Читать книгу Traum aus Eis - Der Kalte Krieg 3 - Dirk van den Boom, Emmanuel Henné - Страница 11

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»Ich … muss das nachprüfen!«

Die Frau wirkte eingeschüchtert und Darius hasste das auf so vielen Ebenen, er vermochte es gar nicht aufzuzählen. Ein Prinz, das war einschüchternd. Er verstand das, rational, weil Macht immer Angst auslöste bei jenen, die an diese gebunden waren, durch Eid, Gewohnheit oder die normative Kraft des Faktischen. Die Macht der imperialen Familie war von einer Art, die darüber hinausging, sie verbot den Gedanken, dass es etwas geben könnte, das ebenbürtig war. Wenn es aber nichts gab, was dem gleichgestellt war, was Darius repräsentierte, dann war es ihm auch nicht möglich, menschliche Beziehungen zu haben, die nicht auf der einer Seite mit Angst zu tun hatten. Auch und gerade nicht mit Frauen.

Irgendwann hätte sein Vater ihm eine passende Adlige ausgesucht, eine treue Dienerin, Mutter seiner Kinder, Repräsentantin von Status und Ausdruck seines Prestiges. Wahrscheinlich auch einer der Gründe, warum er davongelaufen war, und nicht einmal der geringste.

Das wurde ihm besonders in der Gegenwart hübscher Frauen bewusst, jenen, die er attraktiv fand. Wie dieser hier, die seinen direkten Funkruf entgegengenommen hatte, als Spezialistin in der Systemleitstelle von Terra, seiner Heimat. Egal was in seinem Leben geschehen würde, er konnte sie niemals auf völlig harmlose Weise zu einem Drink einladen. Sie würde zusagen, selbstverständlich. Aber eben nur aus Angst oder, im schlechtesten aller Fälle, aus Gier.

Auf der Canopus Traveller hatte er diese Probleme nicht gehabt. Und deswegen war er froh, dass Sol ihn begleitete. Er erinnerte ihn daran, was es bedeutete, normale menschliche Beziehungen zu haben. Oder an die Reste davon, was er noch so zusammenraffen und festhalten konnte.

Er lächelte sie an.

»Tun Sie das. Ich warte.«

Das kleine Raumboot war keine großartige physische Präsenz in einem System, in dem es vor großen und mächtigen Raumschiffen wimmelte. Darius betrachtete den Ortungsschirm, übersät von blauen Blips, die die Transpondersignale wiedergaben. Die Flotte war aktiv, zumindest insofern, als ihre Schiffe wie aufgeschreckte Hühner durch das System eilten und damit Sicherheit simulierten. Darius wusste, welch Illusion das war, verstand aber auch den Sinn darin, sie aufrechtzuerhalten. Es war besser, sinnlos etwas zu tun, als sich den Vorwurf gefallen lassen zu müssen, untätig zu bleiben.

Dann beugte er sich nach vorne.

»Sieh an«, murmelte er.

»Was ist?«, fragte Sol, für den das meiste hier nur ein Buch mit sieben Siegeln darstellte. Er tat sich an der Bordbar gütlich, die Aume in dieses Raumboot gequetscht hatte, »weil es so in den Spezifikationen steht«, wie sie sagte. Darius hatte dem nicht widersprochen. Irgendwo in der Galaxis gab es gewiss so ein Raumboot mit einer Bar, wenn man lange genug danach suchte. Und Sol war sehr zufrieden mit diesem aufmerksamen Detail gewesen.

»Ich habe noch sekundären Zugang zum Flottennetz, wenn der Computer mir hilft. Etwas von Aumes Genie muss sich auf ihn übertragen haben. Wie es aussieht, ist man überall sehr aufgeregt. Oh.«

»Was?«

»Mattilaa ist tot.«

»Wer ist das?«

Wie erklärte man einen Juveniten, wie erklärte man darüber hinaus diesen speziellen?

»Jemand, der mich nicht sehr geschätzt hat, der aber auf seine Art sehr berechenbar war. Ein Juvenit, extrem langlebig und eine wichtige Person bei Hof. Er war trotz der Behandlung am Ende seiner Tage angekommen und ist nun den Weg alles Irdischen gegangen. Schade!«

Sol nahm einen Schluck aus einem Glas, eine bernsteinfarbene Flüssigkeit, die im Licht der Schiffskontrollen schimmerte.

»Warum? Er mochte dich nicht, hast du gesagt.«

»Er wäre aber ehrlich mit mir gewesen. Das war er immer. Ich hätte mich gerne mit ihm unterhalten, bevor ich meinen Vater treffe.«

»Wozu?«

»Damit ich erfahre, was hier passiert, ehe ich bei Hofe ankomme und in das Wespennest trete.«

»Du hast Angst, dass sie dich gleich festnehmen?«

»Nein«, erwiderte Darius nach kurzem Nachdenken. »Das werden sie nicht tun. Dafür hätte ich schon die Hand gegen meinen Vater erheben müssen, was ich niemals getan habe. Nein. Aber der imperiale Hof ist ein eigener Mikrokosmos, der Realität und Wahrheit anders interpretiert, als normale Menschen das tun. Dort werden Dinge entweder gar nicht oder verzerrt wahrgenommen, je nachdem, wie der Kaiser es gerne hätte. Es fällt einem schwer, sich diesem Mikrokosmos zu entziehen. Es ist ein wenig wie im Taschenuniversum der Kath, in dem diese sich eigene Gesetze gegeben haben. Der Unterschied ist, dass der imperiale Hof von sich behauptet, mit der Realität zu interagieren – und sie sogar zu bestimmen. Ich würde gerne vorher erfahren, was die Leute denken, die sich in keiner so exaltierten, aber nichtsdestotrotz kompetent informierten Position befinden. Der Hofzeremonienmeister wäre jemand gewesen, der sich in beiden Welten auskennt. Du entsinnst dich unseres Freundes Horton Vigil? Er dürfte jetzt auch schon hier im System angekommen sein und seine eigenen Pläne verfolgen.«

»Was ist mit ihm?«

»Mattilaa war sein Chef. Das erschwert die ganze Sache ein wenig. Ich hoffe, Vigil kann trotzdem problemlos operieren.«

»Du machst dir Sorgen?«

»Er ist auf unserer Seite, irgendwie. Und wenn er herausfindet, wer für das Signal verantwortlich war, woher es kam, dann haben wir eine Idee davon, wer hier für Dendh arbeitet.«

Sol nickte und trank.

Es verging eine gute Stunde, ehe sich die Leitstelle wieder meldete, diesmal nicht in Gestalt der gut aussehenden Frau, sondern in der eines livrierten Beamten, männlich, alt, streng, die Personifizierung des Hofes, und ein Gesicht, auswechselbar mit allen anderen, eines, das Darius kannte, obgleich er es nie zuvor erblickt hatte. Eine Hofschranze, vorgeschickt und vorgeschoben, damit klar war, dass Darius zwar ein Recht auf Zugang zu seiner Familie hatte, er aber andererseits kein allzu herzliches Willkommen zu erwarten habe.

»Mein Prinz«, sagte der Beamte förmlich und ohne Herzlichkeit, »willkommen zurück! Ich bin Edmund, Gehilfe des Zeremonienmeisters und angewiesen, Ihre Rückkehr zu … begleiten.«

»Edmund«, grüßte Darius den Mann mit einem Kopfnicken. Er hatte nicht die Absicht, ihn zu beleidigen oder anderweitig in Verlegenheit zu bringen, das wäre kleinlich und kindisch gewesen. »Ich bedanke mich für den Gruß. Wann darf ich meinen Vater treffen?«

»Ihre Majestät ist sehr beschäftigt. Die Situation ist ernst.«

»Deswegen möchte ich ja mit ihm reden. Ich verfüge über wichtige Informationen.«

»Ah ja.« Edmund ließ Darius durch diese beiden Laute wissen, dass er die Dringlichkeit dieser Erkenntnisse nicht für gegeben hielt. »Mein Prinz, Ihr wart lange fort und es herrschte große Ungewissheit über Euren Verbleib. Die Art Eurer Rückkehr, Eure Verwicklung in gewisse Vorkommnisse im Canopus-System … all dies hat Fragen aufgeworfen. Ich wurde gebeten, Euch vor einer Audienz dem Chef des Militärgeheimdienstes vorzustellen. Direktor Kalebonian freut sich bereits darauf, Sie näher kennenzulernen.«

Kalebonian. Der Name tauchte immer wieder auf, und meist in keinem guten Licht. Darius wollte keine Konfrontation, er wollte ihn gar nicht treffen, er hielt ihn für eine Gefahr, möglicherweise für einen Verräter. Horton Vigil würde derzeit damit befasst sein, sich der Dinge zu vergewissern. Kalebonian war jemand, der über große Macht verfügte. Er würde Darius nicht mit Samthandschuhen anfassen, und dies mit voller Billigung seines Vaters.

»Ich verstehe«, brachte Darius hervor, wollte Edmund nicht die Genugtuung geben, einen kaiserlichen Prinzen eingeschüchtert zu haben, obgleich exakt das gerade passiert war. Darius verfluchte seine Angst und seine Schwäche. Aber es war ja nun nicht so, als käme das völlig unerwartet. »Ich verstehe und akzeptiere das natürlich«, sagte er dann, neigte den Kopf. »Wohin soll ich mich begeben? Zum Palast, nehme ich an.«

»Nein, der Direktor wünscht Euch im Hauptquartier des Militärgeheimdienstes zu treffen.«

»Eine Anordnung meines Vaters?«

»Nein, ein Wunsch des Direktors.«

Darius zögerte unmerklich. Wusste sein Vater überhaupt, dass er hier war? Oder hatte Kalebonian eingegriffen und gleich den Kontakt an sich gerissen? Darius kam zu einem schnellen Entschluss.

»Dann lehne ich ab. Ich bin ein Prinz des Imperiums. Der Palast ist auch mein Stammsitz. Ich kehre nach einer langen und anstrengenden Zeit in die Heimat zurück. Ich werde meine Gemächer aufsuchen und dort dem Direktor gerne eine Audienz gewähren. Aber wir sollten bei all den Fragen, die meine Abwesenheit aufgeworfen hat, doch nicht vergessen, wer hier zu den Herren gehört und wer zu denen, die dienen. Oder, Edmund, wollen wir das?«

Oh ja. Darius erschauerte förmlich vor sich selbst. So zu reden, das lernte man von Kindesbeinen an, und obgleich er es selten tat, kam es ihm leicht und selbstverständlich von den Lippen, ein Hinweis darauf, dass auch in ihm, dem Renegaten, ganz tief drin ein kleines Arschloch steckte.

Edmund rang mit sich. Seine Konditionierung, sein Auftrag, seine Indignation, sein Respekt, sein Gehorsam, alles widerstreitende Emotionen, die er nicht einmal richtig zeigen konnte, wollte er nicht sein Gesicht verlieren.

»Bitte wartet auf der aktuellen Position und beendet Euren Anflug, Hoheit. Es ist … eine schwierige Situation. Ich muss Rücksprache halten.«

»Mit wem genau? Meinem Vater? Dem Nachfolger Mattilaas? Wer ist das überhaupt?«

»Ich melde mich bald wieder. Bitte behaltet die Position bei. Alle sind sehr nervös, mein Prinz. Wir wollen nicht … wir müssen vorsichtig sein. Bitte habt Verständnis.«

Edmunds Gesicht verschwand vom Schirm. Darius drehte den Kopf langsam zu Sol, der ihn fragend ansah und sich dann vorsichtig äußerte: »Das ist nicht so gelaufen wie erwartet, oder?«

Er hatte sein Glas geleert und die Flasche schon wieder in der Hand.

»Im Grunde schon«, antwortete Darius gedehnt. »Dass mich mein Vater nicht mit offenen Armen empfangen würde, habe ich erwartet. Dass jemand wie der gute Edmund nervös sein würde, weil er nur der Überbringer schlechter Nachrichten ist, von denen er selbst nicht notwendigerweise viel hält – geschenkt. Aber er war am Ende zu unsicher. Das verursacht ein gewisses Unwohlsein bei mir. Ein starkes Unwohlsein.« Er wandte sich dem einfach gehaltenen Kontrollpult zu, über das er das Boot steuerte. Im Grunde konnte er dort nicht mehr tun, als dem Autopiloten Befehle erteilen. Das Schiff flog sich teilautonom und einen echten Piloten benötigte es nicht. Es war so, wie Aume nun einmal Raumfahrzeuge konstruierte: die Besatzung als Passagiere, aber nicht als Akteure. Es sagte einiges darüber aus, wie die Schiffsintelligenz ihre neuen Freunde betrachtete. Darius war froh, die Entscheidung getroffen zu haben …

»Kip!«

Sol nannte ihn manchmal noch so. Im Überschwang der Gefühle.

Moment!

Welcher Gefühle?

Darius schaute auf die Kartenprojektion, die den Verkehr im System in Echtzeit abbildete, ein buntes Gewimmel sich bewegender Punkte, einer davon sie selbst. Er wusste erst nicht, was Sol beobachtet hatte, doch dann sah er es auch.

Er pfiff. »Na so was!«

»Was bedeutet das?«

Darius berührte einige der sich langsam bewegenden Punkte. »Das hier. Das hier. Das hier. Leichte Kreuzer der Systemflotte.« Sein Finger tanzte durch die Projektion. »Das hier. Das hier. Korvetten der Systemflotte.« Wieder ein Sprung, diesmal von einem anderen Winkel. »Das hier. Drei Polizeiboote in Formation. Du hast es sofort gesehen. Meinen Respekt, alter Freund!«

»Sie kommen von allen Seiten.«

Darius lächelte freudlos. »Von allen Seiten wäre übertrieben. Das wäre eine Kugel um uns herum. Aber von genug Vektoren, dass uns eine Flucht erschwert wird. Und sie schleichen sich an. Hättest du nicht …«

»Ich bin misstrauisch.«

Darius nahm die Aussage als das hin, was es war: sanfte Kritik an seiner eigenen Unaufmerksamkeit. Er war dankbar für Sols Misstrauen. Es rettete ihnen jetzt möglicherweise den Hals.

»Die wollen nicht mit dir reden, Darius. Die wollen dich fangen.«

Darius nickte. Etwas in seinem Magen fühlte sich jetzt sehr kalt an, ein Klumpen plötzlicher Enttäuschung. Ja, er hatte sich unbewusst wohl Illusionen gemacht. Kein herzliches Willkommen, aber immerhin … ein Willkommen. Das hätte er sich gewünscht. Stattdessen wurde eine kleine Flotte in Gang gesetzt, um seiner habhaft zu werden. Anders ließen sich diese Manöver nicht erklären.

Ernüchternd. Schmerzhaft ernüchternd. Aber warum die Überraschung? Es passte zu seinem Vater. Es passte zu jemandem wie Kalebonian. Er hatte sich einer Illusion hingegeben, der Vorstellung, dass die Umstände ihre Haltung zu ihm geändert hätten. Ein sträflicher Fehler, und jetzt wurde er mit den Konsequenzen konfrontiert.

»Können wir noch weg?«, fragte Sol. Es gab keine Diskussion über das Ob. Es war unabsehbar, was mit Darius passieren würde – und noch viel riskanter das Schicksal Sols, der kein kaiserliches Blut für sich beanspruchen konnte.

Darius betrachtete die Situation, nickte dann erleichtert.

»Sie sind nahe dran, aber noch nicht zu nahe. Schnallen wir uns an. Ich kenne Aumes Technologie nicht gut genug, um zu wissen, was jetzt passieren wird. Und jetzt wollen wir mal sehen, ob wir diesem Autopiloten ein paar unorthodoxe Manöver beibringen können – oder ob er sie für zu gefährlich hält.«

Sol schwieg, setzte sich, sah Darius bei seinem Tun zu. Dieser kommunizierte mit dem Autopiloten und dieser schien die Dringlichkeit der Situation einzusehen. Jedenfalls war er bereit, die mangelnde Orthodoxie in der Navigation des Prinzen klaglos umzusetzen.

»Das Boot ist gut«, murmelte Darius. »Zumindest ist es schnell.«

»Wenn sie das Feuer eröffnen …« Sol ließ den Rest des Satzes in der Luft hängen. Der Prinz antwortete nicht. Was dann geschah, war unabsehbar.

»Wohin fliegen wir? Zurück zu Aume?«

»Sie ist schon weit weg. Nein, wir haben immer noch eine Aufgabe, Sol. Ich zumindest.« Er sah für einen Moment den Freund fragend an. »Ich kann dich absetzen. Keine Vorwürfe. Keine Kritik, nichts dergleichen. Dies ist nicht dein Kampf und es ist vor allem nicht deine Familie.«

Sol sah ihn kopfschüttelnd an. »Nicht meine Familie, klar. Aber mein Kampf. Ich glaube nicht, dass die Kalten einen großen Bogen um mich machen werden, oder?«

»Davon ist nicht auszugehen. Aber bis alles zusammenbricht, könntest du noch ein schönes Leben haben. Spaß.«

Sol verzog sein Gesicht. »Spaß wird überbewertet.«

Darius lachte auf. Er hatte sich diese Art von Antwort gewünscht.

»Dann heißt es wohl: mitgefangen, mitgehangen.«

»Wenn wir den Teil mit dem Hängen noch etwas hinauszögern könnten, würde mich das sehr erfreuen.«

Darius grinste, ließ ostentativ eine Hand auf eine Sensorfläche fallen, und etwas wurde ausgelöst. Das Boot wurde wach, so richtig wach, ein starkes, anschwellendes Summen erfüllte den Innenraum und die Sterne auf dem Echtzeitschirm begannen zu wandern.

»Achtung! Hier spricht die Leitstelle! Sie haben keine Erlaub…«

Darius schaltete ab. Es kümmerte ihn nicht mehr.

Die dreidimensionale Darstellung fesselte nun die Aufmerksamkeit. Das Boot beschleunigte, fast senkrecht zur Ekliptik, und die Reaktionen kamen unmittelbar und mannigfach.

»Kursänderungen, Kursänderungen … ganz viele, und einige unerwartet«, kommentierte Darius. »Der da macht mir Sorgen«, sagte er mit Spannung in der Stimme. »Ein Monitor. Das sind gleichermaßen schnelle wie gut bewaffnete Schiffe, die von Leuten bemannt sind …«

»Wie dieser Heinrichs.«

»Genau. Du hast es erfasst. Und nicht alle mit dem gleichen Hang zur Illoyalität wie Heinrichs. Die Polizeiboote haben einen starken Antritt, halten aber keine stundenlangen Verfolgungsjagden durch, ihnen fehlt es an Stützmasse. Alle anderen sind gefährlich, wenn wir nicht rechtzeitig zum Hypersprung kommen.«

Er warf einen Blick auf die Anzeigen. »Das Boot meint, es braucht eine Stunde. Vertrauensselig, wie wir waren, haben wir alles heruntergefahren. Wieder so eine Fehlkalkulation von meiner Seite.«

»Darius.«

»Ja?«

»Hör auf. Es nützt nichts, wenn du dir dauernd selbst mit dem Hammer auf den Kopf schlägst. Es tut dir weh. Es tut mir weh. Und entgegen dem Sprichwort fördert es nicht das Denkvermögen.«

Sols Glas klirrte. Er beruhigte sich mit einem weiteren Schluck.

Darius nickte, schwieg. Das Boot glitt durch das All, die bunten Punkte im Kartentank zogen in ihre Richtung, es war ein schönes Spiel an Farben und Linien, als die Bordsteuerung noch Kursvektoren zu extrapolieren begann und mögliche Abfangpunkte definierte. Es waren zu viele, wie Darius fand, und er begann, den Kartentank für eine Simulation zu nutzen, variierte die Flugbahn des Bootes, die Geschwindigkeit, probierte Beschleunigungsphasen aus, die aus den beiden Passagieren blutige Matschflecken machen würden, sollten die Andruckabsorber und Schwerkraftgeneratoren ausfallen. Es waren Planspiele, die mit großer Geschwindigkeit abliefen und denen Sol, das war ihm anzusehen, irgendwann nicht mehr folgen konnte. Doch dann war er da, der ideale Fluchtkurs.

»Das ist der ideale Fluchtkurs!«, verkündete Darius laut und wies auf den Tank.

»Der ist scheiße!«, kommentierte Sol. »Sind das nicht zwei Beinahe-Abfangpunkte und einer, der bestimmt klappt?«

»Er ist scheiße«, bestätigte Darius, »gleichzeitig ist er ideal, denn alle anderen Optionen führen uns in noch größere Katastrophen.«

»Ich kann mir das kaum vorstellen.«

»Probier es aus.«

Sol hob abwehrend die Hände. »Wir überleben ja schon diese Version nicht.«

»Etwas mehr Vertrauen«, bat Darius. »Sie wollen mich erst einmal lebend, zumindest einige. Ich werde sie in diesem Ansinnen gleich noch bestärken. Und sie wissen nicht, wozu dieses kleine Boot technisch in der Lage ist. Wir werden sie überraschen.«

Sol murmelte etwas und Darius war weise genug, nicht nach einer Wiederholung zu fragen. Er hatte ohnehin etwas anderes zu tun: Er aktivierte das Funkgerät für einen systemweiten, unverschlüsselten und mit großem Nachdruck abzusendenden Spruch. Sol würde gleich sehen, was sein Freund vorhatte, und er würde verstehen, dass ihre Chancen besser waren als gedacht.

Verrückt war es trotzdem, mindestens verzweifelt.

Darius räusperte sich.

»Hier spricht Darius, Prinz des Imperiums. Ich wende mich an alle patriotischen Bürgerinnen und Bürger, an alle, denen das Wohl unserer Gemeinschaft am Herzen liegt, und an alle, die die gleichen Sorgen umtreiben wie mich. Ich rufe die Kommandanten und Offiziere, die Mannschaften der Schiffe, die nun Jagd auf mich machen. Ich fordere Sie alle auf, Ihre Befehle zu bedenken, nicht an die Lügen zu glauben, die man Ihnen erzählte, und sich eigene Gedanken darüber zu machen, ob Ihre Absichten ehrenwert und Ihre Taten gerechtfertigt sind. Ich bin kein Verräter. Ich bin nicht dem Wahnsinn verfallen. Ich bin heimgekehrt, um meinem Vater zur Seite zu stehen und mit ihm all den Tapferen, die unsere Welten beschützen. Ich war im Serail. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, was sich dort abspielt. Ich sehe die unmittelbare, umfassende, zerstörerische und scheinbar unaufhaltsame Gefahr durch die Kalten und ich will mich ihr entgegenstellen. Dieser Krieg kann nicht gewonnen werden, wenn wir uneinig sind. Dieser Krieg kann nicht gewonnen werden, wenn wir unentschlossen sind. Er kann vor allem nicht gewonnen werden, wenn wir das Symbol der Einheit unseres Reiches zerstören, die Einigkeit, die Unantastbarkeit und die Heiligkeit der kaiserlichen Familie. Ich bin ein Teil dieser Familie. Ich möchte allen ein Vorbild sein, die den Kampf aufnehmen wollen, die nicht verzweifeln und nicht wanken, die dem Schrecken entgegentreten und mit hocherhobenem Haupt der kalten Bedrohung begegnen. Ich stehe auf eurer Seite. Ich helfe. Ich weiß Dinge, habe Schlüsse gezogen und bin bereit, meinen Beitrag zur Rettung des Reiches zu leisten. Mich mundtot zu machen, mich zu beseitigen und aus der Erinnerung zu löschen, hilft niemandem. Und es führt dazu, dass gute Offiziere durch schlechte Befehle gezwungen werden, ihren Eid auf meine Familie zu brechen.«

Er schaltete ab. Er atmete schwerer als gedacht, ein wenig berührt von seinen eigenen Worten, die nicht in allem so ehrlich gewesen waren, wie er sie intoniert hatte.

»Das war eine schöne Rede«, meinte Sol mit einer gehörigen Portion Vorsicht in der Stimme.

»Danke. Etwas improvisiert, aber …«

»Aber ob sie was genützt hat …«

»Das werden wir sehen. Den Angriff abgebrochen hat immerhin der Leichte Kreuzer Sepultura. Schau selbst.«

Die Systemkarte mit den Blips der sich bewegenden Raumschiffe hatte sich verändert. Schiffe, die nicht zur Flotte gehörten, stoben aus dem Weg, um nicht in ein Gefecht zu geraten, mit dem sie nichts zu tun haben wollten. Und ein Schiff der Flotte, erkennbar durch das eindeutige Transpondersignal, drehte ebenfalls ab.

»Der Transponder meldet Maschinenschaden«, sagte Darius lächelnd. »Ich bin mir sicher, den gibt es gar nicht.«

»Es sind dir persönlich Leute gegenüber loyal?«

»Es ist alles eine Frage der Ehre, mein Freund.«

Das Boot beschleunigte weiter, das leise Winseln der Triebwerke hatte sich zu einem hohen Diskant heraufgeschraubt. Die Warnsignale der Ortung wurden ebenfalls langsam lauter, denn keine weiteren Schiffe hatten sich dem Beispiel des einsamen Verweigerers angeschlossen. Ihre taktische Situation hatte sich nur um eine Nuance verbessert, doch Darius empfand keine Angst. Das konnte man von Sol nicht sagen, der etwas blass um die Nase wirkte. So richtig mutig machte ihn der Alkohol offenbar nicht.

»Ich finde Raumschlachten scheiße«, murmelte sein Freund.

Darius vermochte ihm nicht zu widersprechen. Daher wollte er auch möglichst eine vermeiden. Doch in dieser Position den Überlichtantrieb zu aktivieren, konnte verheerende Konsequenzen haben. Die Nähe starker Gravitationsquellen machte die Navigation unberechenbar und er wollte genau dort herauskommen, wo er den Sprung programmierte.

Ein besonderes Ziel – und gleichermaßen ein recht verzweifeltes.

»Prinz Darius, hier spricht …« Die kraftvolle Stimme brach ab, als Darius den Empfänger deaktivierte.

»War das weise?«, fragte Sol vorsichtig.

»Ich weiß, wie sich eine Kapitulationsaufforderung anhört. Achtung!«

Rote, grelle Punkte erschienen auf dem Schirm.

»Raketen?«, fragte Sol atemlos.

»Enterkommandos. Das sind imperiale Dropships. Schnell und beweglich, für Landungen auf Planeten und für Schiff-zu-Schiff-Manöver«, erklärte Darius kalt. »Drei Stück, jedes mit acht Mann und einem Piloten. Etwas Overkill für uns zwei Hanseln.«

»Können wir …«

»Sie sind schnell.« Darius grinste. »Wir sind schneller.«

»Aber wenn …«

»Sol. Das ist unsere Chance. Sie schießen nicht auf ihre eigenen Leute. Sie wollen uns lebend. Zwei Nachteile, die wir nun für uns ausnutzen werden.«

Sol schaute verwirrt über die Kontrollkonsole. »Sind wir denn eigentlich bewaffnet?«

Der Prinz nickte grimmig.

»Sind wir. Aber ich wiederum schieße nicht auf diese Dropships.«

»Aber …«

»Ich habe meine Rede durchaus ernst gemeint«, sagte Darius. »Was für ein Prinz bin ich, der auf seine eigenen Soldaten schießt und sie möglicherweise ernsthaft in Gefahr bringt? Nein. Sol, meine Worte müssen wirken. Sie wirken durch Taten. Und die falschen Taten machen alles zunichte.«

Sol schüttelte den Kopf. »Das ist doch alles …«

»… symbolische Politik, die Klaviatur der Macht. Stör mich jetzt nicht. Sie kommen näher.«

Das Boot änderte den Kurs, das Winseln des Antriebs wurde nun störend, wirkte nicht drängend, sondern verzweifelt. Darius beobachtete die Reaktionen der Flugautomatik, die ihm, fast gegen seinen Willen, so viel von der Steuerung abnahm, dass er sich eher als jemand fühlte, der wohlmeinende Vorschläge machte, und weniger als Pilot. Doch dieser Ableger von Aume mochte nicht über ihr Bewusstsein, ihre Intelligenz und ihr Wissen verfügen, aber er war ganz offenbar ein Kind seiner Mutter. Die zielsichere Leichtigkeit, die gewissenhafte Extrapolation und die Rücksichtslosigkeit in der Umsetzung entsprachen dem Bild, das Darius von der Schiffsintelligenz gewonnen hatte. Er fühlte sich nicht sicher und behütet, aber insofern in guten Händen, als er es, ehrlich gesagt, nicht besser machen konnte.

»Die kommen jetzt nahe, oder?«, murmelte Sol. Seine Augen waren wie hypnotisiert auf die Darstellungen im Kartentank gerichtet.

Darius konnte nicht widersprechen. Die ersten beiden Enterkommandos hatten die Triebwerke ihrer Dropships zum Glühen gebracht und die Grabscher aktiviert, lange, tentakelähnliche Flexiglieder, am Ende mit anpassungsfähigen Greifarmen aus intelligentem Material, dafür gedacht, sich an einem Objekt festzuhaken und das Dropship an es heranzuziehen.

Es blitzte auf, dann torkelte etwas durchs All. Einer der Greiftentakel war sauber durchtrennt worden und trieb ab. Ein weiterer Blitz, und ein zweiter teilte sein Schicksal.

»Dieses Boot ist bewaffnet«, stellte Sol fest. Er nickte Darius anerkennend zu. »Guter Schuss.«

»Ich war das nicht«, zerstörte der Prinz die Illusionen seines Freundes und hob beide Hände von den Kontrollen. »Ich mache hier offenbar gar nichts mehr.«

Die Gegenwehr der Flüchtenden schreckte die Infanterie natürlich nicht ab, sie fühlten sich eher ermutigt, noch weitaus größere Risiken einzugehen. Das lag an ihrer Ausbildung und dem Ehrenkodex, dem sie verpflichtet waren. Darius hatte nichts anderes erwartet.

Triebwerke flammten auf. Weitere Enterboote schoben sich heran. Das Netz zog sich zu und Aumes Kind schlug Haken, immer den besten Kurs vor Augen, das Schlupfloch, die zusätzliche Sekunde, bis man sich weit genug von den Gravitationsquellen entfernt hatte, um den Sprung zu wagen.

Es vergingen bange Sekunden, die sich zu Minuten streckten. Drei weitere Grabscher wurden abgewehrt, einem Dropship, das bedrohlich nahe kam, verpasste das Boot einen gezielten Schuss ins Triebwerk, sodass es zu trudeln begann, den Anflug abbrach und abdrehte.

»Wir signalisieren, dass wir niemanden töten wollen«, sagte Darius. »Aber das hätte auch gründlich schiefgehen können. Es gibt im Raumkampf keine Chirurgie.«

Sol sagte nichts, war nach dem letzten Schlagabtausch blass um die Nase, sodass sich der Prinz Sorgen um ihn machte. Die Flasche hatte er weggestellt. Darius wollte ihm eine Tablette empfehlen, aber der heftige Ruck, der durch das Boot fuhr, unterbrach diesen Gedanken.

Ein großes Schiff war nun bedrohlich nahe gekommen, jemand, der sich durch die Rede eines Prinzen nicht von der Ausführung seiner Befehle abbringen ließ, führte dort das Kommando. Vier Grabscher auf einmal waren aus dem mächtigen Leib eines Kreuzers geschnellt und drei waren abgewehrt worden, so schnell, dass Darius es gar nicht bemerkt hatte. Bemerkt hatte er aber den vierten, der das Boot packte und an ihm riss. Der flexible Plaststahl konnte ganz erhebliche Belastungen aushalten und jetzt, wo eine physische Verbindung bestand, musste sich das Boot erst losreißen, ehe es den Sprung vollenden konnte. Die Masse stimmte nicht. Ein Aktivieren des Hyperantriebs konnte beide Schiffe ins Verderben reißen.

Ein Risiko, das der Kommandant dort drüben bewusst einging.

Eines, das Darius zu vermeiden trachtete.

»Du musst das Ding durchtrennen!« Ein leiser Anflug von Panik lag in Sols Stimme.

»Das Boot kümmert sich.«

Es ruckte, als der Kreuzer die flexible Leitung einzuholen begann. Doch der Schreck währte nur eine Sekunde. Es blitzte auf, als das Boot feuerte und sich auch der letzten Verbindung entledigte. Mit einem befriedigenden Ruck befreite es sich, scherte seitwärts in einer erneuten Kursänderung aus.

»Die Dropships sind jetzt sehr nahe«, sagte Sol.

»Die Darstellung täuscht. Es sind noch Dutzende von Kilometern«, belehrte ihn Darius. Dann erklang ein angenehmes Signal, ein Gongschlag mit einem sanften, vibrierenden Nachhall.

»Endlich!«

Mit einem Schlag veränderte sich die Umgebung. Der Sternenhimmel machte dem undefinierbaren Anblick des Hyperraums Platz. Die Anspannung fiel von Darius ab. Er schaute erst auf die Instrumente, dann auf Sol.

»Das ist nicht ganz so gelaufen, wie ich es mir erhofft habe. Ich war zu naiv.«

»Wohin fliegen wir jetzt? Du hast es mir noch nicht gesagt.«

»Es wird eine kurze Reise, nicht einmal eine Stunde. Wir kehren zu den Serail-Systemen zurück.«

Sol zuckte zusammen. »Aber die Kalten …«

»Halten sich noch in dem System auf, in dem wir ihnen begegneten«, informierte ihn Darius. »Und wir bleiben nicht lange. Ich muss aber die einzige Verbündete aufsuchen, die mir in dieser Situation noch bleibt, und ich weiß nicht einmal, ob sie mir tatsächlich helfen kann.«

»Verbündete?«, echote Sol. »Wohin genau sind wir jetzt unterwegs? Es muss sich ja um eine ganz spezielle Person handeln, wenn sie uns jetzt noch helfen kann.«

Darius nickte und lehnte sich zurück.

»Das würde ich so unterstreichen.« Er lächelte. »Es geht heim zu Mami.«

Traum aus Eis - Der Kalte Krieg 3

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