Читать книгу ICH, DIE FRAU DES TALIBAN - Dimitra Mantheakis - Страница 8

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Nina und ich verbrachten mindestens zwei Stunden, in denen wir das Ganze wieder und wieder durchgingen, ohne zu einer wesentlichen Schlussfolgerung zu gelangen. Obwohl sie genau wie ich Peters schäbiges Verhalten verurteilte, versuchte sie auf ihre freundliche und mitfühlende Art, milde Ausdrücke dafür zu finden, um mich nicht zu verletzen oder noch mehr zu reizen, und ließ häufig ein “Vielleicht” in das Gespräch einfließen.

Arme Nina… Die Empörung über diesen unvermuteten Hinterhalt, in den ich durch die unselige und für mich so zerstörerische Doppelzüngigkeit des Mannes geraten war, den ich leidenschaftlich geliebt hatte, stand so deutlich in ihrem ehrlichen Gesicht geschrieben, dass sie sie nicht verbergen konnte. Mit ihrer Empfindsamkeit und dem Verantwortungsbewusstsein, das ihre Persönlichkeit auszeichnete, gab sie sich zweifellos selbst die Schuld an allem, weil ich Peter durch sie kennen gelernt hatte. Sicher hatte sie Gewissensbisse, als sie mit ansehen musste, wie sich ihre geliebte Freundin aufgrund einer rein zufälligen formellen Geste ihrerseits in ein seelisches und körperliches Wrack verwandelte.

Mein erbarmungswürdiger Zustand und meine mangelnde Selbstbeherrschung, die meine gute Freundin in so eine schwierige Lage brachten, waren mir plötzlich peinlich. Ein solches Verhalten passte nicht zu der reifen, kultivierten Persönlichkeit, für die ich mich hielt, schon gar nicht, wenn es Auswirkungen auf Dritte hatte, die keinerlei Schuld traf. Von nun an würde ich nur noch, wenn ich allein war zulassen, dass der Schmerz meine Seele zerfraß.

Mit einem tiefen Atemzug beschloss ich, alle meine Gefühle in meinem Innern einzusperren und mir alle Mühe zu geben, mich zu entspannen. Es war an der Zeit, mein Selbstbewusstsein langsam wieder aufzubauen, meine körperlichen und geistigen Kräfte wiederzuerlangen und vor allem eine erwachsene, würdige Haltung zu zeigen. Schließlich war ich weder die Erste noch die Letzte auf der Welt, die verraten wurde.

„So etwas passiert jeden Tag; es ist ein untrennbarer Teil der menschlichen Beziehungen in der Gesellschaft“, formulierte Nina es sehr treffend.

Das war die Wahrheit, das sagte die Vernunft. Und ich musste es akzeptieren.

Offenbar hatte Nina das kalte Aufblitzen der neuen Entschlossenheit in meinem Blick beobachtet und meine Körpersprache richtig interpretiert. Und so unterbreitete meine liebe Freundin mir ihre Vorschläge. Es habe keinen Sinn, mich nicht aus der Wohnung zu rühren und vor mich hin zu leiden. Wenn jemand mich erreichen wollte, brauchte er lediglich eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter zu hinterlassen. Wir könnten ins Sommerhaus ihrer Familie nach Brighton fahren. Wir hätten das ganze Haus für uns, niemand würde uns stören; dazu hätten wir das Meer oder den Swimmingpool zum Baden, wenn uns danach sei, schöne Wege zum Spazierengehen und nette Stammkneipen, um uns zu amüsieren.

Nina hatte offensichtlich nicht erwartet, dass ich ihre Einladung mit so großer Bereitschaft annehmen würde. Mit einer Geschwindigkeit, die mich selbst überraschte, da ich geglaubt hatte, überhaupt keine Kräfte mehr zu haben, holte ich eine Reisetasche vom Schrank herunter und begann, das Notwendigste einzupacken. Ich fragte Nina, wie lange wir im Sommerhaus bleiben würden.

„Solange wir wollen“, antwortete sie mir, froh zu sehen, dass ich wieder auflebte.

In weniger als zwanzig Minuten war ich reisefertig. Ich warf einen Blick in die Küche für den Fall, dass ich in meinem Kummer ein elektrisches Gerät angelassen hatte, schloss die Fenster und die Tür und saß gleich darauf neben meiner Freundin in ihrem großen, starken Jeep, auf dem Weg zu ihr nach Hause.

Bei unserer Ankunft blieb ich im Wagen sitzen, und Nina verschwand hinter der Eingangstür ihres Hauses, von wo sie nach wenigen Minuten mit einem sündhaft teuren, beigen Gucci-Koffer wieder hervorkam. Ich konnte ein Lächeln nicht unterdrücken; dieses Mädchen war stets sehr auf ihre äußere Erscheinung bedacht, nicht nur bei gesellschaftlichen Anlässen, sondern auch, wenn sie in ihren vier Wänden war und niemand sie sehen konnte. Ihre Koketterie war angeboren, und in Kombination mit ihrem ausgezeichneten Geschmack gelang es ihr immer hervorzustechen. Wegen ihrer Eleganz und ihres Charmes fiel sie nicht nur überall auf, sondern war auch für uns Frauen ein Vergleichsmaßstab.

Mit der Geschmeidigkeit der Jugend glitt sie hinter das Lenkrad, und mit einem Aufheulen setzte sich der schwere Wagen in Bewegung. Auf der Nationalstraße war nicht viel Verkehr, und ich konnte sehen, wie die Kilometer gleichmäßig und schnell vorüber flogen.

Als wir ankamen, fing es an, dunkel zu werden. Die ersten Lichter blinkten wie Glühwürmchen in der feuchten Luft und verliehen den hübschen Häusern, die hinter hohen, stolzen Eingangstoren in den dunklen Schatten der Gärten verstreut lagen, eine romantische Note. Ninas Haus war eindeutig mehr als nur ein Sommerhaus. Es war eine geräumige Villa in georgianischem Stil, auf dem Rücken eines grün bewachsenen Hügels gelegen. Es gab einen Swimmingpool, der sich von Innen nach Außen erstreckte, und ein traumhafter Ausblick reichte bis in die Weite, wo der Horizont sich in seiner Umarmung mit der graublauen Unendlichkeit des Meeres verlor.

Beim Kauf des Anwesens hatten die Eigentümer darauf geachtet, dass es zwar außerhalb der bebauten Zone des Strandbads Brighton lag, jedoch in erreichbarer Nähe zur Ortschaft mit ihren vielen Möglichkeiten und Bequemlichkeiten. Dadurch bot es seinen Bewohnern eine ideale Zufluchtsstätte. Drei ständige Hausangestellte und zwei Gärtner standen seit vielen Jahren in den Diensten von Ninas Vater und hielten das schöne Haus tadellos in Ordnung und die wunderbar gepflegten, blumenreichen Gärten in bestem Zustand. Diese ruhige und doch zentrale Lage gefiel mir sehr, und ich dachte stets gern an die unbeschwerten Stunden zurück, die ich hier verbracht hatte, entweder allein mit meiner Freundin oder in Gesellschaft, die das Haus mit ihrer guten Laune und der Fröhlichkeit der Jugend auf den Kopf stellte.

Ninas Eltern waren selten mit uns zusammen, wenn wir dort waren. Taktvoll zogen sie sich in ihre Privaträume zurück oder fuhren nach London oder woandershin, um ihre einzige, geliebte Tochter nicht durch ihre Gegenwart zu stören und ihre Freiheit und Bequemlichkeit nicht einzuschränken. Der Herr Botschafter, wie Nina ihren Vater scherzhaft und liebevoll nannte, war ein viel beschäftigter, aktiver und geselliger Mann, der seine Zeit zwischen seinen diplomatischen Pflichten und, gemeinsam mit ebenfalls äußerst fähigen Managern, der Verwaltung seiner Unternehmen aufteilte; Unternehmen, die seit vier Generationen international florierten.

Trotz seiner vielfältigen Verpflichtungen war der Mittelpunkt seines Interesses seine schöne, warmherzige Tochter; zusammen mit seiner Frau umgab er sie mit einem Mantel der Anbetung, der Hingabe und der Zärtlichkeit und ließ ihr dabei oft ihre reizenden, harmlosen jugendlichen Verrücktheiten durchgehen. Es war eine der wenigen Familien, die ich kannte, in der Reichtum und Gefühle in völligem Gleichgewicht und Einklang standen. Diese seltene Kombination von Aristokratie und Güte gab mir das Gefühl, in ihrem Haus willkommen zu sein, und ihre großzügige, herzliche Gastfreundschaft strahlte eine beruhigende Wärme und Sicherheit aus, als lehnte ich mich an eine vertraute Schulter.

Nachdem Nina den elektronischen Schalter betätigt hatte, öffneten sich die Tore, und sie fuhr den Wagen durch die Allee mit den riesigen Wildkastanien, Mimosen und Magnolienbäumen in den Unterstand, der als Garage diente. George, Vicky und Mrs. Owen, die Wirtschafterin, empfingen uns mit fröhlichen Willkommensgrüßen in der weit geöffneten imposanten Eingangstür der Villa. Das Haus war festlich erleuchtet. George schulterte unser Gepäck, als sei es federleicht, und brachte es in die Schlafzimmer, und Vicky lief hinauf, um die Koffer auszupacken. Ihre Fürsorglichkeit tat mir wohl, und die Wärme des Hauses begann, meine tauben Gliedmaßen zu beleben und mich zu entspannen.

Kurz darauf rief mich Nina in ihr Zimmer. Sie wollte mir ein Foto in einem Album zeigen, das auf dem blank polierten Tischchen vor ihrem bequemen hellblauen Sofa stand. Der junge Mann auf dem Bild machte ihr in den letzten Tagen intensiv den Hof. Sein Aussehen gefiel ihr, wie sie sagte, und seine beharrliche Belagerung schmeichelte ihr, aber sie wollte auch meine Meinung hören. Nina mit ihrer ewigen, ungekünstelten Unsicherheit. Um eine Beziehung zu beginnen, aber auch für ihre einfachsten persönlichen Einfälle und Vorlieben, stützte sie sich stets auf das Ergebnis kollektiver Betrachtung der Situation und der Personen und ein gemeinsames Urteil der Menschen, die ihr nahe standen.

Zärtlich legte ich ihr die Arme um die Schultern und beugte mich vor, um Paul, den Kandidaten, zu begutachten. Das Foto war auf der Weihnachtsparty unserer gemeinsamen Freundin Nicole vor ungefähr drei Jahren aufgenommen worden. Ein charmanter junger Mann lächelte breit und herzlich in die Kamera und vermittelte durch seine fröhliche, ungetrübte Unbeschwertheit den Eindruck eines Menschen, der das Leben zu genießen wusste. Ja, dieser sympathische Typ mit dem offenen Blick gefiel mir, und ich sagte es Nina. Sie drehte eine Pirouette wie ein Kind, um ihre Freude über meine Billigung auszudrücken, und ging hinunter, um mit Mrs. Owen das Abendessen zu besprechen, während ich mir die übrigen Personen auf dem Bild ansah.

Ich erkannte die Gesichter einiger guter Freunde, die lustige Grimassen oder das Siegeszeichen in Richtung der Kamera machten; doch dann wurden meine Augen magnetisch von einer Gestalt im Hintergrund des Fotos angezogen, die mich mit einem rätselhaften Ausdruck ansah. Mein Herz machte einen Sprung. Es war Peter. Er hielt lässig ein Glas Wein in der Hand und sah in seinem dunklen Anzug und dem schneeweißen Hemd fantastisch aus.

Bei seinem Anblick bekam ich einen Schwächeanfall, gleichzeitig gaben meine Beine nach und weigerten sich, mich zu tragen. Ich ließ mich auf das Sofa sinken. Mein Verstand lief unkontrolliert und mit rasender Geschwindigkeit zurück in die Vergangenheit, auf der Suche nach dem attraktiven Mann auf der Weihnachtsparty, auf der alles begonnen hatte; zurück zu dem Abend, an dem ich den Mann kennen lernte, der mein Leben für immer prägen sollte, indem er mich an nie gekannte Orte des Glücks führte, aber auch viele unheilbare Wunden öffnete. Seinetwegen sollte ich ohne den geringsten Widerstand von der Richtschnur meiner muslimischen Moralvorstellungen abweichen, und mit der tiefgehenden Beeinflussung, die er auf mein ganzes Sein ausübte, würde er jedes Molekül eigenen Willens oder Vorbehalts in meinem Innern untergraben.

ICH, DIE FRAU DES TALIBAN

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