Читать книгу ICH, DIE FRAU DES TALIBAN - Dimitra Mantheakis - Страница 7

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Im Morgengrauen des neuen Tages stand ich am Fenster und starrte hinaus, ohne etwas zu sehen. Meine einzige Gesellschaft waren die verbleichenden Sterne in den von Spinnenweben überzogenen Winkeln eines vergessenen Himmels, Zeugen meines Jammers, die ungewollt den Absturz meiner Liebe in die dunklen Abgründe der Verzweiflung verfolgt hatten. Abwesend, verloren in schwarzen Gedanken, der Fortsetzung des vergangenen schmerzlichen Abends, versuchte ich, Mut zu fassen, um wenigstens einen Teil meiner Verzweiflung zu verdrängen und meine Nerven zu beruhigen, die meine Glieder zucken ließen, als hätten sie einen Tick. Während der letzten Stunden, in denen die Schlaflosigkeit meine Augen daran hinderte, sich zu schließen und meinen ruhelosen Körper und Geist daran, sich auszuruhen, hatte ich mich hermetisch in mein Innerstes eingeschlossen und war so in mein persönliches Drama vertieft, dass jeder Kontakt mit der Wirklichkeit drohte, mich in ein dunkles, aufgewühltes Meer noch größerer Unsicherheit zu tauchen.

Traurig und verwirrt, von meiner verlockenden Utopie in die Irre geführt, und ohne zu wissen, was ich tun sollte, wie ich reagieren sollte, schleppte ich mich auf einer mühseligen Wanderung vom Bett zum Fenster und wieder zurück in einem zwanghaften Hin und Her auf der Suche - wonach?. Nach Erleichterung? Nach Antworten auf die Fragezeichen, die, wie mir die harte, schonungslose Logik zuflüsterte, keine Fragezeichen mehr waren, sondern kalte, eindeutige Wahrheiten, die mein verliebtes Herz und mein weiblicher Stolz einfach nicht akzeptieren wollten?

Mit enormer Anstrengung schlurfte ich in die Küche, um Kaffee zu machen, in der Hoffnung auf seine belebende Wirkung. Als ich an der Frisierkommode vorbeikam, warf ich einen flüchtigen Blick auf mein Spiegelbild. Überrascht stellte ich fest, dass auf meinem Gesicht keine Spur von Make-up war und ich bequeme Jeans und einen weißen Pullover trug. Wie merkwürdig!, dachte ich. Ich konnte mich beim besten Willen nicht erinnern, mich ausgezogen, abgeschminkt und einfache Freizeitkleidung angezogen zu haben. Meine am Nacken noch leicht feuchten Haare zeugten davon, dass ich außerdem auch geduscht hatte. Mein Körper hatte alle diese Handgriffe mechanisch erledigt, ohne die Hilfe meines Bewusstseins, während ich in meiner geistigen Verwirrung versunken war.

Der Kaffee schmeckte wie Gift – oder wie Schimmel? Mit einem Ruck stieß ich den Stuhl zurück, der sich schwankend bemühte, auf den Beinen zu bleiben, und goss den Inhalt der Tasse in den Ausguss, ohne sie jedoch wie gewohnt auszuspülen. Ich konnte nicht stillsitzen. Mein Verstand war ein unendliches Vakuum. Nicht einmal an meinen Namen erinnerte ich mich genau. So ungefähr mussten sich die Raubtiere im Käfig fühlen, wenn sie auf ihren beengten Quadratmetern hin- und herliefen, um sich mit Manie gegen die unbeweglichen stählernen Gitterstäbe zu werfen; die gleichen unbeugsamen Stäbe, die auch meine Ausweglosigkeit markierten und mir keinen Raum zum Entkommen ließen.

Vergeblich versuchte ich, aus meinen Gedanken das vertraute, reizvolle Bild des Menschen auszumerzen, der während der letzten drei Jahre in meinem Leben die Hauptrolle gespielt hatte. Seine Gegenwart war in jedem Winkel der Wohnung spürbar, in jeder Zelle meines Gehirns, in jeder Faser meines Körpers. Ich sehnte mich verzweifelt danach, dass er kommen möge, um den Alptraum, der mich seit dem Vorabend quälte, zu verjagen, meinen Zorn mit begründeten, unwiderlegbaren Erklärungen zu besänftigen, mir zu versichern, dass alles so sei wie früher, nichts habe sich geändert, und die beklagenswerten Ereignisse seien die Folge einer zwingenden höheren Gewalt gewesen und nicht seines persönlichen Willens. Mein Verlangen nach ihm ließ mich verzweifeln, und in manchen Augenblicken verabscheute ich mich selbst wegen meiner Schwäche, mich mit den offensichtlichen Tatsachen abzufinden.

Wie sollte ich meine Sehnsucht zügeln, meine Leidenschaft, meine krankhafte Abhängigkeit von diesem Mann, der mein Idol war, der mich mit seinen geschickten Händen wie Ton geformt und mich auf Pfade unendlicher Lust und seelischer Erfüllung geführt hatte? Wie sollte ich glauben, dass alles, was wir Hand in Hand und versunken in die Augen des anderen geplant hatten, nur ein Trick war? Der Trick des Männchens, mit verlogenen Versprechungen die Widerstände eines Weibchens zu umgehen, das sich möglicherweise aufgrund seiner Herkunft von seinen vorherigen Eroberungen unterschied; es gefangen zu halten, indem er ihm täglich Sand in die Augen streute und es mit einem Schwall aus anbetenden und bewundernden Worten meisterhaft einlullte? Warum geriet meine Leichtgläubigkeit nicht einen Moment ins Wanken, warum hielt ich jedes seiner Worte mit der unerschütterlichen Gewissheit für wahr, dass es keinerlei Raum für Zweifel oder Misstrauen gab gegenüber den Bekundungen der Hingabe und Zärtlichkeit dieses, wie sich nun herausstellte, genialen Betrügers?

Warum hatte das Telefon die ganze Nacht nicht ein einziges Mal geläutet? Warum hatte der Anrufbeantworter nicht eine Nachricht aufgezeichnet?

Warum, warum, warum? Tausende von unbeantworteten Fragen. Weil er nicht wollte, weil es ihn nicht interessierte, Rechenschaft abzulegen, sagte ein höhnisches Stimmchen in meinem Unterbewusstsein.

Bestimmt war er der Ansicht, er müsse niemanden über seine jeweiligen Entscheidungen unterrichten oder sein Verschwinden rechtfertigen. Anscheinend war ich so wenig wert, so unbedeutend für ihn, dass es ihn kalt ließ, was in Zukunft aus mir wurde, Hauptsache, er vermied Komplikationen und Verwicklungen. So weit reichte sein Zynismus, den ich bedauerlicherweise zum ersten und wahrscheinlich letzten Mal entdeckte. Allein war ich auf den Boden des Brunnens gesunken, und niemand war da, um mich aus seinen dunklen Tiefen herauszuziehen.

Das Läuten des Telefons schrillte so laut durch die absolute Stille, dass ich wie eine Sprungfeder in die Höhe schnellte, um zu antworten, bevor es aufhörte. Ein Hoffnungsfünkchen flackerte auf, dass es vielleicht Peter war. Ich griff nach dem Hörer. Ninas Stimme war vom anderen Ende der Leitung zu hören, und meine geheime Hoffnung fiel in sich zusammen. Sie fragte mich, wie es mir gehe, und kündigte an, sie werde später vorbeikommen, nachdem sie einige dringende Besorgungen erledigt habe.

Ich hatte Mühe, ihr zu antworten. Meine Stimme klang fremd, heiser und leise, als hätte ich keinerlei Kraft. Als ich auflegte, kam mir der Gedanke, ob ich nicht noch einmal in Peters Büro anrufen sollte. Vielleicht könnte man mir dort etwas sagen. Ich überwand meinen Stolz und wählte die Nummer. Eine frische, jugendliche Stimme gab mir die Auskunft, dass Peter nicht im Büro sei und auch in den nächsten Tagen nicht dort sein werde. Ich fragte nach Bill. Auch Bill werde nicht da sein. Als ich sie bat, mir zu sagen, wie ich mit ihnen in Verbindung treten könne, erwiderte sie mir ungeduldig, beide seien außerhalb Londons, und sie könne keinerlei Auskunft über ihren Aufenthalt geben. Enttäuscht versuchte ich es bei ihnen zu Hause, doch es ging niemand ans Telefon.

Ein Verdacht, vielmehr eine Gewissheit bohrte sich wie eine Zecke in mein Hirn: Beide waren im Büro, sie hatten ganz einfach Anweisung gegeben, sie am Telefon zu verleugnen, damit kein unerwünschter Anrufer – damit war ich gemeint – sie belästigte. Wut, mit Scham vermischt, füllte meinen Mund und meine Seele mit Gift.

Ich würde mit niemandem mehr Verbindung aufnehmen. Das Thema war erledigt, die Botschaft war eindeutig. Das Kapitel „Peter“ war endgültig abgeschlossen. So hatte er es schließlich gewünscht. Ich würde ihn nicht mehr belästigen, ich würde nicht tiefer sinken als ich schon gesunken war.

Gegen Mittag läutete Nina, stürmisch wie immer, an der Tür und weckte mich aus meiner Starre. Als ich ihr öffnete, sah ich mit Verwunderung ihr frisches Gesicht, die glänzenden blauen Augen, die Eleganz ihrer Kleidung. Keine Spur von Müdigkeit nach der gestrigen langen Nacht. Im Gegenteil, sie strahlte vor Vitalität und Schönheit. Im Vergleich zu ihr fühlte ich mich alt, müde, vergrämt vor Elend und Enttäuschung. Auf ihre ungestüme Art umarmte sie mich und fragte, ob es etwas Neues gebe, als könnte sie die Antwort nicht an meiner umwölkten Stirn und den verbitterten Linien in meinem Gesicht ablesen. Nachdem ich ihr erzählt hatte, was ich inzwischen unternommen hatte, legte ich ihr meine Gedankengänge dar. Sie schien im Großen und Ganzen mit meiner Ansicht übereinzustimmen. Sowohl der eine als auch der andere hätte leicht eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen können. Es wäre Peters Pflicht gewesen. Aber wie sich gezeigt hatte, schien er selbst nicht dieser Auffassung zu sein. Eins war jedenfalls klar: Es war seine Entscheidung, mich aus seinem Leben zu verbannen, nicht meine. Ich konnte nichts anderes tun, als die Scherben aufzusammeln, meinen lädierten Stolz herunterzuschlucken und meinen Weg fortzusetzen.

Welchen Weg?, fragte ich mich mit einem lautlosen inneren Aufschluchzen.

Den Weg des Unglücks, der Unsicherheit und wer weiß, welcher sonstigen Widrigkeiten, die mir die Zukunft vorbehielt, im Falle, dass sich die Möglichkeit meiner Schwangerschaft in eine greifbare Tatsache verwandelte… Allein der Gedanke brachte mich um den Verstand. Allein die Vorstellung, dass mein Vater davon erfuhr, falls etwas schief ging und mein Pech auch davor nicht Halt machte. Er würde mich mit Klauen und Zähnen in der Luft zerreißen, daran hatte ich nicht den geringsten Zweifel. Alle in Kabul würden mir den Rücken zukehren und auf diese Weise ihre Empörung und Verachtung für diejenige ausdrücken, die auf so grobe Weise die Gesetze des Korans verletzt hatte. Und für wen das alles? Für einen andersgläubigen Engländer, dem die Traditionen und Dogmen des Islam fremd waren, der keine Ahnung hatte von der Kultur, den Geboten und Gewohnheiten einer vollkommen unterschiedlichen Zivilisation.

Mit der größten Leichtigkeit hatte ich meine Prinzipien beiseite geschoben, die Gesetze meiner Religion übertreten, mich unwiederbringlich kompromittiert, geblendet von meinem flüchtigen – wie sich schließlich herausstellte – persönlichen Glück. Und nun war der Moment gekommen, die Kehrseite der Medaille zu sehen und zu erleben. Der Moment, in dem ich für meine Unbedachtheit bezahlen musste, für meine Leichtfertigkeit, meine mangelnde Achtung vor den althergebrachten Geboten. Mir war bewusst, was ich getan hatte. Nur der Preis dafür war mir nicht klar gewesen.

ICH, DIE FRAU DES TALIBAN

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