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Vorwort

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Er war ein großer Entertainer, dessen Bühne der Rasen war. Er war ein Dribbler vor dem Herrn, der seine Gegenspieler demütigte und in den Wahnsinn trieb und sich auch von deren Fouls nicht einschüchtern ließ. Er war ungezähmt und scherte häufig aus dem kollektiven System aus, um es gleich mit einem Haufen Gegenspieler aufzunehmen und den Erfolg auf eigene Faust zu erzwingen. Er war verdammt mutig und schonungslos – Letzteres allerdings auch gegen sich selbst.

Er war einer der ganz Großen seiner Zunft, wurde im „Revolutionsjahr“ 1968 zum bisher jüngsten englischen und europäischen Fußballer des Jahres gekürt und wird noch heute in einem Atemzug mit Pelé, Johan Cruyff und Maradona genannt. Für Pelé war er sogar der Größte unter den Größten und ein „europäischer Brasilianer“.

Der Mann, von dem hier die Rede ist, heißt George Best und wurde 1946 in der nordirischen Metropole Belfast geboren. Einer damals rauen, schmutzigen und verregneten Industriestadt, die später durch einen „Religionskrieg“ traurige Berühmtheit erlangte und zum Synonym für Mord und Terror wurde. Aber auch schon vor dem Ausbruch der „Troubles“ 1968 bewegten sich die Menschen in dieser konfessionell gespaltenen Stadt häufig nur auf dem Kleinfeld ihres Viertels. So auch George Best, der in einer Nachkriegssiedlung im protestantischen Osten Belfasts aufwuchs, bevor er als 15-Jähriger nach Manchester ging, um sich dem berühmten United anzuschließen.

George Best schrieb sich nicht nur mit seinen Dribblings in die Annalen des Spiels. Er war nicht nur ein überragender Fußballspieler, sondern sah auch noch blendend aus und wurde so zum ersten Popstar des Fußballs. Vielleicht war dies eine größere Herausforderung als alle Grätschen seiner Gegenspieler. Denn weder Best noch sein Verein Manchester United oder sein Trainer Matt Busby wussten, wie man damit umgehen sollte. Best hatte ein Problem zu viel. Er hat es mit einem Satz auf den Punkt gebracht: „Wäre ich hässlich auf die Welt gekommen, hättet ihr nie etwas von Pelé gehört.“

Vieles in Bests Leben kam zu früh – für ihn selbst oder für seine Umwelt. Sechs Jahre nach seinem Tod schrieb Dirk Gieselmann für die „11 Freunde“: „Eine auch nur ansatzweise vergleichbare Figur konnte aus dem Fußball nicht mehr kommen. Wenn man mit den Stones und Steve McQueen aufgewachsen ist, kann man U2 und Tom Cruise schließlich auch nicht mehr ernst nehmen.“ Gieselmann gibt exakt wieder, was viele Menschen meiner Generation – ich rede von den 50-plus-Menschen – über George Best denken (und über U2 und Tom Cruise…). Was in Ordnung ist, sofern es nicht in eine selbstgerechte „Früher-war-alles-besser“-Attitüde mündet, jenen untrüglichen Hinweis auf senile Verbitterung.

Best war zu gut für den damaligen Fußball und damit manchmal am falschen Ort und seiner Zeit voraus. Er spielte seinen Gegnern Knoten in die Beine, als die rustikaleren Typen ihre technisch überlegenen Kollegen noch ungestraft umnieten durften. Best ist vielleicht der am meisten gefoulte Spieler in der britischen Fußballgeschichte, aber keiner der Schlächter hat es je geschafft, ihn vom Spielfeld zu treten.

Obwohl er einer der besten Fußballspieler seiner Generation war, durfte Best sein Können nie bei einer Weltmeisterschaft demonstrieren. Als sich sein Land 1958 erstmals für das Turnier qualifizierte, war Best erst zwölf. 1982, als Nordirland seine zweite WM bestritt, war er bereits 36. In Bests besten Jahren hätte es einer gesamtirischen Nationalelf bedurft, um bei der größten Leistungsshow dabei zu sein.

Best war ein vehementer Befürworter einer Fußballauswahl für ganz Irland. Aber die politischen Verhältnisse und der Egoismus der Fußballfunktionäre in Belfast und Dublin verhinderten ein gemeinsames Kicken über alle politischen, kulturellen und konfessionellen Gräben hinweg. Dabei wäre Best der perfekte Repräsentant eines gesamtirischen Fußballprojektes gewesen. Denn kein anderer Ire wurde von Nordiren und Südiren, von Protestanten und von Katholiken, von pro-britischen Unionisten und von irischen Nationalisten und Republikanern so verehrt wie der Fußballspieler aus dem protestantischen Osten Belfasts, der im Trikot eines „katholischen“ Klubs brillierte.

Als Best 2005 im Alter von 59 Jahren an den Folgen seines Alkoholismus starb, gaben ihm in einem Land, das nur knapp zwei Millionen Einwohner zählt, über 100.000 Menschen ein letztes Geleit. Es war die größte Beerdigung in der Geschichte der irischen Insel. Die Zeremonie in der Grand Hall des nordirischen Parlaments- und Regierungssitzes wurde zum Stelldichein ehemaliger politischer Todfeinde.

Es geht in diesem Buch nicht nur um Rückschau, sondern auch um die Frage nach der Aktualität von George Best und die Zukunft des Fußballs. Es wurde auch aus dem Gefühl heraus geschrieben, dass manches von dem, womit Best uns begeisterte, dem heutigen Fußball fehlt und wieder modern werden könnte: der Mut zum Eins-gegen-eins-Duell, zum temporären Ausbrechen aus dem Modus des Konzept- und Systemfußballs mit scheinbar endlosen Ballstafetten, der erst durch überraschende Geniestreiche so richtig an Schlagkraft gewinnt. Das Spiel benötigt nicht nur Soldaten und glatt gebügelte Akademie-Absolventen, die brav den diktierten und einstudierten Laufwegen folgen. Das Spiel benötigt auch mutige Individualisten. Spieler, die mit einem Schuss Eigensinn die gegnerische Ordnung zum Einsturz bringen, indem sie die eigene für einen Moment ignorieren. Spieler, die auch ohne Netz und doppelten Boden und ohne Absicherung durch das System mal etwas wagen.

Wer ein Buch über George Best in die Hand nimmt, erwartet vielleicht eine Auflistung von Alkoholexzessen und Frauengeschichten. Ich habe mir diese weitgehend verkniffen, wenngleich sie ein unterhaltsames und dickes Werk ergeben würden. Zu den unangenehmen Eigenschaften meiner Generation gehört das voyeurhafte Sich-Amüsieren über gescheiterte Existenzen. Bei gleichzeitiger Stilisierung dieser Menschen zu Rebellen, mit deren Schicksal man freilich nicht tauschen möchte. „Sterbt nicht so wie ich“, ermahnte Best vom Sterbe­bett aus seine Mitmenschen. Auch wenn dies hilflos klang: Er hatte recht. Nimmt man noch eine zweite Aussage aus seinen letzten Tagen hinzu: „Vergießt um mich keine Tränen. Ich hatte ein fantastisches Leben“, dann erfolgte sein Abgang ziemlich souverän. Best hat nichts bereut. Er hat uns weder mit der Rolle des armen Opfers malträtiert, noch die des nachahmungswürdigen Helden strapaziert.

Völlig verzichtbar waren Hinweise auf sein Sauf- und Sexleben allerdings auch nicht, da sie Bests Karriere beeinflusst haben. Sie interessierten mich, wenn sie – in der Regel ungewollt – eine kulturelle oder gar politische Message beinhalteten. Beispielsweise wenn der als Protestant und nordirischer Unionist aufgewachsene Best mit Pat Crerand unterwegs war, einem Katholiken und Sympathisanten des irischen Nationalismus. Oder wenn Best sich mit der südirischen Schauspielerin Sinead Cusack zusammentat.

Über Best ist bislang vorwiegend aus der Perspektive Manchesters geschrieben worden: Best als der Nordire im United-Trikot. Seine nordirische Herkunft, die damit verbundenen politischen und kulturellen Prägungen und Implikationen, der während seiner Zeit bei United ausbrechende und schließlich eskalierende Bürgerkrieg und dessen Auswirkungen auf den Fußballprofi, also die Wechselwirkung zwischen Heimat und Wahlheimat, die Rezeption Bests in der nordirischen und irischen Gesellschaft (über seinen Tod hinaus), das alles wird in der Regel nur am Rande behandelt. Interessanterweise gibt es keinen nordirischen Biografen des weltweit prominentesten Nordiren – abgesehen von einem Buch seiner Schwester Barbara.

Ich habe mich um eine andere Perspektive bemüht. Die Folien meines Schreibens waren Manchester und Nordirland, genauer Belfast. Deshalb kommt auch immer wieder die Sprache auf kulturelle und politische Entwicklungen in Nordirland. Van Morrison, Rory Gallagher, der „George Best der Bluesgitarre“, der evangelikale Prediger und unionistische Politiker Ian Paisley sowie der ehemalige IRA-Oberkommandierende, Best- und Manchester-United-Fan Martin McGuinness spielen in einigen Kapiteln ebenfalls mit. Zwar hat Best fast 90 Prozent seines Erwachsenenlebens in Manchester, London und den USA verbracht. Aber je mehr ich mich in das Thema Best vertiefte, desto klarer wurde mir, dass Best von diesem Background nicht zu trennen ist.

Ermöglicht wurde mir diese Herangehensweise durch zahlreiche Aufenthalte in Nordirland und eine freundschaftliche Verbundenheit zu Menschen aus beiden Communities – der katholischen wie der protestantischen. Nicht zuletzt dank der Lingua franca Fußball, zu deren Grundvokabular „George Best“ gehört.

Ich habe dies immer als ein Privileg verstanden, da diese Selbstverständlichkeit in Nordirland keine ist. Viele Menschen können oder wollen diese Normalität immer noch nicht genießen, weshalb sich ihnen die Denkprozesse in der „anderen Community“ oftmals verschließen. Trotz des Friedensabkommens von 1998 und einer interkonfessionellen Regierung leben Protestanten und Katholiken in Nordirland noch immer weitgehend getrennt.

Den letzten Anstoß zu diesem Buch gab der Northern Ireland Milk Cup 2013, ein Turnier für junge Fußballer, das alljährlich an der nordirischen Causeway Coast ausgespielt wird und zu dessen Dauergästen der Nachwuchs von Manchester United gehört. Eines Abends diskutierte ich mit einigen Turnierorganisatoren über die Vor- und Nachteile eines „academy football“. Anlass war eine Beschwerde des Manchester-United-Coaches Paul McGuinness, Sohn von Wilf McGuinness, dem Nachfolger von Matt Busby bei United, der auch George Best trainiert hatte. Uniteds U17 wurde mit vielversprechenden Talenten wie Andreas Pereira und Joe Riley schließlich verdient Turniersieger. Manche Beobachter sahen in der Truppe eine Fortsetzung der „Class of ’64“ (mit George Best, David Sadler, John Aston) und „Class of ’92“ (mit David Beckham, Paul Scholes und Co.) – United-Jugendmannschaften, die eine neue erfolgreiche Ära bei den Profis einleiteten. Aber McGuinness gefiel nicht, dass sich seine Jungs auf dem Weg zum Titel auch mit Teams messen mussten, deren Spieler nicht von Fußballakademien kamen und Uniteds Dominanz mit ihren eigenen Mitteln begegneten. In der Regel zählten dazu eine defensiv geprägte Ordnung, eine gewisse Zweikampfhärte und Konterfußball. Wir fragten uns, ob sich ein George Best darüber beschwert hätte. Und ob die Fußballakademien ihre Schüler nicht manchmal etwas zu glatt bügeln und immer die richtige Vorbereitung auf das Profileben bieten würden. Schließlich würde die Jungs später in der Premier League und im FA Cup ebenfalls eine Reihe von Teams erwarten, die ihr Spiel nicht nach den Vorstellungen Uniteds spielen.

Am folgenden Tag fuhren wir nach Belfast und zum Burren Way Nr. 16, dem Elternhaus von George Best. Dort trafen wir mit Robin McCabe einen alten Freund George Bests. Robin hatte zusammen mit Best für den Cregagh Boys Club gespielt. Er führte uns durchs Haus, zeigte uns den Fußballplatz, auf dem George und er einst für die Cregagh Boys gekickt hatten, sowie einige Briefe, die George ihm und der Familie aus Manchester geschrieben hatte – und die Idee zu diesem Buch war geboren.

Mein besonderer Dank gilt daher zuerst Robin McCabe, ebenso Heather Chesney und Wendy Langham (East Belfast Partnership), Jim Sandford (Dale Farm Milk Cup, bis 2013: Northern Ireland Milk Cup), Uwe Koopmann, Uwe Renners, Christina Matthoff fürs Korrekturlesen, meinen Lektoren Bernd Beyer und Markus Montz sowie einigen Menschen, die nicht genannt werden möchten.

Dietrich Schulze-Marmeling, April 2015


Dietrich Schulze-Marmeling (rechts) an Bests Elternhaus im Burren Way Nr. 16. Links steht Robin McCabe, ein alter Freund George Bests.

George Best

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