Читать книгу Der tote Carabiniere - Dino Minardi - Страница 7
Montag, 5. Oktober 1
ОглавлениеErst in dem Moment, als Emilio Folisi am Montagmorgen gegen halb acht allein die Bar della Funicolare betrat, begriff Pellegrini wirklich, dass Salvatore Bianchi tot war.
Mit einer linkischen Bewegung räumte er den dritten Unterteller vom Tresen und wandte sich zur Espressomaschine, aus der gerade der letzte Tropfen in die Tassen fiel. Zwei caffè, einen für Folisi, einen für sich. Pellegrini erschauderte. Er nahm die Tassen und stellte sie auf die beiden verbliebenen Unterteller. Folisi setzte sich. Während es Pellegrini gelungen war, die Ereignisse des vergangenen Freitags über die Tagung in Bergamo zu verdrängen, sah Bianchis langjähriger Kollege aus, als hätte er das ganze Wochenende nicht geschlafen.
»Wieso lassen sie dich zum Dienst antreten?«, fragte Pellegrini besorgt. Er streute Zucker in seinen caffè.
»Sie haben mir dringend geraten, mich beurlauben zu lassen. Aber ich will nicht. Zu Hause fällt mir nur die Decke auf den Kopf. Wenn ich auf Streife gehe, kann ich wenigstens so tun, als würde ich etwas Sinnvolles zustande bringen.«
»Wisst ihr denn schon irgendetwas?«
Folisi nahm seine Mütze ab und legte sie auf den Tresen. Mit einem Kopfnicken deutete er auf die Kaffeemaschine. Pellegrini sammelte ihre leeren Tassen ein und bereitete zwei weitere caffè zu. Den ersten hatte er kaum geschmeckt.
Das war jenseits aller Routinen. Über so viele Jahre hatte er, sofern ihn kein dringender Fall davon abhielt, morgens drei caffè zubereitet. Einen für sich und zwei weitere für die beiden Carabinieri von Brunate. Ein cornetto für Bianchi bereitgelegt, eine Ausgabe der La Provincia für Folisi.
Und heute? Kein caffè für Bianchi, kein cornetto. Nie wieder. Stattdessen tranken er und Folisi eine zweite Tasse. Pellegrini starrte auf den Zucker, der wenige Sekunden auf der Crema liegen blieb und dann absank. Er rührte kurz um und trank. Dieses Mal spürte er ganz bewusst dem Geschmack nach, der sanften Bitterkeit mit einem Hauch Kakao.
Das brachte ihn wieder zur Besinnung. Dinge änderten sich, der Bruch mit seinen morgendlichen Gewohnheiten war eine Nichtigkeit im Vergleich zu den schmerzhaften Veränderungen, die Stefania Bianchi und den anderen Angehörigen bevorstanden, den Nachbarn und Freunden. Auch wenn er das Ehepaar Bianchi fast sein ganzes Leben lang gekannt hatte, hatten sie einander nicht nahe gestanden. Es war nur so, dass dieser Bruch seiner Routine alles wirklich werden ließ. Der Anblick der Leiche war – so merkwürdig das einem Außenstehenden vorkommen mochte – für ihn etwas Alltägliches gewesen, Stefania Bianchis »Geständnis« eine seltsame Anekdote, aber letzten Endes auch nichts Besonderes. Es kam immer wieder vor, dass Unschuldige Verbrechen gestanden. Und von der der Witwe war er nach wie vor überzeugt.
Pellegrini besann sich, bemerkte, dass Folisi mit gesenktem Kopf auf die Marmorplatte des Tresens starrte, und wiederholte seine Frage.
»Es gibt nichts Offizielles.« Folisi seufzte tief. »Heute Vormittag soll eine Pressekonferenz stattfinden. Aber natürlich kursieren bereits Gerüchte. Salvatore soll sturzbetrunken gewesen sein, heißt es. Er wurde angeblich mit einem zweiten Mann gesehen. Es habe einen lautstarken Streit gegeben.«
Pellegrini lächelte traurig. »Das behauptet zumindest die Bäckersfrau, die es vom Schwager ihres Nachbarn gehört haben will.«
»So ungefähr.« Folisi spielte mit einem Kaffeelöffel.
»Bin wieder da. Ciao, Emilio!« Paolo erschien im Durchgang, der zum Innenhof zwischen dem Albergo Pellegrini und der Bar führte. Er roch nach Zigarettenqualm, sodass Pellegrini unwillkürlich die Nase rümpfte.
Er hätte sich eigentlich auf den Weg machen müssen. Aber ihm war, als hinge Ungesagtes in der Luft. Er räumte die Tassen in die Spülmaschine, während Paolo die Bistrotische entlang der Fenster abwischte und die Stühle ordentlich hinstellte. Ein Gruppe Schüler betrat die Bar, kaufte ein paar Dosen Energydrinks oder Cola und verschwand wieder.
»Meistens ist was dran an solchen Gerüchten.« Folisi blickte auf. Unter seinen Augen lagen dunkle Schatten. Er fuhr sich mit einer Hand durch die Haare.
Der Satz weckte den Ermittler in ihm. »Das ließe sich leicht herausfinden«, erwiderte Pellegrini knapp. Zu gern hätte er auf das – ohne Zweifel großartige – Wochenende in Bergamo verzichtet und die Menschen in Brunate befragt. Was sie wussten. Was sie gesehen hatten. Was sie vermuteten. Das hier war sein Territorium, und einen ungelösten Todesfall hatte es hier nicht zu geben.
Folisi räusperte sich laut. »Marco.«
»Ja?«
»Kannst du mir einen Gefallen tun?«
»Jederzeit.«
Folisi ließ den Löffel auf den Tresen fallen und verschränkte die Hände. »Wenn sie den Leichnam freigeben, wird Salvatore am Freitag beerdigt. Würdest du den Sarg mittragen?«
»Das kann ich machen. Aber gibt das keinen Ärger? Ich glaube nicht, dass dein Maggiore gut auf mich zu sprechen ist.«
»Der will natürlich einen regelrechten Staatsakt. Aber Salvatore ist nicht im Dienst gestorben. Und als Erstes ist er einer von uns. Also aus unserer Gemeinde, meine ich, aus Brunate. Da bist du wichtiger als irgendein dahergelaufener Kollege aus der Kaserne da unten.«
Da unten. Manchmal hatte Pellegrini den Eindruck, Como läge auf einem anderen Kontinent.
»Wenn es auch in Stefanias Sinne ist, mache ich das gern. Soll ich auch meinen Schwager fragen?«
»Domenico? Sehr gern. Was dich betrifft: Es war sogar Stefanias Idee.«
Folisi schien sehr erleichtert. Pellegrini fragte sich, ob er von Stefania Bianchis Besuch in der Questura wusste. War sie am Ende entgegen ihrer ursprünglichen Absicht doch zu Visconti gegangen, um erneut ihr »Geständnis« abzulegen?
Mehrere Leute kamen herein. Pellegrini griff nach seinem Jackett und überließ Paolo das Feld. Er umrundete den Tresen, klopfte Folisi wortlos auf die Schulter und verließ die Bar.
Barista zu sein war immer nur ein kleiner Luxus auf Zeit. Jetzt war er wieder Commissario.