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Kapitel 5
ОглавлениеKJELLRUN
Fiiiiiiii ...
Ein durchdringender, greller Pfiff ertönte.
Ohne es zu wollen, zuckten Kjellruns Hände hoch an ihre Ohren. Auch wenn das Blut wild in ihnen rauschte, dieser Pfiff durchdrang alles. So fest sie konnte, presste sie die Hände an die kalten Ohrmuscheln, spürte die Feuchtigkeit der Tränen, die hinuntergeronnen waren.
Wo blieb der tödliche Biss? Wieso fühlte sie noch immer keine spitzen, scharfen Zähne an ihrer Kehle? Sollte sie es wagen?
Langsam öffnete Kjellrun ihr linkes Auge. Dort müsste sie jetzt eigentlich die schwarze, vor Feuchtigkeit glänzende Nase des gefährlichen Tieres sehen. Oder weiße, krumme Zähne. Aber nichts, dort war absolut nichts.
Fiiiiiiii ...
Erneut drang der schreckliche hohe Ton an ihre Ohren. Nicht einmal ihre Hände konnten das schmerzhafte Geräusch fernhalten. Kjellrun senkte den Kopf und öffnete nun auch das andere Auge. Blinzelnd versuchte sie, in der dämmrigen Umgebung etwas zu erkennen. Aber da war nichts. Kein Wolf, keine orangenen Augen, einfach ... nichts!
Ganz vorsichtig nahm sie die Hände von ihren Ohren und richtete sich etwas auf. Überaus langsam drehte sie sich, um zur Stelle schauen zu können, von der Silberauge gekommen war. Schimmerte nicht etwas schwarz in der Dunkelheit der Bäume? Eine unnatürlich intensive Schwärze? Ja, da war etwas oder jemand. Sie konnte es sehen. Ganz bestimmt.
Kjellrun atmete schneller, schob den Oberkörper in die Richtung, als ob sie dadurch besser sehen könnte. Aber es blieb dunkel und schwarz. Einfach nur eine tiefe, unbekannte Schwärze. Sie schluckte nervös und überlegte, ob sie dorthin gehen sollte. Wenn es ein Lebewesen war, würde es flüchten oder angreifen. Wenn es eine Traumgestalt ihrer Angst war, dann würde sie sich auflösen. Nur ... wollte sie es riskieren, von einem schwarzen Untier angegriffen zu werden?
Noch ehe sie eine Entscheidung treffen konnte, ertönte ein drittes Mal dieser schreckliche Pfiff. Er kam eindeutig aus der Richtung der Schwärze! Mit riesig aufgerissenen Augen und vor Staunen weit geöffnetem Mund beobachtete Kjellrun, wie Dutzende orangener Feuerpunkte auf die Dunkelheit zueilten. Als die leuchtenden Augen ganz nah bei ihr waren, breitete sich die Dunkelheit aus. Ein Geräusch wie von einem wehenden Wollumhang, der mit Schwung herumgewirbelt wurde, drang an Kjellruns Ohren. Einige der Feuerpunkte verschwanden hinter der Schwärze.
Dicht an den Stamm zu ihrer linken Seite gepresst, richtete sich Kjellrun ganz langsam auf. Auf keinen Fall wollte sie von dem, was da in der Ferne war, bemerkt werden. Zitternd blinzelte sie die letzten feuchten Stellen aus ihren Augen und versuchte die Schwärze genauer zu betrachten. War das ein Tier? Oder sah so Wuldor aus? Sie schlug eine Hand vor den Mund, um den Schrei zu ersticken, der hinausdringen wollte. Die Angst wurde wieder übermächtig in ihr. Wenn das da vorne Wuldor war, dann wollte er wohl nicht ihren Tod, aber ganz sicher würde er ihr auch nicht wohlgesonnen sein. Es gab nicht eine gute Geschichte über ihn. Zumindest nicht in den Erzählungen ihrer Mutter. Panik schlich sich in jede Faser ihres Körpers. Warum hatte der Wolf sie nicht schnell mit einem kräftigen Biss getötet? Die Angst vor dem, was mit ihr noch alles passieren konnte, war entsetzlich. Wieder zitterte sie am ganzen Körper. Sie hörte sogar das Klappern ihrer eigenen Zähne, so fest hielt sie die Furcht gepackt! Dennoch konnte sie sich nicht abwenden von dem Geschehen dort vor ihren Augen.
Seltsame Laute drangen an Kjellruns Ohren. Das Geräusch passte nicht in den düsteren Wald. Es klang wie ein Lied in einer unbekannten Sprache. Ein fast schon liebkosender Singsang, melodisch, einschmeichelnd. Erst war er leise, nahm dann an Stärke und Kraft zu und hüllte sie ein. Sofort fühlte sie sich geborgen und ein warmer Schauer fuhr durch ihren Körper. Ohne es zu wollen, musste Kjellrun lächeln. Ihre Angst verflog und sie ließ die Hand vom Mund sinken. Eine tiefe Sehnsucht erwachte in ihr. Tief in ihrem Bauch breitete sich ein Kribbeln aus. Da war ein Verlangen nach etwas, das sie nicht benennen konnte. Es wurde immer größer und stärker, floss durch ihre Adern und ließ ihr Herz heftiger pochen.
Vertrar farir fioninga og docht.
Nu er timi floru.
Komte hem til min, komte hem.
Sie verstand nicht die Worte. Doch der Zauber hielt sie gefangen. Immer mehr Wölfe näherten sich der Schwärze, setzten sich, hoben ihre Schnauzen gen Himmel und fingen an in das Lied einzustimmen mit ihrem heulenden Ruf. Kjellrun öffnete ihren Mund, wie von selbst glitten die fremden Worte aus ihrem Inneren hervor: „Vetrar farir fioninga og docht.“
Sie merkte nicht, wie sie ihren Fuß hob und den ersten Schritt auf die Schwärze zuging. In ihrem Kopf fühlte sich alles leicht und beschwingt an. Alles in ihr sehnte sich danach, mitzusingen, inmitten der Wölfe zu stehen und in der Wärme des Liedes zu versinken.
„Kjellrun!“ Der dunkle, harte Ton passte so gar nicht hierher. Sie schüttelte unwillig den Kopf. „Kjellrun!“
Der magische Gesang verstummte abrupt. Die Schwärze fiel in sich zusammen und Dutzende Feuerpunkte starrten sie an. Dann hörte sie ein Zischen, Jaulen und danach nur noch Getrappel von vielen Pfoten auf trockenem Waldboden. Mit der Schwärze verschwanden alle orangenen Lichter, das sonderbare Gefühl in ihrem Körper wich einer tiefen Leere. Fast fühlte es sich einsam in ihr an. Es schien Kjellrun, als erwachte sie aus einem seltsamen Schlaf.
„Kjellrun, ich weiß, dass du hier sein musst!“
Sie lauschte angestrengt. War das etwas Thore? Hatte er sie eingeholt und vor einem tödlichen Schicksal bewahrt? Denn ganz sicherlich war diese seltsame Gestalt mit ihrem noch seltsameren Gesang von dem Gott der eisigen Kälte und des ewigen Winters geschickt worden. Niemand sonst vermochte allein durch Gesang Wölfe oder Menschen zu bezaubern!
„Kjellrun, wenn du nicht sofort antwortest, dann hetze ich dir doch noch Thore hinterher.“
„Sjard?“ Sie flüsterte es mehr, als dass sie es sprach. Denn es schien ihr unmöglich, dass ausgerechnet er den Weg durch den gefährlichen Svartskog gewagt hatte. Da hätte er doch gleich mit ihr gehen können. Oder ...? „Hat dich etwa meine Mutter geschickt? Dann kannst du gleich wieder umkehren“, rief sie laut und stemmte die Arme in die Seiten, obwohl er das gar nicht sehen konnte. „Ich werde nach Ulvershom gehen. Auf gar keinen Fall kehre ich nach Hjolmfort zurück.“
Sie hörte, wie sich Schritte näherten. Es knackte laut und ganz untypisch für einen Jäger. Sjard musste sich wohl sehr sicher fühlen.
„Dummes Mädchen“, erhielt sie zur Antwort. „Ich bin doch nicht im Auftrag deiner Mutter hier. Die hat Thore losgeschickt. Oder besser, er hat ihr gesagt, dass er dein Suchspiel annimmt und dich ihr wiederbringen wird.“
„Suchspiel?“, rief Kjellrun aufgebracht. „Suchspiel?“
„Ja, genau.“ Die männliche Stimme war nun nah bei ihr. Eigentlich so nah, dass sie ihn sehen müsste. Aber sie konnte ihn noch immer nicht entdecken. Stimmte etwas mit ihren Augen nicht mehr? Allmählich begann sie sich Sorgen zu machen.
„Wo bist du?“ Nun war sie es, die nach ihm suchte und dabei die Stirn runzelte.
„Wenn du mal hinter deinem Baumstamm hervorkommen würdest, dann müsstest du nicht fragen“, erwiderte Sjard und war nun so dicht bei ihr, dass sie erschrocken zusammenzuckte. Er blickte um den Stamm herum und schüttelte seinen Kopf. „Was ist los? Ich dachte, du würdest dich über meinen Anblick freuen. Stattdessen scheinst du vor Angst wie erstarrt.“
„Wird‘ du mal fast von einem Rudel Wölfe gegessen, dann bist du auch nicht mehr so gutgelaunt“, murrte Kjellrun.
„Rudel Wölfe?“ Sjard schüttelte den Kopf. „Du bist wohl zu lange allein in der Dunkelheit umhergeirrt, dass du schon Wölfe siehst. So tief im Wald gibt es keine Wölfe. Die findest du nur am Waldrand.“
Sie konnte sehen, dass er noch mehr sagen wollte, aber er verschloss seinen Mund und schüttelte nur noch einmal den Kopf.
„Was ist?“
Er blickte sie seufzend an. „Lass uns einfach rasch weitergehen. Sonst holt uns Thore ein, ehe wir auch nur in die Nähe von Ulvershom gekommen sind.“
„Aber wir müssten doch fast da sein. Ich bin doch schon Ewigkeiten unterwegs.“ Sie hörte Sjard rau auflachen und wusste nicht, was das zu bedeuten hatte. Nachfragen wollte sie auch nicht. Immerhin schien er nicht in Erzähllaune. Ganz im Gegenteil hatte er sich bereits abgewandt und marschierte zwischen den Bäumen davon. Hastig stolperte sie ihm nach und fühlte sich mit einem Mal gar nicht mehr wie eine umsichtige, vorsichtige Jägerin. Sie kam sich eher wie ein tollpatschiger Welpe vor, der jeden Zweig traf, den der Boden bereithielt.
Ohne erkennbaren Grund blieb Sjard stehen und machte einen Schritt auf den Baum neben sich zu. Kjellrun, die es nicht schnell genug realisierte, stieß gegen ihn und verzog das Gesicht. Sjard hatte einen ziemlich knochigen Körper und sie war mit der Nase gegen seinen Kopf gestoßen. Eigentlich war er viel zu groß für sein Alter, immerhin war er zwei Jahre jünger als sie, da sollte er kleiner sein.
„Au, was ist los? Warum bleibst du stehen? Und was willst du mit dem Baum?“, fragte Kjellrun und wich einen Schritt zurück. Missmutig rieb sie über ihre Nase, als ob sie damit sein Vergehen nochmal verdeutlichen wollte.
„Was ich hier mache?“ Sjard drehte seinen Kopf zu ihr und blickte sie ungläubig an. „Du, eine der besten Jägerinnen von Hjolmfort, fragst mich, was ich hier mache?“
„Ja, klar, was hat das mit meinen Jagdfähigkeiten zu tun?“
Sjard schüttelte den Kopf, stöhnte leise und drehte sich dem Baum zu. Aus einer kleinen Umhängetasche holte er ein Messer hervor und ritzte ein Zeichen in die Rinde des Baumes. Nicht so tief, dass es ihn verletzen könnte, aber tief genug, dass es als sichtbares Merkmal zu erkennen war, wenn man wusste, dass es dort war.
Kjellrun zuckte beschämt zusammen und neigte den Kopf nach unten. Oje, das war ihr nun überaus peinlich. Natürlich hatte Sjard recht, das hätte sie wissen müssen. Ein guter Jäger machte sich Zeichen in unbekanntem Gebiet, damit er den Rückweg fand. Hier im dunklen, dichten Svartskog waren solche Kennzeichen Pflicht, um überleben zu können. Wie hatte sie das nur vergessen können? Sie hatte wohl zu lang im nördlichen Svartskog gejagt, wo sie jeden Baum und jeden Strauch kannte.
„Es tut mir leid“, murmelte sie und seufzte.
„Ja, das sollte es auch“, erwiderte Sjard mit fester Stimme. „Obwohl deine Nachlässigkeit wahrscheinlich auch dein Glück war.“
„Wie meinst du das?“
Er beachtete sie nicht weiter, sondern drehte sich wieder um und setzte seinen Weg fort. Der kleine, ängstliche Junge von vorhin schien einem besonnenen, wortkargen Jäger gewichen zu sein. Da stimmte doch was nicht!
„Was ist los, Sjard? Du bist so seltsam. Warum antwortest du mir denn nicht?“ Kjellrun beeilte sich, ihn einzuholen. „Sjard, rede mit mir. Was ist denn los? Sag schon, was ist los?“ Ihre Stimme wurde immer drängender. Sie hörte erst auf, als er verärgert stöhnte und nachgab.
„Kjellrun, du bist heute Morgen in den östlichen Waldrand des Svartskog geschlichen. Das haben Thores Jägerfähigkeiten direkt erkannt. Er ist dir hinterher, ebenso wie einige seiner Freunde und ...“, Sjard druckste ein Weilchen verlegen herum, senkte den Kopf und räusperte sich schließlich, „... ich schließlich auch. Ich wollte doch wissen, was er macht, wenn er dich findet.“
Schweigen. Kjellrun konnte sehen, wie seine Finger mit dem Messer spielten, ehe er es nervös in der Tasche verstaute. Als er wieder aufblickte, war sein Blick angriffslustig. „Na los, lach mich aus, weil ich mich um dich gesorgt habe. Immerhin hab ich den Dienst an deiner Mutter verweigert, da sollte ich mich auch nicht um dein Wohl kümmern.“
Mit großen Augen starrte sie ihn an. Verlangte er jetzt allen Ernstes von ihr, dass sie ihn für sein mutiges Vorhaben tadelte?
„Na gut, dann eben nicht“, murmelte er und fuhr anschließend lauter fort: „Wir, also eigentlich Thore, sind nicht weit gekommen, da war deine Spur verschwunden. Einfach so weg. Als seist du nie in den Wald gegangen. Das hat uns alle verwirrt, denn fliegen kannst du ja nicht und wie ein Eishörnchen von Baum zu Baum hüpfen auch nicht. Doch Thore hat nur gemeint, da du nach Ulvershom willst, muss er einfach weiter nach Westen gehen, dann wird er dich schon finden.“
Kjellrun hörte mit gerunzelter Stirn zu. Wenn da nicht Sjard vor ihr stünde, würde sie glauben, er machte sich gerade einen Spaß mit ihr. Warum sollte ihre Fährte verschwunden sein? Sie war zwar eine gute Jägerin, aber sie hatte gar nicht versucht, ihre Spur zu verwischen. Ihr war es nur auf Schnelligkeit angekommen. Denn sobald sie erst in Ulvershom war, konnte Thore ihr gar nichts mehr anhaben. Sie würde einfach zu den Verwandten ihres Vaters laufen, es mussten doch noch eine Schwester oder ein Bruder von ihm leben, niemand kam als Einzelkind zur Welt. Oder besser fast niemand. Sie selbst war sicherlich eine Ausnahme. Wenn sie dann erst in der Geborgenheit ihrer Familie war, durfte Thore sie nicht einfach mitnehmen. Die Familie des Vaters hatte mehr Rechte an ihr als die Mutter.
„Ich bin dann umgekehrt“, erzählte Sjard weiter. „Wo keine Spur ist, braucht man auch nicht folgen. Thore ist geradewegs weiter durch den Wald und einige seiner Freunde folgen ihm.“
„Aber“, warf Kjellrun überrascht ein, „was machst du hier, wenn du heimgekehrt bist?“
„Was ich hier mache?“ Sjard schüttelte ungläubig den Kopf. „Die Frage ist eher, was du hier machst. Schau dich doch mal um, kommt dir gar nichts sonderbar vor?“
Kjellrun blickte um sich.
Die Bäume standen weit auseinander, Büsche und Dornengestrüpp wuchs zwischen ihnen, überall gab es Schneeverwehungen. Je länger sie herumschaute, desto sonderbarer erschien ihr alles. Ihr Blick richtete sich nach oben. Sie konnte einen weißblauen Himmel sehen. Das hier war auf keinen Fall die Gegend, in der sie vor Sjards Eintreffen gewesen war. So licht wie alles war, musste sie sich im nördlichen Teil des Svartskog befinden.
Aber das war unmöglich!
„Ah, ich sehe, du verstehst.“ Sjard nickte und blickte sehr ernst. „Was auch immer du hier machst, ich war auf der täglichen Jagd nach Fleisch für meine Familie. Es war reiner Zufall, dass mich die Spur eines Rehs auf deine Fährte lockte. Was glaubst du, wie überrascht ich war, als ich ausgerechnet deine Spur in diesem Teil des Waldes fand.“
„Nördlicher Svartskog“, murmelte Kjellrun wie benommen und drehte sich langsam. „Das ist unmöglich.“
„Es ist möglich“, widersprach Sjard, „sonst wärst du nicht hier. Doch nun lass uns weitergehen. Wenn ich deine Spur gefunden habe, kann es passieren, dass auch andere sie finden. Thore ist immer noch auf der Jagd nach dir. Auch wenn ich keine Ahnung habe, wie du ausgerechnet hier aufgetaucht bist. Außerdem sind etliche Stunden seit deiner Flucht vergangen. Ich will auf gar keinen Fall im finsteren Wald sein, wenn die Sonne untergeht. Darum müssen wir rasch machen, sonst geschieht noch ein Unglück.“
Der junge Mann drehte sich um und lief los. Ohne noch etwas zu sagen, folgte ihm Kjellrun. Sie glaubte nicht an Magie oder an sonderbare Kräfte. Nur Wuldor und die Ewige Eisjungfer konnten zaubern, wenn es sie überhaupt gab. Doch weshalb hätten die beiden sie in den nördlichen Svartskog zaubern sollen, weit weg von Thore und seinen Freunden? Da hätten sie es sich viel leichter machen können und sie direkt zum Fjalldom zaubern, hoch auf den Gipfel, wo den Geschichten nach die Burg des mächtigen Gottes sein sollte.
Kjellrun dachte an die Gestalt im schwarzen Umhang. Sie war sicher, dass es sich bei der Schwärze um einen schwarzen Wollmantel gehandelt hatte. Schwarz. In Wuldor gab es kein Schwarz. Er war der Gott der eisigen Kälte und des ewigen Winters. Wuldors Farbe war Weiß. Wer auch immer die Gestalt war, es konnte nicht Wuldor gewesen sein.
Kjellrun stolperte und stieß gegen Sjard.
„Pass doch auf“, schimpfte der. „Mädchen, wir haben einen weiten Weg vor uns, da musst du all deine Sinne bei dir haben. Ich will es nicht sein, der Thore in die Hände fällt mit seiner Braut.“
„Ich bin nicht Thores Braut“, wehrte sie sich.
„Ob du es sein willst oder nicht, du bist es. So ist es das Gesetz unseres Dorfes. Wenn du keinen anderen Jäger findest, der sich um dich sorgt, wird Thore dein Mann.“
Es tat so weh, diese Worte aus Sjards Mund zu hören. Hielt der Freund denn gar nicht mehr zu ihr? Erst wollte er nicht ihre Mutter beschützen und jetzt empfand er sie selbst als Ballast.
„Wo hast du überhaupt deinen Beutel mit Essen und Trinken?“, fragte Sjard unvermittelt.
„Ich ... ich ... den muss ich vor deinem Fenster vergessen haben“, gestand Kjellrun und gab einmal mehr zu, dass sie heute ihre Gedanken nicht beisammenhatte. Konnte es noch schlimmer kommen?