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Der Verfall der Arbeit

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Was ist aus der Arbeit nur geworden? Die Entwicklung war so ... - Was ist Arbeit im Generellen eigentlich? Die Sache scheint so lange klar zu sein, bis man beginnt, sich ein genaueres Bild zu machen.

Vielleicht kann die Philosophie hier weiterhelfen. Arbeit gehört nach philosophischem Verständnis zum menschlichen Handeln und beinhaltet ein zweckvolles Tun und Wirken. Schön und gut, aber das gilt gleichermaßen auch für den Toilettengang. Kommt daher vielleicht die Redewendung 'ein Geschäft verrichten'? Damit haben wir zwar ein Bild vor Augen, aber eher zu einem anderen Thema. Bei den Ayizo, einer bäuerlichen Gesellschaft im Süden der Republik Benin, werden selbstbezogene körperliche Handlungen, wie beispielsweise auch die Körperreinigung, jedenfalls ausdrücklich nicht zur Arbeit gezählt.

Ein Kriterium, das uns von diesem Irrweg wieder herunterbringen könnte, ist die Festlegung, dass die Tätigkeit als gesellschaftlich wertvoll anerkannt sein muss, damit man sie als Arbeit bezeichnen darf. Damit fällt schon mal einiges weg. Gesellschaftlich wertvoll! Die philosophischen Disziplinen schreiben sich allerdings schon seit der Entstehung des Privaten die Finger wund, um der bisher fälschlicherweise so bezeichneten Haus-„Arbeit“ diese gesellschaftliche Adelung zukommen zu lassen. Bleibt diese unermüdliche „Arbeit“ der Philosophen vielleicht deshalb unfruchtbar, weil sich vielen Menschen auch der gesellschaftliche Wert der Philosophie selbst nicht so recht erschließt?

Vielleicht lässt sich der gemeinnützige Beitrag über das Einkommen bestimmen? Die Sicherung des Lebensunterhalts findet sich ohnehin in mehreren Definitionsversuchen. Damit kann die Hausfrau endgültig zu Hause bleiben. Der Philosophie-Professor ist eindeutig und zweifelsfrei gesellschaftlich wertvoll. Und dies mindestens in gleicher Weise wie - der Zuhälter?

Hausfrauen, Professoren, Zuhälter! Kein Wunder, dass man hier nicht so recht weiterkommt. Arbeit muss anstrengend und mühevoll sein. Dieser Aspekt findet sich über mehrere Jahrhunderte in unterschiedlichen Kulturkreisen. Als Gegenstücke dienen entsprechend das Spiel oder allgemeiner die Muße. Wer hat nicht das klare Bild der schwer arbeitenden Menschen vor Augen - der Bauarbeiter, der sich völlig erschöpft von der Verrichtung der kräftezehrenden Arbeit, die Zigarette mehr hängend als fest im Mundwinkel, der gnadenlos sengenden Hitze der Sonne trotzend, mit letzter Kraft auf seine Schaufel stützt. Das ist Arbeit!

Zu Missverständnissen scheint es zu kommen, seit die akademischen Aufklärer, hinterher weder entkräftet noch erschöpft, die Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung ins Spiel brachten. Nebenbei bemerkt würden die Ayizo, im Unterschied zu manch bäuerlichem Arbeitsverständnis im Hochschwarzwald, nie an der notwendigen Anstrengung hinter dieser intellektuellen Leistung zweifeln. Jedenfalls verschwanden ab dem 18. Jahrhundert zunehmend nicht nur der Selbstzweck der Arbeit, sondern auch die aufopfernd zu erarbeitenden Früchte des Jenseits aus dem Blickfeld. Sehen wir hier vorgreifend bereits die allgemeinen Wurzeln des Untergangs der Religion und damit der Gesellschaft? Der Islam - sofern nicht verachtet - belehrt uns hier eines Besseren. Dessen Gesetze klassifizieren die selbstkasteiende Zerstörung der von Gott geschenkten Arbeitskraft seit jeher als lästerlich und nicht als Fahrschein ins Paradies.

SELBSTbestimmung und SELBSTverwirklichung durch Arbeit - wer kann unter diesem Vorzeichen noch an andere denken? Wen erdrückt es nicht, den Titel „Krone der Schöpfung“ durch individuelle Leistung überbieten zu müssen? Ganz zu schweigen von den Anstrengungen, die eine tatsächliche Ergründung und Auseinandersetzung mit sich selbst und seinem Umfeld erfordern würden.

Der Mensch wäre nicht Mensch (Europäer), hätte er hierfür nicht eine effizientere Methode gefunden. Wer sagt denn, dass die eigene Leistung gesteigert werden muss? Die Herabwürdigung der Leistung anderer führt zum gleichen Effekt. Diese glänzende Idee war anfangs relativ einfach umzusetzen. Auf den Besichtigungstouren durch die Welt fanden sich mit freundlicher Unterstützung etwa der Völker Indonesiens, Malaysias oder der Philippinen hinreichend viele Beispiele. Deren Faulheit war aber auch zu offensichtlich.

Es brauchte nicht lange, bis diese rühmliche Erfahrung und die einhergehende Selbstbeweihräucherung zu der Erkenntnis verdichtet wurde: Wer arbeitet, ist Mensch. Die ganze Gesellschaft wurde fortan mehr und mehr zu einer Arbeitsgesellschaft. Um jedoch dem begrifflichen Missbrauch rechtlich vorzubeugen, immerhin war es den Frauen in der Vergangenheit mancherorts gelungen, sogar das Gebären als Arbeit gewürdigt zu bekommen, muss eine Tätigkeit hierfür nun als Beruf anerkannt sein. Einhergehend gibt dieser auch jedem seinen gesellschaftlichen Platz. Berufsbürgerliche Schichten konnten im 19. Jahrhundert dann sogar zur Oberschicht aufsteigen. Besitz und Anerkennung war von nun an Resultat eigenen beruflichen Fleißes und eigener beruflicher Leistung. Selbst die Unübersichtlichkeiten des Lebens lassen sich mit dieser Errungenschaft ordnen. Der Beruf gibt nach außen Sicherheit, weil jetzt jeder genau weiß, mit wem er es zu tun hat. Er gibt aber auch nach innen Halt, weil jetzt jeder genau weiß, wer bzw. was er ist. Selbst der Lebensverlauf in der beruflich strukturierten Gesellschaft wird genau in drei Phasen eingeteilt. Die erste Phase beinhaltet die Ausbildung. Hier werden die notwendigen spezifischen Qualifikationen erworben, um in der arbeitsteiligen Gesellschaft seinen Beitrag leisten zu können. In der zweiten Phase steht dann die Ausübung des erlernten Berufes im Mittelpunkt. Wenn die Anstrengungen der Lernphase erst einmal die für den Beruf notwendige Spezialisierung und Professionalisierung hervorgebracht haben, sollen diese wenigstens durch Dauerhaftigkeit belohnt werden. Vor allem im deutschen Raum verbindet sich mit dem Beruf eine Liebe fürs Leben. Frauen haben hierfür ihre Ehemänner. Sie können sich ganztägig erkenntlich zeigen, sobald der Gatte in der dritten Phase die wohlverdienten Früchte seiner Arbeit genießt.

Erst mit dieser rechtlichen Regulierung der Arbeit gegen Ende des 19. Jahrhunderts und den entsprechenden Lebensphasen entstanden auch die nunmehr eindeutigen Kategorien von Armen und Alten. Die bereits damals wachsenden Migrations- und Handelsströme hätten durchaus eine staatenübergreifende Arbeitsordnung nahegelegt. Die Maßnahme sollte jedoch in erster Linie nationalen Zwecken dienen. Als der Sozialstaat aus der Taufe gehoben wurde, stand die Versorgung der Bedürftigen nicht an oberster Stelle. Entsprechend sah die damalige Weitsicht beispielsweise Renteneintrittsgrenzen vor, die das heutige Finanzierungsproblem gar nicht erst hätten aufkommen lassen. Um die Rente erreichen zu können, musste man schon eine gewisse Zähigkeit an den Tag legen. Johannes Heesters (1903 bis 2011) hätte mit seinem Arbeitseifer allmählich allerdings selbst den Sozialreformer Otto Fürst von Bismarck (1815 bis 1898) ins Schwitzen gebracht. Auch die heutige Diskussion, ob Empfänger von Sozialleistungen zur Bürgerarbeit gezwungen werden sollten, war damals keine Frage. Den Armen und Alten kam im Staatsdienst die besondere Aufgabe zu, die nationalgesellschaftliche Solidarität und Einheit zu etablieren und zu festigen. Die heute vielfach beschworenen Gemeinsamkeiten wurde damals also schlicht durch einen juristischen Winkelzug herbeidefiniert. Was nicht passte, wurde, nach alter handwerklicher Tradition, passend gemacht. Ab- und Ausgrenzung erwiesen sich schließlich seit jeher als probates Mittel zur Herstellung und Festigung von Zusammengehörigkeit.

Die Gegenwehr der gedemütigten Naturvölker war in den verherrlichten Ländern kaum zu spüren. Der Versuch, Ruhm und Glanz auf Kosten der anderen Nationalstaaten herausstellen zu wollen, endete jedoch auch für die begeisterten eigenen Bürger in einer Katastrophe. Nach der zivilisatorischen Glanzleistung eines zweiten Weltkrieges entwickelten sich allmählich krisenfestere Strukturen, die die jeweilige Brillanz gleich mehrerer Staaten fruchtbar zusammenzubringen vermögen. Mit der sozialen Marktwirtschaft kamen allgemein bessere Zeiten. Jetzt wurde es einer breiteren Schicht tatsächlich zunehmend möglich, sich durch Arbeit sogar einen bescheidenen materiellen Wohlstand zu erwirtschaften.

Der Europäer der Erbengeneration sah, dass die harte Arbeit und die diesbezüglichen Leistungen der Elterngeneration gut waren und er begann, nach Beobachtungen des Ökonomen Meinhard Miegel, zu ruhen. Er würde wahrscheinlich noch immer ruhen, wäre da nicht die Globalisierung über die Menschheit hereingebrochen. So manch einem kommt sogar schon der Gedanke, dass der freundliche asiatische Gesichtsausdruck einen eindeutigen Ursprung hat: Kommen die Chinesen etwa, um jetzt die europäische Faulheit zu belächeln? Die Asiaten gelten im Allgemeinen als sehr fleißig. Aber auch den US-Amerikanern ist es schon seit Längerem ein Rätsel, wie sich die Europäer mit ihren wenigen Arbeitstagen pro Jahr am Markt halten können. Definieren jetzt plötzlich also die Chinesen, wer Mensch ist? An deren Menschenrechtsverständnis würde man sich nur schwer gewöhnen können. Allerdings blieb bisher auch das teilweise eigenwillige Menschenrechtsverständnis der Amerikaner bei uns ohne durchschlagenden Effekt.

Die teilweise hektischen und aufgeschreckten Reaktionen deuten jedenfalls auf das Erwachen nach einem tiefen Schlaf hin. Die einhergegangenen Träume sind hinreichend dokumentiert. Sie handeln von der immerwährenden Unübertrefflichkeit der frühindustrialisierten Staaten. Am Strand des Wohlstands liegend, sonnt man sich in der eigenen Fortschrittlichkeit. Da erscheint der Vorwurf, der Westen habe aus überheblicher Nichtbeachtung die Entwicklung in den sogenannten aufsteigenden Staaten schlicht verschlafen, zunächst durchaus naheliegend.

Der westliche Konsument zeigte sich von der rückständigen Unfähigkeit der Asiaten allerdings weit weniger überzeugt. Schlechte Fälschung oder erfindungsreiche Technik, die günstigen Produkte waren und sind jedenfalls die Grundlage seines immensen materiellen Wohlstands.

Bei genauerer Betrachtung scheint sich die Zweiteilung in idealisierte Träumerei und alltägliche Praxis durch die ganze Menschheitsgeschichte zu ziehen. Selbst das antike Bild vom freien Griechen, der Frau und Sklaven für sich arbeiten lässt, um sich den staatstragenden Dingen zu widmen, ist angeblich lückenhaft. So bedauerlich es klingen mag, zur vollständigen Wurzel unserer demokratischen Zivilisation gehörte sehr wahrscheinlich der Umstand, dass meist auch der ehrenwerte Bürger selbst für den Lebensunterhalt arbeiten musste. Die geschönten Darstellungen seien jedoch keinesfalls durch die Verachtung dieser Tätigkeiten begründet, selbigen soll lediglich keine nennenswerte Bedeutung beigemessen worden sein.

Sind auch die heutigen Institutionen der Arbeit nicht mehr als solche Traumsequenzen? Nichts erscheint so beständig und dauerhaft wie die „Normalerwerbsbiographie“. Seit Menschen Gedenken ist sie Realität, gibt dem Leben Halt und Sinn. Diese „Normalerwerbsbiographie“ und das mit ihr verbundene „Normalarbeitsverhältnis“ ebenfalls nicht real, sondern Traum? Wenn die Dauerhaftigkeit angedichtet und das „Normale“ eine Erfindung der Juristen gegen Ende des 19. Jahrhunderts sein soll, wie sieht dann die tatsächliche Realität aus?

Die Streber hatten sich noch nie wirklich an derartige gesellschaftliche Vorgaben gehalten. Ausgleichend bleibt ihnen das Hochgefühl vorenthalten, sich mit dem Abschlusszeugnis auf Lebenszeit von der Paukerei verabschiedet zu haben. Lernen vergällt nur das Abwarten auf den Ruhestand, mit dem dann das Leben beginnt. Wenn es zum Erhalt dieser Errungenschaften notwendig ist, die Grenzen unseres Landes abzuschotten und die Ausländer rauszuschmeißen, dann ist es eben ... Stopp! Auf diesem Pfad sind keine hilfreichen Erkenntnisse zu finden. Erfahrungsresistent wird in diesen Gefilden sogar bejubelt, dass der Baumeister Niemand schon wieder die Absicht hat, eine Mauer zu errichten.

Ein soeben gefallenes Schlagwort führt in die Wirklichkeit zurück und verlangt eine tiefere Betrachtung der bereits erwähnten Lebensphasen. Die Normalerwerbsbiographie beginnt mit der Lernphase, die die Grund- und Berufsausbildung umfasst. Unter Umständen kommt noch die Meisterprüfung oder Vergleichbares. Der diesbezügliche Erfolg wird durch Zertifikate und Urkunden belegt - in prachtvoller Ausfertigung für den ehrbaren Handwerksmeister und schmucklos gehalten für den Doktor. Formal kann der Wissenserwerb damit eingestellt werden.

Ein elementares Praxisproblem besteht darin, dass die formale Ausbildung zwar abgeschlossen, der alltägliche Kenntniszuwachs aber nicht abgestellt werden kann. Der Konflikt mit den Alten, den heute sogenannten „Üs“, war vorprogrammiert. Je nach Tätigkeitsfeld reklamierten spätestens die Ü30er die angesammelte Erfahrung als Wissen. Welche zertifizierbaren Maßstäbe sollen einem derart eigentümlichen Verständnis gerecht werden? Die Lösung war ebenso einfach wie genial. Wenn jemand irgendwann glaubt, mehr über das Unternehmen zu wissen als ihm beigebracht worden ist - man kennt dies aus der Ehe -, dann ist er in erster Linie treu. Hie wie da lässt sich „Treue“ über die physikalische Größe „Zeit in Jahren“ wesentlich einfacher messen als irgendeine „Erfahrung“. Die Betriebswirte konnten daraus sogar ein Motivationswerkzeug ableiten: Das Senioritätsprinzip. Um die Menschen immer schön fleißig und interessiert am Ball zu halten, werden als Zukunftsperspektive Zeitgrenzen festgelegt, bei deren Erreichen eine Belobigung und/oder Beförderung fällig wird. Kurz und gut, alles hätte so schön sein können, hätten die Beamten nicht alles versaut. Die für „Erfahrung“ so genial hergeleitete physikalische Messgröße „Zeit“ verläuft und erreicht die festgelegten Grenzen auch dann - und damit hatte nun wirklich niemand gerechnet - wenn man keinen Finger rührt. Jetzt machte sich jeder verdächtig, der ein gewisses Alter überschritten hatte. Lern- und leistungsunfähig, unflexibel, sogar einige Fremdwörter gehörten von nun an zur gängigen Beschreibung dieser Wachstumsbremsen. „Treue zum Unternehmen“ stand kurz davor, als Straftatbestand ins Strafgesetzbuch aufgenommen zu werden. Für die erfolgreiche Umsetzung dieser gesellschaftlich bedeutenden Innovation fehlte eigentlich nur ein wesentlicher Bestandteil - die notwendige Erfahrung!

Eines hatte man aus dem Rückschlag allerdings gelernt, gelernt wird auch außerhalb der Lernphase!? Damit standen die Erleuchteten vor einem ernüchternden Paradoxon. Ein solches weist jedoch definitionsgemäß auf eine höhere Wahrheit hin, die den Widerspruch aufzulösen vermag. Kurz gesagt, ein neuer Begriff musste her. Der in der gebotenen Eile gefundene war zwar nicht völlig neu, aber immerhin kaum benutzt: „Lebenslanges Lernen“.

Wer hier umgehend einen Brechreiz verspürt, hat als „Schüler“ mit mehrjähriger Berufserfahrung zur „Einschulung“ bei der Fortbildung sicherlich auch noch eine Schultüte überreicht bekommen. Diese Situation ruft unweigerlich die verdrängte Prüfungsangst und das angestaubte Bild vom stets wachsenden Berg aus mühevoll Gelerntem hervor.

Der Lernprozess besteht, trotz permanentem Internetzugriff, zwar weiterhin daraus, Wissen zu strukturieren, abzuwägen und kreativ zusammenzusetzen, beim „lebenslangen Lernen“ haben sich jedoch die „Machtverhältnisse“ gewandelt. Durch die teilweise kürzere Halbwertszeit und die enorme Vervielfältigung des Wissens lassen sich keine festen Rollen mehr ausmachen. Wer im wechselseitigen Austausch gerade von wem lernt, lässt sich weder an formalen Abschlüssen noch an der Dauer der Betriebszugehörigkeit erkennen. Bestenfalls erschließt sich dies nicht einmal den Beteiligten selbst. Endgültig verabschieden muss man sich auch von Vorstellungen, die von einer abnehmenden Lernfähigkeit mit zunehmendem Alter ausgehen. An den Volkshochschulen lässt sich dies eindrucksvoll beobachten. Immer mehr Rentner lernen dort nicht nur das notwendigste zur Patientenverfügung, sondern gerade auch Sprachen und den Umgang mit dem World Wide Web.

Ein heißes Eisen fasst jedoch derjenige an, der diese Entwicklung mit einer Erhöhung des Renteneintrittsalters in Verbindung bringt. Den Politikern ist durchaus klar, dass sie es hier mit einer mächtiger werdenden Wählerschaft zu tun haben. Ein unerfahrener Kollege ist spurlos aus der Öffentlichkeit verschwunden. Zuvor hatte er die Erblasser aufgefordert, den Silberlöffel abzugeben. Auch ein argloser Anlagebetrüger kann von renitenten Senioren berichten. Eigentlich hatte er es auf das Vermögen der Ü60er abgesehen. Am Ende fand er sich gekidnappt im Keller der ursprünglichen Opfer wieder. Mit entsprechender Vorsicht angemerkt und ohne das Argument, einer Anpassung des Renteneintrittsalters stünde der Mangel an diesbezüglichen Arbeitsplätzen entgegen, wirklich entkräften zu wollen, hat sich nach Daten des Statistischen Bundesamtes der Anteil der erwerbstätigen 60- bis 64-Jährigen von rund 20% im Jahr 2000 auf knapp 56% im Jahr 2016 immerhin fast verdreifacht.

Die teilweise noch gepflegte Verbindung von Lernen und Alter wird die nächsten Jahre sehr wahrscheinlich nicht überleben. Doch was passiert unter diesen entstrukturierten Bedingungen dann mit dem „Beruf“? Gab doch gerade dieser mit seinen festen Strukturen dem Leben Halt und Sinn. Als problematisch wird in diesem Zusammenhang allerdings weniger das Ende der festen Ausbildungszeiten angesehen, als vielmehr die zunehmenden Wechsel der beruflichen Anstellungsverhältnisse. Die Fort- und Weiterbildung war je nach Tätigkeitsfeld schon immer Bestandteil des durch Eifer und Interesse geprägten Berufsverständnisses. Der Beruf ist schließlich Berufung und nicht, wie etwa bei den Amerikanern, nur ein Job zum Gelderwerb. Übersehen wird allerdings vielfach, wahrscheinlich weil es dann doch eher zum Bild der Amerikaner passt, dass auch das lebenslange Anstellungsverhältnis nicht unbedingt im Generellen für den Beruf charakteristisch ist. In Erhebungen zur Zufriedenheit mit der Liebe des Lebens, mit allen blumigen Begleitumständen, findet sich erstaunlicherweise eine schwer einzuordnende Sichtweise. Die Gallup-Untersuchungen zeigen, so Meinulf Kolb, dass seit Jahren zwischen 80% und 90% der Arbeitnehmer gegenüber ihrer Arbeit keine echte Verpflichtung verspüren. Das sind wohlgemerkt weit mehr, als sich über eine vorliegende unsichere Anstellungssituation erklären ließen. Die Umstände des ungezügelten Raubtierkapitalismus scheinen zu einer breiten geistigen Verwirrung beigetragen zu haben. Die Arbeitnehmer weigern sich in relativ großem Umfang, trotz der häufiger auftretenden Wechsel der Arbeitgeber, generell eine Rückhalt- und Orientierungslosigkeit zu empfinden. Vielmehr wird der Wechsel als Bereicherung und Aufstieg gewertet. Sogar von der beruhigenden Wirkung des Wissens, es komme noch etwas anderes, wird in diesem Zusammenhang gesprochen. Wie soll unter diesen Umständen in der Arbeitswelt auch nur annähernd so etwas wie ein wechselseitiges Vertrauen entstehen? Befristete Anstellungsverhältnisse lassen eine längere Periode gesunden Misstrauens gar nicht mehr zu. Auch die Leistungszurückhaltung während der Zeit wechselseitigen Beschnupperns ist durch die Lockerung des Kündigungsschutzes nicht mehr unbedingt angeraten. Dabei müsste doch jedem klar sein, dass die Arbeitgeberseite bei verringertem Kündigungsschutz kein anderes Interesse verfolgt, als die Arbeitnehmer freizusetzen. Hier gute Gründe oder gar die Freiwilligkeit bei Beginn des Arbeitsverhältnisses als Gegenargument anzuführen, kann nur einer kindlichen Naivität entspringen. Die Gewerkschaften sind entsprechend fassungslos und beklagen seit Jahren den Rückgang und den Verfall - ihrer Mitgliedschaftsbeiträge.

Auch die Erwerbsunterbrechungen nehmen zwischenzeitlich ein erschreckendes Ausmaß an. So sollen die zunehmend zerstückelten Erwerbsverläufe der Männer nicht einmal mehr eine eindeutige Abgrenzung zu denen der Frauen zulassen. Geburt und Erziehung der Kinder sind kein Hinweis mehr auf eine zwischenzeitlich veraltete und verkümmerte Qualifikation? Anhänger der Theorie des Nervenarztes Sigmund Freud (1856 bis 1939) sprechen sogar bereits von einem Verschwinden des „Penisneids“. Die zunehmend geschlechtsneutrale Arbeitswelt steht kurz davor, mehr als ein Jahrhundert tiefenpsychologischer Analyse ad absurdum zu führen. Die Frauen nehmen den Männern nicht nur den Stolz auf den mal mehr mal weniger kleinen Unterschied. Sie nehmen ihnen auch ihre Arbeitsplätze weg. Wider jeglicher Plausibilität kommen Untersuchungen allerdings zu dem Ergebnis, dass in Ländern mit hoher Frauenerwerbsquote die Arbeitslosenquote besonders niedrig sei. Die einhergehende Diskussion um die „Frauenquote“ beruhigt zumindest eine Berufsgruppe. Die Psychotherapeuten Freudscher Prägung bestücken ihre Wartezimmer bereits mit Automagazinen. Sie gehen davon aus, dass die Quotendiskussion zumindest zum Erhalt, wenn nicht sogar zur Verstärkung der „Kastrationsangst“ beitragen wird.

Die Führungsebenen einiger Aktiengesellschaften stützen die Bedenken an der Professionalität der Frauen immerhin auf handfeste Gründe. Man habe, unbestätigten Gerüchten zufolge, zumindest erhebliche Zweifel daran, deren Abstimmungsverhalten im Vorstand oder Aufsichtsrat durch die üblichen Besuche in nicht näher bezeichneten Etablissements beeinflussen zu können. Wahrscheinlich, weil dort, wie man hört, schon andere professionelle Damen arbeiten.

Die in Deutschland dominierenden kleinen und mittelständischen Betriebe beschäftigen nicht nur den Großteil der arbeitenden Bevölkerung, sie werden auch überdurchschnittlich häufig von Frauen geleitet. Die Mehrheit der Männer und Frauen geht also, wie gewohnt, ihrer täglichen Arbeit nach. Dabei können sie auf eine zunehmende Beachtung gerade auch der privaten Belange bauen. Während in Wissenschaft und Politik vielfach noch nach einem geeigneten Modell gesucht wird, das Aus- und Weiterbildung über den gesamten Lebenslauf verteilt und damit gerade auch Erwerbsunterbrechungen zulässt, ist die Familienfreundlichkeit für viele Unternehmen bereits zu einem wichtigen Imagefaktor geworden. Ehemals beliebte Winkelzüge aus der Personalabteilung, wie das bedauerliche Übersehen gebärfähiger Bewerberinnen, entfaltet zunehmend einen schmerzhaften betriebswirtschaftlichen Schaden. Zudem wird auch für immer mehr Männer die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu einem ausschlaggebenden Thema.

In der Praxis überwiegt zwar immer noch der Karriereverzicht der Frau zugunsten der Laufbahn des Gatten, auf der Gestaltungsebene lassen sich jedoch bereits sieben Varianten sogenannter „Commuter-Ehen“ unterscheiden. Als „Shuttles“ werden Wochenendpendler bezeichnet, die zwar zwei Haushalte, aber einen gemeinsamen führen. Die vielfach auch allgemeiner verwendete Bezeichnung einer „Fernbeziehung“ liegt im engeren Sinn nur dann vor, wenn die Beteiligten grundsätzlich in zwei getrennten Haushalten leben. Vertreter dieser Beziehungsform sind meist jung, kinderlos und gut gebildet. Bei den „Fernpendlern“ handelt es sich hingegen meist um ältere Familienväter mit Wohneigentum, die tägliche Arbeitswege von über einer Stunde auf sich nehmen. Wenn innerhalb der letzten fünf Jahre der gesamte gemeinsame Haushalt berufsbedingt umgezogen ist, spricht man von den „Umzugsmobilen“. Als „varimobil“ werden beispielsweise Handelsvertreter oder Flugpersonal bezeichnet. Charakteristisch ist hier die wiederkehrende Abwesenheit über einen gewissen Zeitraum. Nach Rüdiger Peuckert ist dieses stark beruflich geprägte Miteinander bei einem Drittel der Betroffenen nicht unbedingt freiwillig entstanden. „Ortsfeste“ Paare haben entsprechend die Geburtsregion nie verlassen. Wer im Zweifel sogar lieber auf die Karriere verzichtet, erhält den Stempel „Mobilitätsverweigerer“, wenn das internationale Ausmaß zur Geltung kommen soll: „Rejector“.

„Mobilität“ beschränkte sich bei der zugrunde liegenden Studie allerdings auf Deutschland. Die „Auslandsmobilen“ wurden also nicht berücksichtigt. Die wenigsten Menschen dürften ohne triftigen Grund ihre Heimat verlassen wollen. Für Deutsche gilt dies umso mehr, weil es für Ausländer keine größere Anziehungskraft auf der Welt geben soll als den deutschen Arbeitsmarkt mit seinen Sozialleistungen. Zur Erinnerung, Ausländer wollen nicht nur aus dem Wohnzimmer heraus unser Land abschaffen, sie attackieren unseren Sozialstaat auch mit Langstreckenraketen aus Lohndumping. Kriegsvokabular eignet sich vorzüglich um Solidarität zu erzeugen. Die Frage war allerdings schon immer: Solidarität mit wem? Bereits bei der Erfindung des Nationalstaats war eines klar: Diese Frage darf unter den Bürgern wechselseitig gar nicht erst aufkommen. Dabei lassen sich Unterschiede zwischen den einzelnen Bürgern nun einmal am besten verschleiern, wenn eine von außen kommende Gefahr präsentiert wird. Oder denkt noch irgendjemand an die Streitigkeiten mit seinem Nachbarn oder sogar seinem Ehepartner und die zugrunde liegenden Unterschiede, wenn es um die Bedrohung des Arbeitsplatzes durch die Asiaten geht? Dem Kriegsvokabular folgt die ebenso effiziente wie effektive Kriegslogik. So ist es völlig plausibel, dass jeder Ausländer einen Arbeitsplatz belegt, der eigentlich einem Deutschen gehört. Plausibilität, und das muss spätestens hier einmal klar gestellt werden, ist jedoch kein Wahrheitskriterium. Der Denkfehler besteht bereits darin, dass der Arbeitsmarkt aus einer festen Anzahl zu verteilender Posten besteht. So leicht verständlich diese Annahme auch ist, sie hat mit der Realität gänzlich nichts zu tun. Das Bild vom „deutschen Stuhl“ auf dem Arbeitsmarkt passt noch am ehesten zu den unbesetzten Erwerbsmöglichkeiten. Die Spargelbauern sind beispielsweise immer noch von ihren Eindrücken überwältigt, die deutsche Arbeitslose vor Jahren auf ihren Feldern hinterlassen haben. Vom vielbeschworenen Arbeitsplatz-Kuchen wären das die Stücke, die niemand haben will. An Zauberei muss es dann allerdings für Vertreter dieser Sichtweise grenzen, wenn statistisch festgestellt werden kann, dass der zu verteilende Kuchen mit zunehmender Zahl an Essern größer wird. Einen nicht unwesentlichen Teil der Arbeitsplätze schaffen sich die ausländischen Mitbürger nämlich nicht nur selbst, sie beschäftigen neben Familienmitgliedern auch viele Deutsche. Der deutsche Fiskus bedankt sich für die so erwirtschafteten Steuereinnahmen gerne mal im Stillen. Zumal er bei der Entwicklungshilfe gleich ein zweites Mal sparen kann. Weltweit überweisen die Migranten in ihre Herkunftsländer mehr Geld, als alle industrialisierten Staaten gemeinsam an Entwicklungshilfe zusammenbekommen.

Völlig unbeachtet bleibe bei derartigen Beschreibungen, und dieser Einwand ist nicht gänzlich von der Hand zu weisen, dass Ausländer in unserem Land auch gerne mal der Schwarzarbeit nachgehen. Der dadurch entstehende Schaden für den Arbeitsmarkt ist nur schwer zu beziffern. Wer unterstützt dieses kriminelle Verhalten? Von einem fehlenden Unrechtsempfinden kann, Insidern zufolge, jedenfalls nicht gesprochen werden. So findet sich Schwarzarbeit beispielsweise bei Handwerkern, die durch die schwarzarbeitende Konkurrenz unweigerlich selbst in selbige getrieben würden. Ein eigenes Verschulden, geschweige denn eine böse Absicht liege nicht vor. Klingt zumindest mal wieder plausibel, mehr aber auch nicht. Auch Haushaltshilfen vergessen gerne mal, dass sie arbeiten. Wo der wesentliche, diesbezüglich ausschlaggebende Unterschied zwischen einer Haushaltshilfe und einer Hausfrau liegen soll, ist selbst Experten nicht immer klar. Als rechtfertigendes Beispiel erfreut sich die nicht angemeldete Putzfrau eines Zollfahnders außerordentlicher Beliebtheit.

Liegt die Kernschwierigkeit vielleicht an den hier mit zu berücksichtigenden ausländischen Kulturen. In anderen Kulturkreisen gehört ein kriminelles Verhalten ja schon fast zum guten Ton. Wer hier allerdings vorschnell an die politischen Verhältnisse und einen bestimmten Regierungschef in Italien denkt, liegt gänzlich falsch. Italiener sind als Bürger der Europäischen Union in Deutschland keine Ausländer. Niemand würde einem EU-Bürger zumuten, Europa ist schließlich der fortschrittlichste Rechtsraum der Welt, ohne rechtsstaatlichen Beistand leben zu müssen. Nein, hier sind mit ausländischen Kulturkreisen schon die Herkunftsregionen derer gemeint, die mit Recht und Ordnung absolut gar nichts zu tun haben. Diese Menschen reisen schon nicht mit einem ordentlichen Reiseunternehmen, das bei Verspätungen europarechtlich zum Schadensersatz verpflichtet ist. Sie reisen lieber mit Schlepperbanden, die völlig überteuert und unter menschenverachtenden Reisebedingungen seit Jahrzehnten durchs Unterholz kommen. Auch in den anschließend bezogenen Unterkünften dürfte nach deutschem Recht nicht einmal ein Hund gehalten werden. Bei einer Mietminderung nach deutschen Vorschriften müsste der Vermieter hier sogar Kapital einbringen. Ihr Geld verdienen diese Menschen jedoch lieber in einem Umfeld, in dem Arbeitszeitregelungen, gesetzliche Urlaubsansprüche, Fürsorgepflichten, Sozialversicherungsvorschriften usw. weniger Wirkung entfalten als Solarzellen bei Nacht. Warum tun diese Menschen sowas? Warum leben diese Menschen wie Freiwild, jeglicher Ausbeutung schutzlos ausgeliefert?

Weil wir sie bei uns offiziell nicht haben wollen!

Würde man die vielfach diesbezüglich zum Besten gegebenen Lösungsvorschläge als Indikator für die vielbeschworene innovative Kreativität der Europäer heranziehen, wäre relativ schnell klar, wer hier bald zu Hause bleiben kann. Immerhin das Wohl der betroffenen Menschen im Sinn haben die Ansätze, die zumindest die jeweilige Situation in den Heimatländern berücksichtigen. Die wenigsten Menschen verlassen ohne Not ihre Heimat. Entsprechend wird auf die Schutzbedürftigkeit der Unternehmen in diesen Ländern vor dem rücksichts- und gnadenlosen Wettbewerb des Weltmarktes hingewiesen. Es gibt allerdings gute Beispiele dafür, dass die Öffnung der Märkte und die Teilnahme am Weltmarkt einen wirtschaftlichen Aufschwung in bemerkenswertem Umfang und in rekordverdächtig kurzer Zeit erst ermöglicht haben. Diesbezügliche Regelungen sind für alle Beteiligten in einem sinnvollen Maß notwendig. Hier jedoch die Schutzbedürftigkeit anderer vorzuschieben, lässt zumindest den Verdacht aufkommen, dass man sich insgeheim selbst vor den „Schutzbedürftigen“ schützen will.

Während sich die Europäer erst allmählich von ihrer Vorstellung der Einzigartigkeit verabschieden, erhandeln sich die Chinesen bereits den afrikanischen Markt. Die Inder brauchen nicht einmal Hilfe, wenn sie von einem Tsunami getroffen werden. Brasilien und Indonesien reden seit der Jahrtausendwende nicht nur ein Wörtchen mit, wenn die Weltwirtschaft auf der Kippe steht, ihre Wirtschaftsleistung lässt nach Weltbankdaten im Jahr 2016 sogar europäische Volkswirtschaften hinter sich, deren Korruptionssumpf weit weniger Störungen entfaltet. Hier zeigt sich der Untergang Europas oder, mit etwas krisenfester Zuversicht, ein beachtlicher, globaler Zivilisationsschub. Die Zeiten, in denen es sich die einen auf Kosten der anderen komfortabel einrichten konnten, sind jedenfalls vorbei. Kulturelle, soziale und auch räumliche Einteilungslogiken fallen zunehmend der Globalisierung zum Opfer. Wer nach altem Verständnis weiterhin ab- und ausgrenzt, stellt sich auf kurz oder lang unweigerlich selbst ins Abseits.

Der Staat, mit seinen hoheitlichen Regelungsbefugnissen, wird sicherlich nicht abgeschafft werden. Es herrscht eine breite Einigkeit darüber, dass ein Weltstaat mit einer Weltregierung weder realisierbar noch wünschenswert wäre. Die Nationalstaaten müssen sich jedoch auf die veränderte Situation einstellen. Das betrifft in erster Linie den Verlust ihres Gestaltungs- und Regelungsmonopols. Die Regelungsebenen der Weltgesellschaft reichen von der „Internationalen Gemeinschaft“ bis hinunter bzw. hinauf zum einzelnen Individuum. Die ganze Bibliotheken füllenden Beschreibungen der negativen Begleiterscheinungen lassen jedoch keinen Zweifel aufkommen: Der Weg ohne durchschlagende einzelstaatliche Sanktionsmacht führt direkt in die Anarchie und zu einem Kampf aller gegen alle. Bleibt dieser aus dem 17. Jahrhundert stammende Wissensvorsprung unbeachtet, erscheint tatsächlich ein kleines Pflänzchen der Hoffnung.

In der Arbeitswelt finden sich Umgangsformen, die das konkurrierende Gegeneinander hinter sich gelassen haben. Machtkämpfe und pyramidenförmige Hierarchien werden in diesem Umfeld als Bremsklötze angesehen. Die neuen Organisationsstrukturen richten sich nach der Austauschlogik der Gegenseitigkeit, der sogenannten Reziprozität. Ein Kreislauf aus Leistung und Gegenleistung ist im Wirtschaftsverkehr erst einmal nichts Neues. Hierbei werden jedoch neuerdings Einblicke gewährt, die nach konfrontativem Verständnis unmittelbar zum Konkurs geführt hätten. Zugegeben, manche Marktteilnehmer haben das „neue“ Prinzip des Teilens und Zusammenführens von Fachwissen einfach noch nicht gänzlich begriffen. Oder handeln diese Akteure als einzige auf dem Boden der Tatsache, dass einzelstaatliche Sanktionshilfen wirkungslos geworden sind? Wie kann man sich also auf derartige Netzwerkarrangements einlassen, wenn diese eine vortreffliche Plattform für skrupellose Trittbrettfahrer und Betrüger sind? Von manchen Betriebswirten des mittleren und höheren Managements ganz zu schweigen.

Gänzlich verhindern lässt sich ein schädigendes Verhalten zwar kurzfristig nicht, mittel- bis langfristig sind die Sanktionen der Netzwerkarrangements jedoch wesentlich effektiver als die bisher gekannten. Zumal auch Geld- und Haftstrafen nicht generell eine präventive Wirkung entfalteten. Bei einem konfrontativen Wirtschaftsverständnis entstand durch das Geständnis, betrogen worden zu sein, zum primären Schaden auch noch ein Imageschaden. Es lag also nicht unbedingt im Interesse, einen größeren Kreis über das Vorgefallene zu informieren. In Netzwerkarrangements entsteht der Imageschaden, wenn diese Information nicht weitergegeben wird. Das Wissen über ein schädigendes Verhalten verteilt sich in Netzwerken nunmehr also an einen kaum zu überblickenden Adressatenkreis. Zudem ist im Unterschied zu rechtsstaatlichen Strafen, die überwiegend in die Resozialisierung münden, bei den vermeintlich zahnlosen Akteursverknüpfungen mit dem dauerhaften Ausschluss zu rechnen.

Der Netzwerkansatz verändert auch die Arrangements zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Ist hier ein Diplom-SchlagwortAuswendigLErner (Dipl.-Sale.) am Werk, werden dabei einfach nur die Managementrisiken auf die Tüchtigen abgewälzt. Sind die Hintergründe dagegen tatsächlich verstanden worden, liegen die Vorteile auf allen Seiten (für Dipl.-Sale.: win-win). Die ursprünglich pyramidenförmigen Organisationsstrukturen erinnern zunächst stark an die Gründung der Nationalstaaten. Solidarität basiert auch hier auf einer geschaffenen Gleichheit, die sich in diesem Fall am Bild vom optimalen Arbeitnehmer festmacht. Erleichternderweise können die Unternehmen bereits vorab diejenigen aussortieren, die nicht in die Schablone aus strikt vorgegebenen Abläufen passen. Diese festen Strukturen bieten für alle eine enorme Planungssicherheit, die eine individuelle Unterordnung mehr als vernünftig erscheinen lassen. Persönliches Interesse stört diesen Frieden weit mehr als Lustlosigkeit oder mangelnde Kompetenz, die sich durch Mitschwimmen oder Schlagwortdreschen hinreichend verschleiern lassen. Die heute angeblich zunehmende Oberflächlichkeit war in dieser individualitätsfeindlichen Atmosphäre seit jeher Programm.

Die neuen Freiheiten bei netzwerkförmiger Struktur setzen gerade auf die Individualität und deren Entfaltung (für Dipl.-Sale.: lean management). Als charakteristisch hierfür werden kurzfristige Zusammenschlüsse zu Teams beschrieben. Die Zusammensetzung orientiert sich an der zu behandelnden Aufgabe. Ist das fokussierte Problem behoben, wird die Gruppe wieder aufgelöst. Diese „neue“ Organisationsform stellt jedoch nur ein Beispiel von vielen dar.

Im Allgemeinen geht die Arbeitsweise für jeden Einzelnen zunehmend zwar mit der Notwendigkeit einher, sich aktiv und mit seiner gesamten Persönlichkeit einzubringen. Im Gegenzug wird es allerdings auch zunehmend möglich, ein entsprechend verständiges Umfeld vorausgesetzt, Arbeit zu gestalten und diese mit individuellen Lebensentwürfen zu verbinden. Damit nähert sich das Arbeitsleben einer wachsenden Zahl von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit allen Freiheiten, aber auch mit allen Notwendigkeiten und Risiken dem der Selbständigen an. Dabei werden zunehmend gerade auch alte Hindernisse und Hemmschwellen abgebaut. Das Alter, das Geschlecht, die Herkunft und viele weitere Aspekte hatten im pyramidenförmigen Arbeitsaufbau hauptsächlich einen diskriminierenden Charakter. Von der Spitze wurde ein Idealbild ausgegeben, dem kaum ein Arbeitnehmer genügen dürfte. Sieht der Arbeitgeber ebenso notgedrungen wie großzügig über die unweigerlichen Unzulänglichkeiten hinweg, erhöht dies geschickterweise die Schuldigkeit der unteren Angestellten. Unerwartete Lösungsvorschläge kommen allerdings eher aus einer ebenso facettenreichen wie unbequemen Belegschaft, innerhalb derer individuelle Reibungsstellen gerade nicht als Manko bewertet werden (für Dipl.-Sale.: diversity management). Die Arbeitswelt kann unter diesen Bedingungen dann tatsächlich geschlechts-, alters- und herkunftsneutral werden.

Das Aufbrechen einengender Vorgaben setzt unweigerlich jedoch auch eine Kreativität frei, die nicht unbedingt als Verbesserung beschrieben werden kann. Zumal Desinteresse und resultierende Stümperei unter freieren Bedingungen noch stärker als zuvor nicht nur das Verhältnis unter den Kollegen, sondern nunmehr gleich den gesamten Arbeitsprozess gefährden. Unter dem Verbund aus Individualität und kurzfristiger Zusammenarbeit werden teilweise auch sinnvolle Abläufe über Bord geworfen. So berichtet beispielsweise der amerikanische Soziologe Richard Sennett von einer Vorgehensweise, die mit der „Tabuisierung des Scheiterns“ umschrieben wird. Dabei scheint die nicht vorgenommene Analyse des Fehlschlags und die liegen gelassene Möglichkeit, daraus lebenslang zu lernen, noch das kleinste Problem zu sein. Mit einem Rechtsanspruch auf Bewunderung und Applaus ausgestattet, wäre es natürlich reine Energieverschwendung, den präsentierten Inhalt auf Anerkennungswürdigkeit zu prüfen. In Deutschland wirbt ein Finanzdienstleister immerhin damit, dass er, im Unterschied zur Konkurrenz, seinen Kunden zuhört. Auf diesem Fortschritt wird man sich sicherlich nicht ausruhen. Langfristig wird das Zuhören noch durch die Meilensteine „Verstehen“ und „Berücksichtigen“ zu ergänzen sein.

Die Inszenierung eines gewünschten Images, die Pflege des äußeren Scheins, das plumpe Kopieren von Identitätsmustern und, anstelle einer echten Leistungen, die Anrechnung eines vermeintlichen Erfolgs werden häufig als Wesensmerkmale der Individualisierung beschrieben. Dieses gesamte Gebaren dient jedoch nicht der Erkundung eigener Wertvorstellungen, sondern zielt alleine auf die Bewunderung durch die Mitmenschen. Das aus dieser Abhängigkeit resultierende Konsumverhalten scheint zumindest einen gewissen Unterhaltungswert zu haben. Wenn der Ratenkauf verwunderlicherweise bereits das Budget der nächsten Jahrzehnte gesprengt hat, obwohl man mit dem Kauf nichts anderes als seinen Geiz auszudrücken pflegt, kommt einfach der Herr Zwegat. Als erstes muss natürlich geklärt werden, wie viel man verdienen müsste, um sich diese Form der Selbstachtung leisten zu können. An diesem Punkt stellt selbst die eben erwähnte kundenorientierte Bank das Zuhören ein.

Wie soll man also mit der „neuen Freiheit“ und ihren Folgen umgehen? Eine unvorsichtige Politikerin hätte beinahe schon zu früh ihre Tarnung aufgegeben. Letztlich war der Kommunismuseinwurf jedoch nur ein Missverständnis - auf welcher Seite auch immer. Verschwörungstheoretiker halten es zumindest für bedenklich, dass der Künstler hinter dem berühmten Che Guevara-Konterfei nach Jahrzehnten ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt seine Urheberschaft rechtlich abgesichert wissen wollte. Wie ein Leben in einer meist gewaltsam hergestellten Gleichheit aussieht, dürfte bei den meisten Menschen jedoch noch nicht vollends in Vergessenheit geraten sein. Ein staatlich garantiertes subjektives Recht auf Arbeit wäre jedoch beispielsweise nur umzusetzen, wenn die gesamte Wirtschaft uneingeschränkt in die Verfügungsmacht der Staatsgewalt gelegt würde. Eine vorschnelle Zustimmung übersieht hier gerne mal, dass dafür zahlreiche Grundrechte unserer Verfassung vorher außer Kraft gesetzt werden müssten. Auch ein bedingungsloses Grundeinkommen wird nicht unbedingt mit negativen Begleitumständen in Verbindung gebracht. Die Gesamtheit der zu erwartenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen muss hier gar nicht aufgelistet werden. Schon die unbedarfte Frage, ob dieses Konzept tatsächlich bedingungslos jeden einzelnen Vertreter der Menschheit anspricht, zeigt: Die „Internationale“ ist in erster Linie - ein Liedchen.

Bei der gegenwärtigen Bedrohungslage kann jedoch niemandem ernsthaft zugemutet werden, auch noch die Interessen und Sorgen der Menschen außerhalb Deutschlands zu berücksichtigen. Wir steuern jetzt schon direkt auf eine Burn-Out-Gesellschaft zu. Pfleglich und rücksichtsvoll zu behandelnde Einzelfälle gibt es nicht, alle sind gleichermaßen erschöpft. Das Wissen um die neue Eigenverantwortlichkeit hat uns in die Selbstüberforderung getrieben.

Was steckt hinter dieser breit geteilten Diagnose? Eine erste auszehrende Überforderung ist alleine schon die endlose Liste dessen, was manche Kinder im Vorschulalter lernen müssen, um mit der weltweiten Konkurrenz mithalten zu können. Einen nicht weniger ermattenden Umfang haben die Empfehlungen der Consultants, wie der gnadenlose Kampf auf dem internationalen Markt zu gewinnen ist. Dabei haben alle diese international erfolgreichen Berater wahrscheinlich eines gemeinsam - sie hatten sicherlich eine unbeschwerte, ruhige Kindheit. Ohne die besorgten Eltern in Gegenwart ihrer Schützlinge Lügen strafen zu wollen - so manch einer der heute erfolgreichen Menschen hat seine Karriere unglaublicherweise tatsächlich mit einem Hauptschulabschluss begonnen.

Die Anforderungen der heutigen Zeit sind sicherlich nicht kleiner geworden. Es besteht grundsätzlich und überwiegend Einigkeit darüber, dass das Arbeitsleben immer seltener vorgefertigte Bahnen bereithält, denen man folgen könnte. Umso erstaunlicher ist ein Missgeschick, das sich bei allen Beratenen gemeinsam findet. Jeder von ihnen hatte, ohne überhaupt einen solchen erkennen zu können, den falschen Weg gewählt. Dabei hätte dem jungen Mann klar sein müssen, dass man ohne Abitur heute nichts mehr zu erwarten hat. Auch die junge, promovierte Naturwissenschaftlerin mit mehrjährigem Studienaufenthalt im Ausland hätte wissen können, dass ein Lebenslauf ohne abgeschlossene Elternphase jämmerlich erscheint. Was käme wohl heraus, träfen sich diese Beiden zu einem Erfahrungsaustausch? Woher wissen also die Diagnostiker nur, was das Richtige gewesen wäre, die Betroffenen selbst aber grundsätzlich nicht?

Fragt man hier diejenigen, die bereits die Früchte ihres vermeintlichen Irrwegs ernten, so kommen ausnahmsweise einmal die Berater selbst nicht besonders gut weg. Wer diese als bestätigende Streckenposten ansteuert, gerät damit tatsächlich auf den Holzweg und verliert sein Ziel aus den Augen. So menschlich das Streben nach Anerkennung auch sein mag, der eigene Pfad ist diesbezüglich eine Durststrecke. Das begehrte Gut ist, wie sich bei verschiedenen Würdenträgern beobachten lässt, jedoch ohnehin eine äußerst unbeständige Sache. Der schwierigste Teil der Lebensgestaltung besteht also darin, Eigenverantwortlichkeit und Selbstbestimmtheit beieinander zu halten.

Eine aktive Auseinandersetzung mit den eigenen Fähigkeiten, das Fällen von Entscheidungen, die immer auch anders hätten ausfallen können, eine Unmenge an verpassten Chancen - das alles wirkt einer Überforderung sicherlich nicht gerade entgegen. Neben der steigenden Zahl an Burn-Out-Diagnosen findet sich jedoch noch ein weiterer Sachverhalt. Messungen zur Persönlichkeitsstärke verzeichnen einen deutlich positiven Trend. Die Menschen haben in unsicheren Zeiten an innerer Stärke gewonnen. Es scheint also naheliegend, dass sie nicht nur mit ihren alltäglichen Aufgaben zurecht kommen, sie scheinen auch an diesen zu wachsen. Nach dem kanadischen Psychologen Albert Bandura spricht man hier von der Selbstwirksamkeitserwartung. Diese bezeichnet die Überzeugung, dass man eine gestellte Aufgabe erfolgreich bewältigen kann. In der Personalpsychologie sind die Zielsetzungen zwar etwas enger gesteckt, aber auch dort findet dieses Persönlichkeitsmerkmal schon längere Zeit Beachtung. Die Selbstwirksamkeitserwartung verändert sich nach Albert Bandura in Abhängigkeit von vier Quellen. So stärkt die eigene Bewältigung von schwierigen Situationen diese Erwartung ebenso wie eine entsprechende Beobachtung bei Personen, deren Fähigkeiten als den eigenen ähnlich eingeschätzt werden. Als dritte Quelle gilt das Zureden und Zutrauen durch die Mitmenschen. Löst hingegen eine Situation körperliche Reaktionen, wie beispielsweise Stress oder Angst aus, wirkt sich dies verständlicherweise eher negativ aus. Der Wirkbereich dieser vier Quellen wird unterschiedlich eingeschätzt. Albert Bandura selbst tendiert eher zu einem engeren Verständnis. Eine negative Erfahrung mit einer bestimmten Aufgabe verändert beispielsweise also lediglich die Selbstwirksamkeitserwartung für ähnliche Situationen. Das weiteste Verständnis sieht hier eine Prägung im Generellen. Eine Erfahrung mit einer bestimmten Aufgabe verändert nach dieser Sichtweise also die Erfolgserwartung für alle denkbaren Aufgaben.

In der Arbeitswelt ist der Globalisierungsprozess für die Menschen am deutlichsten spürbar. In kaum einem anderen Bereich ist die Wahrnehmung allgemeiner Tendenzen und die Sicht auf die eigene Situation derart unmittelbar verknüpft. Die Kombination aus Globalisierung und eigenem Arbeitsplatz führt regelmäßig zu den schlimmsten Befürchtungen. Die Quellen der Selbstwirksamkeit lassen es hier als besonders sinnvoll erscheinen, die Weltmarkttauglichkeit der Eigenschaften und Fähigkeiten eines Ratsuchenden in Frage zu stellen. Statistisch kann dieser negative Einfluss wieder behoben werden, weil sich überall auf der Welt die gleichen Befürchtungen und Ängste finden lassen. Die Auswirkung bei den politischen Ansichten lässt sich dagegen nicht einmal auf dem Papier kaschieren. Manche Manager halten es für ein intelligentes Vorgehen, ihre Maßnahmen als durch die Globalisierung erzwungen zu präsentieren. Wer jedoch als Lenker in einem steuerbaren Prozess von Zwängen spricht, ist offensichtlich nicht Herr der Lage und darf nach Hause gehen. Wird eine Situation erst einmal als Naturgewalt und unbeeinflussbar wahrgenommen, für die keine Hilfe oder auch nur ein sinnvoller Rat zu erwarten ist, verbindet sich diese erwiesenermaßen mit psychologischen Vermeidungshaltungen bis hin zu rassistischen Abschottungsabsichten.

Bildung ist für die Alltagsbewältigung die wichtigste Ressource. Die Behauptung, die Menschen seien schutzlos irgendwelchen Gewalten ausgeliefert, torpediert über die Selbstwirksamkeitserwartung nicht weniger als die Anwendung der erworbenen Fähigkeiten. Kooperation stärkt das Durchhaltevermögen und erhöht die Bandbreite an Lösungsansätzen. Die Behauptung, in einer heterogenen, multikulturellen Gesellschaft gebe es keinen Zusammenhalt, verhindert wiederum über die Selbstwirksamkeitserwartung bereits die Suche nach Gemeinsamkeiten. Niemand identifiziert sich mit einer Gruppe, die ihn möglicherweise schädigt oder ausgrenzt. Für die betriebliche Ebene ist dieser Zusammenhang zwischen sozialer Identifikation und Selbstwirksamkeitserwartung bereits statistisch belegt.

In der Arbeitswelt findet tatsächlich ein Verfallsprozess statt, der das alltägliche Leben nicht unbedingt einfacher macht. Die resultierende Gefährdungslage deckt sich jedoch nicht mit den mehrheitlichen Beschreibungen. Vielfach verschwinden gerade die Strukturen, die die Menschen viel zu lange voneinander trennten und gegeneinander aufbrachten. Vielleicht wird in keinem anderen Feld als der Arbeitswelt so deutlich, dass die Weltgesellschaft eine Gesellschaft der Individuen ist. Wer allerdings glaubt, damit sei der Krieg aller gegen alle ausgerufen, der war vielleicht doch unter den Bedingungen des vergangenen Jahrhunderts besser aufgehoben. In den geschlossenen Nationalgesellschaften drehte sich alles um das Spannungsverhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft. Der Einzelne musste zum gesellschaftskonformen Verhalten diszipliniert werden. In der Weltgesellschaft hingegen hat jeder Einzelne grundsätzlich eine Fülle an Möglichkeiten, sich selbst auszuprobieren und seine besonderen Seiten zu verwirklichen. Auch wenn sich der amerikanische Psychologe Abraham Maslow (1908 bis 1970) mit seiner Bedürfnispyramide und der dieser zugrunde liegenden Bedürfnishierarchie sehr wahrscheinlich geirrt haben dürfte, so ergeben sich aus seiner Arbeit zumindest zwei Hinweise. Zum einen spielen Geschlecht, Alter und Herkunft keine Rolle. Zum anderen geht die Selbstverwirklichung im Zuge der Individualisierung nicht auf Kosten einer gesellschaftlichen Orientierung. Der von ihm beschriebene selbstverwirklichte Mensch zeichnet sich vor allem durch eine tief empfundene Verbundenheit mit sich selbst und der ganzen Menschheit aus. Der wiederum vielfach gesuchte Kitt, für den Zusammenhalt der Menschen in der Weltgesellschaft, dürfte mit der Selbstwirksamkeitserwartung zumindest in Verbindung stehen, wenn nicht sogar bereits gegeben sein.

INDIVIDUUM

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