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ОглавлениеVorwort
1988 lebte ich in der nordirischen Grenzstadt Newry, einer überwiegend katholischen Kleinstadt, die damals stark von den „Troubles“ heimgesucht wurde. So nannten Nordiren etwas euphemistisch den Konflikt, der in den Jahren 1968 bis 1998 über 3.500 Todesopfer forderte, davon etwa 3.300 in Nordirland – einem Land, das nur gut 1,8 Millionen Einwohner zählt. Meine Familie und ich erlebten in unserer Umgebung einige Bombenanschläge der IRA, u. a. wurden während unseres Aufenthalts die Zollstation in die Luft gesprengt und wiederholt der grenzüberschreitende Betrieb der Bahnlinie Dublin – Belfast, die hinter unserer Wohnung verlief, dem Kampf für die Beseitigung der Grenze geopfert. Meine Frau arbeitete als Ärztin im lokalen Krankenhaus, und ihre ersten Patienten waren drei katholische Jugendliche, die in einer Disko im protestantischen Kilkeel durch Messerstiche verletzt worden waren, sowie ein Polizist, der auf dem Weg zum Dienst mit seinem Auto vor einem Baum gerast war und nun von zwei Kollegen bewacht wurde, die sich vor seiner Tür mit Panzerwesten bekleidet und dem Gewehr im Anschlag postierten. Waffen im Krankenhaus, das fand meine Frau unmöglich. Nachdem sie deshalb mit den Polizisten aneinandergeraten war, wurde sie von ihrem Chef darüber aufgeklärt, dass Nordirland eine etwas andere Welt als Deutschland sei.
Eine andere Welt – das galt auch für den Fußball. 1988 feierte Celtic Glasgow seinen 100. Geburtstag. (Dass der Klub eigentlich bereits 1887 gegründet wurde, dämmerte den Verantwortlichen erst etwas später.) Celtics enge Verbindung zu Irland, insbesondere Nordirland, war für mich bis dahin unbekannt. Für mich war Celtic einfach nur ein schottischer Verein, katholischer Rivale der protestantischen Rangers, mit denen man in Glasgow einen religiös unterlegten „Fußballkrieg“ ausfocht. Ansonsten wusste ich noch, dass Celtic 1967 als erster britischer Klub den Europapokal der Landesmeister gewonnen hatte. Mit einem Fußball, von dem die Fachwelt und die Romantiker des Spiels noch viele Jahre später schwärmten, da er zum richtigen Zeitpunkt demonstrierte, dass es noch ein Spiel jenseits des italienischen Catenaccio gab. Einige Spieler aus diesem Team, das „Lisbon Lions“ getauft wurde, waren mir noch geläufig: Jimmy Johnstone, Bobby Lennox, Tommy Gemmell, Billy McNeill und Bobby Murdoch – auch weil sie 1969 in der WM-Qualifikation für Schottland gegen Deutschland gespielt hatten.
Das Trikot-Merchandising der Fußballvereine steckte damals noch in den Kinderschuhen. Nicht so bei Celtic. Zu meinem Erstaunen liefen in Newry viele Kinder, Jugendliche und junge Männer in Celtics Jubiläumstrikot durch die Straßen. Mit spürbarem Stolz. In den ärmeren katholischen Vierteln erschien mir dies als feinstes (auf jeden Fall teuerstes) Kleidungsstück. (Ich bekam von meiner Frau das Trikot zum Geburtstag geschenkt. Bei der Buchmesse 1992 schmückte es den Stand des Werkstatt-Verlags, um auf mein erstes Fußballbuch – „Der gezähmte Fußball“ – hinzuweisen. Es hing dort aber nur einen Tag, dann wurde es gestohlen.) An Häusern und Mauern, an denen ansonsten nur PIRA (für Provisional IRA), FTQ (für „Fuck the Queen“), UTP (für „Up The Provos“ – „Provos“ = IRA), „Brits Out“ etc. geschrieben stand, las man nun auch Geburtstagsglückwünsche für den Glasgower Klub. Auch gab es in Newry einen lokalen Verein namens Newry Celtic, der wie der Glasgow-Klub in grün-weiß quergestreiften Trikots kickte. Und sämtliche nordirischen und irischen Zeitungen und Magazine widmeten dem Jubiläum ausführliche Artikel, die die Geschichte des Klubs, der als Wohlfahrtsorganisation gegründet wurde, erzählten. Den interessantesten schrieb eine Legende der nordirischen Bürgerrechtsbewegung, der linke nordirische Polit-Aktivist, Journalist und Fußballfan (Derry City Football Club) Eamonn McCann, für das Magazin „Magill“, vergleichbar mit dem hiesigen „Spiegel“.
Einige Jahre später heiratete ein mit uns befreundetes nordirisches Paar im südirischen Carlingford. Das Dorf liegt etwa 25 Kilometer südlich von Newry, von dort bis zur inneririschen Grenze sind es vielleicht 15 Kilometer. Das Paar stammte aus dem katholischen Westen Belfasts. Der Pfarrer kam aus Toomebridge, einem kleinen Dorf am Lough Neagh in Nordirland mit Verbindungen zur Familiendynastie, der Celtic bis Mitte der 1990er gehörte. Der Vater der Braut war einer der höchsten Richter Nordirlands, einer der wenigen Katholiken in dieser Position, und Celtic-Fan.
Die Messe startete um 15 Uhr, also zeitgleich mit dem Spieltag der schottischen Liga. Der Pfarrer eröffnete seinen Gottesdienst mit den Worten: „Ich weiß, dass viele von euch jetzt lieber im Celtic Park wären, wo Celtic gegen Hibernian spielt. Bringen wir es hinter uns!“
Gut 25 Jahre nach der Hochzeit in Carlingford, im Januar 2018, war ich in Glasgow im Celtic Park, um genau diese Begegnung zu sehen: Celtic gegen Hibernian Edinburgh, wie Celtic zunächst ein Klub irisch-katholischer Einwanderer, von denen viele auf der Flucht vor den irischen Hungerkatastrophen in Schottland gestrandet waren. Die Scottish Premiership ist im europäischen Vergleich nur noch eine zweitklassige Veranstaltung. Celtic schafft es als Meister bestenfalls in die Gruppenphase der Champions League, in der man in den letzten Jahren deutlich überfordert war. Und trotzdem kamen zu diesem Spiel gegen Hibernian knapp 60.000 Zuschauer, darunter einige Tausend aus Irland. Man spürte förmlich, dass es hier um mehr als nur Fußball ging. Das Ganze hatte etwas von einer großen Familienfeier, zu der auch mit einer Karawane von Bussen die Verwandten aus Belfast, Derry, Newry und Dublin gekommen waren.
Vor dem Celtic Park gab es irische Trikoloren mit dem Celtic-Emblem zu kaufen und Schals, auf denen die Führer des irischen Osteraufstands von 1916 und Che Guevara verehrt wurden. Denn der findige Ire hat herausgefunden: Der Argentinier und Comandante der kubanischen Rebellenarmee hatte irische Vorfahren (wie vermutlich auch Adam und Eva – im Falle von Che Guevara stimmt es aber tatsächlich) und hieß eigentlich Ernesto Che Guevara Lynch. Den Che-Guevara-Schal ziert eine Aussage seines Vaters: „In my son’s veins flowed the blood of Irish Rebels“. 2017 gab die irische Post zum 50. Todestag des Comandante eine Sondermarke heraus.
Meine Annäherung an Celtic begann also über den Umweg Nordirland, wo ich realisierte, dass in einer Stadt wie Belfast die Celtic-Rangers-Rivalität eine genauso große Rolle spielt wie in Glasgow selbst. Und so wie der Konflikt in Nordirland nicht einfach nur einer zwischen zwei Konfessionen war – hierzulande war ja häufig von einem „Religionskrieg“ die Rede –, greift es auch zu kurz, die Celtic-Rangers-Rivalität auf Katholiken gegen Protestanten zu reduzieren und Celtic auf einen „katholischen“ Verein. Dies stimmte bereits bei der Gründung nicht. Zwar wird als Gründer des Vereins der aus Irland stammende Mönch Walfried verehrt, aber Celtic war vor allem ein Projekt irischstämmiger Geschäftsleute und der politischen Klasse der irischen Einwanderer, die für die Selbstständigkeit des Landes ihrer Herkunft agitierten. Später übte Celtic auch eine große Anziehungskraft auf Glasgows Sozialisten aus.
Heute befindet sich Celtic zwar international nur noch in der zweiten Reihe, ist aber unverändert einer der weltweit populärsten Fußballklubs. Verantwortlich hierfür ist eine Melange aus Fußball, Politik und Religion sowie die große irische Diaspora, auf die sich der Klub verlassen kann. Die Zahl der außerhalb Irlands lebenden Menschen mit irischen Wurzeln wird auf 70 Millionen geschätzt, davon allein 34,7 Millionen in den USA. (In Che Guevaras Argentinien sind es 350.000 bis eine halbe Million.)
Dieses Buch erzählt nicht nur Celtics sportliche Geschichte, sondern auch über die besondere Beziehung des Klubs zur irischen Insel, hier vor allem zur katholischen/republikanischen Community in Nordirland, sowie die Auswirkungen der Rivalität mit dem „protestantischen“ Stadtrivalen Rangers auf den Nordirlandkonflikt. Die Fan-Freundschaft zwischen Celtic und dem FC St. Pauli („The Rebel’s Choice“) darf natürlich auch nicht fehlen.
Dietrich Schulze-Marmeling
PS
Wer auf dem Weg von Dublin nach Belfast einen kleinen Umweg über Carlingford macht, der sollte hier unbedingt zwei Orte besuchen. Zum einen Dan’s Stone Wall Café, das am zentralen Platz liegt und u. a. exzellenten Kuchen serviert. Besitzer Dan McKevitt ist Celtic-Fan. Vom Café sind es nur wenige Schritte bis zu Guinness mit Austern im Pub PJ’s.