Читать книгу Arym Var - Dominik Michalke - Страница 5

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Das brummende, laute Geräusch des aktivierten Notstromgenerators riss Kargan Saturon aus dem Schlaf. Eigentlich konnte man es nicht Schlaf nennen. Er lag auf einer unbequemen, dünnen Stoffmatte. Diese befand sich über einem schmalen Stahlbett, das gleichzeitig als kleine Kiste für Kleidung fungierte.

Es war derart unbequem, dass Kargan befand, er hätte genauso gut auf dem Boden schlafen können.

»Diese verdammte Schrottstation«, fluchte er und knipste die kleine, batteriebetriebene Pulslampe über dem Kissen an.

Kargan war nun seit drei Tagen auf dem Außenposten Andragon Outrange 15 in der Teneib-Wüste des Wüstenplaneten Infidelis. Er war Funkoffizier des speziellen Forschungsteams SHIRE Alpha. Er hatte zusammen mit seinen elf Teamkollegen die Aufgabe, diesen Teil der Teneib-Wüste des kleinen Planeten zu erforschen und dem Karndalf-Kanton regelmäßig Bericht zu erstatten.

Das Team SHIRE Alpha war eines von vielen Teams, das bei dem glorreichen Einzug der Andragon-Kantone in das Arym Var-System ausgesandt worden war, um die erdähnlichen Planeten zu analysieren und für eine in den kommenden Jahren folgende Kolonisierung vorzubereiten.

Kargan verzog das Gesicht bei dem Gedanken an die Andragon-Kantone.

Der Begriff bezeichnete die einzelnen Gruppierungen der größeren menschlichen Fraktionen im System. Die Gruppierungen, die sich bereits weit verstreut über das gesamte ‚Erbe des Lichts‘-System befunden hatten, bevor Arym Var entdeckt worden war. Sie waren entstanden, nachdem die Nanobombe von 2471 die erste Erde in Stücke gerissen und sich ein Großteil der dezimierten Menschheit von dem Desaster wieder erholt hatte.

Es mochte sich anhören, als wäre damit die Menschheit zur Vernunft gekommen und hätte jegliche Kriege für immer abgeschafft. Die Wahrheit jedoch sah so aus, dass immer noch regelmäßig Machtkämpfe um die Spitzenführerpositionen der Kantone ausgetragen wurden – vergleichbar mit Bürgerkriegen in einem Land.

Die Bevölkerungszahl der Andragon-Kantone waren mittlerweile bereits so enorm gewachsen, dass sie über die Größe des ‚Erbe des Lichts‘-Systems hinaus expandieren mussten. Menschen ohne einen Platz in den bewohnten erdnahen Systemen wurden neue Leben auf neuen Planeten versprochen.

In Wahrheit sah das Ganze jedoch so aus, dass die Führerparteien der Kantone auf die politischen und wirtschaftlichen Funktionen der unterschiedlichen Planeten neuer Systeme aus waren, um ihre Macht und die ihres Kantons zu erweitern. Es war also gewissermaßen ein Kopf-an-Kopf-Rennen der Kantonführer, die sich nach außen hin als sympathische und handelnde Politiker darstellten, in Wirklichkeit jedoch wenig am Gemeinwohl der Bevölkerung interessiert waren.

Über allen Kantonen stand der Andragon-Kanton-Zusammenschluss, kurz oft als ‚AKZ‘ bezeichnet. Es handelte sich dabei um die Fraktion, die die Andragon-Kantone zumindest versuchte zu überwachen, zusammenzuhalten und zu steuern, soweit dies hinsichtlich der Machtkämpfe möglich war.

Der AKZ war eine der mächtigsten, wenn nicht die mächtigste Partei in den bekannten Systemen seit dem Fall der ersten Erde, was auf ihren enormen Technologiegrad und flächendeckenden Einfluss auf verschiedenste Planeten zurückzuführen war.

Seit vor kurzem sein Vater Thorwald bei einem tragischen Unfall ums Leben gekommen war, war Maurizius Ravenberg nun der neue Führer des Zusammenschlusses geworden. Thorwald Ravenbergs letztes großes Projekt vor seinem Tod war die Expansion in das Arym Var-System. Dieses war nach dem Fund der Bogenscheinportale eingeleitet worden. Damit brachte Thorwald der Menschheit die große Möglichkeit, in eine neue Galaxie zu expandieren und einen neuen Weg zu finden. Thorwald war ein sehr gläubiger Mensch und Anhänger des Post-Christentums gewesen. Er war immer bemüht gewesen, die Kanone zusammenzuhalten und Verhandlungssitzungen mit den Führern der Kantone zu organisieren, um einen einzigen großen ‚Andragon‘ zu schaffen, wie er es stets bezeichnet hatte.

Doch seit sein Sohn Maurizius Ravenberg an der Macht war, hatte sich nicht viel in dieser Hinsicht entwickelt. Kargan wusste nicht, was er von Ravenberg halten sollte, weil dieser seine Ziele eher im Verborgenen hielt. Kargan wusste jedoch, dass es nach wie vor Rebellenkantone gab, die Handelsstationen überfielen, Frachttransporter kaperten und sonstiges Unheil anrichteten.

Diese Tatsache gefiel ihm überhaupt nicht.

Doch auch für die ‚normalen‘ Kantone hatte er nicht viel übrig.

Die schmierigen, fettbäuchigen Pseudopropheten von Kantonführer benutzten anständige Menschen wie ihn, Kargan Saturon, dazu, ihre Ziele zu verfolgen. Das Schlimme war, dass er nichts daran ändern konnte, dachte Kargan.

Er stellte fest, dass sich sein mürrischer Gesichtsausdruck angesichts dieser Gedanken verstärkt hatte, als er in den kleinen schlichten Spiegel über dem Waschbecken sah. Er verstand in keiner Weise, weshalb irgendjemand Interesse an einem Planeten wie diesem haben sollte, auf dem er sich nun befand.

Als er beim Transportflug seines Teams in den Orbit die Oberflächenanalyse Infidelis’ begutachtet hatte, war ihm schnell klar geworden, dass seine Vermutungen berechtigt gewesen waren. Der Planet bestand zu neunundsiebzig Prozent aus reiner Rotsandwüste, der restliche Anteil waren lediglich Ödland, Hartsteingebirge und einige wenige Oasen, die sich in Äquatornähe befanden.

Andragon Outrange 15 war ein Prototyp für den Versuch des Karndalf-Kantons, mit möglichst wenig finanziellen Mitteln eine mögliche Ressourcenquelle zu ergattern.

Das Karndalf-Kanton war nur eines der vielen Kantone, die die Andragon-Kantone bildeten. Etwa siebzehn weitere Kantone waren in der ‚Erbe des Lichts‘-Galaxie und nun auch im Arym Var-System verteilt. Einige davon hatten Handelsverträge und Pakte mit anderen, andere wiederum waren verfeindet.

Kargan war die Station, die auf einer kaum merklichen Anhöhe inmitten der Rotsandwüste stand, schon von Anfang an unsympathisch gewesen. Das dunkle, aus Flarretstahl konstruierte Gebilde bedeckte etwa fünfzig Mal fünfunddreißig Meter des Wüstenbodens. Ein Erdgeschoss sowie ein Stockwerk darüber ragten zusammen mit einem sechzig Meter hohen Überwachungsturm aus dem Wüstenboden. Alles zusammen wirkte wie ein deformiertes Flugzeugwrack, wie Kargan befand. Unter der Erde erstreckte sich die Station über zwei weitere Kellerstockwerke in den Untergrund. Auf der West- und der Ostseite der Station befanden sich mehrere aufrecht stehende Betonblöcke, die eine Art Perimeter bildeten. Kargan vermutete, dass sie die Eingangsbereiche der Station vor den regelmäßigen kleinen, aber dennoch oft sehr heftigen Sandstürmen schützen sollten. Eine gefechtsbedingte Bedeutung konnte man wohl ausschließen, da sich im Umkreis von hundert Kilometern so gut wie nichts befand. Lediglich wenigen Lebewesen wie Zyanidskorpione oder Grummhyänen waren ab und an auf den Umgebungssensoren zu erkennen. Oder war es doch eine Maßnahme gegen ein eventuelles Rebellenkanton?

Kargan wusch sich sein Gesicht mit eiskaltem Wasser.

Das Innere der Station konnte dem Äußeren jedoch auch keine Konkurrenz in Sachen Komfort machen. Zentral im Erdgeschoss befand sich der große Besprechungsraum mit riesigen Plasmamonitoren und einem Tisch mit wenigen Stühlen. Dieser Raum war von Verbindungsgängen zu kleineren Kammern umgeben, in denen Lebensmittel oder Ausrüstung gelagert wurden. Des Weiteren war ein kleinerer Speisesaal im Erdgeschoss enthalten. Im Stockwerk darüber befanden sich neben den Spezialräumen ein Gemeinschaftsraum sowie die kleinen ungemütlichen Schlafräume für das Team.

Kargan grunzte leise bei dem Gedanken, dass es nur einen Duschraum für das komplette Team von 12 Mann gab.

Bei den Spezialräumen handelte es sich um die Arbeitsplätze, an denen der Großteil des Teams seine Zeit verbrachte. Vier Mitglieder waren für die konstante Oberflächenüberwachung und Analysierung sowie für die Geologie des Planeten zugeteilt, während vier weitere an dem Terraforming-Konzept arbeiteten. Der Rest des Teams bestand aus einem Techniker, einem Sicherheitsoffizier der Karndalf-Kantongarde sowie einer Ärztin.

Kargans Reich jedoch war der Kommunikationsturm, der zentral auf dem Gebäude saß. Er war für die reibungslose Kommunikation zwischen der Kantonfraktion, dieser Station sowie den anderen Stationen innerhalb der Teneib-Wüste verantwortlich. Der Turm war das einzig Gute an dieser Station, befand er. Man hatte eine phantastische Aussicht zu allen Himmelsrichtungen.

Am Spätnachmittag konnte man nach dem Abkühlen der Luft das Gorres-Massiv im Nordwesten erkennen, das sich wie eine riesige Mauer über den gesamten Horizont zog.

Kargan streifte sich missmutig seine Dienstkleidung über.

Er kannte niemanden richtig aus seinem Team. Er war auch nicht besonders interessiert daran. Er kannte nur einige Namen der Teammitglieder, seit sie vom Expeditionsleiter einander vorgestellt worden waren. Kargan wollte lediglich seine Zeit hier absitzen.

Ja, so konnte man es bezeichnen, dachte er sich. Absitzen.

Nach der Strafversetzung aus dem Mol Ondune Forschungszentrum für Asteroidengeologie hätte Kargan am liebsten einen interstellaren Gleiter gestohlen und wäre in den Zentral-Asphyx geflogen. Doch er war zur Vernunft gekommen.

Das Karndalf-Kanton hatte ihn gewissermaßen in der Hand und er war auch in finanzieller Hinsicht davon abhängig. Raul Densing, der Führungschef der Mol Ondune Research Institution, hatte Kargan mit verächtlichem Blick die Strafversetzung nach Infidelis angekündigt. Die Geschehnisse auf Mol Ondune hatte Kargan schon fast verdrängt.

Wenn er Raul noch einmal zu Gesicht bekommen würde, würde er ihn umbringen.

Zumindest, dachte Kargan, müsste er sich stark beherrschen, dies nicht zu tun.

Er bemerkte Bartstoppeln in seinem Gesicht, als er sich vor dem Spiegel abtrocknete.

Kargan war ein friedlicher Mensch. In seiner Kindheit hatte sich Kargan so gut wie nie geprügelt, weil es einfach nie dazu gekommen war. Doch Raul war zu weit gegangen. Er war ein korrupter Mensch, der trotzdem tun und lassen konnte, was er wollte. Mit Kargan war er noch nicht fertig.

Dies war jedoch nur eines der Dinge, die Kargan sorgen bereiteten.

Das Zischen der Luftdrucktür des kleinen Quartiers riss ihn aus seinen Gedanken. Eine Frau sah mit verschlafenem Gesichtsausdruck herein. Sie hatte zerzaustes, seltsam schimmerndes grünliches Haar, welches ihr bis zu den Schultern herabhing. Sie trug eine Art Pyjama der weiß-blau gestreift war und viel zu klein wirkte. Sie war barfuß.

Die Hybridfrau, schoss es Kargan durch den Kopf. Er hatte zwei aus dem Terraforming-Team über sie reden hören. Sie hatten die Frau verächtlich lächelnd als halb-Mensch-halb-Pflanze-Schlampe bezeichnet. Kargan hatte keine Ahnung, was sie damit meinten, aber es war ihm zu diesem Zeitpunkt auch egal gewesen. Aber jetzt war das nicht der Fall.

»Was machst ... wie sind sie hier hereingekommen? Ich habe die Tür über die Nacht verschlossen!«, gab Kargan von sich und ärgerte sich über den Ton in seiner Stimme, der mehr beleidigt als wütend klang.

»Offensichtlich nicht«, antwortete die Frau beiläufig und gähnte ungehemmt und ausführlich, ohne sich die Hand vorzuhalten.

Kargan wandte sich von dem bizarren Anblick ab und fragte: »Und warum platzen sie hier herein? Ist ihnen klar, dass es mitten in der Nacht ist?«

»Na, ja«, antwortete sie. »Der Generator ging auf einmal aus ... Ich konnte nicht schlafen ...«.

Warum gähnst du dann als wärst du in der Tiefschlafphase gewesen, dachte Kargan.

»Das tut er ständig« knurrte er stattdessen. »Diese Station ist der reinste Witz. Aber sie haben meine Frage noch nicht beantwortet.« Er wandte sich ihr wieder zu und sah ihr direkt in die Augen. Sie waren hellgrün, stellte er fest. Irgendwie bizarr, unnormal. Pflanzenweib, schoss es ihm ungewollt durch den Kopf. Im nächsten Moment bemerkte er, dass er gerade seltsam aussehen musste, als er sie so anstarrte.

Sie schien es nicht zu bemerken. Zumindest ignorierte sie ihn und sagte nach einer kurzen Pause: »Es ... es tut mir leid, ich wollte nicht so hereinplatzen, es war nur ... Ich habe das Geräusch des Notstromgenerators gehört und habe vom Gang aus Licht in ihrem Zimmer gesehen.«

Sie sah jetzt munterer aus, als würde sie langsam wach werden.

Kargan wusste kurz nicht, was er antworten sollte und murmelte etwas Unverständliches, während er sich dem dunkelgrauen Spind in seinem kleinen Zimmer zuwandte.

Aus dem Augenwinkel bemerkte er, dass sich die Frau gegen den Türrahmen gelehnt hatte und aber nicht im Geringsten daran dachte zu gehen.

»Na ja. Da wir jetzt eh schon wach sind können wir uns die Sache ja mal ansehen ... Ich war gestern eh schon mal unten und hab den Generator nach einem Ausfall wieder aktiviert, während alle gemütlich geschlafen haben«, murmelte Kargan schließlich und fingerte ungeschickt die tragbare alte Pulslampe seines Vaters aus dem Spind. Sie rutschte ihm fast aus der Hand. Mist, dachte er. Er verstand selbst nicht warum ihn die Anwesenheit dieser Frau, deren Namen er nicht mal genau wusste, in Verlegenheit brachte.

»Wie heißen sie eigentlich«, hörte er sich selbst sagen, während er den Blick immer noch auf den Spind gerichtet hielt und so tat, als würde er etwas suchen.

»Nennen sie mich Anjiara. So nennen mich alle, mit denen ich zu tun habe.«

»Anjiara? Aber wie richtig? Also ... Ich meine«, Kargan wurde unsicher als er sah, wie die Frau mit den hellgrünen Augen den Blick senkte.

»Experimente haben keine Menschennamen«, erwiderte sie mit einem spöttischen und zugleich traurigen Unterton in der Stimme. »Meine echten Eltern? Die habe ich nie kennen gelernt. Deshalb kein Name.« Sie sah wieder zu ihm auf.

»Das tut mir leid ... ich wusste nicht ... ich wusste nur ...«, stammelte Kargan, der sich mit einem Mal äußerst unwohl fühlte.

»Ist schon in Ordnung. Hab’ mich schon dran gewöhnt. Und sie sind Kargan Saturon.« Sie lächelte leicht.

Kargan grinste dümmlich und versuchte sich dann aber zu fassen. »Ja. Der bin ich.« Er merkte, wie er sich schon wieder blöd vorkam und fügte schnell in pseudokumpelhaftem Ton hinzu: »Gut Anjiara! Dann wollen wir mal nachsehen, was mit dem guten alten Generator wieder los ist.«

Fehlschlag auf voller Linie, dachte sich Kargan und zwängte sich ungeschickt an der Frau vorbei, die immer noch im Türrahmen lehnte. Dabei fiel sein Blick unabsichtlich auf ihre Oberweite, die sich durch den Pyjama abzeichnete und die, wie Kargan befand, nicht übel bestückt war. Aus dem Augenwinkel sah er, dass ihr Blick ihm folgte, während er in den Gang außerhalb seines Quartiers schritt.

Verdammt, sie hat es gesehen. Du Idiot, was denkst du dir eigentlich, reiß dich endlich zusammen und benimm dich nicht wie ein Clown, dachte Kargan und verdrehte die Augen.

Er bewegte sich schnell in Richtung der Treppe, was bei dem schwachen dunkelroten Licht, das durch den Notstromgenerator aktiviert worden war, gar nicht so einfach war. Er drehte sich nicht zu Anjiara um, um einem möglichen weiteren Missgeschick zu entrinnen. Er hörte lediglich, dass sie ihm langsam tapsend folgte.

Was Kargan an der Station auch nicht leiden konnte, war der seiner Meinung nach konfuse Grundriss. Die Treppe führte nicht durch alle Stockwerke sondern lediglich ins Erdgeschoss. Von dort aus musste man quer durch den Besprechungsraum in den gegenüberliegenden Gang, von wo aus man eine weitere Treppe in die Kelleretagen nehmen musste.

Als Kargan die letzte Stufe erreicht hatte und sich lässig um das Geländer herum in Richtung des Besprechungsraumes schwingen wollte, rutschte er mit dem linken Fuß ab und konnte sich gerade noch am Geländer abfangen. Dabei verlor er die Pulslampe seines Vaters, die mit einem lauten Geräusch über den Metallboden rollte.

Kargan fluchte in Gedanken.

»Mann, ist das dunkel hier. Das ist ja lebensgefährlich«, versuchte er abzulenken, doch in dem Moment fiel sein Blick auf die zu Stillstand gekommene Batteriepulslampe und er hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen.

Wenn ich sie jetzt anschalte, fällt es erstrecht auf, dachte sich Kargan, während er die Lampe vom Boden aufhob.

Von Anjiara, die hinter ihm die Treppe heruntergekommen war, war lediglich ein verhaltenes Kichern zu vernehmen.

Kargan versuchte das Ungeschick zu vergessen und ging zügig durch den Besprechungsraum mit den großen Plasmamonitoren. Als er den Durchgang zu dem dahinter liegenden Gang erreicht hatte, überlegte er sich etwas zu sagen, um die unangenehme Stille zu brechen.

»Was genau ist ihre Funktion im Team, Anjiara?«, fragte er, als er die Treppe ins Kellergeschoss erreicht hatte.

»Wie wär’s mit ‚du‘ ?«, antwortete sie und grinste.

Kargan stand auf dem Schlauch. »Äh, wie jetzt?«

»Was genau ist deine Funktion im Team, Anjiara.« Sie grinste immer noch.

»Ach ... so!« Kargan lachte verlegen und schaltete seine Lampe ein. »Ja natürlich. Also Anjiara, was ist deine genaue Funktion im Team?« er ging die Metalltreppe in das erste Kellergeschoss hinunter und leuchtete den Weg mit der Lampe ab. Hinter sich hörte er die tapsenden Schritte von Anjiara.

»Ich bin einer der vier Wissenschaftler im Terraforming-Team. Marcus Werland ist dort auch Teamleiter.« Sie strich sich die zerzausten Haare glatt.

»Werland?« Kargan wendete und betrat die zweite Treppe die in das unterste Kellergeschoss hinunter führte. »Tut mir leid, aber Namen sagen mir nichts ... wer ist das?« Er erreichte das unterste Geschoss und leuchtete kurz mit der Lampe hin und her.

Erneut grinste Anjiara. »Der Expeditionsleiter.«

Kargan zog eine Braue hoch. »Oh.« Er zuckte fast unmerklich mit der Schulter und betrat einen Seitengang, der zum Generatorraum führte.

»Und wie ist es dann so, als Funkoffizier oben im Kommunikationsturm ganz alleine zu arbeiten? Schon Signale von einer unbekannten Alienspezies empfangen?« Sie kicherte kurz und sah Kargan mit leicht schief gelegtem Kopf an.

Sie sieht gar nicht so schlecht aus wenn sie lächelt, dachte Kargan. Er war stehen geblieben und hatte sich zu ihr umgedreht. Nicht ganz unabsichtlich leuchtete er ihr mit der Pulslampe ins Gesicht, so dass sie sich geblendet leicht zur Seite abwandte. »Du hast wohl meine Akte gelesen, Kriminalbeauftragte«, murmelte er mit leicht mürrischem Gesichtsausdruck und wandte die Lampe wieder in Richtung des länglichen Gangs.

»Ach ... nein, ich habe bloß zugehört als Werland seine Einführungsrede im Besprechungsraum gehalten hat«, erwiderte sie und rieb sich die Augen.

Kargan atmete lauter aus, als er es beabsichtigt hatte. Es klang fast als wäre er genervt.

»Hey Kargan, war nicht so gemeint!« der freundschaftliche Schlag von Anjiara auf Kargans Schulter kam für ihn eher unerwartet. »Bei dem wundert mich überhaupt nicht, wenn mal jemand unabsichtlich ein Nickerchen einlegt. Ich sacke ja schon weg wenn er mich anspricht, so eine schläfrige Stimme hat der Typ.«

Erstaunt über sich selbst lachte Kargan laut los und Anjiara fiel ein.

Sein Blick fiel auf ihre nackten Füße. »Ist dir eigentlich nicht kalt, so barfuß über den Metallboden von Andragon Outrange 15 zu tapsen?« fragte er grinsend.

Anjiaras Lächeln wich langsam aus ihrem Gesicht. »Einer meiner ... Nebeneffekte. Lass’ uns ein andermal darüber reden.«

Kargan nickte fast unmerklich und wandte sich unsicher von ihr ab, um den Weg wieder aufzunehmen.

Nach wenigen Infidelis-Sekunden hatten sie den Generatorraum erreicht.

Auf den ersten Blick war kein Schaden zu erkennen, als Kargan den Generator beleuchtete. Der Raum mit einer Größe von etwa achtzig Quadratmetern hatte eine Stahlkonstruktion im Zentrum, in der der Fusionsgenerator installiert war. Über dem Stahlgerüst befand sich die lange, meterbreite Flarretglasröhre, in der normalerweise der Fusionsstrom in grellem, weißviolettem Licht in einer Aufwärtsbewegung strömte. Dieser Fusionsstrom wurde als Flux bezeichnet. Der Strom war zum Stillstand gekommen und pulsierte in schwachem dunkellila. In einer Ecke des Raumes stand ein kleiner Kasten, den Kargan als Notstromaggregat identifizierte.

Die vielen Anzeigen, die an Konsolen rund um den Hauptgenerator angeordnet waren, sagten Kargan im Moment nichts, doch er meinte, die roten Blinklichter an mehreren Stellen als Fehlfunktion interpretieren zu können.

»Als der Generator letztens nicht funktioniert hat, hatte sich lediglich eine Kühlspirale überhitzt und der Stromfluss musste durch einige Knopfdrücke umgeleitet werden.« Kargan beugte sich über eine der Konsolen. Aus dem Augenwinkel sah er, dass Anjiara schon wieder ungehemmt gähnte, ohne sich die Hand vorzuhalten. Wo hat diese Frau nur ihre Manieren gelernt, dachte er sich und schüttelte den Kopf.

»Du scheinst dich ja wenigstens auszukennen. Wenn ich hier allein wäre, hätte ich nicht die geringste Ahnung. Ich beherrsche zwar über acht Terraforming-Simulationsprogramme, aber was diese Technik hier angeht, muss ich passen.« Anjiara verzog den Mund zu einer Grimasse.

Kargan betätigte einige Knöpfe auf der Konsole und blickte mehrmals auf, um eine eventuelle Bewegung im Flux festzustellen. Nichts tat sich. Er runzelte die Stirn und drückte unvorsichtig einige Knöpfe in eher willkürlicher Reihenfolge. Ein lauter brummender Ton kündigte eine Fehleingabe an. Von Anjiaras Richtung war ein leises Kichern zu vernehmen.

Kargan sah mürrisch auf, konnte sich dann aber ein Schmunzeln nicht verkneifen.

»Warte doch mal, Kargan.« Anjiara deutete unter eine Konsole links von ihm. »Was ist das da unten?«

Der Funkoffizier trat einen Schritt von seiner Konsole zurück und leuchtete mit der Pulslampe an die Stelle, auf die Anjiara deutete. Dort, wo sich ein flaches Flarretstahlgitter zum Schutz der Innereien des Generators hatte befinden sollen, war nur eine viereckige Öffnung. Elektronische Bauteile und viele Kabelstränge waren dahinter zu erkennen.

Als Kargan sich herunterbeugte, schlug ihm der Geruch von verschmorter Elektronik entgegen. »Gut entdeckt«, murmelte er und kniete sich vor die Öffnung.

Anjiara schnalzte mit der Zunge als Antwort.

Dann sah Kargan den Grund für den Ausfall des Generators. »Anjiara, das solltest du dir ansehen«, sagte er geistesabwesend ohne den Blick von dem dicken durchtrennten Kabelstrang abzuwenden.

Anjiara ging in die Hocke und sah auf das, was die Pulslampe entblößte.

Kargan drehte sich in ihre Richtung und zuckte leicht zurück als er feststellte, dass ihr Kopf sich nur etwa zehn Zentimeter von seinem entfernt befand.

Der angenehme Geruch einer Gesichtscreme stieg ihm in die Nase und schien den verschmorten Geruch zu verdrängen.

»Was ist da?« fragte sie erwartungsvoll, drehte ihren Kopf zu Kargan und schien sein Gesicht zu mustern.

Verlegen drehte er sich wieder in Richtung der durchtrennten Kabel und versuchte nicht zu stottern. »Äh ... Na, ja, also, ... die Kabel. Sieh genau hin. Sie ... äh ... sind durchgetrennt worden. Sabotage!«

Anjiara beugte sich nach vorn, so dass ihr Kinn fast seine Schulter berührte und runzelte die Stirn. »Du hast recht. Aber irgendetwas ist da komisch. Die Schnittstelle ...«

Kargan sah starr nach vorne und versuchte, sich seine Nervosität nicht anmerken zu lassen.

»Was in Gottes Namen treiben sie hier unten eigentlich?« Der Mann in Uniform, der hinter ihnen wie aus dem Nichts aufgetaucht war, schien das Wort ‚treiben‘ mit besonderem Genuss zu betonen.

Anjiara und Kargan schossen mit einem gemeinsamen Schrei hoch. Während Kargan verdutzt dreinblickte, atmete Anjiara erleichtert aus und sagte: »Barg-Sa Gerents«, und an Kargan gewandt: »Der Sicherheitsoffizier des Teams«.

»Hallo Barg-Sa ...«, murmelte Kargan, weil ihm nichts Besseres einfiel.

»Für sie immer noch Gerents«, knurrte der Sicherheitsoffizier. »Und jetzt sagt schon, was spielt ihr hier mitten in der Nacht für Spielchen zusammen?«

Diese Ausdrucksweise schien dem Sicherheitsoffizier Spaß zu bereiten, stellte Kargan fest und verdrehte innerlich die Augen.

Doch Anjiara war schlagfertig. »Wir reparieren den Generator. Der Sicherheitsoffizier wollte offensichtlich lieber Kinder erschrecken spielen, anstatt selbst etwas gegen den Stromausfall zu unternehmen.«

Der leicht dicke Mann mit dem Vollbart starrte sie an, als würde er ihr jeden Moment einen Schlag mit der Faust verpassen. Doch dann kniff er seine kleinen wachsamen Augen zusammen und brach in lautes Gelächter aus. »Du und dein Mundwerk, Anjiara. Du bringst mich noch ins Grab.«

»Das werden vorher schon deine Laster erledigen« sagte sie grinsend und wandte sich an Kargan. »Du musst wissen, er ist absoluter Kettenraucher und trinkt ab und an auch mal ein Schlückchen ...«

»Naja, naja, ein kleines Laster hier und da kann doch nicht schaden«, brummte er grinsend und musterte Kargan von oben bis unten. »Na gut, also Spaß beiseite. Was habt ihr hier?«

Kargan ergriff das Wort. »Es scheint, als habe jemand die Leitungen zur Hauptenergieversorgung für den Generator gekappt.«

Barg-Sa wurde langsam wieder ernst und beugte sich unter die Konsole.

»Sind sie sicher?«

»Eindeutig ein Schnitt.«

»War das Flarretstahlgitter schon weg?«

»Ja.«

Barg-Sa sah sich die Stelle genauer an. »Hmm. Könnte so was nicht durch einen Energiestau oder etwas in der Art entstehen?«, fragte er.

»Unmöglich. Sehen sie sich die Stelle an, an der die Kabel durchgetrennt sind. Wenn man mit einem Schneidelaser ... Moment mal.« Kargan sah sich die Struktur an einem der durchtrennten Kabel genauer an. »Das ... Das ist äußerst seltsam.« Sein Murmeln war fast so leise, dass man es nicht hören konnte.

Anjiara, die vor einem Augenblick noch mit verschränkten Armen vor dem Flux gestanden hatte, beugte sich nun auch wieder hinunter. »Was ist es? Was genau meinst du, Kargan?«

»Das kann nicht sein! Wisst ihr, wenn man mit einem Schneidlaser ein Kabel durchtrennt, sind die Enden minimal verschmort. Doch hier ist nichts davon zu erkennen. Es sieht fast so aus als hätte jemand ... geradezu die Moleküle des Kabels an einer Stelle voneinander gelöst und sie so getrennt. Es sind auch keine Späne oder Spuren vorhanden, die auf eine Säge oder etwas Mechanisches hinweisen. So kann man ein Kabel eigentlich überhaupt nicht durchtrennen ...«

»Das ist seltsam. Unheimlich!« Anjiara blickte Kargan in die Augen.

»Immer mit der Ruhe«, meldete sich Barg-Sa zu Wort. »Viele Dinge, die erst unerklärlich erscheinen, haben dann oft ganz schnell eine völlig logische Erklärung. Ich werde den Techniker und den Expeditionsleiter informieren.

Was euch betrifft ... An eurer Stelle würde ich lieber schnell versuchen noch etwas Schlaf zu finden, anstatt hier herumzustehen.« Sein Blick fiel auf Anjiaras nackte Füße. »Der Generator kann sowieso erst Morgen repariert werden.

Bis dahin müssen wir uns wohl mit dem Notstromaggregat zufrieden geben.«

»Aber was ist mit dem zerschnittenen Kabelstrang? Was ist wenn es doch Sabotage war und jemand hier am Ende sein Unwesen treibt?« Anjiaras Stimme klang nun ein wenig nervös.

Barg-Sa Gerents lachte nur leise. »Frauen. Immer zur Hysterie neigen.

Meine Liebe, du müsstest es doch selbst am besten wissen, da du im Terraforming-Team arbeitest. Rund um uns herum gibt es nichts als Rotsandwüste. Absolut keine Lebensformen. Das kleine, grüne Männchen, das ‚schnipp, schnapp’ Generatorkabelchen durchschneidet gibt es hier nicht. Wenn, dann müsste es jemand aus dem SHIRE Alpha Team selbst gemacht haben, wie zum Beispiel dein kleiner Freund hier.« Grinsend schenkte er dem mürrisch dreinblickenden Kargan ein Augenzwinkern und fuhr fort. »Aber wie er gesagt hat, wurde dazu kein mechanisches Gerät oder ein Schneidlaser benutzt.

Das einzige Schneidegerät, das ich hier in dieser Station jedoch kenne, ist der Schrottlaser von Mario Winston, dem Techniker. Der Laser, der immer überhitzt wenn man ihn länger als fünf Infidelis-Sekunden benutzt. Glaubt mir, irgendeine plausible Erklärung wird es schon geben.«

Anjiara schwieg mit verschränkten Armen und sah zu Boden.

Kargan konnte nicht sagen ob sie beleidigt war, doch ihr Anblick regte etwas in ihm. »Okay. Komm, lass’ uns verschwinden, Anjiara. Barg-Sa kümmert sich schon drum.«

Anjiara sah auf und lächelte.

»Verzeihung, Herr Gerents kümmert sich darum«, berichtigte Kargan sich selbst.

»Für dich immer noch Barg-Sa« knurrte Gerents und grinste dann wie ein Honigkuchenpferd.

Kargan ließ sich von Barg-Sas Grinsen anstecken und gab ihm die Hand.

»Alles klar, Barg-Sa«, sagte er und spürte, wie der grinsende Dicke ihm fast die Hand zerquetschte.

Auf dem Weg nach oben ging Kargan die Sache mit dem Kabelstrang nicht aus dem Kopf. Auch wenn Barg-Sa Gerents versucht hatte sie zu beruhigen, hatte der Funkoffizier ein ungutes Gefühl. Als solcher hatte er des Öfteren mit der Installation von Antennen, oder auch mit der Isolation eines Kom-Kabels zu tun. Er wusste, wie normalerweise durchtrennte Kabel oder Flarretfasern aussahen. Das was da unten passiert war, würde nicht so leicht zu erklären sein. Doch die automatischen Umgebungssensoren, die im Raum des Oberflächenüberwachungs- und Geologieteams installiert waren, würden beim Eindringen eines Lebewesens in die Station sofort Alarm schlagen. Deswegen war ein externer Saboteur so gut wie auszuschließen.

Auch Anjiara schien über den Beruhigungsversuch von Barg-Sa nicht besonders begeistert zu sein. »Was glaubst du, was es ist, Kargan? Du hast doch irgendwelche Gedanken so wie du die ganze Zeit vor dich hin grübelst, oder? Was, wenn es jemand aus dem Team war? Was hätte diese Person davon?«

»Ich weiß nicht, Anjiara. Ich weiß nur, dass ich heute mit Sicherheit keine Sekunde mehr schlafen kann.«

»Willkommen im Club!« Anjiara lachte. Eine grünlich schimmernde Strähne hing ihr ins Gesicht.

»Wir könnten auf den Balkon im ersten Stock gehen. Vielleicht sehen wir bei Sonnenaufgang das ... Gorres-Massiv im Nord-Westen.« Kargan stockte unter dem Satz, weil man den Vorschlag als einen Versuch von ihm, eine romantische Situation zu erzeugen, interpretieren hätte können. Hastig fügte er hinzu: »Also, das ist echt sehenswert!«

»Das ... Das würde ich gerne tun«, willigte Anjiara zu Kargans Überraschung ein. »Das Fenster im Terraforming-Raum zeigt nach Süden und lässt nur die öde Rotsandwüste sehen. Bisschen Abwechslung wäre da mal nicht schlecht.«

Sie folgte ihm die Treppe in das erste Stockwerk hinauf und den Gang nach Norden, der zu einem Flarretstahlgitterbalkon am nördlichen Ende der Station führte. Der Balkon war in einem Halbbogen um den oberen Teil des Gebäudes errichtet und knirschte metallisch, als Kargan seinen Fuß darauf setzte.

Vor ihnen erstreckte sich der dunkle Horizont des Wüstenplaneten Infidelis.

Der Himmel über ihnen war fast schwarz, doch vor ihnen nahm er bereits eine leuchtende dunkelblaue Farbe an. Im Nordwesten prangte das Gorres-Massiv wie eine hohe, pechschwarze gerade Wand aus dem Boden und streckte sich über einen großen Teil des Horizonts.

Da die Sonne des Arym Var-Systems – der Nexus – fast im Norden aufging, würde das Gorres-Massiv der Länge nach bestrahlt werden.

»Und, was war dann der Grund, weshalb du von Mol Ondune hierher strafversetzt wurdest?«, sagte Anjiara frei heraus. Sie hielt sich mit beiden Händen am Stahlgeländer des Balkons fest und sah in die Ferne des blauen Horizonts.

Ihre grünlichen schulterlangen Haare flatterten in einer leichten Brise, die über die Station strich.

Kargan stützte sich mit den Armen auf das Geländer und sah in Richtung des Gorres-Massivs. Seine Stimme klang gleichgültig. »Hat dir das auch der Expeditionsleiter bei seiner Einführungsrede erzählt?«

Sie sah ihn an und blieb ernst. »Tut mir leid Kargan. Es ist halt das, worüber sich die anderen das Maul zerreißen, wenn sie ihren Kaffeeklatsch austauschen.

Du kennst es ja bestimmt selbst. Ich weiß, ich bin immer zu neugierig. Also wenn du nicht darüber reden willst, finde ich das vollkommen verständlich.«

Kargan schnaubte verächtlich. »Die anderen. Was wissen die denn. Die wissen überhaupt nichts.« Er machte eine kurze Pause, bevor er weiter sprach.

»Kennst du Raul Densing?«

»Nicht persönlich. Hab nur von ihm gehört. Und nicht besonders viel Gutes«, erwiderte Anjiara.

»Raul Densing ist ein Dreckschwein. Er gehört hinter Gitter. Aber da kommt er nicht hin, weil er genügend Beziehungen im Karndalf-Kanton durch Verwandtschaften hat.« Kargan stockte kurz, als würde er angestrengt nachgrübeln. Er fuhr wütend fort. »Er ist korrupt und arbeitet mit Erpressung. Ich bin froh, dass ich nicht mehr auf dem Mol Ondune Forschungszentrum arbeiten muss und unter seinem Befehl stehe. Aber die Strafversetzung hat einen unangenehmen Beigeschmack. Ich muss fast die dreifache Zeit für den gleichen Verdienst abarbeiten und ich kann nicht aus. Was das Geld betrifft, das könnte ich verkraften. Aber die Tatsache, dass dieser Bastard mich gewissermaßen immer noch unter seiner Fuchtel hat, treibt mich in den Wahnsinn.«

Langsam wurde der blaue Bereich am Horizont heller und bekam einen dunklen, orangefarbenen Ton. Der Nexus ging auf, doch noch war er nicht in seiner Form zu erkennen.

»Offiziell arbeite ich nicht mehr unter Rauls Kommando, aber er hat überall seine Finger im Spiel. Das Problem ist, dass ich nicht einmal konkrete Beweise hätte, seine Korruption aufzudecken. Und wer glaubt schon einem kleinen Funkoffizier, der gegen einen angesehenen Forschungsinstitutsleiter des Karndalf-Kantons aussagt.«

»Das ... Das hört sich ja alles schrecklich an! Aber warum genau wurdest du strafversetzt?« Anjiara sah mitfühlend aus.

»Da waren diese Schmuggler ...« Kargan schien einen Punkt weit weg am Horizont zu fixieren. »Sie kamen regelmäßig. Was genau sie lieferten, hab ich nicht spitzbekommen, aber ich glaube, dass da was Größeres im Gange war. Du weißt ja, Schmuggel ist laut dem Kodex der Andragon-Kantone strengstens verboten. Aber ich war der Funkoffizier auf dem Mol Ondune Forschungszentrum. Ich weiß eine illegale Schiffsauthentifizierung von einer rechtlichen zu unterscheiden. Als ich zu Raul Densing ging, um ihn zu fragen, stellte sich heraus, dass er selbst hinter dem Schmuggelbetrieb stand. Seit dem Moment ging der Terror los. Ich wurde von vermummten Schlägertypen verprügelt und gewarnt, ich solle dichthalten, sonst würde mir weiß Gott was passieren. Ich fühlte mich immer beobachtet, egal wohin ich ging, und ich hatte verdammt noch mal Angst, das muss ich zugeben.«

Anjiara sah ihn schweigend an.

Das Dunkelorange des Horizonts hatte sich mittlerweile in ein helles strahlendes Orange verwandelt. Man konnte nun einen kleinen Teil des aufgehenden Nexus erkennen, der einen Bereich der Rotsandwüste in einem schimmernden Licht bestrahlte. Dort, wo sich vorhin lediglich schwarze Umrisse der Dünen befunden hatten, erstrahlte nun das Gorres-Massiv in goldbrauner Farbe.

Man konnte sogar die Struktur der zerklüfteten steilen Felswand erkennen, die etwa dreihundert Meter hoch war.

Kargan wirkte, als würde ihn das Spektakel nicht im Geringsten interessieren. »Dann, nach etwa eineinhalb Wochen ist es passiert. Ein Regulator der Karndalf-Geheimpolizei war zufällig auf dem Mol Ondune Forschungszentrum. Der Typ verfolge irgendeine Spur einer Frachterpiraten-Gruppe und war dann zufällig auf Hinweise über die Schmuggler gestoßen. Da Raul Densing Schiss hatte, dass er auffliegen würde, wollte er die Schmuggler hochgehen lassen und ihnen eine Falle stellen, um vor dem Regulator in gutes Licht gerückt zu werden.

Ich wollte den Regulator kontaktieren, aber ich merkte, dass ich mehr beobachtet wurde als je zuvor. Raul würde mich umbringen lassen, würde ich versuchen, die Wahrheit ans Licht kommen zu lassen. Dessen war ich mir sicher.

Ich konnte nichts dagegen machen. Das Letzte was ich tun konnte, war zu verhindern, dass Raul als der ‚Held, der die Schmuggler enttarnt‘ erschien. Mein Gedankengang war: Wenn die Schmuggler durch Raul nicht auffliegen würden, würde der Regulator weiter an dem Fall dranbleiben. Damit wäre Raul nicht aus dem Schneider gewesen. Ich weiß, das Ganze war ein wenig aussichtslos ... aber was hätte ich tun sollen?

An meinem Arbeitsplatz war ich sicher. Die Schlägertypen von Raul konnten mir nicht in die Kommunikationszentrale folgen. Als die Schmuggler dann wieder kamen, sendete ich ihnen das gewöhnliche Begrüßungssignal, jedoch verschlüsselt mit einer geheimen Botschaft über den Verrat. Die Schmuggler verstanden die Botschaft und flohen vor der Station, bevor Raul oder die Geheimpolizei eingreifen konnte.

Ja ... und so kam es dann, dass ich strafversetzt wurde. Natürlich fiel sofort der Verdacht auf die Kommunikationszentrale, aber ich konnte mich weitestgehend rausreden. Ich sagte, dass ich versehentlich die Kom-Schnittstellen für externe Zugriffe frei geschaltet hatte und die Schmuggler so von der Anwesenheit der Geheimpolizei spitzbekommen hatten. Es ging sozusagen als ein dummer Fehler meinerseits durch, der die Aktion der Polizei vermasselte.

In meiner und Rauls Anwesenheit ordnete der Regulator an, dass mein Vorgesetzter – Raul Densing – mir eine angemessene Strafe laut Karndalf-Kodex verhängen sollte.

Raul konnte nun nichts Fatales gegen mich hegen, weil der Regulator anwesend war. So versetzte er mich nach Infidelis.

Ich sehe heute noch seinen Blick vor mir, der sagte: ‚Du bist ein toter Mann, früher oder später kriege ich dich‘. Und hier bin ich ... auf Infidelis.«

Der Nexus war nun fast in seiner ganzen Größe zu sehen. Der Tag erwachte zum Leben. Die Wüste erstrahlte in rotgelbem Farbton und das Gorres-Massiv ragte deutlich sichtbar im Nordwesten auf.

Anjiara schien von Kargans Geschichte erstaunlich mitgenommen zu sein.

»Kargan, ich ... Musst du nun um dein Leben fürchten? Das ist ja entsetzlich. Weißt du, als ich die anderen gehört habe, dachte ich, du hast einfach nur irgendwo Mist gebaut. Aber das, was du erzählt hast, lässt alles gewaltig in einem anderen Licht erscheinen. Aber kannst du nicht irgendwie versuchen, was dagegen zu unternehmen? Du musst irgendjemandem davon erzählen ...«

»Wie ich schon sagte, ich bin nur ein unbedeutender Funkoffizier. Und ich kenne nicht die richtigen Leute. Ich kann dir nur sagen was ich denke: Eine korrupte Ader zieht sich durch das Karndalf-Kanton. Man muss immer aufpassen, mit wem man es zu tun hat. Vielleicht gibt sich mir irgendwann eine Möglichkeit. Aber bis dahin muss ich jeden meiner Schritte genau überlegen.«

Eine kurze Pause des Schweigens entstand.

Kargan wandte sich vom Sonnenaufgang ab und lächelte Anjiara schwach an. »Aber vorerst bin ich hier mal sicher. Hoffe ich zumindest. Denn wer will schon auf diesem trocken Rotsandklumpen nach jemandem suchen.«

Anjiara legte die Hand auf Kargans Schulter. »Kargan, ... wenn es mir irgendwie möglich ist dann ... würde ich dir gerne helfen.«

»Das wüsste ich sehr zu schätzen, Anjiara. Schau, das Gorres-Massiv, es sieht wunderschön aus.«

Anjiara blickte wieder zum Horizont. »Ja ... es ist wirklich sehr schön.«

»Bald wird die Hitze schon so groß werden, dass das Flimmern der Luft die Sicht darauf wieder verschwimmen lässt. Deswegen ist es tagsüber fast nicht zu erkennen.« Grinsend wandte sich Kargan wieder Anjiara zu. »Na gut. Und was ist nun dein dunkles Geheimnis?«

Anjiaras zufriedener Gesichtsausdruck wurde traurig und sie zog langsam ihre Hand von Kargans Schulter. Schweigend blickte sie zu Boden.

Kargan wollte etwas sagen, doch bevor er zu Wort kam, ertönte ein lautes summendes Geräusch. »Der Generator. Er funktioniert wieder. Anscheinend hat der Techniker doch eine Nachtschicht eingelegt und ihn gleich repariert.«

Anjiara lächelte wieder, sagte jedoch nichts. Kargan merkte, dass er gerne ihr Lächeln sah. Viel lieber als den traurigen Gesichtsausdruck, den er gerade bemerkt hatte.

Sie standen noch eine Weile schweigend auf dem Balkon und betrachteten den Horizont, bis Kargan wieder das Wort ergriff. »Langsam bekomme ich Kohldampf. Was hältst du von einem wunderbaren Frühstück? Na ja, wunderbar ist auf Andragon Outrange 15 ja eher ein Fremdwort, aber ...«

Anjiara kicherte. »Ja, lass uns frühstücken. Aber davor sollte ich mich erst mal umziehen.«

Sie gingen durch die Glastür in die Station hinein. Kargan versuchte sich darin, noch den einen oder anderen amüsanten Kommentar über die Station abzugeben, bevor sie sich im Gang zu den Schlafquartieren trennten.

Der Nexus wanderte langsam über die Teneib-Wüste von Infidelis und ließ sie in gleißendem Licht erstrahlen. Die Hitze erzeugte eine verschwommene Wahrnehmung in der Ferne. Doch etwas in dieser Wahrnehmung war nicht natürlichen Ursprungs. Etwas Unbekanntes befand sich reglos dort in der Wüste und schien den Raum um sich herum zu verzerren wie die Hitze die Luft über der Wüste. Das Unbekannte schien sich ausschließlich auf Andragon Outrange 15 zu fixieren.

Arym Var

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