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KAPITEL 1

Katholiken in einem reformierten Land

In den 1840ern wird Glasgow zur neuen Heimat von Zehntausenden Iren, die vor den Hungerkatastrophen in ihrer Heimat fliehen. Die meisten von ihnen sind Katholiken. In einem Land, wo die Reformation besonders stark triumphierte, stoßen sie auf Skepsis bis Ablehnung. Viele von ihnen lassen sich in Glasgows East End nieder und bilden dort die Basis für die spätere Gründung des Fußballklubs Celtic.

Der Celtic Football Club wird 1887 in Glasgow als Verein von Immigranten gegründet, die sowohl eine irische wie eine katholische Identität mitgebracht haben. Warum das in den Augen ihrer alteingesessenen schottischen Mitbürger ein gewaltiges Stigma ist, erschließt sich aus der Geschichte religiöser und sozialer Konflikte auf der britischen Insel und im benachbarten Irland.

Im 16. und 17. Jahrhundert fegt eine kirchliche Reformbewegung durch Europa, die die Autorität der katholischen Kirche und des Papstes in Frage stellt und zur Spaltung des westlichen Christentums in ein katholisches und ein protestantisches Lager führt.

In Schottland beschließt 1560 das Parlament den Bruch mit Rom und das Verbot der Messe. Das protestantische Lager ist in Europa nicht einheitlich, sondern besteht aus verschiedenen Strömungen, deren wichtigste Lutheraner und Reformierte sind. Zu den Reformierten zählen auch die schottischen Presbyterianer, die sich in ihrem Land durchsetzen. Die reformierte (presbyterianische) Kirche Schottlands wird Nationalkirche, ist aber nicht wie die anglikanische Kirche in England Staatskirche.

In Schottland feiert die Reformation einen Siegeszug wie in keinem anderen Land Europas. Der katholische Glaube ist bald nur noch spürbar in den gälisch sprechenden West Highlands, auf einigen der Hebriden-Inseln und in Banffshire im Nordosten zu finden.

Obwohl der Katholizismus nur noch eine Randerscheinung ist, herrscht weiterhin ein militanter Anti-Katholizismus. 1790 sind in Glasgow zwar nur 39 Katholiken registriert, trotzdem gibt es 49 antikatholische Vereinigungen.

1707 opfert das schottische Establishment im Act of Union freiwillig die politische Souveränität, um am wirtschaftlichen Aufstieg des Empires besser teilhaben zu können. Anders als im Falle von Wales ist die Union zwischen Schottland und England kein Produkt von Eroberung und Annexion, sondern von Verhandlungen zwischen zwei souveränen Partnern. Den Schotten wird gestattet, drei bedeutende zivile Institutionen – die presbyterianische Church of Scotland (auch „Kirk“ genannt), das schottische Erziehungs- und das schottische Rechtswesen – beizubehalten. Dies garantiert ein gewisses Maß an Autonomie und Eigenentwicklung.

Mit der Reformation und dem Act of Union driften Schottland und das benachbarte Irland – der protestantische Teil Ulsters ausgenommen – auseinander. Diese Entwicklung wird durch die um 1760 in Schottland einsetzende industrielle Revolution noch forciert. Zwischen den beiden Völkern entsteht nicht nur eine kulturelle, sondern auch eine wirtschaftliche Kluft. Während Schottland nun an der Seite Englands eine der ersten Industrienationen wird, verharrt die unverändert gen Rom blickende irische Insel in wirtschaftlicher Unterentwicklung und in Opposition zur englischen Kolonialmacht. Die Ausnahme bildet der Raum Belfast, wo sich im Zuge der Plantation – der britischen Besiedelung Irlands im 16. und 17. Jahrhundert – viele der schottischstämmigen Siedler niedergelassen haben. Durch die Einbindung in ein industrielles Dreieck mit Liverpool und Glasgow avanciert Belfast zu einem Außenposten der englisch-schottischen Wirtschaft.

Industrielle Revolution

Mit der industriellen Revolution erlebt Glasgow eine Bevölkerungsexplosion. Ende des 18. Jahrhunderts leben 47.000 Menschen in der Stadt, 1830 sind es bereits 200.000 und Ende der 1880er, zum Zeitpunkt der Gründung von Celtic Glasgow, etwa 800.000. Glasgow entwickelt sich zum „Workhouse of the World“ und zur „zweiten Stadt“ des Empires. Glasgow wird zur viktorianischen Stadt schlechthin. Zunächst zieht es die Highlander in die Stadt am Fluss Clyde, später folgen irische Einwanderer, wodurch die Zahl der Katholiken wieder zunimmt und der schottische Katholizismus einen neuen Charakter erhält: Er wird nun ein stark irisch geprägter. „Katholisch“ und „irisch“ sind nun zwei Seiten einer Medaille, und zum anti-katholischen Sektierertum gesellt sich ein anti-irischer Rassismus.

Um 1800 gibt es in Glasgow nur wenige hundert Katholiken. Zu diesem Zeitpunkt ist Katholizismus noch primär ein Highland-Phänomen. Aber nun hält er wieder in den Städten Einzug. 1822 werden in Glenvilet, einer Hochburg des Katholizismus in den Highlands, 1.200 Katholiken gezählt, in Glasgow sind es bereits 15.000.

Für das protestantische Schottland sind die irischen Einwanderer potenzielle Unruhestifter. Auch die katholischen Bischöfe betrachten die Neuankömmlinge mit Skepsis. Für die wachsende katholische Community werden zusätzliche Priester benötigt. Als Schottlands Bischöfe in den 1780ern diesbezüglich in Rom vorstellig werden, machen sie deutlich, dass sie keine irischen Priester wollen. Denn die könnten unter den Neuankömmlingen den Widerstand gegen den britischen Staat und das Festhalten an einer irischen Identität befeuern. Man befürchtete eine „Kolonialisierung“ durch die irischen Kollegen. Außerdem könnte eine Verbindung von katholischem Glauben und pro-irischen Manifestationen den Anti-Katholizismus in der Stadt anheizen.

Die Befürchtungen erweisen sich in jeder Hinsicht als zutreffend. Denn die irische Community begnügt sich nicht mit dem Kirchgang, sondern engagiert sich auch für katholische Emanzipation und irische Belange. 1823 gründet sich in Glasgow eine Glasgow Catholic Association, die ausschließlich aus irischen Einwanderern besteht und mit dem anti-englischen Nationalismus in der Heimat sowie dem Widerstand gegen die englischen Großgrundbesitzer, die Landlords, sympathisiert. Glasgows Iren folgen Daniel O’Connell, dem Vater der irisch-katholischen Emanzipationsbewegung, der in den 1820ern eine Kampagne für die Gleichbehandlung der Katholiken in Irland und im Vereinigten Königreich startet. 1829 sieht sich König George III schließlich genötigt, den Roman Catholic Relief Act zu unterzeichnen, der viele der erheblichen Beschränkungen für die römisch-katholische Bevölkerung aufhebt. Nun dürfen auch Katholiken ins britische Unterhaus einziehen.

In den protestantischen Gebieten Ulsters und in Schottland ist die Opposition gegen die Emanzipation der Katholiken besonders groß. Hätte es ein Referendum über den Roman Catholic Relief Act gegeben, dann hätte Schottland mit einem klaren „Nein“ gestimmt.

Glasgows Bischof Scott sieht sich genötigt, von der Kanzel aus die fehlende Loyalität seiner Schäfchen gegenüber dem britischen Staat und ihre Unterstützung irischer Geheimbünde zu verurteilen. Der Kirchenmann beschimpft die eigene Gemeinde als ignorant, schmutzig und ungehobelt.

Aber die Bekämpfung pro-irischer Manifestationen ist bei weitem nicht so erfolgreich wie später in Liverpool, das ebenfalls eine große irische Einwanderergemeinde besitzt, weshalb die Stadt am Mersey auch „Irlands heimliche Hauptstadt“ oder „Englands Dublin“ genannt wird. Auch in Liverpool entsteht zunächst ein irischer Katholizismus. In den 1890ern gibt es hier mindestens neun irische Fußballklubs, die Celtic, Celtic Rovers, Liverpool Celtic, Liverpool Hibernian oder 5th Irish Club heißen. Aber Ende der 1890er existiert keiner mehr davon. Liverpools katholische Hierarchie begrüßt die Neubürger als Katholiken, aber nicht als Iren. Um im anglikanischen England wieder als Katholiken respektiert zu werden, versucht man, den Neubürgern ihre irische Identität auszutreiben und sie zu loyalen britischen Bürgern zu erziehen.

In Liverpool ist die „De-Nationalisierung“ der Einwanderer also erfolgreicher als in Glasgow. Dazu trägt auch bei, dass nur 90 von 391 katholischen Priestern aus Irland kommen. Obwohl in Liverpool die demografischen Voraussetzungen für einen mächtigen „irisch-katholischen“ Klub à la Celtic Glasgow besser sind als in der schottischen Industriemetropole, kommt es hier zu keiner vergleichbaren Initiative. Liverpools irisch-nationalistische Politiker zeigen wenig Interesse an einer „irischen Alternative“ zum FC Liverpool oder FC Everton. Stattdessen fördert man die Gaelic Games, doch die überwiegende Mehrheit der Einwanderer zieht Soccer vor.

Stadt der Slums

Mit Glasgows Entwicklung zum „Workhouse of the World“ und der irischen Einwanderung kommen auch die Slums. Wie groß dort die Not ist, verdeutlichen einige Zahlen: In den 1840ern beträgt die durchschnittliche Lebenserwartung in Glasgow 30 Jahre. Damit liegt sie unter dem Wert, der 150 Jahre später für die meisten großen Städte in der Dritten Welt gilt. 1843 erkranken zwölf Prozent der Bevölkerung Glasgows an Typhus, fast jeder dritte Infizierte stirbt. Im gleichen Jahr schreibt das englische Journal „The Artizan“ über die Stadt am Clyde: „Die arbeitende Klasse macht hier 78 Prozent der ganzen Bevölkerung aus und wohnt in Stadtteilen, welche in Elend und Scheußlichkeit noch die niedrigsten Schlupfwinkel von St Giles und Whitechapel, die Liberties von Dublin, die Wynds von Edinburgh übertreffen. (…) Die Häuser sind förmlich vollgedrängt von Einwohnern; sie enthalten drei oder vier Familien – vielleicht 20 Personen – auf jedem Stockwerke, und zuweilen ist jedes Stockwerk in Schlafstellen vermietet, so dass 15 bis 20 Personen in einem einzigen Zimmer aufeinandergepackt, wir mögen nicht sagen: untergebracht sind. Diese Distrikte beherbergen die ärmsten, depriviertesten und wertlosesten Mitglieder der Bevölkerung und sind als die Quellen jener furchtbaren Fieberepidemien zu betrachten, die sich von hier aus über ganz Glasgow verbreiten.“ Noch 1888 sind von den 11.675 Toten, die in Glasgow registriert werden, 4.750 Kinder unter fünf Jahren. Weitere 1.192 erreichen nicht das 20. Lebensjahr, und weniger als 2.000 überschreiten die 60. Neben Typhus grassieren Rachitis, Cholera, Pocken, Tuberkulose, Diphterie. Auch der Alkoholismus ist weit verbreitet, und Schlägereien sind an der Tagesordnung. Das Glasgow des 19. Jahrhunderts hat in mancherlei Hinsicht mehr Ähnlichkeit mit dem damaligen Chicago oder New York als mit irgendeiner anderen britischen Stadt.

An Gortar Mór

Mitte des 19. Jahrhunderts plagen die irische Insel eine Reihe von Hungerkatastrophen, die als „The Great Famine“ (gälisch: An Gortar Mór) in die Geschichtsbücher eingehen. Das rasche Bevölkerungswachstum – 1800 leben ca. fünf Millionen Menschen auf der Insel, 1846 sind es ca. 8,5 Millionen – hatte zu einer weiteren Parzellierung des Bodens geführt, wovon vor allem die wohlhabenden englischen Landlords profitieren. Da die südirische Industrie von der britischen Konkurrenz zerstört wurde, sind etwa zwei Drittel der Bevölkerung von der Landwirtschaft abhängig. Für die armen Bauern, die hohe Abgaben an die Landbesitzer und die protestantische Church of Ireland zu entrichten haben, ist die Kartoffel das Hauptnahrungsmittel. Als zwischen 1846 und 1851 mehrere Kartoffelernten durch Fäule fast vollständig vernichtet werden, kommt es zur Katastrophe. 1,5 Millionen Iren sterben den Hungertod, etwa die gleiche Zahl von Menschen sieht den einzigen Ausweg in der Emigration.

Die Hungerkatastrophe zeitigt im Norden und Süden der Insel unterschiedliche Auswirkungen. 1841 leben in der Provinz Ulster (sechs ihrer neun Grafschaften bilden später den Staat Nordirland) noch 2.386.000 Menschen, 1891 sind es nur noch 1.620.000. Ulsters Bevölkerungsexpansion wird durch die Hungerkatastrophen beendet. Aber in den südlichen bzw. westlichen Provinzen Munster und Connacht ist die Entwicklung noch viel dramatischer.

Die unterschiedliche Intensität der Hungerkatastrophen in Ulster und Munster/Connacht sowie innerhalb Ulsters, wo die katholischen Gebiete stärker betroffen sind als die protestantischen, nährt das protestantische Überlegenheitsdenken und vertieft auf der Insel die Kluft zwischen Norden und Süden sowie zwischen privilegierten Protestanten und unterprivilegierten irischen Katholiken. Das Massensterben im Süden der Insel wird auf eine vermeintliche Unfähigkeit und Rückständigkeit der dort lebenden katholischen Bevölkerung geschoben. Die katholische Sichtweise von „The Great Famine“ lautet indes völlig anders: Die Hungerkatastrophen waren ein bewusst herbeigeführter Genozid, um die irisch-katholische Bevölkerung zu dezimieren und so die irische Insel regierbarer zu machen. Denn wirksame Hilfsmaßnahmen seitens der britischen Regierung waren ausgeblieben. Dem Land hatte es nicht an Lebensmitteln gefehlt. Aber Vieh und Getreide waren für die Versorgung Englands bestimmt, und der Lebensmittelexport wurde in den Jahren des Hungers nur unwesentlich eingeschränkt.

„The Great Famine“ ist für Irland ein Ereignis von kolossaler Bedeutung und zeitigt vielschichtige politische und soziale Konsequenzen. Die Katastrophe erhöht die wirtschaftliche Abhängigkeit vom britischen Nachbarn, wohin nun nicht nur Getreide und Vieh exportiert werden, sondern auch jener Teil der Bevölkerung, den die Heimat nicht mehr ernähren kann. In den Städten der Industrieregionen Schottlands und Nord-Englands sowie in London entstehen große irische Communities. Friedrich Engels schreibt 1845 in seiner Studie „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“ (in der er sich aber auch Schottland – namentlich Glasgow und Edinburgh – widmet): „Man rechnet, dass bis jetzt über eine Million auf diese Weise eingewandert sind und jährlich noch an fünfzigtausend einwandern, die sich fast alle auf die Industriebezirke, namentlich die großen Städte werfen und dort die niedrigste Klasse der Bevölkerung bilden. So sind in London 120.000, in Manchester 40.000, in Liverpool 34.000, Bristol 24.000, Glasgow 40.000, Edinburgh 29.000 arme Irländer. (…) Die schlechtesten Viertel aller großen Städte sind von Irländern bewohnt; überall, wo ein Bezirk sich durch besondern Schmutz und besonderen Verfall auszeichnet, kann man darauf rechnen, vorzugsweise diese keltischen Gesichter anzutreffen …“

Die irischen Einwanderer tragen erheblich zur wirtschaftlichen Entwicklung der britischen Insel bei. Friedrich Engels: „Die rasche Ausdehnung der englischen Industrie hätte nicht stattfinden können, wenn England nicht an der zahlreichen und armen Bevölkerung von Irland eine Reserve gehabt hätte, über die es verfügen konnte. Der Irländer hatte daheim nichts zu verlieren, in England viel zu gewinnen.“ Für Engels, bei dem man sowohl Bewunderung wie Verachtung für Irland und die Iren findet, haben die irischen Einwanderer die Funktion von Lohndrückern, die herausgefunden hätten, „was das Minimum der Lebensbedürfnisse ist, und lehren es nun den englischen Arbeitern. (…) Mit einem solchen Konkurrenten hat der englische Arbeiter zu kämpfen – mit einem Konkurrenten, der auf der niedrigsten Stufe steht, die in einem zivilisierten Land überhaupt möglich ist, und der deshalb auch weniger Lohn braucht als irgend ein andrer.“

Dies gilt auch für Schottland, wo die irisch-katholischen Einwanderer Hilfsarbeiterjobs im Schiff- und Maschinenbau, in der Baubranche und im Bergbau verrichten. Ohne diese industrielle Reservearmee, die bereit ist, für einen Hungerlohn zu arbeiten, und damit die Löhne der heimischen protestantischen Arbeiterschaft drückt, wäre die rasche Industrialisierung Schottlands nicht möglich gewesen. Es sind in der Regel Iren, die das Straßen- und Eisenbahnnetz bauen, die Kanäle und Dämme und Fabriken. Ihre Männer, Frauen und Kinder sind die unbesungenen Helden der industriellen Revolution Schottlands.

Aber die Erzählung von den Iren als Lohndrücker gibt nur die halbe Wahrheit wieder. Denn dort, wo sie nicht Hilfsarbeiterjobs im Freien nachgehen, sondern Teil einer Fabrikbelegschaft werden, entwickeln sie ein ausgesprochenes Klassenbewusstsein und profilieren sich als radikale Kraft. Schotten irischer Abstammung spielen eine bedeutsame Rolle bei der Entstehung der schottischen Labour- und Gewerkschaftsbewegung.

Doch die Neuankömmlinge haben generell mit Vorurteilen zu kämpfen. Ihre Lebensweise ist den schottischen Protestanten, in ihrer Mehrheit Presbyterianer, völlig fremd. Die katholischen irischen Einwanderer gelten als charakterlich schwach, unfähig zur Selbstkontrolle (insbesondere ihre Sexualität betreffend, weshalb ihre Frauen häufig schwanger würden), zum Alkoholismus und Diebstahl neigend, schmutzig, unzuverlässig, verantwortungslos und disloyal.

Andererseits stimulieren die Hungerkatastrophen bei den Iren einen neuen militanten Nationalismus, der sich zunächst in der Gründung von Young Ireland und später der Irish Republican Brotherhood (IRB, ein Vorläufer der IRA) manifestiert. Verstärkt wird die Forderung nach einer Landreform erhoben. Die Befriedung Irlands auf dem Wege seiner vollständigen Integration in das Vereinigte Königreich ist gescheitert. Die Mitglieder der IRB werden auch „Fenians“ genannt. Der Name geht zurück auf die 1858 in der amerikanischen Diaspora gegründete Fenian Brotherhood, die Geld und Waffen an die IRB schickt. Die USA werden ein wichtiges Hinterland für den militanten Nationalismus. „Fenian“ (das gälische „Fianna“ bezeichnete einen legendären Heerhaufen) ist neben „Taig“ ( „Tadg“ war die gälische Bezeichnung für einen Dichter) noch heute in Nordirland und Glasgow das populärste protestantische Schimpfwort für Katholiken und wird hier vor allem von Fans der Rangers gegenüber Fans von Celtic benutzt.

Endstation East End

Auf der britischen Insel wird Glasgow nach Liverpool zum zweitwichtigsten Anlaufpunkt für die irischen Hungerflüchtlinge. Ein Teil der irischen Katholiken, der dorthin kommt, sieht Schottland nur als Sprungbrett in die „Neue Welt“. Mit dem in Glasgow verdienten Geld soll es über den Atlantik in die USA gehen. Doch wer kein Geld für die Überfahrt besitzt, bleibt im Glasgower East End hängen, wo nördlich des Clyde neue Slums entstehen. Zu nennen ist hier vor allem Garngad, wo später einige große Celtic-Spieler aufwachsen, u. a. Celtics Rekordtorschütze James McGlory und der „Lisbon Lion“ Stevie Chalmers. Heute heißt der Distrikt, dem lange die Reputation eines Slums anhängt, offiziell Roysten / Roystenhill, wird von seinen Bewohnern aber weiterhin Garngad genannt. Die Gegend ist unverändert irisch geprägt. Jedes Jahr ist hier das größte Event das St Patrick’s Day Festival, dem in den letzten Jahren einige Wochen später spontane Feiern folgten – wenn Celtic wieder einmal Meister geworden war.

Ähnlich wie den Iren ergeht es später den jüdischen Immigranten, die in Russland verfolgt werden und ab den 1880ern nach Glasgow kommen. Auch sie wollen von hier aus in die USA weiterreisen. Aber auch von ihnen bleiben viele in Glasgow hängen. In den Gorbals, einem innerstädtischen Ghetto, wo auch viele irische Einwanderer leben, entsteht eine große Yiddish-sprechende Community und eine Infrastruktur aus jüdischen Schulen, koscheren Metzgereien, Bäckereien etc. Im Jahr 1914 leben etwa 12.000 Juden in Glasgow.*

Der Zensus von 1851 ergibt, dass 207.367 Bürger Schottlands in Irland geboren wurden. Im Zeitraum von zehn Jahren ist die Zahl der Iren um 81.046 bzw. etwa zwei Drittel gestiegen. Der Historiker James Handley hält dies noch für eine Untertreibung. Die wahre Zahl läge um 30 Prozent höher.

1893 ist bereits ein Fünftel der Glasgower Bevölkerung katholisch, in ganz Schottland sind es etwas über sieben Prozent. Und beim Zensus von 2011 erklären sich knapp 16 Prozent zur katholischen Kirche und 32 Prozent zur Church of Scotland gehörig. Hingegen leben in Glasgow mehr Katholiken als Church-of-Scotland-Anhänger. Das Verhältnis beträgt hier 27 zu 23 Prozent. Addiert ist dies allerdings nur noch die Hälfte derjenigen, die überhaupt Angaben zu ihrer Religion machen.

Protestantische Iren in Glasgow

Nicht nur Katholiken kommen von Irland nach Glasgow, sondern auch Protestanten, die etwa ein Viertel der Neubürger stellen. Anders als ihre katholischen Landsleute erfahren sie nicht das Schicksal von unwillkommenen Fremden. Vielmehr verbünden sie sich mit der einheimischen protestantischen Bevölkerung gegen die katholischen Einwanderer und bilden nun häufig die Speerspitze der sektiererischen und rassistischen Kampagnen gegen katholische bzw. irische Neubürger. Das Gros der protestantischen Einwanderer verdingt sich in der Glasgower Industrie (namentlich auf den Werften) und etabliert sich schnell. Man bleibt „Ulsterman“ und ist in religiösen und anderen Gesellschaften organisiert wie dem militant anti-katholischen Oranier-Orden, dessen Wiege 1795 in Loughall in der Ulster-Grafschaft Armagh stand. Die eingewanderten Ulster-Protestanten kommen vor allem aus den Hochburgen des Oranier-Ordens in Ulster und stärken den Orangismus in Glasgow. 1870 wird in Irvine an der Ayrshire-Küste die erste Versammlungshalle des Oranier-Ordens auf schottischem Boden eingeweiht.

In den 1870ern erlebt der anti-katholische Bund in Glasgow einen Boom. Messbar ist dies u. a. an den alljährlichen „The Twelfth“-Paraden. Am 12. Juli feiert der Oranier-Orden den Sieg des protestantischen Wilhelm III von Oranien, Erbstatthalter der Niederlande, über seinen katholischen Widersacher James II 1690 in der Schlacht am Boyne, einem Fluss in Irland. Wilhelms Sieg zementierte damals die protestantische Präsenz und Vorherrschaft in Ulster. Nicht wenige irische Katholiken empfinden diesen Gedenktag eher als Provokation. 1868 waren in Glasgow nur 600 Menschen zur „The Twelfth“-Parade gekommen, nun sind es regelmäßig um die 10.000. Drei Viertel der Logen-Master im schottischen Oranier-Orden stammen aus Irland.

Noch heute ist der Westen Schottlands der Teil der britischen Insel, der der irischen Provinz Ulster konfessionell und „ethnisch“ am ähnlichsten ist. Bedeutete die schottisch-protestantische Einwanderung nach Ulster im 17. Jahrhundert eine westliche Ausdehnung Schottlands, so bildet im 19. Jahrhundert die irisch-katholische und irischprotestantische Emigration nach Schottland eine östliche „Verlängerung“ Ulsters. Und beide Einwanderergruppen haben im Reisegepäck den Konflikt in ihrer Heimat.

Die protestantischen Einwanderer in Glasgow finden sich schon deshalb besser zurecht, weil sie die Nachfahren jener Schotten sind, die sich im 17. Jahrhundert im Zuge der Plantation in Ulster niederließen. Zwischen den westschottischen Protestanten und ihren Glaubensbrüdern in Ulster existieren über viele Generationen hinweg familiäre Beziehungen. Außerdem ist ihr Glauben mit dem der schottischen Mehrheitsgesellschaft kompatibel.

Im Vergleich zu Liverpool, wo es bereits sehr frühzeitig zu gewalttätigen Ausschreitungen gegen die katholischen Iren kommt, halten sich aber in Glasgow die Feindseligkeiten zunächst in Grenzen. Dies liegt zum einen daran, dass die Zahl der irisch-katholischen Einwanderer in Liverpool noch größer ist als in Glasgow und ihre Anwesenheit somit spürbarer. Zum anderen befindet sich die schottische Industrie zum Zeitpunkt der Einwanderungswellen auf dem Höhepunkt ihrer Expansion und ist deshalb in der Lage, ein größeres Potenzial an billigen und ungelernten Arbeitskräften zu integrieren.

Trotzdem werden auch in Schottland die Neuankömmlinge als politische, soziale und kulturelle Herausforderung betrachtet, die – aufgrund ihrer Militanz und radikalen Ideen – das einträgliche Bündnis mit England gefährden. Und während in Liverpool das Sektierertum mit der Zeit weitgehend verschwindet, hält es sich in Glasgow hartnäckig. Hierfür gibt es mehrere Gründe:

Die Vorherrschaft der Presbyterianer im protestantischen Lager, die gegenüber dem Katholizismus unversöhnlicher sind als die Anglikaner. Die anglikanische Church of England lehnt zwar die Hierarchie der katholischen Kirche sowie die Position des Papstes als Stellvertreter Gottes auf Erden ab, behält aber Elemente des katholischen Gottesdienstes bei. Die Church of Scotland repräsentiert mit ihrer presbyterianischen Organisation und ihrem calvinistischen Glauben einen kulturell schärferen Bruch mit dem Katholizismus als die Church of England.

Die geografische Nähe Glasgows zur irischen Provinz Ulster und der von dort betriebene Konfliktexport.

Die enge Verbindung zwischen den Werften in Belfast und Glasgow. Die Belfaster Werften, auf denen vornehmlich Protestanten arbeiten, sind das industrielle Rückgrat des militanten Loyalismus und anti-katholischen Sektierertums. Zunächst gehen Glaswegians nach Belfast, um dort den Schiffbau zu erlernen. Später übernimmt das Belfaster Unternehmen Harland & Wolff Werften am Clyde, bringt seine anti-katholische Einstellungspraxis und protestantische/loyalistische Facharbeiter mit, die nun weiteres Öl ins sektiererische Feuer schütten.

Ein Freimaurertum, das in Glasgow und Schottland stärker in der Arbeiterschaft verankert und anti-katholischer orientiert ist als anderswo auf der britischen Insel.

Die anhaltenden Anfeindungen durch das protestantische Sektierertum und der Wunsch, sich eigene kulturelle und soziale Institutionen zu schaffen, lassen im irisch-katholischen Milieu Glasgows schließlich auch das Projekt eines eigenen Fußballklubs entstehen. Der Anstoß dazu wird aus Edinburgh kommen, wo man der Entwicklung in Glasgow ein paar Jahre voraus ist.

*Berühmtester jüdischer Glaswegian ist Mark Knopfler (Dire Straits). Vater Erwin Knopfler war ein ungarischer Jude, Architekt und Schachspieler, der 1939 als Antifaschist aus Ungarn floh.

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