versteht sich. Sie fingen dann an, das Phänomen grundsätzlich zu erörtern, wobei es vor allem um die drängende Frage ging, wie man in der Hängematte vögeln kann. Mann unten Frau oben schien allen die beste Methode, zumindest solang der Strick nicht reißt. Die einfachen Leute hier auf dem Land schlafen alle auf Liegen, so einer Art Feldbett, mit oder ohne Matratze. Ist auch nicht immer komfortabel, aber keiner ist offenbar der Ansicht, dass eine Hängematte dafür ein Ersatz sein könnte. Dem Koch jedenfalls ist seine Hängematte zum Verhängnis geworden. Wie kann das sein? fragt man sich, dass jemand in der Hängematte liegen bleibt, während man ihn sozusagen blanchiert. Einfache Erklärung: er konnte nicht raus, keine Chance. Man sieht es auf den zweiten Blick: die Hängematte ist sozusagen verschlossen. Durch die Maschen am Rand schlängelt sich ein Strick - rechte Seite, linke Seite, rechte Seite, linke Seite, die beiden Enden am Seil fest verknotet. Es gab für den armen Koch - ja, er war ein Mistkerl, aber das geht dann doch zu weit - also für den Koch gab es kein Entrinnen. Er lag in der Falle, Bauch nach oben, nackt bis auf seine Unterhose, und sein Mörder konnte ihm in aller Ruhe den Garaus machen.

Auf dem unebenen Boden aus Stampflehm glänzen noch drei kleine Pfützen.

Wieso hat er nichts gemerkt, als der Strick durch die Maschen geschoben wurde? fragt Trixi in den Raum hinein, während Rafa ohne eine erkennbare Reaktion in eine Ecke der Hütte stiert. Als könnte er in dem schmutzigen Geschirr, das da auf dem wackligen Tisch steht, irgendetwas sehen, was ihm weiter hilft. Ich hoffe doch, dass er ehrlich erschüttert ist und nicht schon darüber nachdenkt, wie er wieder zu einem Verwalter kommt, der ein ähnlich scharfer Hund ist wie der Koch. Ich weise darauf hin, dass der Verwalter schon blau war, als Marcos und ich gestern am frühen Nachmittag seine Geburtstagsfeier verließen. Wahrscheinlich hat er zunächst tatsächlich nichts davon mitbekommen, von diesem sauberen Stück Flechtarbeit. Dann war es zu spät, und er konnte schreien so viel er wollte. Der Rancho des Verwalters liegt weit entfernt von allen anderen Hütten auf der Estancia, da konnte ihn kein Unbeteiligter hören, wirklich nicht. Ich frage Pedro, wie lange sie gefeiert haben, und ob der Verwalter bis zum Schluss geblieben ist. Er antwortet, dass Koch plötzlich einen Wutanfall bekommen und alle Peones zum Teufel gejagt hat. Dann verzog er sich, um in seiner Hütte eine späte Siesta zu halten. Ich will wissen, ob er stark betrunken war, und Pedro bestätigt das mit angewiderter Miene. Man sieht ihm an, dass er es unterm Strich findet, wenn sich ein Verwalter in Gegenwart seiner Untergebenen einen Vollrausch ansäuft. Ohnehin war Koch bei den Peones verhasst, das weiß alle Welt.

- Und jetzt?

Rafa ist aus seiner Schreckstarre erwacht und fragt ausgerechnet mich, was jetzt zu tun ist. Er ist doch schließlich der Boss hier. Na schön, ich hab ihm gelegentlich geholfen, wenn bei ihm geklaut wurde, wenn ihm eine Kuh abhanden kam und so was. Einmal haben sie ihm in der Nacht alle vier Reifen vom Jeep abmontiert. Das war ein Kinderspiel, den Kerl herauszufinden. Unter der Hand einen vernünftigen Betrag ausgelobt und es findet sich schnell ein Judas unter diesen armen Gaunern hier oben. Juan Seisdedos heißt der Klaudieb, Juan Sechsfinger auf Deutsch. Das ist ein Übername, denn er hat tatsächlich an jeder Hand einen Finger mehr als normale Christenmenschen. Er hat das wohl als Wink des Schicksals empfunden, die Laufbahn eines Langfingers einzuschlagen, auch wenn mit seinen beiden letzten Fingern, unter uns gesagt, nicht viel Staat zu machen ist. Seisdedos musste die Reifen wieder anmontieren und zur Strafe auch noch den Jeep waschen. Und natürlich bestand Rafa darauf, das Kopfgeld von ihm ersetzt zu bekommen. Eine Anzeige? Ach was, damit ist doch keinem gedient. Den Polizisten macht´s nur Arbeit, und da sind die echt nicht scharf drauf, und der traurige Typ hat dann Rachegelüste, da weißt du nie, was daraus entstehen kann. So wie wir das geregelt haben, wird Seisdedos sich künftig im Umfeld von „El Porvenir“ mit dem Klauen zurückhalten, einige Zeit zumindest. Außerdem hat Rafa auf diese Weise einen mehr hier oben, der ihm verpflichtet ist. Man weiß nie, ob das nicht gelegentlich von Nutzen sein kann. Also, solche Sachen mach ich gern für ihn, ist irgendwie auch einer meiner Berufe, solche Typen zu schnappen, die glauben, man könnte schon durchs Leben kommen, ohne genau nachzudenken. Ich bin ja froh, wenn ich Rafa einmal einen Gefallen tun kann, sonst käme ich mir ja wie ein Schnorrer mit Vollpension vor, wenn ich auf der Estancia das Leben genieße. Und der Trixi sowieso, für die würde ich ja sonst was tun, damit sie einen Grund hat mich dankbar anzulächeln. Nicht so schelmisch oder kess wie immer, sondern echt dankbar. Das wär schon was! Aber Mord, das ist eine ganz andere Liga, da spiel ich nicht mit.

- Und jetzt, Marcos? fragt der Rafa noch einmal und schaut mich mit seinen schwarzen Freundesaugen Hilfe suchend an. Ganz grau ist er im Gesicht, nach mindestens zwanzig Jahren mehr sieht er aus, wie ein alter Mann mit fünfzig.

- Pues, sage ich langsam mit einem langen „e“, um etwas Zeit zu gewinnen. Pueees... Sie müssen wissen, fast alle Deutschstämmigen beginnen mit „pues“, wenn sie sich noch nicht so klar sind, was am Ende bei dem Satz herauskommen kann. Man könnte natürlich auch „also“ sagen, mit einem langen „o“, das in seiner Länge in direkter Relation zum Gewicht des Problems steht, um das es geht. Aber das „pueees“ ist schon noch einen Strich besser. Echte Endbetonung eben, das zieht die Sache viel unauffälliger hinaus, da ist das Spanische schon überzeugender, keine Frage. Und deshalb sagen hier alle pues, auch wenn sie Deutsch miteinander reden. Nur nicht der Feinkosthändler Heimer, der sagt aber auch nicht „also“ sondern „je nun“. Ebenfalls endbetont. Deshalb wahrscheinlich. Klingt schon irgendwie besonders. Je nuuun, lieber Herr von Schill, hat er mir geantwortet, ich bin nicht sicher, ob ich dort willkommen bin, und ich bin auch nicht sicher, ob es mir dort gefallen würde. Ich hatte ihn vor langer Zeit gefragt, warum man ihn nie im Deutschen Klub sieht, er ist doch auch Deutscher. Das war vielleicht nicht ganz fair von mir, aber es war keine böse Absicht, ich wollte ihn halt aus der Reserve locken, weil er nie von sich spricht. Hat ja auch geholfen, aber das erzähle ich dann vielleicht später.

Pues, wiederhole ich also und rede meinen Freund mit seinem kompletten Vornamen an, in einer solchen Situation ist eine gewisse Förmlichkeit schon angebracht. Pues, Rafael, lass uns mal nachdenken.

Er versteht sofort und befiehlt Pedro, dass er den Ort der Untat räumen lässt und dann vor der Hütte aufpasst, dass niemand mehr hereinkommt, während wir drin sind. Die zwei Peones und ihre Frauen, die den Toten entdeckt haben, werden hinauskomplimentiert. Pedro baut sich draußen auf und schaut so grimmig drein, als würde er den toten Präsidenten Perón persönlich bewachen.

- Pues, Rafa, sage ich, ihr müsst natürlich die Polizei verständigen, das geht nicht anders. Die können dann von Villa General Belgrano aus in einer halben Stunde hier sein. Aber gehen wir mal davon aus, dass das Telefon nicht funktioniert, das soll ja immer mal wieder vorkommen, und dass wir erst in sagen wir mal ebenfalls einer halben Stunde in die Leitung kommen, dann haben wir insgesamt eine volle Stunde, bis die Herren hier sind. Und ich denke, die Zeit werden wir brauchen, um unsere Gedanken zu ordnen und den Polizisten keinen Blödsinn zu erzählen. Der Fall ist ja nicht gerade alltäglich für alle Beteiligten. Kapierst du, was ich sagen will?

Natürlich hat er das kapiert. Ich seh´s ihm an, wie es hinter seiner Geschäftsstirn arbeitet. Es bewegt ihn ja nicht nur die Frage, wer der Mörder sein könnte. Mehr noch, es geht um seinen Ruf als Geschäftsmann. Morgen ist Montag, da sitzt er wieder im Anzug in seinem Büro und hat Vertrauen und Autorität auszustrahlen. Da macht es sich bei den Geschäftspartnern nicht gut, wenn die Gerüchte in die falsche Richtung gehen. Gar nicht gut!

- Ich werde die Polizei anrufen, sagt Rafa auf Spanisch Richtung Tür und laut genug, dass alle es hören können, denn mittlerweile haben sich die meisten Männer, Frauen und Kinder, die hier oben leben, eingefunden und verfolgen neugierig, was sich abspielt.

Beim Hinausgehen fragt Trixi den Pedro, warum Vicky nicht zu sehen ist. Sie haben ihr doch heute frei gegeben, antwortet er, sie ist in Belgrano. Rafa nimmt seine Frau beim Arm und strebt zum Haupthaus. Er hat es eilig, weg zu kommen.

- Langsam! sage ich auf Deutsch, damit es keiner versteht. Langsam, Rafa!

Stabreim oder Endreim?

Von dem Rancho des Verwalters sind es vielleicht zehn Minuten bis zum Herrenhaus, wie Angerer das Haupthaus scherzhaft bezeichnet. Als wir die schwere Tür hinter uns geschlossen haben, wankt Rafa zu seinem Schaukelstuhl, also ich übertreibe nicht, er wankt wirklich, und dann schaukelt er vor und zurück und wackelt mit dem Kopf im gleichen Takt, ungefähr so wie man sich einen chronisch Depressiven vorstellt. Trixi kniet sich neben ihn, nimmt seine Hand und legt das Gesicht auf seinen Oberschenkel. Sie kommen mir vor wie Hänsel und Gretel oder so ähnlich, und es geht mir richtig nahe, das können Sie mir glauben. Bei Trixi kommt jetzt erst der Schock an, nachdem sie sich vor dem Personal nichts anmerken ließ. Sie hatte sich, als sie vor der Hängematte stand, wirklich bewundernswert in der Gewalt, trotz des schauerlichen Anblicks, den der nackte Verwalter mit seiner verbrühten Haut bot. Aber nun zittert ihr ganzer Oberkörper, immer wieder, mit kurzen Pausen dazwischen.

- Mut Leute! sage ich und will schon den weisen Satz anfügen: es wird nichts so heiß gegessen wie es gekocht wird, aber das wäre dann doch nicht passend, angesichts der Art und Weise wie Koch ums Leben gekommen ist.

- Wer kann so etwas Entsetzliches tun? fragt Rafa schließlich und sieht mich an als müsste ich die Antwort parat haben.

- Wir wissen immerhin, wann er es getan hat. In der Nacht jedenfalls, denn vorher konnte er nicht sicher sein, ob nicht doch noch jemand beim Haus sein würde. Um sich noch etwas von dem Wein zu holen, oder ein Stück kaltes Fleisch vom Rost. Und er musste sich Zeit nehmen, um das Wasser in dem großen Kessel zwei oder drei Mal zum Kochen zu bringen. Er holte es wahrscheinlich heiß aus dem Gasboiler, aber trotzdem, das dauert.

- Also kein Affekt, sagt Rafa, steigt stöhnend aus seinem Schaukelstuhl und setzt sich an den gewaltigen Esstisch in der Mitte des Raums.

- Nein, bestimmt kein Affekt, pflichte ich ihm bei. Das war jemand, der planvoll vorging. Aber ich kann mir trotzdem nur vorstellen, dass er den Koch zutiefst gehasst hat. Er hat ihm keinen normalen Mord mit dem Messer oder dem Knüppel gegönnt. Und schon gar keine Kugel. Womit könnte der Mann so einen Tod verdient haben?

- Keiner mochte ihn, das ist sicher, keiner, sagt Rafa und wischt mit der Hand pausenlos über die dicke Tischplatte, obwohl dort gar keine Krümel liegen. Er hat die Peones schlecht behandelt und hat ihnen nichts durchgehen lassen. Aber, was die Leute hier oben besonders schlecht vertragen - er hat sie angeschrien. Und nicht nur, um sie anzutreiben, sondern um seine üble Laune an ihnen auszulassen. Du hast das ja selbst miterlebt. Ich erinnere mich, dass du entsetzt warst, wie er sich beim Viehbrand aufgeführt hat.

- Das stimmt, und was besonders schlimm war, er hat sie nicht nur angeschnauzt, er hat sie beleidigt, ganz gezielt und persönlich, jeden einzelnen. Das ist unverzeihlich, das vergisst ein Peón nie, wenn du als Boss ihn vor den anderen runtermachst. Es sind doch auch Indios dabei, oder zumindest halbe, und einen Indio anschreien, das ist so ziemlich das letzte, so weit darf man sich nie gehen lassen, das weiß man doch. Ich habe auch gar nicht verstanden, weshalb. Mit den Rindern und dem Brandeisen umgehen, das können sie nun wirklich, und das machen sie auch gerne.

Unter uns gesagt, ich hab mich oft gefragt, warum Rafa den verdammten Sklaventreiber nicht längst davon gejagt hat, zumal er selbst sehr umgänglich mit den Leuten ist und ihnen auch hilft, wenn sie ein Problem haben. Er weiß Bescheid, wo sie der Schuh drückt. Wie er das macht, keine Ahnung, denn dass er viel mit ihnen reden würde, dabei habe ich ihn jedenfalls nie ertappt. Aber wenn zum Beispiel ein Kind krank ist, dann schickt er sofort Trixi zum Nachsehen und telefoniert, wenn es nötig ist, selbst nach dem Doktor. Ich will nun nicht den Klugscheißer spielen und in dieser Situation die zwei daran erinnern, aber ich habe schon gelegentlich zum Ausdruck gebracht, mit aller Vorsicht versteht sich, dass ich es mit so einem Menschen als Verwalter nicht lange aushalten würde. Rafa hat zwar stets zugegeben, dass der Koch ein unglaublicher Kotzbrocken ist, und er braucht mir nicht zu verklickern, wie schwierig es ist, jemand zu finden, der bereit ist, hier oben zu leben, in der totalen Einsamkeit und der noch dazu fleißig ist. Denn das war er, der Koch, das muss man ihm lassen, er hat selbst mit angepackt und geschuftet wie ein Kuli. Geschwitzt hat er wie ein Schwein, und ich glaube nicht, dass das sein Ansehen bei den Peones gehoben hat. Außerdem hat mir der Rafa erklärt, dass es Koch war, der ihn auf die Idee mit den Pinien gebracht hat. Nun neigt Rafa in Geschäftsangelegenheiten nicht zu übergroßer Dankbarkeit. Aber er weiß aus Erfahrung, dass er das ohne den Koch nie hingekriegt hätte. Die vier Hügel im Süden der Estancia sind nun bewaldet. Ich weiß nicht, wie viel Tausende Pinien nun dort wachsen, wo vor wenigen Jahren nur karges Land war. „Del dicho al hecho hay mucho trecho“. Ich sag´s Ihnen gleich auf Deutsch, damit Sie nicht erst hinten nachschlagen müssen: „Vom Wort zum Werk ist ein weiter Weg“. Stabreim, haben Sie sicher gemerkt. Wenn Sie´s lieber endgereimt hören möchten: Zwischen Worten und Taten geht so mancher baden. Ist jedoch ein unreiner Reim, nicht so schön. Das wissen wir doch alle: eine gute Idee ist die eine Sache. Aber dann dranbleiben, wenn es mühsam wird, das ist ganz was anderes. Dieses Land ist reich an gescheiterten guten Ideen. Wer die kahlen Hänge der Sierra mit Pinien aufforsten will, um das Holz später mit Gewinn zu verhökern, der braucht erst mal Setzlinge. Die musst du dir schon selbst ziehen, aus den Piniensamen, sonst rechnet sich die Sache von Anfang an nicht. Aber die Setzlinge sind empfindlich. Das erste Jahr bleiben sie ohnehin im Gewächshaus. Im Winter kann es nämlich hier oben erbärmlich kalt werden, ich glaube, das habe ich schon erwähnt. Das bedeutet, dass die Gewächshäuser zur rechten Zeit beheizt werden müssen. Außerdem muss man die Pflänzchen bewässern, aber mit Vorsicht. Nicht zu viel, damit sie sich schon mal daran gewöhnen, dass das Wasser oft knapp ist. Aber auch nicht zu wenig, versteht sich. Also ich will Sie damit nicht langweilen, aber wenn Sie auf andere Estancias kommen, dann kriegen Sie eine Menge verfallener Gewächshäuser zu sehen, da kann man sich nur wundern. Und an den Hängen findet man serienweise Pflanzlöcher mit armseligen verdorrten Strünken drin, die in ihrem früheren Leben vielversprechende junge Pinienstämme waren. Nun habe ich mir sagen lassen, dass der Profit unterm Strich auch nicht so sensationell ist, wie sich das mancher erträumt. Nicht jeder würde dafür in seiner Nähe einen Widerling wie den Koch dulden. Ich sicher nicht, aber Rafa eben schon, und Trixi weiß ich nicht. Vielleicht wollte sie ihrem alten Herrn, dem Angerer, imponieren mit der Pinienpflanzung und nahm dafür den Koch in Kauf, was weiß ich.

Wir tauschen noch eine Weile unsere Ansichten über Koch aus, dann stellt Rafa, fest, dass wir das nun ausreichend behandelt haben.

- Aber alles ändert nichts daran, meint Trixi, dass man dafür im Allgemeinen niemanden umbringt. Weshalb also?

- Eifersucht? frage ich.

- Sein Liebesleben ging gegen Null, soweit ich weiß, sagt Rafa. Am Wochenende hat er sich gelegentlich in Belgrano entspannt, aber ohne allzu großen Eifer, so viel ich erfahren habe.

- Das heißt? will Trixi wissen.

- Es scheint als wäre ihm Rotwein wichtiger gewesen als Rotlicht.

- Und hier auf der Estancia? frage ich. Gab es da nie eine „Negra“, nach der er mal gegriffen hat? Wer hat ihm eigentlich im Haus geholfen?

Sie müssen wissen, „Negra“ oder „Negro“ ist hierzulande keine Beleidigung. Das sind halt diejenigen, die schwarzes Haar haben. Ob das von einem Indio oder einem Italiener kommt, spielt letzten Endes keine große Rolle.

- Vicky hat sich ab und zu um ihn gekümmert, antwortet Trixi. Aber viel zu tun gab es nicht, du hast ja die Höhle gesehen, in der er gehaust hat. Ein Tisch, ein Regal, ein Stuhl, die Hängematte und aus. Vicky wusch ihm die Wäsche und machte sauber, wenn der Schmutz „Juhu“ schrie. Eigentlich kann ich mir auch nicht denken, dass die beiden jemals intim waren.

Ich habe den Eindruck, dass es die Trixi regelrecht schüttelt. Sich die beiden auch nur zusammen vorzustellen, die blitzsaubere Vicky und das alte Ekel, ist ihr ein Graus.

Vicky tauchte vor zwei Jahren auf. Ich habe mir das gemerkt, denn zur gleichen Zeit kam der alte Perón mit seiner dritten Frau Isabelita zurück, um noch einmal Präsident zu spielen. Unsere Probleme hat das nicht gelöst. Wie denn auch! Schon auf der Fahrt vom Flughafen nach Buenos Aires gab es eine Riesenschießerei mit mehreren hundert Toten. Keiner weiß genau, wer gegen wen geschossen hat und weshalb. Wie könnte ein Greis von 78 Jahren denn auch die Gegensätze überbrücken, die bei uns herrschen? Im Gegenteil - sein Kampf gegen die Linken hat alles nur noch schlimmer gemacht. Vor drei Jahren haben die jungen Leute noch demonstriert, mittlerweile haben sie gelernt zu schießen. Nun ist er mause, der alte Perón, und Isabelita ist Präsidentin und kann sehen wie sie zurechtkommt. Kommt sie eben nicht, und die Militärs wetzen schon die Messer.

Vicky ist vielleicht fünf oder sechs Jahre jünger als Trixi und genau so groß. Hübsch ist sie auch, mit dem vollen Mund und den ruhigen schwarzen Augen, die einen ansehen und sagen, wenn du wüsstest, mein Lieber. Wenn die beiden nebeneinander stehen und „Rubia und Negra“ spielen, wissen sie genau, dass jede dabei gut abschneidet. Ihre pechschwarze Mähne ist leicht gewellt. Sie sagt manchmal, demnächst würde sie ihre Kräuselhaare glatt bügeln, wie viele andere „Negras“. Ich hab nie bei einer solchen Aktion zugesehen, aber ich wundere mich, dass das noch kein Künstler gemalt hat. Würde ein starkes Bild ergeben: Ein schönes junges Mädchen mit geneigtem Kopf. Ihre schwarzen Haare fluten über den Tisch. Tropenholz natürlich, vielleicht ein dunkelbrauner Saman. Sie lässt das Bügeleisen liebevoll über die dunkle Pracht gleiten und schaut dich dabei an, wie die Vicky halt einen manchmal anschaut, etwas schnippisch. Vorsicht, Vorsicht, der Herr! bedeutet der Blick, das Bügeleisen ist heiß, überschätze dich mal nicht, gell!

Aber jetzt wieder zur Sache, wir haben es hier nicht mit Verschönerungsarbeiten zu tun, sondern mit einem Verbrechen direkt vor der Haustür.

Was denn Vicky sonst treibt, wenn sie nicht auf der Estancia ist, frage ich. Ich meine, von zwei Tagen Wochenenddienst kann sie ja auch nicht leben. Trixi antwortet, dass sie bei zwei oder drei Familien in Belgrano Hausarbeit macht, und an diesen Tagen schläft sie auch dort. Hier oben, fügt sie an und nimmt meine Frage vorweg, schläft sie bei Martita.

Ich kenne sie, die Martita. Sie wohnt mit ihren zwei kleinen Nervensägen unten am Bach. Ihr derzeitiger Mann ist ständig unterwegs. Er schlägt sich als Maurer schlecht und recht durch.

Was sie denn sonst noch von ihrem Verwalter erzählen können, frage ich die beiden. Was er für einen Umgang hatte, welche Leute er kannte, ob er jemals Besuch erhalten hat? Aber da kommt nicht viel zum Vorschein. Dass er total anspruchslos war, erfahre ich. Er gab kaum Geld aus, legte alles auf die hohe Kante, trug jeden Peso auf die Sparkasse in Belgrano.

- Wofür denn? will ich wissen.

- Frag mich was Leichteres, antwortet Rafa und wird ungehalten, als ich sage, dass er sich in Gottes Namen etwas anstrengen soll.

- Schließlich hab ich den Mann nicht zur Konversation eingestellt, entgegnet er unwirsch. Was wird er mit seinen Ersparnissen schon vorhaben? Gehabt haben! Sich irgendwo eine Kneipe kaufen wahrscheinlich. Wer nichts wird, wird Wirt. Vielleicht hat er aber auch auf ein Taxi in Córdoba gespart, ich weiß es nicht. Mit wem er unten in Belgrano zusammengehockt ist? Keine Ahnung, Marcos. Ich kann es Dir wirklich nicht sagen. Unsere Unterhaltung hat sich auf Rinder, Kälber und Pinien beschränkt. Allenfalls noch Hunde und Jagd. Manchmal wird er auch eingeladen und man trifft sich in der Nachbarschaft, dann spricht man eben über dieses und jenes. Vorletzten Sonntag war ich bei Petersen, du weißt, von der „Finca Hermosa“. Zu meiner Überraschung war Koch auch dort. Er ist sichtlich aufgelebt, so kannte ich ihn gar nicht. Mit Petersen hat er sich über Spanien unterhalten. Offensichtlich war Koch einige Zeit in Barcelona, bevor er nach Südamerika gezogen ist. Und Petersen war bei der Legion Condor. Ich wusste das nicht, es war eine echte Überraschung für mich. Kannst du dir den dicken Petersen in Fliegermontur vorstellen, wie er als junger schlanker Mann in einer Me 109 Guernica anfliegt? Wirklich Marcos, er war dabei. Es war nicht auszuhalten wie die beiden schwadroniert haben, von den alten Zeiten, als sie den Bolschewisten gezeigt haben, wo´s langgeht, dass Franco in Spanien für Ordnung gesorgt hat, mit eiserner Faust, dass man nur hoffen kann, dass auch dieses herrliche Land Argentinien mit den Kommunisten kurzen Prozess macht. Ich hab mich dann weggesetzt, es war einfach zu viel.

Ausgesprochen redselig ist er jetzt, der Rafa, für seine Verhältnisse jedenfalls. Ich lobe ihn und sage, das ist doch was. Jetzt wissen wir zwar noch nicht, wer der Mörder war, aber immerhin haben wir einiges über das Opfer erfahren. Dann weise ich ihn darauf hin, dass er jetzt langsam daran denken soll, die Polizei zu informieren. Aber während er den Hörer abhebt, schlagen draußen die Hunde an und wir hören Händeklatschen, und eine laute Männerstimme ruft „Señores!“. Verdammt, sagt Rafa, das ist die Polizei. Um Gottes willen, ruft Trixi aus, wieso sind die denn schon hier? Ich kann schnell noch sagen, dass wir den Bullen möglichst wenig oder gar nichts von Vicky erzählen, als wir hören, wie die schwere Eingangstür aufgeschoben wird.

Tödliche Siesta

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