Читать книгу Tod auf Mallorca - Dirk K. Zimmermann - Страница 8
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Als ich zurück in Andratx war, wartete Peggy bestens gelaunt mit Neuigkeiten auf. Sie hatte nicht nur die Tapas längst vorbereitet. Sie war shoppen gewesen, hatte sich ein neues schwarzes Kopftuch gekauft, und damit gleich ihr Haar zurückgebunden. Sie sah klasse aus. Aber all das zeigte und erzählte sie mir nur nebenbei. (Irgendwie ging sie sehr freundschaftlich mit mir um, sehr vertraut, obwohl ich doch nur eine Nacht auf ihrem Sofa verbracht hatte und sie mich nur wenige Stunden kannte.) Mit der Nase stieß sie mich auf die Online-Meldung einer deutschen Mallorca-Zeitung. Ich schaute mir den Artikel auf ihrem Laptop an. Es ging um den Toten aus dem Hafenbecken. Ich filterte die Sätze nach neuen Informationen und war nach genauem Durchlesen doch einen ganzen Schritt weitergekommen. Man hatte den Mann identifizieren können. Er hieß Xaver Henner Müller. Er war dreiundsechzig Jahre alt gewesen, ein ehemaliger Schuhfabrikant aus Köln. Die Polizei sprach bei der Todesursache von einem Selbstmord, hervorgerufen durch eine schwere Tablettenvergiftung. Bei der Obduktion habe man zudem festgestellt, dass Müller an Lungenkrebs erkrankt gewesen sei.
Dieser seichte, sensationslose Polizeibericht war sogar der Gazette zuwider gewesen und machte noch keine echte Meldung aus. Man reicherte die Nachricht ein wenig an, und plötzlich, siehe da, gab es tatsächlich etwas Spannendes, was bei diesem Leichenfund von Interesse war. Sie schrieben nämlich, dass Müller vor längerer Zeit versucht hatte, eine Schuhfabrik in Inca zu betreiben. Der Unternehmer war damit aber kläglich gescheitert und hatte sich ruiniert. Er verlor dadurch seine Finca in Pollenca und sein Appartement in Magaluf. Da er aber die Insel so sehr liebte und niemals mehr nach Deutschland zurückkehren wollte, lebte er fortan auf seinem Boot Santo Domingo und schipperte an der mallorquinischen Küste von Hafen zu Hafen. Laut Aussage der Hafenmeisterei hatte das Boot seit längerer Zeit im Hafen von Soller gelegen, war aber nun verschwunden. Niemand wusste wo das Boot abgeblieben war. So folgte der Zeitungsbericht schließlich der Polizeiversion, dass Müller mit dem Boot ausgelaufen und dann unglücklich oder absichtlich von Bord gestürzt und ertrunken sein musste.
Es schien alles plausibel. Es gab keinen Haken an der Sache. Man würde das Boot irgendwann herrenlos auf See finden und damit hatte es sich. Es war kein Mord, kein Raubmord oder was man sich alles an Kapitalverbrechen sonst noch ausmalen wollte. Hatte Atma vielleicht nur gesponnen? War sie wirklich nicht ganz bei Trost?
Peggy machte nicht den Versuch, mir auszureden nochmal zur Terrapolis rauszufahren, aber ich bemerkte doch, dass sie dachte, es erübrige sich, während sie den Laptop zusammenklappte und ihn in der Schreibtischschublade verstaute.
Dennoch: Ich folgte meinem Instinkt, vielleicht vielmehr meinem Schuldkomplex und so hatte ich mich am frühen Abend wieder auf den Weg dorthin gemacht. Diesmal sogar vorsorglich mit zwei Chorizos im Gepäck. Um Peggy an ihrem Tapas Abend nicht zu kränken, hatte ich ihr versprochen, spätestens bis dreiundzwanzig Uhr wieder zurück zu sein.
In der Nähe des Schlagbaums angekommen, musste ich bemerken, dass eine Wachablösung stattgefunden hatte. Weder von diesem mir zuvor begegneten Sicherheitsmann, noch von der Wachfrau oder ihrem Bullterrier Tijuana war etwas zu sehen. Also begann das Spielchen von vorn. Ich ging so unauffällig wie möglich am Schlagbaum vorbei, die Straße entlang, suchte das Loch im Zaun auf, kroch hindurch und pirschte mich durch das Labyrinth von Baracken zum Gebäude Nummer 8 vor. Es klappte alles wie am Schnürchen. Ich betrat die Behausung, lehnte die Tür ein wenig an und rief nach ihr.
„Atma?“
Keine Antwort.
Ich rief nochmals. „Hallo? Atma?“
Keine Antwort. Ich durchsuchte jeden Winkel der Baracke. Sie war nicht da. Es folgte der unvermeidliche Blick auf meine Armbanduhr. Sie zeigte beinahe zwanzig Uhr dreißig. Was sollte ich tun? Atma konnte die Nacht woanders verbringen, sie war nicht verlässlich. Vielleicht würde sie nie wieder hierherkommen. Ihr konnte etwas zugestoßen sein. Ich würde niemals davon erfahren, denn wahrscheinlich kümmerte sich niemand um sie, achtete darauf, was sie tat und wen sie traf. Sie war hier stillschweigend geduldet, damit hatte es sich aber gewiss auch schon.
Ich kämpfte mit mir, aber ich verweilte schließlich in der Baracke und setzte mir eine Frist. Wenn sie bis zweiundzwanzig Uhr dreißig nicht zurück war, würde ich gehen.
Ich hockte mich auf eine der Matratzen und nahm mir die Bücher vor, die auf dem Boden lagen. Es war eigentlich zu dunkel im Raum um in ihnen zu lesen. Ich zündete eine Kerze an. Die Romane sagten mir nichts. Schnulzen, keine Bestseller. Unter den Büchern befand sich eine Bibel. Ich schlug den Buchdeckel auf und sah es sofort. Die erste Seite fehlte. Ich holte Atmas Skizzennotiz hervor und legte das Blatt an den eingebundenen ausgefransten Seitenrest in der Bibel an. Es passte exakt hinein.
Ich hatte begonnen in der Bibel zu lesen, hatte die Seiten durchgeblättert, ob Atma durch kleine Knicke Lesezeichen eingefügt hatte, aber ich wurde nicht fündig. Ich las ein wenig in der Bergpredigt. Darüber muss ich eingenickt sein.
Ich kam zu mir, als der Lichtstrahl einer Taschenlampe mir ins Gesicht stach und mich abrupt aus dem Schlaf riss. Ich blinzelte. Das grelle Weiß schmerzte in den Augen.
„Sie haben ein Gewissen“, hörte ich die Rothaarige sagen. Sie richtete die Lampe auf den Boden.
Nachdem das milchige Weiß vor meinen Augen verebbt war, konnte ich sehen, wie sie langsam näher kam. Sie schaute mich an, sah die Bibel in meinem Schoß liegen.
Dann ging sie hinüber zur anderen Matratze, ließ sich dort nieder, zündete zwei Kerzen an (meine war erloschen), stellte sie auf dem Estrich ab, so dass wir einander im schemenhaften Licht der Flammen ansehen konnten. Es war gespenstisch. Wir saßen eine Weile stumm da, unsere Silhouetten tanzten im flackernden Schein an den Wänden, ehe ich das Gespräch begann. (Ich hatte zu meiner Armbanduhr geblickt, hatte gesehen, dass es fast dreiundzwanzig Uhr war, und in diesem Moment wusste, ich würde mein Versprechen Peggy gegenüber nicht halten können.)
„Atma, wo waren Sie so lange?“
„Ich heiße nicht nur Atma. Ich heiße Alma. Nennen Sie mich Alma.“
„Sie heißen Alma Atma?“
„Ja. So heiße ich.“
„Und wie heißen Sie wirklich?“
„Ich heiße, wie ich heiße.“
Sie machte einen ganz aufgeräumten Eindruck. Meine Vermutung, es handele sich bei ihr um eine verwirrte Spinnerin, musste ich wohl revidieren.
Alma kicherte plötzlich. Sie griff unter ihre Matratze und holte eine kleine Flasche Weinbrand hervor. Sie nahm einen kräftigen Schluck und hielt mir die Flasche hin.
„Wollen Sie?“
Ich mochte Alma nicht zurückweisen, nahm die Flasche, wischte kurz über ihre Öffnung, setzte sie an die Lippen und trank einen winzigen Schluck von der braunen Flüssigkeit. Furchtbarer Fusel. Alma musterte mich.
„Hab gehört, Sie waren schon mal da. Ich hab Arbeit gesucht. Hat eine Weile gedauert. Und dann auch noch so ein Ding.“
„Was meinen Sie?“
„Richard. Rentner. Der Whisky war nicht schlecht, die Jacht auch nicht. Er hatte sogar Geschmack, was die Malerei anging. Hopper. Natürlich nicht echt. Oder auch Literatur. Allende. Aber sein bestes Stück war so groß wie eine Weintraube. Eine Weintraube zwischen zwei Haselnüssen.“
Sie kicherte wieder. „Große Jacht. Aber nur zwanzig Mäuse im Portemonnaie. So eine Pfeife. Ein vertaner Abend.“
Ich wollte Peggy nicht verärgern, ich wollte nur wissen, warum ich helfen sollte. Wenn Alma sich als Obdachlose durchs Leben schlug und ins Rentenalter gekommenen Urlaubern eine Handentspannung zukommen ließ – vielleicht sogar mehr – dabei konnte ich ihr weiß Gott nicht helfen.
„Alma, verzeihen Sie mir, ich habe noch eine Verabredung und es schien mir sehr dringlich, Ihr Anliegen am Hafen. Ich würde gern mit Ihnen plaudern, aber mir ist die Zeit heute ein wenig davongelaufen. Mein Nickerchen hat sein Übriges dazu getan. Was ist es denn, wobei Sie so dringend Hilfe benötigen? Und was hat das mit dem toten Mann im Hafenbecken zu tun?“
Alma zog die Nase hoch. „Keine Zeit. Stimmt. Ganz genau. Den Xaver Henner, den kenn ich. Kannte ich. Man hat ihn umgebracht. Bin ich mir sicher. Er war bei so einem Nervenarzt. Weil er merkte, dass seine Uhr, ich meine seine innere, nicht mehr rund lief. Er kam im Kopf einfach nicht mehr klar. Und da ist er hin, zu so einem deutschen Psychiater, der hat seine Praxis in Palma, hat er mir erzählt. Der Xaver. Und dann war er weg. Verschwunden. Hab ihn nicht mehr gesehen, bis er da wie ein Stück Treibholz herumtrieb. Die haben ihn plattgemacht.“
„Wer ist die?“
„Der Psychoheini. Oder die Pillendreher.“
Es juckte mich am Kopf. Ich kratzte dort. Das war mir doch ein bisschen zu sehr aus der Luft gegriffen.
„Die Zeitungen berichten anderes. Selbstmord, krebskrank.“
Alma winkte ab. „Die Zeitungen. Angepasste Hosenschisser. Die haben alle Dreck am Stecken. Erbärmlich.“
„Und deswegen waren Sie bei dem Kongress?“
Alma nahm die Weinbrand-Flasche von mir entgegen und trank wieder einen großen Schluck. „Ah. Das wärmt. Diesen Ärschen muss man Dampf machen. Paroli bieten.“
Ich runzelte die Stirn. „Aber ... wie soll ich da helfen? Ich bin einer von den Ärschen. Ich war da eingeladen. Ein Gast.“
Alma lächelte. „Unsere Blicke haben sich getroffen. Ich suche schon so lange nach einem guten Menschen. Einem guten Menschen, der hilft. Ich habe in Ihren Augen gesehen, dass Sie es sind. Dass Sie helfen können. Dass Sie nicht sind wie die anderen. Dass Sie diese Mischpoke von innen heraus zerstören. Ich dachte, ich hätte Sie verloren. Die Kerle haben mir Prügel angedroht, da an der Kongresshalle. Wahrscheinlich hätten sie mich totgeschlagen, wenn es hart auf hart gekommen wäre. Ich musste mich beugen. Oh, wie ich das hasse. Ich werde mich nie daran gewöhnen können. An diese Spielregeln, die das Leben mir aufzwängen will. Aber am Hafen, da hat der Zufall uns zusammengeführt und da war die Zeit für meine Botschaft gekommen. Meine Botschaft, die ich schon so lange mit mir herumtrug.“
„Sie meinen den Zettel. Den Sie mir in die Jacke gesteckt haben.“
Sie nickte. Ich senkte meinen Blick, dann sah ich wieder zu ihr hin. „Das war ein Kongress. Der ist vorbei. Da gibt es nichts mehr aufzumischen oder gegen irgendwas zu rebellieren. Und ich habe auch mit diesen Leuten gar nichts mehr zu tun. Ich will auch gar nichts mehr mit ihnen zu tun haben.“
Almas Züge verhärteten sich, sie duzte mich plötzlich. „Alles hängt zusammen. Du wirst schon sehen. Alles. Aber deshalb habe ich dich nicht gefragt. Nicht um Xaver Henners Mörder dranzukriegen.“
„Warum denn?“
„Meine Tochter. Sie ist fort. Wie vom Erdboden verschluckt.“
Treffer. Ihre Tochter. Ein Reizwort. Meine toten Töchter. Und meine Mia, von der ich getrennt lebe. Ich hatte keine Chance. Sie hatte mich geködert.
„Wie alt ist Ihre Tochter?“
„Ines? Dreiundzwanzig.“
„Sie ist alt genug. Sie kann gehen, wohin sie will.“
„Sie wollte nicht gehen. Sie ist verschwunden.“
Wieder so ein Reizwort für mich. Verschwunden. Vor Jahren hatte ich in meiner Praxis einen Klienten gehabt, dessen Freundin, eine ehemalige Erotikdarstellerin und Popsängerin, verschwunden war. Der Fall hatte mich ziemlich mitgenommen, als ich versuchte, meinen Klienten aus seiner psychischen Krise zu befreien. Ich hatte um meine Existenz fürchten müssen und war nur knapp einer Katastrophe entgangen.
„Na gut. Dann erzählen Sie. Alles was Sie wissen.“
Alma war – im Gegensatz zu dem bisherigen Verlauf des Gesprächs – von nun an ziemlich geradlinig in ihren Aussagen. Sie beschrieb mir in allen Einzelheiten, was sich zugetragen hatte.
Ich fasse ihren Bericht hier zusammen, so wie er sich in meinem Gedächtnis festgesetzt hat: Ines hatte, nachdem die Modeboutique ihrer Mutter pleitegegangen war, ihr Kunstgeschichte-Studium in Hamburg aufgegeben und war mit Alma nach Mallorca gezogen. Sie hoffte, sie könnte als Fremdenführerin arbeiten, aber das klappte nicht so wie gewünscht. Die Mutter verlor ihre Arbeit in einem Tierheim. So standen beide auf der Straße und wohnten – bereits nunmehr seit über zwei Jahren –, in dieser Geisterstadt, getrieben von der Hoffnung, wieder eine Chance für ihr Leben zu bekommen. Ines hatte immer daran geglaubt, dass es diese Chance auf ein neues Leben für sie gab. Sie wollte wieder zurück aufs Festland. Sie hatte darauf gespart, aber immer wieder war ihr Vorsatz wie weggewischt gewesen, wenn es darum ging, Mallorca für immer zu verlassen und sich damit auch von ihrer Mutter zu trennen. Da fehlte der Wille, der Insel den Rücken zu kehren. Man habe sich immer wieder gestritten, erzählte Alma. Ines habe es angeekelt, dass ihre Mutter sich an die „alten Säcke“ heranschmeißen musste, um zu überleben; die Tochter hatte sich hin und wieder mit Gelegenheitsjobs über Wasser gehalten. Nach einem schlimmen Streit zwischen Mutter und Tochter habe Ines gesagt, sie werde woanders übernachten und sei danach nicht wieder in die Terrapolis zurückgekommen. Das war inzwischen ein halbes Jahr her. Alma hatte die Sache nicht auf sich beruhen lassen. Sie war bei der Polizei gewesen; sie hatte ihr letztes Geld zusammengekratzt und hatte Plakate drucken lassen und diese in allen größeren Orten aufgehängt. Niemand hatte Ines gesehen oder wusste, wo sie sich aufhielt.
Nachdem Alma mit ihrer Schilderung zu Ende gekommen war, brach die ganze Verzweiflung aus ihr heraus.
„Meine liebste Tochter“, sagte sie, „sie ist nicht gegangen. Ihr muss etwas zugestoßen sein. Und wenn sie tot ist, dann will ich es wissen, ich muss es erfahren. Meine kleine Ines.“
Sie weinte. – Ich musste meine Tränen unterdrücken.
„Was hat die Polizei denn gesagt?“, erkundigte ich mich.
„Nichts. Die korrupten Schweine. Es war hirnrissig, zu ihnen zu gehen. Wenn etwas Schlimmes mit Ines wäre, würde ich es nie erfahren.“
„Warum nicht?“
„Weil die hier unter einer Decke stecken. Alle wie sie da sind.“
Das war mir zu paranoid. „Die Polizei sucht nicht nach Ines?“
„Nein.“
„Und ich soll nach Ines suchen? Sie ist volljährig und kann tun und lassen was sie will, sie ist nicht unzurechnungsfähig oder braucht Hilfe, sie ist gesund. Warum soll man nach ihr suchen?“
Alma schaute auf. „Du bist ein guter Mensch. Ein Mensch, dem man vertrauen kann. Du wirst helfen. Es muss ihr etwas zugestoßen sein.“
„Aber, was macht Sie denn so sicher, dass ihr etwas zugestoßen sein könnte? Vielleicht meldet sie sich bald ...“
Alma schaute mich mitleidig an.
„Du bist so ahnungslos. Sie hätte sich gemeldet. Wir hätten uns schon lange wieder versöhnt.“
„Und wenn sie diesmal eine Chance gefunden hat, aufs Festland zurückzukehren? Wenn sie gar nicht mehr auf der Insel ist?“
Alma begann vor Aufregung zu zittern. „Sie ist auf der Insel. So glaub mir doch.“
Ich dachte einen Moment nach, dann war ich mir sicher, was ich tun wollte.
„Also gut“, sagte ich. „Ich werde sie suchen. Gibt es einen Hinweis?“
Alma erklärte mir, dass Ines vorgehabt hätte, zu einem gewissen Pepe zu gehen, der ihr angeblich einen Job als Kellnerin in Palma verschaffen wollte. Ob sie für Pepe gearbeitet habe, wisse sie nicht. Alma habe das Restaurant, wo dieser Pepe mal gearbeitet hätte, aufgesucht, aber er sei nicht mehr dort aufgetaucht.
Als ich mich von ihr verabschiedete, drückte Alma mich so fest, dass ich kaum mehr atmen konnte. Ich spürte, wie sehr ihr Dank mir guttat. Wenn auch sie verschwitzt war, ausgezehrt und am ganzen Leib zitterte, es war, als ob ich seit langer Zeit wieder aufrichtige Nähe und Verbundenheit zu spüren bekam. Dieses Gefühl ging mir durch Mark und Bein.
Auf dem Rückweg hatte Alma mir den Weg mit ihrer Taschenlampe geleuchtet (keine Wache war diesmal weit und breit zu sehen – ich hatte Alma die Chorizos überlassen und ihr all mein Geld gegeben, das ich bei mir trug), sie war bis zum Loch im Zaun mit mir gegangen, hatte mein Gesicht gestreichelt. Und ich hatte es geschehen lassen. War ich von Sinnen, dass ich mich mit einer Frau wie Alma abgab? Dass ich nun ein verknittertes Foto von Ines in meiner Hosentasche trug. Der hübschen jungen Frau, die ganz nach ihrer Mutter kam.
Peggy hatte besorgt geschaut, als ich in ihrer Bar auftauchte. Tapas waren lange aus. Man trank Bier und Tequila. Es war brechend voll, dennoch nahm sich Peggy Zeit. Sie sagte nur, ich solle tun, was ich für richtig halte. Ich habe noch zwei doppelte Whiskys getrunken, dann bin ich hinüber ins Hotel gegangen. Ich konnte lange nicht einschlafen.
Am nächsten Morgen durchforstete ich das Internet nach Meldungen. In der Tat gab es keine einzige Nachricht darüber, dass eine junge Frau namens Ines Atma (Alma hatte mir Ines’ entwerteten Studentenausweis gezeigt, Atma war tatsächlich ihr Nachname.) vermisst werde.
Ich machte mich auf nach Palma. Zur Polizeidienststelle. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, dem diensthabenden Ordnungshüter mit höflicher Korrektheit zu begegnen, aber als ich zwanzig Minuten an seinem Tresen verbrachte, ohne dass er mir überhaupt Beachtung schenkte, sondern stattdessen ein Formular studierte, als ob er es auswendig lernen müsste, war ich bereits erzürnt.
Ich hatte ihm auf Deutsch gesagt, dass dies kein Notfall sei, ich aber dringend Hilfe bräuchte. Er hatte die Hände gehoben und signalisiert, Ruhe zu bewahren. Dann hatte er das Formular irgendwann endlich zur Seite gelegt und war hinter seinem Sekretär hervorgekommen.
Er hatte sich mit einer Hand an der Theke festgehalten und mit der anderen Hand über die spiegelglatte Oberfläche des Tresens geputzt, als ob er dort vorhandenen Staub wegwischen würde. Dann hatte er aufgeschaut und mich provozierend angestarrt.
„Hablamos Espanol!“, sagte er.
„Ich nicht“, sagte ich.
Er grinste. Dann sprach er plötzlich deutsch mit mir.
„Wie sagt man, kleiner Scherzklecks, was?“
„Scherzkeks“, erwiderte ich. „Das bin ich keineswegs. Albert Wallmann ist mein Name. Ich bin wegen einer jungen Frau hier, um die ich mich sorge. Ines Atma. Sie ist seit sechs Monaten unauffindbar, wie mir ihre Mutter sagte.“
Der Polizist schaute plötzlich an mir vorbei, als ob ich Luft für ihn wäre. „Wie heißt sie?
„Ines Atma.“
„Moment.“ Er ging zurück zu seinem Schreibtisch, schaute auf seinen Computerbildschirm, tippte etwas auf der Tastatur ein. Nach einer vielleicht halben Minute des Suchens kam er zurück.
„Ist nicht gemeldet.“
„Was heißt das?“, sagte ich. „Wohnsitz oder Vermisstenanzeige?“
„Beides“, sagte der Polizist.
Mir reichte es, aber ich nahm mich zusammen. „Die Mutter ist bei Ihnen gewesen und hat sie als vermisst gemeldet. Aber wie ich höre, gibt es keine Vermisstenanzeige. Wie kommt das?“
Er räusperte sich. „Wissen Sie, Herr Wallmann, dies ist Mallorca. Vermisste sind vielleicht mal eine Weile vermisst, tauchen aber immer wieder auf. Man will auch mal ungestört sein. Sie verstehen ...“
„In diesem Falle macht sich die Mutter aber Sorgen, dass ihrer Tochter etwas zugestoßen sein könnte.“
Ich unterstrich die Dringlichkeit meines Anliegens und erzählte ihm in groben Zügen die Geschichte, die Alma mir erzählt hatte.
Er hörte aufmerksam zu, dann sagte er: „Es gibt keinen Anlass zur Vermisstenanzeige. Das werden auch meine Kollegen der Mutter gesagt haben. Wo wohnt sie überhaupt und warum haben Sie die Mutter nicht mitgebracht? Wie ich höre, stehen Sie in keiner Beziehung zu der unauffindbaren Frau.“
„Das ist doch unerheblich, ob ich ein persönliches Verhältnis zu dieser Ines habe. Sie ist seit sechs Monaten verschwunden!“
„Und? Herr Wallmann, ich kann nichts für Sie tun. Und jetzt entschuldigen Sie mich.“
Der Polizist trat vom Tresen zurück und widmete sich wieder seiner Arbeit.
Ich schluckte meinen Ärger herunter, ich vernichtete ihn mit meinem Blick. Grußlos verließ ich die Station.
Im Grunde hatte ich es mir ausrechnen können. Warum sollten Sie mir mehr Glauben schenken als Alma Atma?
Die Polizei konnte ich, wenn überhaupt, nur auf den Plan rufen, wenn ich nachwies, dass Ines’ Leben in Gefahr war. Und diesen Nachweis konnte ich leider nicht erbringen.
Ich fuhr weiter. Zum Palma Strand. Ich fragte mich durch, ging von Lokal zu Lokal, erklärte, dass ich einen gewissen Pepe suche, der meiner Nichte Ines einen Job versprochen hatte. Da Ines wieder bei ihm arbeiten wolle, aber im Moment verhindert sei, frage ich für sie an. Klang ein bisschen komisch, aber den meisten, denen ich begegnete, war das egal. Ich bekam nach langer Fragerei heraus, dass Pepe wohl jetzt im Restaurant „Laterne leuchtet“ auf der Strandpromenade arbeite. Der junge Mann, der mir das sagte, ein Barkeeper, war froh, dass ich mich wieder davonmachte und zuerst glaubte ich, er hätte mir eine Lüge aufgetischt, um mich loszuwerden. Aber dem war nicht so.
Pepe, ein breiter Spanier mit langem, lockigem Haar, war gerade dabei, die Tische vor dem Restaurant mit einem kleinen Handbesen abzufegen, als ich ihn auf Ines ansprach.
„Die war hier“, sagte er, „ich erinnere mich dunkel. Ist aber lange her.“
„Wie lange?“
„Kann ich nicht mehr sagen. Mehrere Monate auf jeden Fall. Sie hat gefragt, ich habe ihr gesagt, ich hätte vielleicht mal irgendwann was für sie. Ich habe ihr unser Kassensystem erklärt. Aber sie hat es einfach nicht kapiert. Die war mit den Nerven runter. Und da habe ich ihr gesagt, sie soll erst mal wieder fit werden und dann könne sie es vielleicht mal probieren.“
„Hat sie Drogen genommen?“, fragte ich.
„Nein, die war einfach fertig. Konnte sich nicht konzentrieren, behielt nichts, sorry, das kann ich nicht brauchen.“
Ich ließ Pepes Worte in mir nachklingen. Ich wollte spüren, ob er mich nicht anlog. Ich glaubte ihm. Ich verabschiedete mich höflich und ging. Kam aber nochmal zu ihm zurück. „Eine Idee, wo sie was finden könnte?“, fragte ich. Pepe schaute mich ärgerlich an, als stehle ich ihm seine Zeit. „Go-Go vielleicht. Denk doch mal selber nach.“
Das reichte. Ich wendete mich wortlos um, angesichts der einfühlsamen Art, die er mir angedeihen ließ.
Cora, so hieß die einzige Tänzerin, die mit dem Namen Ines etwas anfangen konnte. Ich hatte alle Etablissements abgeklappert, war auf Widerstände gestoßen, auf Abwehr, wahrscheinlich auch auf Verleugnung. Aber diese Cora, deren Telefonnummer ich von einem deutschen Wirt bekommen hatte, machte mir jedoch wenig Hoffnung. An der Stange oder auf dem Würfel sei die Ines eine Niete gewesen. Sie sei dann verschwunden, aber so vor ungefähr einem halben Jahr habe sie Ines zuletzt in einem Supermarkt angetroffen. Dort hätte sie um Essen gebettelt. Sie nannte mir den Namen des Ladens, es handelte sich um einen der größten Supermärkte von Palma, wie ich später entdecken durfte, und meinte, vielleicht käme Ines ja an diesen Ort zurück oder habe ganz in der Nähe Unterschlupf gefunden.
Ich bin dorthin kutschiert und habe den Kassiererinnen das Bild von Ines gezeigt. Sie konnten sich tatsächlich an Ines erinnern, hatten ihr auch regelmäßig Brot, Obst oder Gemüse zugesteckt, das nicht mehr verkäuflich war. Aber wo sie hauste, konnte mir niemand sagen. Einen kleinen Hinweis hatten sie dennoch für mich. Eine der Kassiererinnen, ich glaube, sie hieß Gabriela, zeigte mir an der Informationstafel einen Aushang für ein Jobangebot. Promotion für Discos. Sie behauptete gesehen zu haben, wie Ines sich die Rufnummer notierte. Sie habe sich von ihr einen Kugelschreiber dafür ausgeliehen.
Ich holte mir aus der Kühltheke ein kaltes Bier, dankte, speicherte mir die Nummer auf dem Aushang in mein Handy ein, schaute mir die Büroadresse und den Namen der Agentur an, die dort angegeben war. Roccos Ad. Ich zahlte und ging.
Roccos Ad war ein viermal vier Meter großes Werbebüro in einer Einkaufsmeile von Palma. Und einen Rocco gab es gar nicht. Die Agentur war eine One-Man-Show und der Mann, der die Agentur verkörperte, hieß Marius und war afrikanischer Herkunft. Marius machte auf cool. Dreadlocks, Ray Ban, weites Hemd, Shorts, Sandalen. Goldkette, goldene Ringe, goldene Armbanduhr. Dass er mit mir ins Gespräch kam und offen mit mir redete, mag daran gelegen haben, dass ich mit meinem Bart und den langen Haaren eher wie ein verkaterter Grufti aussah, denn als Polizist oder Privatdetektiv durchging.
Marius erzählte mir, als ich ihm klarmachte, wie dringlich es sei, dass Ines mal probeweise Flyer für ihn verteilt hätte. Sie habe dann sogar in seinem Appartement ein paar Nächte verbracht. Dann hätte man sich gestritten und sie sei einfach abgehauen.
Ich war plötzlich hellwach.
„Worum ging es bei dem Streit?“
„Ich hab ihr gesagt, sie muss auch was dafür tun, um bei mir zu wohnen. Nur die Laus im Pelz ist nicht. Und den Job mit den Flyern, da war sie eine Obernull. Hab sie erwischt, wie sie Flyer weggeworfen hat.“
„Du hattest was mit ihr.“
„Sorry, die war ganz nett. Mehr nicht.“
„Ganz nett? Du wolltest was von ihr und sie hat dich nicht rangelassen. Und dann gab es Ärger.“
„Nix da“, sagte Marius. „Ich habe ihr gesagt, sie soll sich einen Job suchen und kann noch ein paar Tage bleiben. Aber da kam nichts. Und sie hat mir auf der Tasche gelegen.“
„Warum hast du sie nicht sofort vor die Tür gesetzt?“
„Das mach ich nicht. So ein Arsch bin ich nicht.“
„Erzähl keinen Mist. Du hast ihr was eingeflößt und sie an die Marrokaner verscherbelt.“
Marius lachte laut auf.
„Hey, cool Mann, cool. Ich bin sauber, Alter. Aber was bist du denn für ein Spacko? Kommst hier rein, machst auf Sorgenpapi und willst mir dann auf den Sack gehen? Da kann ich gar nicht drauf.“
Mir platzte der Kragen.
„Jetzt pass mal auf Freundchen“, sagte ich. Ich kann auch mal ganz schnell die Bullen rufen und die drehen dir die Bude auf links. Und wenn die was bei dir finden, dann hast du ein ganz großes Problem. Ein Mega-Giga-Problem, kapiert?“
Marius’ Finger der linken Hand trommelten auf der Tischplatte. Mit der rechten Hand griff er in die Hosentasche, zog ein Springmesser hervor. Es klappte auf. Marius begann sich die Fingernägel mit der Klingenspitze zu säubern und schaute mich abweisend an. „Ich lasse mir nicht von abgewrackten Mistkerlen so einen Scheiß erzählen. Du schwingst hier deinen Arsch jetzt raus und damit ist Sendepause.“
Ich wusste, er bluffte nur, aber ich wollte es nicht darauf ankommen lassen. Ich verließ das Büro. Aber ich begab mich in Lauerstellung. Drei Stunden hatte ich vor seinem Büro gewartet, mich in umliegenden Eingängen verborgen, ehe er gegen achtzehn Uhr Feierabend machte und sein Büro abschloss. Es hätte für mich schwierig werden können ihn zu verfolgen. Falls er motorisiert war, hätte ich auf die Schnelle ein Taxi nehmen müssen. Aber er ging zu Fuß.
Ich postierte mich gegenüber dem zweistöckigen Wohnhaus, in das er verschwunden war, beobachtete es. Ich bemerkte, als Marius ein Fenster öffnete, dass er parterre wohnte. Er blieb höchstens eine halbe Stunde. In frischen Kleidern verließ er die Wohnung wieder und tänzelte, die Kopfhörer des mp3-player auf den Ohren, leicht mit den Hüften schwingend, die Straße hinunter. Ich wartete ab, bis er um die nächste Hausecke gebogen war, dann schaute ich mir sein Wohnhaus näher an. Dass es so leicht gewesen wäre, beim ihm einzusteigen, hatte ich allerdings nicht erwartet. Ich bin auf den Hinterhof gegangen, habe die Terrasse überprüft und bin über die Terrassentür eingestiegen. Er hatte sie einen Spalt breit offengelassen und der Knauf war defekt, so dass man die Tür mühelos aufbekommen konnte.
Marius war ein Blender. Er nächtigte auf einer Isomatte im Schlafsack. All sein Zeugs stand oder lag verstreut im Zimmer – dem einzig zur Verfügung stehenden Wohnraum – umher. Wahrscheinlich war diese Ordnung symptomatisch dafür, wie er sein Leben führte. Ich brauchte eine Zeitlang, um alles genau unter die Lupe zu nehmen, aber in diesem Durcheinander entdeckte ich tatsächlich etwas, das mit Ines zu tun haben konnte. Ein grünes T-Shirt, eine lilafarbene Shorts und einen leicht verdreckten rosafarbenen Rucksack. Ich holte nochmals das Foto hervor, das Alma mir gegeben hatte. Weder Shirt noch Shorts stimmten mit der auf dem Bild von ihr getragenen Kleidung überein. Was mich aber stutzig machte, waren die Initialen, die mit Kugelschreiber auf einen Schultergurt des Rucksacks geschrieben worden waren:
I. A.
Ermutigt öffnete ich den Rucksack, schaute hinein. Ein Fettstift für die Lippen, ein Deo-Roller. Ein roter Stringtanga. Ein weiterer Stringtanga. In orange. Wahrscheinlich Wechselwäsche. Eine Zeitungsdoppelseite. Ich faltete sie auseinander. Das aufgedruckte Datum dieser Ausgabe lag nahezu sechs Monate zurück. Ich überflog die Zeilen; es handelte sich um einen Anzeigenteil. Wenn dieser Rucksack Ines Atma gehörte, wovon wohl auszugehen war, musste sie sich nach dem Streit mit Marius vermutlich nach weiteren Jobs umgesehen und ihn möglicherweise überstürzt verlassen haben. (Vielleicht hatte Marius tatsächlich die Wahrheit gesagt und ich hatte ihm mit meiner Unterstellung unrecht getan.) Ich schaute mir die Spalten an. Es waren einige Durchstreichungen dabei, aber eine Anzeige, in deutscher Sprache abgefasst, war mit Kugelschreiber eingekreist worden:
Versuchspersonen für medizinische Testreihe gesucht. Honorar 4.000 Euro.
Darunter stand kein Name. Aber eine Rufnummer.
Dieser Fund traf mich wie ein Hammerschlag. Ines Atma. Eine Versuchsperson für Geld? Als ich den Schock überstanden hatte, steckte ich die Zeitungsseite in meine Jackettasche. Ich war so aufgeregt, diese Information zu haben, aber gleichzeitig so sehr von Angst erfüllt, bei meiner Recherche erwischt zu werden, dass ich den Rucksack einfach liegen ließ, zur Terrassentür zurückstürmte, sie wieder verschloss, und mich im Schnellschritt aus dem Hinterhof davonstahl. Einige Straßenzüge von Marius’ Wohnung entfernt fühlte ich mich zwar etwas wohler, war aber wütend über mich selbst. Hätte ich Alma Atma diesen Rucksack vorgelegt, so wäre in Erfahrung zu bringen gewesen, ob er tatsächlich ihrer Tochter gehört hatte. Nun blieb es eine Vermutung. Es sei denn, ich würde nochmals zurückgehen und den Rucksack holen. Aber dafür war ich schlichtweg zu feige.
Ich habe Alma dennoch versucht, mit dieser Sache zu behelligen. Zumindest wollte ich es. Ich bin zur Terrapolis, bin zu diesem Loch im Maschendrahtzaun. Aber dort war keins mehr. Man hatte es zwischenzeitlich geflickt. Dieser weißummantelte Draht, der die grüne geflochtene Metallschnur provisorisch aber sorgsam zusammenhielt, allein sein Anblick versetzte mich in Aufruhr. Hatte man Alma Atma, die hier stillschweigend Unterschlupf gefunden hatte, aufgegriffen und in ein Obdachlosenheim verbracht? Oder ins Gefängnis? Ich ging zum Pförtnerhäuschen, nahm allen Mut zusammen und fragte bei dem Sicherheitsmann – es war der, der sich anscheinend immer um die Funkgeräte kümmerte –, nach Tijuana und seinem Frauchen. Er schüttelte den Kopf, sagte kein Wort und bedeutete mir mit einer schlagenden Handbewegung zu verschwinden.
Ich war frustriert. Zu gern hätte ich Alma eine Nachricht überbracht. Vielleicht würde sich schnell klären, wo Ines sich aufhielt, es war ihr gar nichts geschehen, sie hatte sich einem Medikamententest unterzogen, der vielleicht über sechs Monate dauerte, um dieses für sie sicher üppige Honorar zu kassieren und damit wieder aufs Festland umzusiedeln. Wieder eine Chance zu haben. Nur hatte sie ihrer Mutter davon nichts erzählt, weil sie sich gestritten hatten, weil es sie mit Scham erfüllen würde, wenn sie ihre Mutter mit dem Vorhaben konfrontierte. Oder sie hatte vielleicht Angst gehabt, dass ihre ziemlich paranoid wirkende Mutter dagegen gewesen wäre, auf diese Weise zu Geld zu kommen.
Ich habe wirklich keine Kosten und Mühen gescheut. Ich bin zu den Obdachlosenheimen gefahren, die es auf Mallorca gab und habe nach Alma Atma gefragt. Sie wurde nirgends eingeliefert und niemand kannte sie. Ich war verzweifelt. Ich hoffte, dass ihr nichts zugestoßen war. Ich betete für sie an diesem Abend in meinem Hotel. Und ich hasste diese Welt, in der sie sich bewegte. Die sie zwang mit Erniedrigungen ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Wenn ich Ines gefunden hatte, so wusste ich, würde ich nach Alma Atma suchen. Ich würde nicht aufhören zu suchen, bis ich auch sie aufgetan hatte. Ich würde ihr eine Therapie anbieten. Selbstverständlich kostenlos. Und ich würde Mutter und Tochter wieder zusammenführen. Das war meine Aufgabe. Vielleicht eine von Gott gegebene.