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Belfast Boy

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George Best wächst in der nordirischen Industriemetropole Belfast auf, in einer typischen protestantischen Arbeiterfamilie. Vater und Großvater arbeiten auf der Werft, engagieren sich in der Gewerkschaft und dem antikatholischen Oranier Orden. Als Kind besucht George Heimspiele des Glentoran FC. 1958 qualifiziert sich Nordirland erstmals für ein WM-Turnier, wodurch Georges Fußball­begeisterung einen weiteren Schub erhält.

Irlands Industriemetropole

Das erste Fußballstadion, das der junge George Best regelmäßig besucht, liegt im Osten Belfasts und heißt schlicht „Oval“. Dort spielt der Glentoran FC, zu dessen Spielen bereits Georges Vater und Großvater pilgerten. Härtester Rivale ist der Linfield FC; bei den Begegnungen beider Teams kommt es immer wieder zu Ausschreitungen zwischen den Fans. George Best bringt diese Rivalität mit der religiösen Spaltung seiner Heimat in Verbindung: „Protestanten unterstützten automatisch Linfield, aber wenn du Katholik warst, unterstütztest du Glentoran.“ Diese Erinnerung ist zwar nicht richtig. Aber sie verweist unmittelbar auf die komplizierte religiös-politische Geografie, von der Bests Heimatstadt geprägt ist.

Belfast ist eine sehr junge Stadt. Sie wurde erst 1603 gegründet und ist ein Ergebnis der gezielten Besiedlung des irischen Nordostens. In der Stadt an der Mündung des Flusses Lagan wurden englische und vor allem schottische Einwanderer heimisch, die in der Regel Protestanten waren.

In den 1850ern begann in Belfast ein ökonomischer Boom, der mit einer Bevölkerungsexplosion einherging. Zugleich änderte sich die konfessionelle Demografie der Stadt radikal. Ein Drittel ihrer Einwohner waren nun Katholiken. Viele von ihnen kamen aus dem Westen der Provinz Ulster, vertrieben durch die Hungerkatastrophen, die zwischen 1846 und 1851 die irische Insel plagten und als „Great Famine“ in die Geschichtsbücher eingingen. 1841 zählte Belfast noch rund 70.000 Einwohner. 1911 lebten bereits 386.000 in der Ulster-Metropole, womit sich die Bevölkerung im Zeitraum von 70 Jahren mehr als verfünffacht hatte.

Die katholischen Neu-Ankömmlinge ließen sich vor allem im Westen der Stadt nieder. Das Hauptsiedlungsgebiet der Protestanten war der Osten, wo die großen und wichtigsten Industrien entstanden, und auch der Süden war überwiegend protestantisch. Den Norden der Stadt teilten sich die Konfessionen, aber nur in dem Sinne, dass protestantische Gebiete neben katholischen lagen. Man grenzte sich auch hier gegeneinander ab.

In den Jahren 1857, 1864, 1872 kam es zu sektiererischen Ausschreitungen in Belfast, die die Segregation von Protestanten und Katholiken weiter verstärkten. 1901 lebten 60 Prozent der Bürger Belfasts in Straßen, die entweder zu 90 Prozent protestantisch oder katholisch waren. Aber auch in konfessionell gemischten Straßen existierte häufig eine Trennlinie: Das eine Ende der Straße wurde von Protestanten bewohnt, das andere von Katholiken.

Als Pfeiler der Belfaster Industrie hatten sich Mitte des 19. Jahrhunderts der Schiffbau und die Leinenproduktion etabliert. 1912 war die Hälfte aller 140.000 lokalen Arbeitskräfte in diesen beiden Industriezweigen beschäftigt. Harland & Wolff, im protestantischen Osten der Stadt und an der Mündung des Flusses Lagan in die Irische See gelegen, war die größte Werft im Vereinigten Königreich und besaß das größte Trockendock der Welt. 1911 lief hier die Titanic vom Stapel. Belfast war Standort der weltweit umfangreichsten Schiffsproduktion. Deren Facharbeiterschaft bestand fast ausnahmslos aus Protestanten.

Belfast beherbergte außerdem die größte baumwollverarbeitende Industrie der Welt, weshalb die Stadt auch „Linenpolis“ genannt wurde. Die York Street Flax Spinning Mill im Norden der Stadt war die weltweit größte Leinenfabrik.

Ein Staat für die Protestanten

1921/22 wurde die bis dahin komplett von England beherrschte irische Insel geteilt. 26 Grafschaften bildeten einen „Free State“, in dem die katholische Kirche das Sagen hatte. Die restlichen sechs Grafschaften verblieben als Nordirland im Vereinigten Königreich. Hier waren zwei Drittel der Bevölkerung protestantisch. Anders als Schottland und Wales bekam Nordirland ein eigenes Parlament und eine eigene Regierung, deren Minister aber bis 1972 ausschließlich von der protestantischen Unionist Party gestellt wurden. Nordirlands erster Premierminister James Craig, der von 1921 bis zu seinem Tod 1940 die Provinz regierte: „Wir sind ein protestantisches Parlament und ein protestantischer Staat.“ Auch die bewaffneten Kräfte des Staates bestanden fast ausschließlich aus Protestanten. Nordirlands Polizei sah ihre vorrangige Aufgabe darin, die protestantische Vorherrschaft gegenüber etwaigen (katholischen) Rebellen zu verteidigen.

Die Konstituierung des nordirischen Staates wurde von Pogromen begleitet. Von den 93.000 Belfaster Katholiken wurden 11.000 vertrieben, weil ihre bisherigen Arbeitsplätze in protestantischen Gebieten lagen. 23.000 Katholiken mussten ihre Häuser verlassen. 500 katholische Geschäfte wurden geplündert und ausgebrannt. 257 Katholiken und 157 Protestanten wurden ermordet. In Nordirland hatten sich nun jene politischen Lager herausgebildet, die den Konflikt in den folgenden Jahrzehnten prägen sollten: auf der einen Seite Protestanten, die loyal zur britischen Union und zur Krone standen („Unionisten“ bzw. „Loyalisten“), auf der anderen Seite hauptsächlich Katholiken, die für ein Zusammengehen mit der Republik Irland und eine einheitliche irische Nation eintraten („Republikaner“ bzw. „Nationalisten“).

Protestantischer und katholischer Fußball

Auf der irischen Insel stand die Wiege des Soccers in Belfast. Aber Soccer hatte harte Konkurrenten. Bei den Katholiken waren es die gälischen Spiele Gaelic Football und Hurling, die von der 1884 gegründeten Gaelic Athletic Association (GAA) gepflegt wurden. Innerhalb des protestantischen Lagers bevorzugten dessen bessere Schichten Rugby gegenüber Soccer.

Die Gaelic Games wurden fast ausschließlich von Katholiken/Nationalisten betrieben. Die GAA spielte im Konzept des irischen Nationalismus eine bedeutende Rolle und war somit von Beginn an eine auch politische Institution. Die Popularisierung der gälischen Sportarten sollte den kulturellen Einfluss der englischen Kolonialmacht zurückdrängen, der sich besonderes in „British sports and pastimes“ manifestierte, und das verschüttete Selbstbewusstsein der irischen Nation wecken. In Nordirland hatten Angehörige der Polizei und der britischen Armee keinen Zutritt zur GAA.

Obwohl irisch-nationalistische GAA-Puristen den englischen Soccer als „fremdes Spiel“ und „Spiel der Kolonialherren“ denunzierten, mobilisierte Fußball in der Industriestadt Belfast auch die katholische Arbeiterschaft.

Am 18. November 1880 wurde im Belfaster Queen’s Hotel die Irish Football Association (IFA) aus der Taufe gehoben. Nach der englischen Football Association (FA, 1863), der Scottish Football Association (SFA, 1873) und der Wales Football Association (WFA, 1876) ist die IFA der viertälteste nationale Fußballverband der Welt. In Belfast entwickelte sich fortan eine Vereinslandschaft, die dem politischen und konfessionellen Muster der Stadt entsprach. Der erste Klub Irlands überhaupt war der 1879 vom schottischen Kaufmann John McAlery gegründete Cliftonville FC im Norden der Stadt. 1882 entstand im Osten der Glentoran FC, benannt nach dem Anwesen seines ersten Präsidenten Victor Coates, Besitzer einer Eisengießerei. 1886 wurde in Süd-Belfast der Linfield FC ins Leben gerufen, auf Initiative von Arbeitern der Ulster Spinning Company in Sandy Row. Cliftonville, Glentoran und Linfield waren protestantische Adressen. Linfield unterhielt enge Beziehungen zu den Glasgow Rangers und spielte wie diese in den britischen Farben Blau-Weiß-Rot.

1891 bekamen auch Belfasts Katholiken ihren Klub. In der Gegend um die Falls Road im katholischen Westen der Stadt wurde Belfast Celtic gegründet. Celtics Vorbild war der größere Glasgower Namensvetter, der 1888 von irisch-katholischen Immigranten konstituiert worden war. Belfast Celtic übernahm auch das Trikot vom großen Bruder.

In den folgenden 60 Jahren lieferten sich der „protestantische“ Linfield FC und das „katholische“ Belfast Celtic einen erbitterten Kampf um die Vorherrschaft im Belfaster und nordirischen Fußball. Die Rivalität wurde von Beginn an von sektiererischen Ausschreitungen begleitet. Ebenso gab es Auseinandersetzungen, wenn Celtic gegen Glentoran spielte. Wie Linfield war auch Glentoran FC, der Lieblingsverein des jungen George Best, in einem protestantischen Arbeiterbezirk beheimatet. Das Stadion „Oval“ lag im Werftarbeiterbezirk Ballymacarret und in Nachbarschaft zu Harland & Wolff. Ballymacarret war das Herzstück des protestantisch-proletarischen East Belfast. Viele der Anhänger der „Glens“ arbeiteten auf den Werften und in deren Zulieferbetrieben im Belfaster Osten.

Belfast Boy

East Belfast ist auch die Heimat von George Best. Sein Vater Richard, genannt Dickie, arbeitet als Dreher bei Harland & Wolff, und auch dessen Vater war bereits dort beschäftigt. Dickie Best ist als Gewerkschafter aktiv, aber wie alle Arbeiter auf der Werft versteht er sich auch als überzeugter protestantischer Unionist. Harland & Wolff ist der größte industrielle Arbeitgeber Nordirlands, und seine zu fast hundert Prozent protestantische Arbeiterschaft bildet traditionell das proletarische Rückgrat der Bewegungen gegen irische Einheit und Unabhängigkeit.

George Bests Mutter Anne, eine geborene Withers, arbeitet in der Zigarettenfabrik Gallaher’s in der York Street. Eine Zeit lang ist Gallaher’s sogar der weltweit größte unabhängige Produzent von Tabakwaren. In Belfast verdingen sich viele Frauen in der Industrie, vor allem auf katholischer Seite, wo die Männer ohne Arbeit sind oder nur magere Löhne einstreichen. In der Leinenindustrie sind zeitweise 70 Prozent der Beschäftigten Frauen, während auf den Werften ausschließlich Männer arbeiten. Im Belfast der 1940er und 1950er Jahre sind Arbeiterinnen katholisch und Arbeiter protestantisch.

Aber Anne Best ist ein Beispiel dafür, dass auch in den protestantischen Arbeiterfamilien häufig die Frauen zum Familieneinkommen beitragen. Die Zeiten, in denen die Löhne der Belfaster Facharbeiter die höchsten in Irland waren und teilweise sogar über dem Niveau in England und Schottland lagen, sind vorbei. Vor dem Zweiten Weltkrieg waren Belfasts Schlüsselindustrien in eine schwere Krise geraten. Belfasts zweite große Werft Workman & Clark, die zu den „ersten Sechs“ im Vereinigten Königreich gehörte, musste 1937 schließen. Und im Nordirland der Nachkriegsjahre liegt das durchschnittliche Einkommen um ein Drittel unter dem im restlichen Vereinigten Königreich. 1951 sind 36 Prozent aller Beschäftigten in Belfast Frauen, darunter auch viele verheiratete. Eine hohe Quote für diese Zeit und ein so religiöses Land wie Nordirland.

Dickie Best lernt seine künftige Frau Anne Withers bei einer Tanzveranstaltung in der Willowfield Unionist Hall in der Woodstock Road in East Belfast kennen. Am 30. Juni 1945 heiraten die beiden und beziehen ein kleines Reihenhaus in der Jocelyn Street in East Belfast, einer Nebenstraße der Woodstock Road. Die Miete erweist sich aber als zu teuer für das junge Paar, weshalb es nach knapp einem Jahr Unterschlupf bei Annes Eltern in der Donard Street sucht, nur einen Steinwurf entfernt von der bisherigen Wohnung.

Sowohl Dickie wie Anne sind sportlich aktiv. Er ist ein respektabler Fußballer, der bis zu seinem 37. Lebensjahr für diverse Amateurklubs kickt. Meistens als Linksverteidiger, also auf der Position der späteren Gegenspieler seines Sohnes. Dickie ist von gedrungener Gestalt, agil, bissig, schnell und mit beiden Füßen stark am Ball. Anne Best ist eine exzellente Hockeyspielerin, die mehrfach zu Sichtungslehrgängen der nordirischen Auswahl eingeladen wurde. Aber während des Krieges fanden keine Länderspiele statt.

Am 22. Mai 1946, elf Monate nach der Heirat, kommt das erste Kind zur Welt. Es ist ein Junge, der nach seinem Großvater mütterlicherseits auf den Namen George getauft wird. Weitere fünf Kinder folgen: Carol (1947), Barbara (1952), die Zwillinge Julie und Grace (1963) und schließlich Ian (1967).

Cregagh

Im Januar 1949 ziehen Dickie und Anne Best mit dem zweieinhalbjährigen George und seiner Schwester Carol ins Cregagh Housing Estate, ein öffentliches Wohnungsbauprojekt. Die moderne Nachkriegssiedlung besteht aus zweigeschossigen Reihenhäusern mit Flachdächern, was für Belfast neu ist. Aus heutiger Sicht wirken die Häuser sehr bescheiden, aber das Bad ist nicht mehr draußen im Hinterhof, was damals fast schon als luxuriös gilt. Anfangs beträgt die Miete 14 Shilling (= 70 Pence) pro Woche. Später wird den Mietern die Möglichkeit geboten, die Häuser zu erwerben. Die Bests residieren im Burren Way Nr. 16.

Cregagh ist eine überwiegend protestantische Siedlung. Allerdings lebt hier zunächst noch eine zahlenmäßig bedeutendere katholische Minderheit, was der Randlange geschuldet ist. George Bests jüngere Schwester Barbara: „Burren Way war eine freundliche Straße. Wir hatten gute Nachbarn, Katholiken und Protestanten. Wir spielten miteinander und waren miteinander befreundet.“ Religiöses Sektierertum sei in ihrer Familie nicht vorgekommen. George berichtet, im Haus nebenan hätten Katholiken gewohnt. „Die Frau, Melda hieß sie, war die beste Freundin meiner Mutter.“ Auf der Straße hätten sich die Kinder ab und an Schimpfwörter zugerufen. „Du warst entweder ein ‚Fenier‘ oder ‚Proddy Dog‘. Halt so Dinge, die Kinder sich gegenseitig zurufen.“1 Mehr wäre aber nicht gewesen.

Aufgrund der segregierten Wohnkultur wirkt Belfast wie ein Konglomerat aus Kleinstädten. Das Leben der Familie Best spielt sich fast ausschließlich im Osten ab und hier auch nur in dem Dreieck Cregagh Housing Estate, Donard Street und „Oval“.

Presbyterians

Best beschreibt seine Familie als „religiös“. Seine Eltern seien Free Presbyterians gewesen. Nordirlands protestantische Community teilt sich in Anglikaner (Church of Ireland), Presbyterianer (Presbyterian Church of Ireland), Methodisten (Methodist Church of Ireland) und Freie Presbyterianer (Free Presbyterian Church). Die Free Presbyterian Church ist eine reformierte Freikirche mit weltweit über 100 Gemeinden, die Mehrheit davon in Nordirland. Sie spaltete sich in den 1950ern von der Presbyterian Church ab, sieht sich in der Tradition von Johannes Calvin, John Knox und den amerikanischen Puritanern, lehnt rigoros Vergnügen wie Alkohol, Glücksspiel oder Tanz ab, geißelt Homosexualität als Sünde, ist militant antikatholisch und gegen die Ökumene und macht aus dem Sonntag den trostlosesten Tag der Woche. Kurzum: Die Free Presbyterians sind die härteste und bigotteste Fraktion im religiösen Spektrum Nordirlands. Ihr Anführer war ein halbes Jahrhundert lang der Prediger Ian Paisley, der während der „Troubles“ zu einer der bedeutendsten politischen Persönlichkeiten Nordirlands aufsteigt. Denn Paisley war auch noch Boss der Democratic Unionist Party (DUP), die sich 1971 rechts von der Ulster Unionist Party etablierte, die dadurch ihren Charakter als Einheitspartei der nordirischen Protestanten/Unionisten verlor. Zu den Hochburgen der DUP gehören die Arbeiterbezirke East Belfasts. Aber nur eine Minderheit der hier lebenden DUP-Wähler und Anhänger sind Free Presbyterians.

Für das Religiöse in der Familie ist der Großvater mütterlicherseits zuständig, George Withers, bei dem die junge Familie Best die Sonntage verbringt. George Best und seine Geschwister müssen an diesem Tag in die Kirche und anschließend in die Sonntagsschule. Das Fußballspielen ist untersagt, ebenso der Besuch eines Fußballspiels. Letzteres fällt nicht schwer, denn der protestantisch dominierte Fußballverband lässt am Sonntag den Spielbetrieb ruhen. In Belfast wird am Tag des Herrn nur im katholischen Westen gegen den Ball getreten – allerdings ist es hier Gaelic Football. Soccer gibt es nur „unten“ in der „katholischen“ Republik. So bleibt als einzige Frischluftaktivität ein gesitteter Gang durchs Viertel. Georges Schwester Barbara Best erinnert sich: „Spielen war am Sonntag untersagt. Aber wir durften am Nachmittag einen Spaziergang unternehmen.“ In Großvater Withers vier Wänden geht es auch nicht lustiger zu. Der Fernseher bleibt ausgeschaltet, was George und seine Geschwister aber unterlaufen, indem sie die Glotze heimlich einschalten und wechselweise vor dem Fernsehzimmer Wache schieben.

Der Politik- und Sportjournalist Eamon McCann zieht Bests Behauptung, seine Eltern seien Free Presbyterians gewesen, in Zweifel. Dass Vater Dickie und Sohn George Fußball spielten, würde hierzu nicht passen. Auch dass Dickie Best schon mal ein Bierchen trinkt, im Gegensatz zu Anne, die lange Zeit Abstinenzlerin ist, widerspricht dem gängigen Bild vom Evangelikalen.

Barbara Best berichtet, man habe sonntags die Ravenhill Presbyterian Church in der Ravenhill Road besucht, unweit vom Haus des Großvaters in der Donard Street. In derselben Straße liegt auch die Martyrs Memorial Free Presbyterian Church, die 3.000 Frömmlern Platz bietet und in der Paisley predigt. Allerdings ist dieser Klotz erst 1969 eröffnet worden, weshalb keine Verwechselung vorliegen kann. Denn 1969 ist Best bereits 23, seit acht Jahren in Manchester und besucht Nachtklubs anstatt Kirchen. Möglicherweise hat George Best also in seiner Erinnerung einiges durcheinandergebracht: die Presbyterian Church of Ireland, die Free Presbyterians sowie die DUP.

Oranier Orden

Dickie Best ist Mitglied im Oranier Orden. Der 1795 gegründete Orden ist ein exklusiv protestantischer Männerbund, der die Vorherrschaft des Protestantismus gegenüber dem Katholizismus verteidigt. Als klassenübergreifende Allianz mischt der Orden vor allem in Belfast mit, wenn Arbeitsplätze und öffentlicher Wohnraum vergeben werden. Sein Name geht auf Wilhelm III. von Oranien zurück, der 1690 den katholischen Stuart-König Jakob II. und dessen irisch-katholische Truppen in der Schlacht am Boyne besiegte und dadurch die protestantische Präsenz und Vorherrschaft in Ulster zementierte.2 Ein Ereignis, das alljährlich am 12. Juli – „The Twelfth“ – mit großen Umzügen gefeiert wird, bei denen viel Alkohol im Spiel ist und es immer wieder zu Auseinandersetzungen mit Bewohnern katholischer Viertel kommt.

Seinerzeit ist der Großteil der protestantischen Männer im Orden organisiert. Dies gilt auch für die Arbeiter von Harland & Wolff; rund um „The Twelfth“ ruht die Arbeit auf der Werft. George Best: „Wenn du ein Protestant warst, dann bist du – wie ich – dem Orange Order beigetreten. Mein Vater und mein Großvater waren beide Grand Master ihrer lokalen Loge.“ Der junge George wird Mitglied im Junior Orden. Am 12. Juli darf er mitmarschieren und mithelfen, das riesige und schwere Banner zu tragen. Dickie schenkt seinem Sohn eine Schärpe der lokalen Loge, die heute im Museum of Orange Heritage im Schomberg House ausgelegt ist, dem Hauptquartier der Grand Orange Lodge of Ireland.3 Schomberg House liegt nur einen Steinwurf von Bests Elternhaus entfernt.

Außerdem gehören Vater und Großvater auch noch der Royal Black Perceptory an. Dieser protestantischen Verbindung dürfen nur Mitglieder des Oranier Ordens beitreten. Der Royal Black Perceptory ist noch stärker religiös geprägt als der Orden. Ziel der Institution ist es, die Prinzipien der protestantischen Reformation zu verteidigen und zu verbreiten.

Als der junge George Best mitmarschiert, verlaufen die Umzüge am 12. Juni noch weitgehend friedlich, auch weil Belfasts Katholiken sich an diesem Tag wegducken. Schon damals dient „The Twelfth“ allerdings nicht nur der Selbstvergewisserung der eigenen Identität. Die Märsche sollen auch demonstrieren, dass Nordirland den Protestanten gehört und die Minderheit nur geduldet ist. George Best selbst wird sich später kritisch darüber äußern: „The Twelfth“ sei schon damals, also vor Ausbruch des nordirischen Bürgerkrieges, ein „sektiererischer Karneval“ gewesen.

Glentoran

Die fußballerische Tradition der Familie verkörperte Georges Großvater väterlicherseits, James ‚Scottie‘ Best. Den Spitznamen „Scottie“ verdankt er dem Umstand, dass er die erste Phase seines Lebens in Schottland verbracht hat. Als James zwei Jahre alt war, zogen seine Eltern nach Glasgow. Harland & Wolff hatte damals Werften am Clyde erworben, exportierte nun ihre sektiererische „No catholics“-Politik und schickte protestantische Facharbeiter in die schottische Industriemetropole. Die Immigranten gossen eine gehörige Portion Öl in das auch in Glasgow lodernde religiös-sektiererische Feuer. Mit ihrer Ankunft verschärfte sich die Rivalität zwischen den Fußballklubs Rangers und Celtic.

James Best wuchs in Glasgow auf und arbeitete auf einer der Werften am Clyde. Nach seiner Rückkehr nach Belfast lebt er in der Nähe des Glentoran-Stadions „Oval“ in Ballymacarret. Mit seinem Sohn Dickie und später seinem Enkel George geht James regelmäßig zu den Heimspielen des Klubs.

Als George erstmals ein Spiel der „Glens“ besucht, hat sich Belfast Celtic, in der Saison 1947/48 noch Nordirlands erster Nachkriegsmeister, vom Spielbetrieb verabschiedet. Vorausgegangen war die „Jimmy-Jones-Affäre“ am Boxing Day 1948: Belfast Celtic musste beim Linfield FC antreten. 25.000 Zuschauer waren in den Windsor Park gekommen, eine für den heutigen nordirischen Ligafußball unvorstellbare Masse. Die Begegnung wurde von beiden Seiten mit äußerster Härte geführt. Nach einem Zusammenprall mit Celtics (protestantischem!) Torjäger Jimmy Jones musste Linfields Bryson vom Platz getragen werden. Die ohnehin angespannte Stimmung wurde weiter angeheizt, als die Zuschauer über die Lautsprecheranlage des Windsor Park erfuhren, dass sich der Linfield-Spieler ein Bein gebrochen habe. Nach dem Schlusspfiff – das Spiel endete unentschieden – wurden die Celtic-Spieler tätlich angegriffen. Dabei hatte es der Linfield-Anhang vor allem auf Jimmy Jones abgesehen. Jones wurde über ein Geländer auf die Stehterrasse gestoßen, wo man ihn übel zurichtete. Sein Bein wurde gebrochen, und es dauerte einige Zeit, bis sich Jones von dem Zwischenfall wieder erholt hatte und seine Karriere fortsetzen konnte. Nach langen Diskussionen entschied Celtics Vereinsführung, dass Spielern und Fans eine weitere Beteiligung an der Irish League nicht zuzumuten sei. Eine komplette Mannschaft wurde auf die Transferliste gesetzt, und für Belfast Celtic wurde Crusaders FC in die Irish League aufgenommen, ein Klub aus einem Viertel protestantischer Hafenarbeiter im Norden Belfasts.

In den folgenden Jahren heißt der Meister entweder Linfield oder Glentoran. 1948/49 und 1949/50 holt Linfield den Titel, 1950/51, 1951/52 und 1952/53 Glentoran. Anschließend ist wieder Linfield dran. Da es keinen katholischen/irisch-nationalistischen Widersacher mehr gibt, spielt sich Belfasts Fußballrivalität nun nur noch zwischen protestantischen Klubs ab.

Too long in exile?

Wie eingangs erwähnt, hält George Best Glentorian für einen „katholischen“ Klub und wundert sich darüber, dass sein Vater und Großvater dorthin pilgern. Seine Vermutung rührt vermutlich daher, dass die „Glens“ nach dem Ausstieg der Belfast Celtics nun Linfields hauptsächlicher Widersacher sind. Und dass – im Unterschied zum FC Linfield – bei Glentoran auch einige Katholiken mitkicken dürfen. Außerdem machen sich Linfield-Fans einen Spaß daraus, die „Glens“ wegen ihrer grünen Trikots aufzuziehen – denn Grün gilt als Farbe der irisch-katholischen Nationalisten (allerdings spielt auch die nordirische Nationalelf in Grün). Bis heute kommt es bei Spielen zwischen den beiden Klubs immer wieder zu Ausschreitungen, die aber nur Ausdruck einer geografisch bestimmten Rivalität innerhalb der protestantischen Community sind. In den Führungsetagen der beiden Klubs sitzen ausschließlich Protestanten, auf den Rängen ebenso. In Belfast kommt niemand auf den Gedanken, die „Glens“ als „katholisch“ zu bezeichnen.

Für Eamon McCann dokumentieren Bests verzerrte Erinnerungen eine Unsicherheit bezüglich seiner Herkunft: „Es sind Aussagen eines Mannes, der Probleme damit hat, sich der Kultur, die ihn geformt hat, zu erinnern. Der versucht und dabei scheitert, sich vorzustellen, was wohl der Inhalt dieser Kultur gewesen sein mag. Er war zu lange im Exil, zu früh und zu weit weg, als dass ihm eine echte Verwurzelung Sicherheit geben könnte.“ Too long in exile – der ebenfalls aus East Belfast stammende Musiker Van Morrison wird später einen Song darüber schreiben.

Vielleicht gibt es für Bests widersprüchliche und fehlerhafte Aussagen noch einen weiteren Grund. Sowohl George wie seine Schwester Barbara legen größten Wert darauf, dass ihre Eltern keinen Unterschied zwischen protestantischen und katholischen Mitbürgern gemacht hätten, dass sie gewissermaßen mit einer antisektiererischen Haltung aufgewachsen seien. Die Familie sei unpolitisch gewesen. Im Großen und Ganzen mag dies zutreffen. Aber wie bereits geschildert, bewegt sich auch die Familie Best nicht völlig außerhalb des sektiererischen Grundmusters der nordirischen Gesellschaft. Dies ist auch kaum möglich.

Eins teilt sich in zwei

Nach der Teilung der irischen Insel hatten der Norden und der Süden auch im Fußball getrennte Wege eingeschlagen. Die führenden Klubs des Free State sagten sich von der in Belfast beheimateten und von Unionisten dominierten IFA los und gründeten mit der Football Association of Ireland (FAI) einen eigenen Verband, der bald auch seine eigene Nationalelf auf den Rasen schickte.

Allerdings durfte die IFA für Spiele um die britische Meisterschaft auch Spieler aus dem Süden nominieren. Eine Reihe von Spielern lief für beide Verbände auf – so u.a. die aus der südirischen Grafschaft Donegal stammende Celtic-Glasgow-Legende Patsy Gallagher. 1947 bestritt Nordirland sein zweites Nachkriegsländerspiel gegen Schottland im Glasgower Hampden Park mit sieben Südiren. Doch nachdem der Süden sich ganz aus dem Commonwealth gelöst hatte, verhärtete sich das Verhältnis zwischen IFA und FAI. 1949 rief die Regierung in Dublin die Republik aus. Aus dem Irish Free State wurde die Republic of Ireland. Mit Auftritten für beide Verbände war es nun vorbei.

Die Gaelic Games und Rugby blieben von der Teilung unberührt. Die Gaelic Games schon deshalb, weil sie eine nationalistische und damit gesamtirische Zielsetzung verfolgten. Beim Rugby ist es komplizierter. Auf der Aktivenebene war und ist das Spiel in Irland ein Sport der Mittel- und Oberschichten. Gesamtirisch wird Rugby von beiden Konfessionen betrieben, ist aber im Norden unionistisch/protestantisch dominiert. In Nordirland sind katholische Rugby-Aktivisten in der Regel gut situiert und frönen keinen irisch-nationalistischen Aspirationen. International tritt die Insel mit einer gesamtirischen Mannschaft auf.

Innerhalb Belfasts findet der politische und kulturelle Konflikt seinen deutlichsten Ausdruck im Soccer, da dieser von beiden Communitys gespielt und verfolgt wird. Auch sein Charakter als Sport der unteren Schichten dürfte hierzu beitragen. In einer „Apartheid-Gesellschaft“ wie der nordirischen bietet Soccer einen der wenigen Anlässe, bei dem größere Mengen von Katholiken und Protestanten an einem Ort zusammentreffen. GAA-Sports ist für Auseinandersetzungen „ethnisch“, politisch und kulturell zu homogen; im Rugby mischen zu viele Gentlemen mit.

1951 bekommt Nordirlands Nationalelf mit Peter Docherty einen ersten richtigen Trainer. Nicht alle IFA-Funktionäre sind begeistert. Vielen ist Docherty zu intelligent. Und er ist Katholik. Der ehemalige Manchester-City-Spieler ist ein moderner Übungsleiter und vielen seiner englischen Kollegen voraus.

In den Jahren vor Doherty hat die nordirische Nationalelf eine Serie deftiger Niederlagen kassiert. Von den 19 Begegnungen zwischen dem 28. September 1946 und 19. März 1952 wurden nur zwei gewonnen, 13 endeten mit einer Niederlage. Unter Docherty wird es nun besser. Er setzt auf junge Talente und lässt ihnen Zeit. Vorher hatte ein Selection Team die Aufstellung ständig gewechselt, und ein Debütant, der nicht auf Anhieb überzeugen konnte, erhielt keine zweite Chance.

Zum Star in Dochertys Team wird Danny Blanchflower. Der Mittelfeldspieler, 20 Jahre älter als Best, stammt aus Dunraven Park in Ballymacarret und ist East Belfasts erster internationaler Fußballer. Blanchflower ist weder muskulös noch schnell, seine Stärken sind ein gutes Passspiel und ein weit überdurchschnittliches taktisches Verständnis – nicht unbedingt typische Eigenschaften für einen britischen Fußballer. In den Reihen von Tottenham Hotspur avanciert er zu einem der größten Spieler der Klubgeschichte. 1958 und 1961 wählen ihn die englischen Journalisten zum „Fußballer des Jahres“. Für viele East Belfaster Kicker der Generation Best ist Blanchflower das Vorbild. So wie er wollen sie eines Tages auch im englischen Profifußball reüssieren.

Blanchflower gefällt Dochertys angriffsorientierte Philosophie: „Eine von Peters ersten Anweisungen lautete: Warum sollen wir verteidigen, wenn wir mit acht oder neun Toren verlieren? Warum greifen wir nicht an und verlieren mit acht oder neun Toren? So wurden wir eine Angriffsmaschine und überraschten damit viele Gegner.“ Es grenzt an ein Wunder, was Docherty aus einem begrenzten Pool von Spielern formt. Unter ihm erleben der Fußball in Nordirland und die Nationalelf einen Popularitätsschub, der auch den jungen George Best mitreißt.

Der Schüler Best

George ist ein intelligenter und guter Schüler. Besonders gut präsentiert er sich in den Fächern Schreiben (100 von 100 Punkten), Englisch (92) und Mathematik (92). Seine Hausarbeiten werden als „exzellent“ bewertet, sein Benehmen ebenso. Zunächst besucht George die Nettlefield Primary School in der Nähe der Woodstock Road und unweit der Donard Street, wo die Großeltern Withers leben. Da Dickie und Anne Best beide arbeiten, isst er dort häufig zu Mittag. Zur Schule muss George den Bus nehmen. Auf dem Weg von der Haustür zur Haltestelle und vom Bus bis zum Schultor dribbelt er mit einem Tennisball.

1957 schafft Best in seiner Klasse als einziger von 44 Schülern das berüchtigte „Eleven Plus Examen“ (11-plus) und sichert sich damit ein Stipendium für den Besuch eines Gymnasiums. Diese Prüfung löst in vielen Familien einen enormen Stress aus. Sie ist eine brutale Selektion mit weitreichenden Folgen für den weiteren Werdegang der Kinder. Besonders Arbeiterfamilien ohne die Tradition einer höheren Schulbildung sind häufig überfordert. Viele der Kinder, die am 11-plus scheiterten, litten noch viele Jahre später darunter. So zum Beispiel der Labour-Politiker John Prescott, 1997 bis 2007 Großbritanniens stellvertretender Premierminister. Prescott konnte nie vergessen, dass sein Bruder für das bestandene 11-plus ein Fahrrad geschenkt bekam, während er ohne fahrbaren Untersatz blieb.

Im Burren Way Nr. 16 nimmt man die Prüfung gelassen. Dickie Best: „Wenn das 11-plus anstand, erzählte ich meinen Kindern: ‚Ob ihr es schafft oder nicht, ist ohne Bedeutung für unsere Gefühle für euch. Wir lieben euch immer. Gebt einfach euer Bestes. Das ist alles, was ihr tun könnt.“ Auch drei der fünf Geschwister bestehen später das 11-plus. Eine Schwester scheitert nur, weil sie in der Prüfungsphase schwer erkrankt.

Best wechselt nun zur Grosvenor High School, vergleichbar einem deutschen Gymnasium. Viele der talentierten Arbeiterkinder, die die 11-plus-Hürde übersprangen, hassten es, dass sie nun von ihren Freunden getrennt wurden. Sie fühlten sich nicht wohl in einem sozialen Milieu, in dem sie eine Minderheit waren.

George Best ist nicht der einzige spätere Prominente, dem es so ergeht. Auch Neil Kinnock, 1983 bis 1992 Vorsitzender der Labour Party und im Unterhauswahlkampf 1987 Margaret Thatchers Gegenspieler, mag seine neue Schule nicht und verlässt sie wieder.

„Proddy Bastard“

Für George Best gibt es aber noch weitere Gründe, warum er die höhere Lehranstalt bald ablehnt. Wie auf den besseren, protestantischen Schulen in Nordirland üblich, ist hier Rugby Schulsport Nummer eins. Best spielt gerne und gut Rugby, trotz seiner schmächtigen Statur. Manchmal klettert er sogar über die Mauer des Rugby-Stadions Ravenhill, um ein Spiel zu sehen. Nordirlands größtes Rugby-Stadion, Heimstadt des Ulster Rugby Teams, liegt nur einen langen Ball entfernt von seinem Elternhaus. Aber Rugby ist nicht Soccer. Und die Menschen, die Rugby spielen, gehören einer anderen Klasse an als die Soccer-Spieler.

Außerdem befindet sich die Schule außerhalb East Belfasts, an der Roden Street auf der anderen Seite des Flusses Lagan. Es gibt einen katholischen und einen protestantischen Teil der Roden Street, die später durch die Stadtautobahn (Westlink) voneinander getrennt werden. Grosvenor High School liegt zu Bests Schulzeit noch im katholischen Abschnitt (1958 wird sie in den protestantischen Osten umziehen), der bereits zu West Belfast gehört, dem größten katholischen Siedlungsgebiet in der nordirischen Metropole. Nach Ausbruch der „Troubles“ avanciert dieser Teil der Stadt zu einer Hochburg der IRA.

Auf dem Weg von der Bushaltestelle zur Schule muss Best also durch katholisches Gebiet laufen. Seine Schuluniform macht ihn als Protestanten identifizierbar, und häufig wird er belästigt. Best: „Grosvenor High School lag in der Mitte einer katholischen Gegend. Die Kinder von den anderen Schulen wie Sacred Heart erkannten an meiner Schuluniform, dass ich Protestant war. Sie warteten auf mich und beschimpften mich als ‚Proddy Bastard‘. Sie versuchten, mir meinen Schal und meine Schulmütze abzunehmen.“ Nach der Schule passt Best genau die Ankunft des Schulbusses ab. Wenn der hält, ruft er den katholischen Jungs noch einige Schmähungen zu, fängt an zu rennen und springt auf den abfahrenden Bus, der ihn zurück in den sicheren Osten bringt. „Es war nicht nett, aber es war ein gutes Sprinttraining für mein Fußballspiel.“

„Wolves“ und „Busby Babes“

Der junge George Best ist nicht nur ein Fan von Glentoran, sondern auch der Wolverhampton Wanderers. Aus dem „Belfast Telegraph“ schneidet er die Spielberichte der beiden Teams aus und klebt sie in ein Heft ein. 1954 sind die „Wolves“ mit attraktivem Offensivfußball englischer Meister geworden. Im selben Jahr konnten sie in ihrem Stadion Molyneaux unter Flutlicht Honved Budapest (mit Puskás und Co.) und Spartak Moskau mit 3:2 bzw. 4:0 bezwingen. Der „Daily Mirror“ kürte danach die Wanderers zur weltweit besten Vereinsmannschaft. Nach den Pleiten, die das englische Nationalteam im Jahr zuvor gegen die ungarische Nationalelf erlebt hatte, waren Wolverhamptons Triumphe gegen die Teams aus Mittel- und Osteuropa Balsam auf die verwundete englische Fußballseele.

Auch 1957/58 und 1958/59 wird Wolverhampton Meister. Manager der „Wolves“ ist Stan Cullis, der eine moderne Version des „kick and rush“ spielen lässt. Cullis selbst spricht von „wissenschaftlichem kick-and-rush-Fußball“. Er analysiert Spiele und befasst sich intensiv mit taktischen Fragen, was in England zu dieser Zeit nur wenige tun. Die „Wolves“ spielen ansprechender und moderner als viele andere englische Teams; zudem fühlt sich Best von ihren goldenen Trikots angezogen, die vor allem bei den internationalen Matches unter Flutlicht zur Geltung kommen. Zwar ist ihr Fußball ein gutes Stück von dem entfernt, was zur gleichen Zeit das blutjunge Team von Manchester United zeigt, die nach ihrem Manager Matt Busby benannten „Busby Babes“. Dennoch dienen die Wolverhampton Wanderers als Vorbild für einige der kommenden United-Stars, darunter auch George Best.

Bests zweite Quelle der Inspiration ist die nordirische Nationalelf. Am 6. November 1957 schlägt Nordirland England in London mit 3:2. Bei den „Three Lions“ sind von den „Busby Babes“ Duncan Edwards, Roger Byrne und Tommy Taylor dabei. Auch bei den Nordiren stehen Busby-Spieler auf dem Feld: Keeper Harry Gregg und Jackie Blanchflower, der jüngere Bruder von Danny Blanchflower, der bereits im Alter von 16 Jahren nach Manchester gegangen ist. Mit Jackie, Danny und dem für Sunderland spielenden Billy Bingham sind im Wembleystadion drei Fußballer auf dem Rasen, die aus East Belfast stammen. Einziger Katholik im nordirischen Team ist der in der nordirischen Grenzstadt Newry geborene Peter McParland von Aston Villa.

Harry Gregg wird den jungen Best in Manchester noch erleben und ihn ein wenig an die Hand nehmen. Geboren in Tobermore, einem loyalistischen Dorf im Süden der nordirischen Grafschaft Derry, ist Gregg das Produkt einer „Mischehe“: Der Vater war Protestant, die Mutter Katholikin. Erzogen wird er protestantisch, was ihn nicht daran hindert, Fan von Celtic Glasgow zu werden. Der Grund ist Celtics Torhüter Johnny Thompson, Greggs Vorbild: „Bei meiner Erziehung hätte ich ein Fan der Rangers werden müssen, aber Johnny war mein Held, und wegen ihm wurde Celtic mein Team.“ Nach einem Zusammenprall mit einem Rangers-Spieler im Glasgower Derby 1931 war Thompson auf tragische Weise ums Leben gekommen.

George Best ist elf Jahre alt, als ein schweres Unglück die britische Fußballwelt erschüttert. Am 6. Februar 1958 befindet sich Manchester United auf der Rückreise von einem Europapokalspiel in Belgrad. Die Maschine mit der Mannschaft muss in München zum Auftanken zwischenlanden. Der Start zur letzten Etappe misslingt: Die „Lord Burghley“ erreicht nicht die notwendige Höhe, ist aber auf der von Schneematsch rutschigen Startbahn auch nicht zu stoppen und rast gegen zwei Betonblöcke, an denen sie zerschellt. 23 Passagiere kommen ums Leben, darunter acht United-Spieler. Manager Matt Busby überlebt das Unglück. Nur sieben der 17 Spieler, die mitgereist sind, werden anschließend wieder das Fußballfeld betreten. Darunter Bobby Charlton, Harry Gregg und Bill Foulkes, die später noch mit George Best spielen. Jackie Blanchflower wird schwer verletzt und muss seine Karriere beenden.

WM und Schulwechsel

Für die WM 1958 in Schweden haben sich zum ersten und bis heute einzigen Mal alle vier britischen Verbände qualifiziert. Bei den Nordiren soll wieder Harry Gregg ins Tor, doch zunächst zögert er, ob er mitfahren soll. Denn bei der WM wird auch am „Lord’s Day“ gespielt. Protestantische Kirchenmänner und Politiker verlangen, die FIFA möge auf Nordirlands Bedürfnisse Rücksicht nehmen und den heiligen Sonntag vom Fußball verschonen, anderenfalls solle die Mannschaft auf die WM verzichten. Der von Gewissensbissen geplagte Gregg sucht in England einen Pastor auf. Der Kirchenmann stellt ihm die Frage, ob er, Gregg, es in Ordnung fände, wenn ein Arzt am Sonntag das Leben eines Kindes retten würde. So tritt Gregg doch noch die Reise nach Schweden an. Drei der nordirischen WM-Fahrer stammen aus East Belfast: Billy Bingham, Danny Blanchflower und der junge Derek Dougan, ein rebellischer Typ, der später mit George Best Freundschaft schließen und für ein gesamtirisches Fußballteam eintreten wird.

England und Schottland sind nach der Vorrunde draußen, die „Zwerge“ Nordirland und Wales schaffen überraschend den Einzug in die Runde der letzten acht – die Nordiren dank eines überragenden Harry Gregg, der später gemeinsam mit dem Russen Lew Jaschin zum besten Keeper des Turniers gewählt wird. Im Viertelfinale unterliegt Nordirland Frankreich mit Just Fontaine und Raymond Kopa mit 0:4. Katholik McParland schießt in Schweden fünf der sechs nordirischen Tore.

Während Peter Dochertys Elf ein Kapitel Fußballgeschichte schreibt, werden George Bests Schulnoten immer schlechter. Das liegt nicht an intellektueller Überforderung. Best: „Der Stoff war nicht das Problem. Meine besten Fächer waren Englisch und Mathe. Geschichte und Geografie fand ich langweilig. Ich fühlte mich fehl am Platz. Die anderen Kinder waren für mich Fremde. Im Grunde genommen wollte ich nicht aufs Gymnasium. Ich konnte nicht abwarten, bis ich wieder zu Hause war und meine Kameraden aus der Siedlung treffen konnte.“

Best beginnt, die Schule zu schwänzen. Nach der Mittagspause verbirgt er sich auf der Toilette, bis alle anderen Schüler im Klassenraum verschwunden sind. Dann verlässt er das Schulgebäude, indem er über ein Dach klettert, versteckt seine Schultasche hinter der Mülltonne des Hauses einer Tante und spaziert über die Lagan-Brücke ins Stadtzentrum.

Schließlich entscheidet er sich für einen Schulwechsel und besucht nun die Lisnasharragh Intermediate School, vergleichbar mit der deutschen Realschule. Vom Burren Way sind es nur wenige Hundert Meter zum Schulgelände, und viele seiner Freunde gehen ebenfalls dorthin. Schon der erste Tag ist vielversprechend: „In der ersten Stunde hatte ich Kunst. Als ich den Klassenraum betrat, waren die Mädchen alle am Malen, während sich die Jungs in einer Ecke drängten, um das Fußballteam für das Spiel am kommenden Wochenende aufzustellen. Ich ging zu ihnen hinüber, und sie fragten mich, ob ich mitspielen wolle. Das war der Anfang. Ich war im Schulteam.“

Prompt werden die schulischen Leistungen wieder besser. In einer Reihe von Fächern gehört Best zu den Klassenbesten. Ohne sich sonderlich anzustrengen – denn über allem steht für ihn das Schulteam.

1. Fenier: Schimpfwort für Katholiken in Nordirland. Bezieht sich auf die Ende der 1850er in New York gegründete Fenian Brotherhood. Die Geheimorganisation irisch-katholischer Immigranten sammelte Geld und Waffen für den Kampf gegen die englische Kolonialherrschaft in Irland. Proddy Dog: protestantischer Köter.

2. Wilhelm III. und Jakob II. stritten damals um den englischen Thron. Jakob II. hatte diesen 1685 bestiegen und die Rekatholisierung und Refeudalisierung Englands betrieben. Die Glorius Revolution von 1688 beendete seine Regentschaft und bestätigte die Thronfolge seiner Tochter, der protestantischen Maria II. in gemeinsamer Regierung mit ihrem Gatten Wilhelm III. von Oranien, Erbstatthalter der Niederlande. Damit war die Ära des Gottesgnadentums und der absoluten Monarchie beendet. Irlands Protestanten unterstützten Wilhelm, während das katholische Irland Jakob Zuflucht bot, der von hier aus einen Feldzug zur Rückeroberung des Throns startete. Was Nordirlands Protestanten nicht gerne hören: Zu Wilhelms internationaler Allianz gehörte auch der Papst.

3. Namensgeber des Hauptquartiers ist der aus Heidelberg stammende Heerführer Friedrich Graf von Schomberg. Der calvinistische Adlige setzte 1689 mit einem Heer von 5.000 bis 6.000 englischen Soldaten nach Irland über und bildete die Vorhut für Wilhelm III. von Oranien. Schomberg fiel in der Schlacht am Boyne 1690.

George Best

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