Читать книгу Arym Var - Dominik Michalke - Страница 8

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Vor dem Sprung entwickelte der Ultra-Flux-Generator der Stronghold eine so starke Hitze, dass vierzig Prozent der verfügbaren Schiffsressourcen nur für die Kühlung des Generators verwendet werden mussten. Viele Ingenieure und AKZ-Techniker lästerten gerne über die enormen Verschwendungen an Energie, die dabei als Verlust in Kauf genommen werden mussten. Aber der Generator musste auf Höchstleistung betrieben werden, um die notwendige Geschwindigkeit für den Sprung durch das Bogenscheinportal aufzubringen.

Die Olympfregatte des Andragon-Kanton-Zusammenschlusses musste aufgrund ihrer Masse mindestens eine Geschwindigkeit von neunhundert Millionen km/h erreichen, was fast neun Zehntel der Lichtgeschwindigkeit betrug.

Wenn die Geschwindigkeit zu gering war, wurde der Bogenschein des Portals nicht aktiviert und das Raumschiff raste völlig ohne Wirkung durch die beiden divergierenden Bögen, die aus dem ‚Erbe des Lichts‘-System nach Arym Var führten.

Morgaine Hera wusste genauso wenig wie die ganzen klugen Köpfe des AKZ und aller Andragon-Kantone, weshalb das so war. Keiner wusste es und keiner war bisher darauf gekommen. In diesen Sekunden, als Morgaine mit der Stronghold beschleunigte, zerbrachen sich wahrscheinlich gerade aufs Neue hunderte von Wissenschaftler den Kopf darüber, warum passierte, was passierte. Sie zerbrachen sich den Kopf darüber, wie die Bogenscheinportale nur konstruiert sein konnten. Sie wussten wie man sie benutzte, das hatten sie herausgefunden. Aber wie sie funktionierten, darauf kamen sie einfach nicht.

Thorwald Ravenberg und der AKZ hatten die Bogenscheinportale entdeckt.

Das Erste, das sie entdeckt hatten, hatte in das Krakh-System geführt. Dann hatten sie das Zweite gefunden, in der Nähe des Jupiters, durch unglaublich viele und teure Missionen, die alle von Ravenberg und dem AKZ finanziert wurden. Das Zweite war das Portal gewesen, das nach Arym Var geführt hatte.

Das Portal, das Morgaine gerade benutzte.

Morgaine war es gerade völlig egal. Es war ihr egal, wie die Portale funktionierten, Hauptsache sie konnte sie jetzt benutzen. Es war ihr auch vollkommen egal, dass sie die Energieressourcen der Stronghold dafür verprassen musste und sich Wichtigtuer darüber beschwerten. Es war ihr egal, weil sie nach Arym Var reiste und Maurizius Ravenberg auf der Epos treffen musste.

Morgaine Hera war der Captain der Olympfregatte mit der Bezeichnung Stronghold. Ihr Vater Salomon Hera hatte den Familiennamen bereits im AKZ geprägt, als Thorwald noch am Leben gewesen war. Morgaine war als Captain eines der mächtigsten Schiffe in den bekannten Galaxien in die Fußstapfen ihres Vaters gestiegen.

Morgaine schritt langsam die große Rampe in der Mitte der Brücke herunter. Vor ihr war der riesige Plasmabildschirm zu sehen, der das Bild der Frontkamera der Stronghold zeigte.

»Bericht«, sagte sie in jahrelang antrainiertem herrischen Ton.

Einer der etwa dreißig Offiziere, die auf der riesigen Brücke stationiert waren, meldete sich zu Wort. »Geschwindigkeit der Stronghold beträgt derzeit 778000000 km/h, Tendenz steigend. Entfernung bis zum Bogenscheinportal nach Arym Var beträgt 39010566 km. Bei unserer derzeitigen Entfernung und Geschwindigkeit erreichen wir das Portal in etwa drei Erdminuten.«

Wir sind noch nicht schnell genug, dachte Morgaine. Wenn sie es nicht besser wüsste, würde sie jetzt unruhig werden. Aber die Berechnungen des Bordcomputers, die von den Steueroffizieren berechnet und geprüft wurden, waren absolut verlässlich. Sie würden unmittelbar vor dem Portal die benötigte Geschwindigkeit erreichen und durch den Raum nach Arym Var springen.

Das Bogenscheinportal im Arym Var-System war relativ nahe an Saltoris.

Es handelte sich dabei um den Planeten, den die Andragon-Kantone sofort als den Hauptplaneten festgelegt hatten, nachdem sie das erste Mal ins Arym Var-System gekommen waren. Saltoris war ein Planet der ‚Klasse B+‘. Dies qualifizierte ihn als erdähnlich und optimal besiedlungsfähig.

Morgaine hatte noch nie erlebt, dass ein Planet so schnell besiedelt worden war. Sie hatte das Terraforming des Neptun miterlebt. Es war ein langwieriger Prozess gewesen, der sich über vierzehn Jahre erstreckt hatte.

Saltoris war in 2 Jahren durch den AKZ terraformt worden. Die Kreuzer der Terra-Klasse waren wie Wespenschwärme über den Planeten hergefallen und hatten ihn den Kantonen zu eigen gemacht.

Kurz darauf war Thorwald Ravenberg verstorben. Sein Tod hatte die Kantonführer der Andragon-Kantone und den AKZ in seinen Grundmauern erschüttert. Doch nahezu schneller, als man über den Vorfall Gedanken hatte verlieren können, war Maurizius Ravenberg, Sohn von Thorwald Ravenberg erschienen und war der neue Führer des Andragon-Kanton-Zusammenschlusses geworden. Seitdem zog er die Fäden im Spiel der Eroberung des Arym Var-Systems.

Man konnte hier und da die Kantonführer munkeln hören, was Maurizius Ravenbergs Führungsart anging. Gewisse Grundsätze, die Thorwald geprägt hatte, wurden von Maurizius missachtet.

Thorwald hatte beispielsweise stets berücksichtigt, wenn eine Intelligenz auf einem Planeten bereits vorhanden gewesen war. Als die Andragon-Kantone das Krakh-System entdeckt hatten, waren unzählige Kongresse gehalten worden, in denen man mit den Krakh Bündnisse geschlossen und Vereinbarungen bezüglich der gemeinsamen Nutzung der Systeme, der Planeten, des Handelssystems und der Ressourcen getroffen hatte.

Maurizius schien im Arym Var-System jedoch einzubrechen wie ein Invasor, so munkelte man. Das System der Krakh und Arym Var waren zwar von Grund auf nicht zu vergleichen. Es gab auf letzterem System jedoch eine versteckte, sehr spärlich vorhandene Intelligenz auf verschiedenen Planeten, die erkannt, aber schlichtweg ignoriert wurde.

Nach zahlreichen Zwischenfällen, verursacht durch diese Intelligenz, hatte sich dafür schließlich die Bezeichnung ‚Sucher‘ oder ‚Zodiacs‘ in den Reihen der Andragon-Kantone gebildet. Die Sucher waren zum Sündenbock der Kantone geworden.

Maurizius schien kein Interesse daran zu haben, eine Kontaktaufnahme zu versuchen. Vielmehr schien er diese Wesen als Überbleibsel einer gescheiterten, bislang unergründeten Zivilisation des Arym Var-Systems zu halten und hatte Maßnahmen gestartet, um die Sucher aufzuspüren und sie endgültig aus dem System zu radieren, damit es voll und ganz für die Andragon-Kantone in Anspruch genommen werden konnte.

Prinzipiell widersprach eine derartige Vorgehensweise dem Kodex des Zusammenschlusses, den Thorwald geprägt hatte. Viele leise Stimmen brachten Unmut gegenüber Maurizius auf. Doch die Sucher spielten Maurizius in die Hände. Durch ihre hinterhältigen Angriffe verloren sie sofort Sympathie in den Reihen vieler Kantonführer, die dann schließlich Maurizius unterstützten.

Hinzu kam der Machthunger, den die Menschheit seit eh und je hatte. Viele Kantonführer schienen wie aus dem Nichts Thorwalds Prinzipien zu vergessen, als hätte es sie nie gegeben. Der Gedanke, eine Galaxie für sich zu beanspruchen, verlockte sie.

So gewann schnell ein anderes Gesicht die Oberhand über die Andragon-Kantone.

Morgaine jedoch war eine der wenigen, die mit dieser Wende der Dinge nicht zurechtkamen. Sie wusste Maurizius Ravenberg nicht genau einzuschätzen, da sie ihn noch nicht persönlich kannte. Aber die Informationen, die wenige Gleichgesinnte im AKZ mir ihr regelmäßig und versteckt teilten, ließen sie stark an Maurizius’ Führungsqualitäten zweifeln.

Unter Thorwalds Führung hatte sie jahrelang im ‚Erbe des Lichts‘-System dem AKZ gedient. Schließlich hatte sie den Befehl erhalten, Maurizius Ravenberg im Arym Var-System zu treffen um fortan in diesem System zu agieren.

Morgaine gefiel der Gedanke nicht, doch sie hatte keine Wahl. Als Olympfregattenkapitän und führende Person des AKZ war sie verpflichtet, Anweisungen des AKZ-Führers Folge zu leisten.

»Eine Minute bis zum Durchschreiten des Portals«, sagte der Offizier. »Geschwindigkeit der Stronghold: 869000000 km/h.«

Morgaine kaute auf ihrer Unterlippe. Etwas sträubte sich in ihr, das geschätzte ‚Erbe des Lichts‘-System zu verlassen und in das Arym Var-System einzudringen. Doch sie wusste, dass sie sich an den Gedanken würde gewöhnen müssen.

Maurizius befand sich auf der Epos, die in einem Zirkulationspfad zwischen dem Bogenscheinportal, der Vitalis-Handelsstation und den Planeten Endeavour, Saltoris und Infidelis kursierte. Dieser Zirkulationspfad war einer der größten, die der AKZ mit seinen Fregatten beflog. Für einen Führer des AKZ war ein derart umfangreicher Kurs offensichtlich von Nöten.

Der Kurs der Stronghold war so ausgelegt, dass sie sich der Epos bis auf etwa hundert Millionen Kilometer von der Vitalis-Handelsstation entfernt annähern würde. Dort sollte Morgaine Hera ihre Fregatte verlassen und Maurizius auf der Epos persönlich antreffen.

Als hochrangige Person im AKZ war es Morgaine gewohnt, andere wichtige oder hohe Persönlichkeiten zu treffen. Doch den neuen Zusammenschlussführer zu treffen, war selbst für sie eine unangenehme Angelegenheit, wie sie sich nicht verleugnen konnte. Zu Thorwald hatte sie ein freundschaftliches Verhältnis aufbauen können.

Morgaine schien im Gefühl zu haben, dass dies bei Maurizius nie der Fall sein sollte.

»Sprunggeschwindigkeit wurde soeben überschritten.« Der kleine Offizier, der eine schmale Brille trug, räusperte sich. »Die Stronghold bewegt sich nun mit 912000000 km/h. In Kürze werden wir das Bogenscheinportal erreichen.«

Morgaine betrachtete den riesigen Bildschirm. Sie konnte eindeutig die zwei nach außen gewölbten, rippenartigen Gebilde erkennen, die reglos nebeneinander im Raum schwebten. Durch die Sonne im Zentrum des ‚Erbe des Lichts‘-Systems erschienen sie in einem fahlen silbernen Schimmer.

»Portalaktivität?« Morgaine wusste, dass es sich nur noch wenige Sekunden bis zum Sprung handeln konnte. Wenngleich alle Bediensteten auf der großen Brücke der Stronghold leise vor ihren Monitoren und Bedienungspulten saßen oder standen und sich ihren Aufgaben widmeten, schien eine unsichtbare und dennoch spürbare Spannung im Raum zu liegen.

Der Offizier machte eine kurze Pause und sagte schließlich: »Bestätigt! Die bekannte Energiefluktuation der Bögen vor einem Sprung zeichnet sich ab.

Alle Parameterwerte im grünen Bereich.« Er richtete seinen Blick auf den großen Plasmabildschirm.

Morgaine erkannte, wie sich die beiden Bögen des Portals veränderten. Die silbernen Gebilde schienen leicht zu glühen, als würden sie von Elektrizität durchflossen. Das Glühen wurde stärker und veränderte sich schließlich bis zu einem grellen weißblauen Leuchten, das die ganze Brücke erstrahlen ließ. Dann entstand der Energieschein zwischen den Bögen – In grellem weißem Licht, das sich mit blauen Schlieren zu vermischen schien, begleitet von weißen Blitzen die von einem Bogen zum anderen schossen.

Doch bevor Morgaine sich weiter von dem Schauspiel beeindrucken lassen konnte, raste die Stronghold mit 944000000 km/h darauf zu und wurde von dem grellen Licht verschluckt. Im nächsten Moment wurde alles schwarz. Nicht nur das Bild auf dem Monitor, auch das gesamte Schiff und die Besatzung von zweitausend Mann darin, schienen sich für einen Augenblick zu verändern.

Das Raumkontinuum verbeulte sich und verschob die Stronghold um eine bislang unbekannte, aber enorm hohe Zahl von Lichtjahren an einen Ort nahe dem Planeten Saltoris.

Eine Art nicht hörbares, aber spürbares Aufatmen ging wie eine unsichtbare Welle durch die Brücke der Stronghold.

Mit völlig unverändertem Tonfall meldete sich erneut der kleine Offizier mit der Brille zu Wort. »Bestätige Ankunft im System: Arym Var. Entfernung zum ‚Erbe des Lichts‘-System: Unbekannt. Nächstgelegener Planet: Saltoris, Immobiler Sitz des Andragon-Kanton-Zusammenschlusses. Entfernung: 619000000 km.«

»Geschwindigkeit drosseln auf Planetarlokalisierungstempo. Nach Neukonfiguration der Gravitationskräftenutzung setzen sie Kurs auf die Vitalis-Handelsstation, Geschwindigkeit: AKZ-Prioritätstempo.« Morgaine stand mit verschränkten Armen auf der zentralen Plattform in der Mitte der Brücke und starrte auf das neue Bild, das der Monitor zeigte. Eine der seitlichen Objektivkameras der Fregatte hatte Saltoris bereits lokalisiert und zeigte den hellblauen Planeten in der Ecke des Monitors auf einem Extra-Abschnitt.

Sonst waren nur Sterne auf dem Monitor zu sehen.

»Bestätigt.« Der Offizier klang fast wie der Bordcomputer selbst.

Das konstante, minimale Summen, welches das Schiff immer von sich gab, veränderte seine Frequenz. Der Planetargravitationsantrieb versuchte sich neu zu konfigurieren.

Ein Planetargravitationsantrieb, der kurz auch oft als PGA bezeichnet wurde, war immer abhängig von den umliegenden Planeten in einem System. Der Antrieb verfügte über die Fähigkeit, sich durch eine spezielle Sensibilisierungsmatrix die Anziehungskräfte eines oder mehrerer Planeten zu Nutzen zu machen. Dabei wurden die Kräfte abhängig von der Position des Kerns, des Zentrums des PGA, berechnet, millionenfach verstärkt und als Antrieb verwendet.

Der PGA verfügte über die Möglichkeit, einen Anteil von Gravitationskräften eines Planeten mehr oder weniger hinzuzuziehen und um benötigte Faktoren zu verstärken. So konnte sich der Antriebsträger völlig ohne Treibstoffverbrauch oder ähnliche Ressourcenfresser im Weltall bewegen. Der Antrieb war demnach enorm Energiesparend. Allerdings änderte dies nichts am Ressourcenverbrauch beim Sprung durch ein Bogenscheinportal. Das Raumschiff wurde durch die Gravitationskräfte durch den Raum ‚gezogen‘. Die Reichweite für die Empfänglichkeit von Gravitationskräften anderer Planeten betrug rein theoretisch einen Wert von Unendlich. In der Praxis jedoch versagten die begrenzten Reichweiten der Scan- und Sensortechnologien der Menschen.

Ein Raumschiff konnte sich demnach auch von einem Planeten entfernen.

Dazu beließ der PGA den Gravitationsfaktor des Planeten auf eins, vervielfältigte jedoch den Faktor eines anderen Planeten in nächster Nähe, der sich nicht hinter dem Startplaneten befand. Dass kein verfügbarer Planet zum ‚heranziehen‘ zur Verfügung stand, war absolut ausgeschlossen, da alleine im ‚Erbe des Lichts‘-System etwa vierhundert Planeten gescannt werden konnten. Diese Planeten konnten nicht erreicht werden, da eine derartige Reise mehrere Lebensspannen überdauert hätte. Dennoch konnten sie durch die Technologien der Andragon-Kantone als Bewegungsobjekte benutzt werden.

Nach einem Eintritt in ein neues System, verlor der PGA-Computer sämtliche Koordinaten der umliegenden Planeten und musste sich neu konfigurieren.

Dabei wurde das System abgescannt und neue Planeten als Bewegungsobjekte herangezogen. Dazu musste die Olympfregatte auf Planetarlokalisierungstempo gehen.

Anschließend sollten die geeigneten Planeten dazu benutzt werden, das Schiff wieder in Betrieb zu setzen und es in die Nähe der Vitalis-Handelsstation zu bringen.

Morgaines Arbeit war hier nach dem Sprung nun vorerst erledigt. Ihre ausgebildete Crew und die Offiziere auf der Brücke würden selbstständig dafür sorgen, dass die Stronghold ohne Zwischenfälle an ihrem Ort ankommen würde.

Morgaine übergab das Kommando an ihren ersten Offizier Khaust und entschloss, sich in ihr Quartier zurückzuziehen.

Das Schiff-Kom piepte, als Morgaine gerade aus der Dusche trat. Sie akzeptierte die Audio-Verbindung und wartete, obwohl sie bereits wusste, was los war.

»Offizier Khaust meldet sich von der Brücke der Stronghold«, ertönte die Stimme des ersten Offiziers. »Wir gelangen in die Nähe der Vitalis-Handelsstation. Wir bitten sie auf die Brücke, Captain Hera.«

»Bestätigt«, brachte Morgaine heraus und wischte sich mit einem Handtuch die Haare. Am liebsten wäre sie zurück in die Dusche gegangen. Aber Captain einer Olympfregatte zu sein hieß Verantwortung zu tragen.

Sie trocknete sich im Wellentrockner innerhalb von drei Sekunden, zog ihre Uniform an und ging zur Brücke.

Ihr erster Offizier Khaust stand auf der Plattform und drehte sich langsam zu ihr um. Eine Art kleines Lächeln war unter seinem Schnauzer zu erkennen, als er Morgaine erblickte und ihr das Kommando zurückgab. Morgaine glaubte, auch etwas wie Sorge von seinen kantigen, vierzig Jahre alten Zügen abzulesen.

»Steueroffizier«, sagte sie monoton. »Suchen sie die Koordinaten des Treffpunktes in der Datenbank des AKZ und gleichen sie sie mit unseren Zielpunktkoordinaten ab. Wir werden ...«

»Captain, eine eingehende Kom-Verbindung auf Interstellar-Basis. Quelle: Die Epos«, unterbrach sie der Hauptfunkoffizier der Stronghold.

»Auf den Hauptschirm«, sagte Morgaine, ohne mit der Wimper zu zucken.

Es war nicht Ravenberg, der auf dem Monitor erschien, sondern ein Mann Mitte dreißig mit einem Headset auf dem Kopf und einer Art Vis-Vorrichtung vor dem linken Auge.

Was hast du erwartet, dachte Morgaine. Dass der Zusammenschlussführer persönlich vor allen auf der Brücke mit dir spricht?

»Die Epos grüßt die Olympfregatte Stronghold mit den Grüßen des Kodex«, brummte die Stimme des Mannes gleichgültig.

Eine Standardbegrüßung, dachte Morgaine und konnte sich eines ähnlich gleichgültigen Tons nicht verwehren. »Captain Morgaine Hera von der Stronghold grüßt die Epos, Flaggschiff der Andragon-Kantone, gemäß dem Kodex.« Sie verzichtete auf eine direkte Ansprache von Ravenbergs Namen.

Der Mann am Monitor fuhr mit der gleichen gleichgültigen Stimme fort.

»Soeben werden ihnen die korrigierten und exakten Koordinaten übermittelt, die sie unverzüglich anstreben werden.« Er blickte kurz um neunzig Grad nach rechts und dann wieder direkt in den Monitor.

Morgaine hatte den Befehlston nicht überhört.

»Bestätigt«, murmelte einer der Offiziere auf ihrer Brücke leise. Morgaine warf ihm einen mürrischen Blick zu.

Der Mann mit dem Headset setzte fort. »Sobald sie die Koordinaten erreicht haben und mit der Epos in einer Parallelbahn sein werden, wird ein Perser-Shuttle bei ihnen andocken, um sie abzuholen. Es wird sie zur Epos transportieren, wo sie den Führer des Andragon-Kanton-Zusammenschlusses, Maurizius Ravenberg, aufsuchen werden.«

Morgaine fing an, wütend zu werden. Es störte sie nicht ungemein, dass sie als Fregattenkapitän herumkommandiert wurde wie ein kleines Kind. Was war so wichtig, dass sie Ravenberg persönlich und unter vier Augen treffen musste?

Falls sie eine neue Zirkulation im Arym Var-System bekommen sollte, konnte das auch über elektronische Datenübermittlung gehandhabt werden, wie es üblich war.

»Wir werden uns zu gegebener Zeit erneut zu Wort melden«, brummte der Mann auf dem Monitor und verschwand ohne ein weiteres Wort oder eine Pause.

»Wie schön«, sagte Morgaine spöttisch und stellte fest, dass sie es laut und deutlich ausgesprochen hatte. Mehrere Offiziere blickten sie verwundert an.

Nach etwa eineinhalb Erdstunden hatten sie die Koordinaten erreicht. Wie Morgaine es von perfekten Zeitplänen des AKZ gewohnt war, kam exakt zur gleichen Zeit das automatische Perser-Shuttle, welches sie abholen sollte.

Morgaine war auch über diese Sache verärgert. Perser-Shuttle wurden als automatische Transportmittel für Soldatenteams und Planetarmissionen benutzt. Sie ärgerte sich nicht über den fehlenden Komfort, sondern über die Tatsache, dass sie nicht von einem Abgesandten oder einem Botschafterschiff mit menschlicher Besatzung in Empfang genommen wurde. Thorwald hätte sich so etwas nie erlaubt, schimpfte sie in Gedanken.

»Das Shuttle wird in zwei Erdminuten Schleuse 3 erreichen«, sagte ein Offizier.

Morgaine musste sich auf den Weg machen. »Bestätigt. Khaust, sie haben bis zu meiner Rückkehr die Brücke der Stronghold.« Ohne länger zu warten wandte sie sich ab und ging zur Haupttür der Brücke.

»Viel Glück«, murmelte Khaust hinter ihr.

Das werde ich wohl brauchen, dachte Morgaine und ging durch die Tür in den Verbindungsgang zum Röhrentransporter. Khaust war ein Typ Mensch, der nicht viel redete. Aber wenn er etwas sagte, dann meinte er es auch so.

Morgaine wusste seine Anteilnahme zu schätzen.

Sie betrat den Röhrentransporter und aktivierte den Pfad zu den Hangars. Gelbliche Lichtfunken schossen außerhalb der Kapsel an Morgaine vorbei, während sich das Gefährt mit schneller Geschwindigkeit den Weg durch die verzweigen Röhren suchte und schließlich am Haupteingang zu den Hangars der Stronghold hielt. Die Gleittüren schossen auf und die Kapsel senkte sich langsam die letzten Zentimeter herab, bevor Morgaine den Fuß aus der Kunststoffhülle auf den Flarretstahlboden setzte.

Einige der Hangaroffiziere blickten mit hinter dem Rücken verschränkten Armen in ihre Richtung, als sie sich den Schleusen näherte. Vor ihr befanden sich riesige Flarretglasfenster, durch die hindurch man große Hangars mit schmalen Xeter-Gefechtskreuzern sehen konnte. Sie zählten im Kampf zu den am meisten gefürchteten Kriegsmaschinen weit und breit.

Weiter links waren die Frachterdocks. Doch Morgaine wusste auch ohne die weisende Geste einer der Hangaroffiziere, dass sie sich rechts halten musste, um zu den Shuttle-Docks zu gelangen.

Sie ging die lange Rampe hinunter, auf der mehrere Hangarbedienstete, Offiziere und Arbeiter wie Wespen hin- und herschwirrten und ihr teilweise fragende Blicke zuwarfen. Den Captain einer Olympfregatte ohne Begleitung von höherrangigen Offizieren zu sehen, war ungewöhnlich. Doch dies war eine Ausnahmesituation und Ravenberg erwartete sie für ein Gespräch unter vier Augen.

Die Rampe mündete in einen halbrunden großen Raum, in dem die Shuttles und Botschafterschiffe der hohen Offiziere und Kantonführer anzudocken pflegten. Zwei Bedienstete standen links und rechts von Schleuse drei und nickten Morgaine stillschweigend zu. Einer der Bediensteten betätigte einen Knopf an der Konsole. »Das automatische Perser-Shuttle der Epos hat in diesem Moment angedockt und ist in wenigen Minuten wieder bereit für den Abflug«, sagte er.

Morgaine nickte, worauf der Bedienstete erneut mehrere Knöpfe betätigte.

Die Tür der Schleuse fuhr mit einem tiefen Grollen nach oben und das schnöde Innere eines Standard-Perser-Shuttles wurde preisgegeben. Morgaine warf dem Bediensteten einen stummen Blick zu und betrat dann das Perser-Shuttle. Augenblicklich schloss sich die doppelte Tür hinter ihr und ein Brummen erfüllte das Raumschiff, was bereits die Initialisierung der Startsequenz signalisierte.

Verspannt ließ sich Morgaine auf den Sessel vor der Cockpit-Sichtscheibe fallen und starrte an die dunkle Metallwand, die die Innenseite des Shuttlehangars darstellte. Sie fühlte sich so fehl am Platz wie noch nie zuvor in ihrem Leben.

Morgaine sah sich um. Das Shuttle war länglich aufgebaut und konnte etwa acht Menschen fassen. Zur Inneneinrichtung gehörte nicht mehr als eine Toilette in einem Extraraum, ein kleiner Spind für Gegenstände, sowie ein kleines Fach mit einer spärlichen Standardbesetzung von Nahrungsmitteln und Getränken. Morgaine wandte sich wieder dem Cockpit zu.

Verschiedene Signaturen auf dem Armaturenbrett leuchteten auf und der Bordcomputer des Perser-Shuttles meldete sich mit einer sanften Frauenstimme zu Wort. »Das automatische Perser-Shuttle APS 13 der Olympfregatte Epos begrüßt sie herzlich an Bord. In den folgenden Minuten wird der Start initialisiert. Das Shuttle wird in einer vorprogrammierten Flugbahn zum ursprünglichen Ausgangspunkt, der sich in Hangarbucht 22 auf der Epos befindet, zurückkehren. Die manuellen Steuerungsoptionen sind für diesen Transport vollständig deaktiviert. Die Flugdauer wird elf Minuten und dreiunddreißig Sekunden nach andragonischer Zeitrechnung betragen.«

Jetzt fehlt nur noch, dass sie mit etwas kommt wie ‚Bitte legen sie sich so bequem wie möglich hin und schließen sie ihre Augen‘, dachte Morgaine griesgrämig und drehte sich unruhig in ihrem Sessel hin und her, was ein untypisches Verhalten für ihresgleichen darstellte.

»Das Perser-Shuttle APS 13 wünscht ihnen einen angenehmen und ungestörten Flug.«

»Amen.« Morgaine schnaubte.

Der PGA im Heck summte leise auf und das Shuttle erfuhr einen Ruck, als es sich von der Schleusenverbindung löste. Mit einem unterschwelligen Vibrieren glitten die silbernen Hangartüren auseinander und entblößten den freien Weltraum.

Dann setzte sich das Shuttle in Bewegung. Der Planetargravitationsantrieb koordinierte seine Verbindung zu den Gravitationsquellen und das Schiff glitt wie von Geisterhand aus dem Hangar, setzte in mehreren Abschnitten den Kurs neu und steuerte schließlich, unmerklich beschleunigend, auf einen Punkt in der Ferne zu.

Morgaine hätte sich irgendwie beschäftigen können, zum Beispiel mit Informationsdaten des Bordcomputers. Doch sie verzichtete darauf und blickte stattdessen stumm in den Weltraum, der sich vor ihrem Blickfeld offenbarte.

Nach etwa fünf Erdminuten konnte man die Epos bereits erkennen. Das Shuttle bremste geringfügig ab und schlug einen neuen Kurs entlang einer der Seiten der Epos ein. Erst jetzt konnte Morgaine ein Gefühl dafür entwickeln – verglichen mit der Stronghold – von welchen dimensionalen Ausmaßen die Flaggfregatte des AKZ tatsächlich war.

Die Epos war gigantisch.

Morgaine kannte die Daten und die Bilder. Sie kannte die Zahl der Besatzung von über einunddreißig tausend Mann, die 3D-Modelle der Hülle und die Waffensysteme, die allein komplette Armadas ausschalten konnten.

Doch die Daten zu lesen war eine Sache. Das Schiff wirklich zu sehen eine andere.

Einfach ausgedrückt sah die Epos aus wie ein silbernes flaches symmetrisches Dreieck mit abgerundeten Kanten. Dieses Dreieck hatte an seiner Ober- und Unterseite mehrere Auswölbungen. Eine dieser Auswölbungen musst etwa so groß sein wie die komplette Stronghold. An der Spitze des Dreiecks befand sich eine Art Röhre, die in horizontaler Richtung nach vorne zeigte.

Morgaine vermutete, dass es sich dabei um die von Seth Corbane entwickelte Kronoid-Tachyonlanze handelte – umgangssprachlich auch als ‚Das Schafott‘ bezeichnet – deren Feuerkraft die von zehn Strongholds überschreiten musste.

Als Morgaine an einer der Seiten des Schiffes entlang flog, bemerkte sie unzählige von Schiffen, kleineren Kreuzern, AKZ-Interzeptoren und sogar vereinzelte Xeter-Gefechtskreuzer, die wie Bienen um eine Honigwabe schwirrten und nahezu die Sicht auf den Weltraum versperrten. An der Seite des Schiffs waren im Vorbeiflug ununterbrochen Hangarschleusen zu erkennen.

Einige waren verschlossen, manche standen offen. Andere öffneten sich gerade und offenbarten Kreuzer, die herausgeschossen kamen, sofort ihre Kurse veränderten und sich in das Chaos von Schiffen um die Epos eingliederten.

Alle paar Sekunden bemerkte Morgaine eine Art dunkelblaue, pulsierende Lichtdruckwelle, die vom Heck des Schiffes ausging und wirkungslos über sämtliche Schiffe in der Umgebung strich. Morgaine vermutete den neu entwickelten Nexusplanetarantrieb, dessen Funktionsweise wie Wirkung ihr Wissen und ihr Verständnis um große Ausmaße überstieg.

Je näher sie der Oberfläche der Epos kam, desto mehr Struktur konnte sie erkennen. Schließlich glaubte sie sogar, einzelne Fenster und Luken zwischen den silbernen Metallplatten und Stahlstreben erkennen zu können.

Die fliegende Stadt, dachte Morgaine und vergaß einen Moment lang ihre Anspannung.

Doch die sanfte, pseudofröhliche Frauenstimme des Bordcomputers riss sie aus ihrer Ablenkung. »Eintreffen bei Hangarbucht 22 in dreißig Sekunden. Bitte halten sie sich zum Ausstieg bereit.«

Das Shuttle korrigierte seinen Kurs und steuerte auf eine Metallwand zu, die sich langsam zu vier Seiten öffnete. Das Shuttle manövrierte in die Öffnung und korrigierte mehrmals in völlig ruhigen Bewegungen mit dem PGA den Eintrittswinkel, bis es schließlich horizontal um hundertachtzig Grad rotierte und mit der Rückseite auf eine kreisrunde Schleuse zusteuerte. Morgaines Blick aus dem Cockpit zeige ihr, wie sich die vier Metalltüren von Hangarbucht 22

langsam wieder schlossen. Ein Ruck ging durch das Shuttle, ein mehrfach zischendes Geräusch war zu vernehmen und das Gefährt war zum Stillstand gekommen.

Morgaine ignorierte das »Wir haben soeben an der Schleuse in Hangarbucht 22 angedockt und bitten sie nun, das Shuttle zu verlassen«, und ging angespannt aber entschlossen auf die sich öffnende Schleuse im Heck des Shuttles zu.

Das erste was ihr auffiel waren die beiden Gestalten, die rechts und links um eine Frau mittleren Alters postiert waren. Sie trugen die gleichen Vis-Vorrichtungen vor ihren Augen wie der Kontaktmann auf dem Monitor der Stronghold und standen mit regungslosen Mienen und verschränkten Armen da. Morgaine bemerkte, dass ihre Schädel keine Haare trugen sondern silberne Metallbahnen, die über die Stirn und hinten in Richtung der Wirbelsäule verliefen.

Cyborgs, dachte sie grimmig. Cyborgs, kybernetische Organismen, wurden unter den Andragon-Kantonen oft als Minenarbeiter oder Hüllenreparaturkräfte genutzt. Dass sie hier als Sicherheitskräfte unter normalen Menschen agierten, ließ Morgaine stutzen. Es war ungewöhnlich. Cyborgs konnten programmiert werden, aber sie konnten auch manipuliert werden.

Die Frau in der Mitte schenkte ihr ein fast zu schönes Lächeln. Sie hatte kurze Haare, die ihr kaum bis zu den Schultern reichten und trug eine enge Uniform, die das Kodexzeichen des AKZ zeigte. Sie hielt Morgaine die Hand entgegen. Morgaine ergriff sie widerwillig.

»Captain Morgaine Hera! Mein Name ist Lieutenant Brooge. Ich begrüße sie mit den Grüßen des Kodex auf der Epos, der Flaggfregatte des AKZ. Mir wurde die ehrenhafte Aufgabe zuteil, sie zu Maurizius Ravenberg in seinen Regierungssitz zu begleiten.« Sie grinste wie ein Honigkuchenpferd.

Morgaine fand, dass Brooge das Pferdegebiss einer alten Tante hatte, wenngleich sie wohl nur halb so alt war wie der Olympfregattenkapitän mit sechsundvierzig Erdjahren.

»Sehr erfreut«, log Morgaine und entzog sich sachte der klammernden Hand von Lieutenant Brooge.

»Bitte folgen sie mir!«, trällerte Brooge und setzte sich in Bewegung. Die beiden Cyborgs folgten ihr zeitgleich, einer links, einer rechts. Beide hielten genau einen Schritt Abstand und starrten stumm nach vorne. Morgaine folgte.

Nach einem breiten Gang erreichten sie einen riesigen kreisförmigen Raum, der offensichtlich das Zugangszentrum für die Offiziershangars darstellte. Von diesem kreisförmigen Raum aus, der an der Decke mehrere helle Pulslampen angebracht hatte, gingen einzelne Durchgänge zu allen Seiten weg, die mit Nummern von eins bis fünfzig beschriftet waren.

Morgaine folgte Brooge und den Cyborgs zur Mitte des kreisförmigen Raums, wo eine schmale Säule direkt nach oben verlief. Erst als Morgaine unmittelbar davor stand erkannte sie, dass es sich um eine Art Röhrentransporter wie auf der Stronghold handelte. Eine smaragdgrüne Flarretglastür verschwand fast lautlos im Boden und öffnete den Weg zu einer Transportkapsel, die etwa sechs Mann fassen konnte.

Morgaine betrat langsam hinter Brooge den engen Raum und versuchte, nicht einen der Cyborgs zu berühren, die mit ausdrucksloser Miene starr zu den Seiten blickend neben ihr standen. Brooge frischte lediglich schweigend ihr künstliches Pferdelächeln auf und aktivierte eine Transportroute.

Die Kapsel setzte sich in Bewegung. Morgaine erkannte kaum einen Unterschied zu den Röhrentransportern der Stronghold, außer, dass die Kapsel sich viel schneller fortzubewegen schien und Röhrenübergänge wechselte, dass ihr schwindlig wurde. Durch die gelben Funken hindurch, die außerhalb der Kapsel entlang stoben, erkannte Morgaine verschiedene Abschnitte der Epos, durch die sie sich bewegten.

Sie schienen durch das halbe Schiff zu reisen. Zuerst schossen verschiedene Hangarbuchten vorbei. Schließlich wurden die Metallwände dunkler und schienen eine Art maschinelle Umgebung anzukündigen. Förderbänder transportierten Gegenstände, Bedienstete huschten in Frachträumen umher. Manche Förderbänder schienen unmittelbar neben den Röhren des Röhrentransporters zu verlaufen. Morgaine glaubte etwas wie eine Nahrungsentwicklungsfabrik und eine Müllkompressionsanlage zu sehen. Dann veränderte sich die Umgebung. Die Röhre, in der sie dahinschossen, führte in einen länglichen großen Raum, dessen Enden Morgaine kaum erblicken konnte. Tausende Menschen marschierten über den weißen Boden zwischen seltsamen Geräten, Kuppeln und turmartigen Gebilden hin und her.

Der Raum schoss an Morgaine vorbei. Die Kapsel vollführte mehrere Röhrenwechsel. Sie nahm einen Kurs ein, der Morgaine ein ‚nach oben‘-Gefühl vermittelte und bremste langsam ab. Gelbe Funken stoben an der Hülle entlang und die Kapsel kam vertikal zum Stillstand.

»Hier wären wir!«, sagte Brooge überflüssigerweise und die smaragdgrüne Tür der Kapsel versank geräuschlos im Boden.

Vor Morgaine offenbarte sich ein langer, schmaler, weißer Gang. Sechs Cyborgs standen mit verschränkten Armen dem Gang zugewandt mit dem Rücken zur Wand. Keiner regte sich, als Brooge zusammen mit den anderen beiden Cyborgs an ihnen vorbeiging und Morgaine ihr folgte.

Der Gang endete an einer massiven Flarretstahltür, die Brooge mit einem Fingerscan öffnete. Dahinter war ein weiterer weißer Raum angebracht, der keinerlei Verzierungen hatte und lediglich ein längliches Pult an der Seite beherbergte, das neben einer weiteren massiven Flarretstahltür angebracht war. Hinter dem Pult saß eine junge Frau, die ihre orangeroten Haare zu einem strengen Dutt zusammengetan hatte. Die Frau starrte Morgaine durchdringend an.

Morgaine wusste sofort, dass es sich um einen Mutant handeln musste. Die Frau hatte schimmernde blaue Augen, die zu leuchten schienen. Sie hatte keine Augenbrauen, und ihre Fingerspitzen waren unnatürlich lang.

»Captain Morgaine Hera«, meldete Brooge.

Morgaine sah sie zum ersten Mal nicht aufgesetzt grinsen.

Die Frau hinter dem Pult starrte weiterhin den Olympfregattenkapitän an und bewegte eine ihrer seltsamen langen Fingerspitzen auf einen Knopf, ohne den Blick abzuwenden. Ihre schimmernden blauen Augen erzeugten ein Kribbeln auf Morgaines Rücken.

Vier andragonische Sekunden später blinkte ein grünes Licht über der massiven Flarretstahltür neben dem Pult. Morgaine wusste, dass sich dahinter Ravenberg befinden würde. Das erste Mal verspürte sie Angst. Sie wusste nicht, was sie erwartet hatte, oder wie ein Treffen mit dem Sohn ihres geschätzten Freundes Thorwald Ravenberg aussehen würde, aber irgendetwas beunruhigte sie gewaltig.

»Bitte!«, trällerte Brooge und wies auf die Tür, über der das grüne Licht pulsierte. Doch anstatt Morgaine den Vortritt zu lassen, setzte sie sich selbst in Bewegung und ging auf die Tür zu. Diese öffnete sich mit einem blechernen, kalten Geräusch.

Morgaine folgte Brooge. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass die Frau hinter dem Pult immer noch in ihre Richtung starrte. Doch als sich Morgaine umwandte, hatte es den Eindruck, als würde die Frau nicht sie, sondern vielmehr Brooge anblicken, den Mund von einem seltsamen Lächeln umspielt.

»Captain Morgaine Hera.« Ravenbergs Stimme klang leise, autoritär und unsagbar kalt. Sie klang, als würde man auf dünnem Eis stehen und einbrechen, würde man seine Stimmlage verändern. Ravenberg saß auf einer Erhöhung hinter einem verzierten, sehr breiten, dicken Tisch und hatte die Hände aneinander gelegt.

Der großzügige weiße Raum hatte seltsame Bilder, Symbole und andere nicht identifizierbare Gegenstände an der Wand hängen. Zwei Cyborgs standen an den Wänden, die anders aussahen als die vorherigen, wie sie Morgaine gesehen hatte. Sie hatten dicke mehrschichtige Panzer um ihre Oberkörper und seltsame silberne Helme auf ihren Köpfen, durch deren Visierschlitze starre ausdruckslose Augen erkennbar waren. Sie hatten bedrohlich wirkende Taychonlanzen, die sie wie zum Kampf bereit in den Händen hielten.

Doch was Morgaine auf Anhieb viel mehr Nervosität einflößte als alles andere, war das Geschöpf, das sich in einer mit Flüssigkeit gefüllten Glasröhre neben Ravenbergs Tisch befand. Es war eine Mutantenfrau, wobei Morgaine das Geschlecht nur vage bestimmen konnte. Das Geschöpf schwamm in einer leicht grünlichen Flüssigkeit und zuckte von Zeit zu Zeit. Es hatte bleiche, hellgraue Haut und der Körper erinnerte nur entfernt an den eines Menschen.

Es war entsetzlich entstellt, hatte Knorpel und Ausbeulungen an unzähligen Stellen und die Arme und Beine waren unnatürlich verdreht.

Doch all dies war nichts für Morgaine, verglichen mit dem Gesicht der Mutantenfrau. Dort, wo sich ein rechtes Auge hätte befinden sollen, prangte eine dunkelrote knorpelige Röhre, die direkt im Kopf des Wesens zu verschwinden schien. Das andere Auge war gelblich weiß und besaß weder Iris noch Pupille. Der Mund der Mutantin war zu einem endlosen stummen Schrei verzerrt. Etwas wie vereinzelte Zähne schienen aus verschiedenen Stellen gelblich hervor zu blinken. Der Kiefer war verdreht und zuckte ähnlich wie der gesamte Körper der Mutantin alle paar Sekunden zusammen. Mehrere unterschiedlich große Schläuche führten von der abgedeckten oberen Hälfte der Glasröhre direkt in Kopf und Körper des Wesens. Ein konstantes Zischen und Blubbern ging von dem Gefäß der Mutantin aus.

Morgaine hatte von Telepathen gehört, aber es zu erleben war viel schlimmer. Als sie direkt vor Ravenberg stand fühlte sie, wie die Telepathiemutantin sie gedanklich durchleuchtete. Betastete wäre der bessere Ausdruck gewesen, denn es fühlte sich an, als würden feuchte kalte Hände grob über Morgaines nackten Körper fahren, ihn an allen Ecken und Enden abtasten und schließlich den Kopf, oder vielmehr das Gehirn selbst ergreifen. Morgaine glaubte in Gedanken eine Stimme zu hören, wie ein Eindringling im Kopf, der mit wirren Worten umhersucht und nicht findet.

Morgaine versuchte sich nichts anmerken zu lassen.

Sie hatte oft von Mutanten gehört und gelesen, hatte sie immer verabscheut und gemieden. Doch in diesem Augenblick war sie ausgeliefert.

Mutanten waren entstanden, als das Spezialprojekt Terrauranus gescheitert war. Das Projekt war der fragwürdige Versuch einiger abtrünniger Kantonwissenschaftler gewesen, einen Gasriesen zu terraformen. Es wurden bizarre Schwebestationen mit Sauerstoffwandlern gebaut, die von vielen heimatlosen Pendlern des ‚Erbe des Lichts‘-Systems bevölkert worden waren.

Mehrere Jahre verlief alles normal. Doch keiner wusste von einem Element in der Atmosphäre, dass die Wissenschaftler nicht hatten entdecken können. Das so genannte Ze-Element überbrückte die Wandler des Sauerstoffgenerators und wurde über Jahre hinweg von der Bevölkerung eingeatmet, bis diese sich schließlich veränderte.

Die Veränderungen waren schleichend und bei allen vollkommen unterschiedlich. Bei manchen Menschen veränderten sich lediglich die Zellen. Es wuchsen neue Gliedmaßen oder vorhandene mutierten. Muskelbau nahm rapide ab oder zu.

Doch manche andere Menschen entwickelten Dinge, die absolut unerklärlich und teilweise erschreckend waren. Einige Mutierte entwickelten plötzlich telepathische, telekinetische oder ähnliche übernatürliche Fähigkeiten. Andere veränderten ihren gesamten Stoffwechsel oder ihre Körperstrukturen und schienen sich in völlig andere Lebensformen zu verwandeln.

Wie immer gab es unterschiedliche Ansichten über diese Phänomene und daraus entwickelten sich unterschiedliche Parteien. Ein Großteil der Kantone sah Projekt Terrauranus als ursprünglich ungenehmigtes Terraforming-Projekt, das negative Folgen nach sich gezogen hatte, die es zu eliminieren galt.

Viele Kantonführer forderten eine Liquidation der Mutationen und ein vollständiges Begräbnis des gescheiterten Projekts. Andere schlugen sich auf die Seite der Mutanten und verteidigten sie mit der Begründung, dass der Kodex der Andragon-Kantone verletzt werden würde, weil die Mutierten immer noch Menschen waren und ein Recht auf Leben haben sollten.

Dann waren da noch die Wissenschaftler, die zwischen den Parteien standen und versuchten, ihren wissenschaftlichen Vorteil aus dem Geschehenen zu ziehen.

Während alldem Drumherum gelang es Mutanten, Uranus zu verlassen. Viele wurden gejagt, ob von überzeugten Antimutanten, Kantongarde-Soldaten oder einfachen Söldnern. Viele Mutanten starben, doch auch viele entkamen und schienen spurlos zu verschwinden.

Als wenige Jahrhunderte später Gras über die Sache gewachsen war, schienen wie aus dem Nichts immer und immer wieder Mutanten zu erscheinen.

Manche vermuteten, dass sie im Verborgenen einen eigenen Stamm entwickelt hatten. Andere glaubten, dass sie sich vereinzelt mit Menschen gepaart und vermehrt hatten. Fortan waren Mutationen Bestandteil der menschlichen Bevölkerung.

Als schließlich Thorwald Ravenberg das Gesetz der freien Andragon-Mutanten festlegte, wurden erneute Rufe zur Vernichtung der Mutanten zu Boden geworfen. Seither lebten Mutanten und Halbmutanten entlang der reinen Menschen, teils respektiert und sogar beneidet, meist jedoch gehasst und illegal gejagt.

Es gab nicht mehr viele Mutanten und Morgaine hätte bei Maurizius am wenigsten mit einem gerechnet. Doch diese entsetzliche Telepathin befand sich direkt vor ihren Augen. Sie war neben Ravenberg und durchwühlte ihre Gedanken und Erinnerungen wie ein verschrecktes und zugleich unvorsichtiges, beängstigendes Wesen.

Morgaine konnte nichts tun als vermuten, dass Ravenberg durch die Mutantin – abgelesen an seinem kleinen Bildschirm am Tisch – ihre sämtliche Gedanken kannte. Völlig egal was sie tat, sie konnte sich nicht verstellen.

Morgaine entschied gezwungenermaßen schlichtweg sie selbst zu sein.

Langsam atmete sie ein und antwortete auf Ravenbergs Begrüßung. »Maurizius Ravenberg, Führer des Andragon-Kanton-Zusammenschlusses.«

Fast hätte sie ein »Es freut mich, sie kennen zu lernen« hinzugefügt. Doch das blubbernde Geräusch, das aus Richtung der Mutantin kam, sagte Morgaine fast wie eine unhörbare Botschaft, dass die Situation nicht nach derartigen Floskeln verlangte.

Ravenberg verzog den dünnen, markanten Mund zu etwas Eigenartigem, dass man unter diversen Umständen als Lächeln hätte interpretieren können.

Seine kurzen schwarzen Haare waren ordentlich nach hinten frisiert. Morgaine schätzte ihn allein anhand seines schmalen aber nicht unattraktiven Gesichts auf Mitte dreißig. Sie hatte Thorwald gut gekannt, sein Sohn hatte ihrer Meinung nach nicht viel von seinem Vater.

Zu früheren Zeiten hatte Morgaine des Öfteren Thorwald Ravenberg auf dem damaligen Hauptsitz des AKZ auf der neuen Erde im ‚Erbe des Lichts‘-System besucht. Dort hatte er ihr zwar von einem Sohn erzählt, sie hatte ihn jedoch nie zu Gesicht bekommen. Thorwald hatte ihr viel anvertraut, nicht jedoch die Details über Maurizius. Es war das erste Mal, dass sie ihn überhaupt sah.

»Mein Vater«, fing Maurizius erneut in gedehntem Tonfall an und verzog seinen Mund zu dem seltsamen Lächeln, »er hat einmal von ihnen gesprochen ...« Er schien auf einmal in die Ferne zu starren, bis er schließlich wieder Morgaine mit seinen grauen Augen anblickte. »Er sagte, sie sind sehr ... zuverlässig und ... loyal.«

Das Wort ‚loyal‘ kam Morgaine wie eine Ewigkeit vor. Sie wusste nicht was sie sagen sollte und entschied sich zu schweigen.

»Morgaine Hera.« Er betonte die letzte Silbe ihres Namens mit besonderer Länge. »Ich habe einen Auftrag für sie. Einen geheimen Auftrag, für sie und ... die Stronghold. Die Zukunft der gesamten Kantone von Andragon könnte von den Ergebnissen dieser Mission abhängig sein.« Er machte eine bedeutende Pause.

Morgaine schwieg und wartete. Sie versuchte ihre enorme Anspannung zu verbergen.

»Außer ihnen und ihrer Schiffsbesatzung darf niemand von dieser Mission erfahren, da es unter Umständen eine Panik in den Andragon-Kantonen auslösen könnte. Ich hoffe ich gehe richtig in der Annahme, dass sie dazu fähig sind, ihre Besatzung kommunikationstechnisch unter Kontrolle zu halten.« Es klang mehr wie eine Aussage als eine Frage.

Dennoch brachte Morgaine ein stummes Nicken zustande.

»Wie ich bereits sagte, ist es ein absolut geheimer Auftrag.« Ravenberg drehte in einer unendlich langsamen Bewegung seinen Kopf und schien neben Morgaine zu blicken. Aus dem Augenwinkel konnte Morgaine feststellen, dass Brooge mit ihrem Pferdegrinsen neben ihr stand. In der ganzen Zeit und angesichts der Umstände hatte Morgaine fast nicht registriert, dass Brooge mit ihr den Raum betreten und die ganze Zeit links neben ihr gestanden hatte.

»Lieutenant Brooge.« Ravenbergs Stimme klang so, als würde er ein selbst gepflücktes Blumensträußchen seiner zehnjährigen Nichte als Geschenk in Empfang nehmen. »Ihr Befehl lautete, Captain Morgaine Hera zu mir zu begleiten.« Ein nicht interpretierbares Zucken schnellte fast zeitgleich mit dem der Mutantin über seinen Mund.

»Und ... Und hier ist sie!«, sagte Brooge zu schnell. Ihr astreines Pferdelächeln kam ins Wanken. Unsicherheit kroch über ihre Züge.

»Sie sind in meinen Raum hereingekommen.« Ravenbergs Satz war weder als Feststellung, noch als Frage oder Aussage zu identifizieren.

Morgaine spürte Spannung im Raum heran steigen. Brooges Lächeln war nun ganz aus ihrem Gesicht gewichen. Stattdessen wurde sie langsam bleich.

Dafür schien Ravenberg ein unerwartetes, äußerst eigenartiges Lächeln um seinen Mund spielen zulassen, als er in lauterem Ton sprach. »Nun! Ich hoffe, sie haben ihren zweiten Befehl, die Abfallwiederverwertungsanlage in Sektor C betreffend, nicht vergessen.«

Brooges Pferdegebiss war entblößt, jedoch ohne eine Spur von Lächeln darauf. »Ich ... Ich verstehe nicht ganz ... He ... Herr Ravenberg«, stotterte sie.

»Sie werden«, sagte Ravenberg einrenkend. Ohne dass Morgaine eine Geste hätte registrieren können, bewegte sich einer der Cyborgs von der Wand fort auf Brooge zu und berührte sie mit seiner eisernen Hand an der Schulter.

Sein Körper war in Richtung der Tür gedreht, durch die sie und Morgaine hereingekommen waren.

Verdutzt und mit offenem Mund verstand Brooge, dass sie den Raum zu verlassen hatte. Sie blickte mehrmals zwischen Ravenberg und dem Cyborg hin und her und drehte sich schließlich stockend um. Der Cyborg ließ seine Hand auf Brooges Schulter ruhen und begleitete sie nach draußen, ohne zurückzukehren.

Langsam wandte sich Morgaine wieder Ravenberg zu, der mit aneinander gelegten Händen hinter seinem Tisch saß und leicht lächelte. Sie versuchte ihre Anspannung und Unsicherheit auf ihrem Gesicht zu verbergen, wenngleich sie spürte, dass die zuckende Telepathiemutantin diese Impressionen und Gedanken aus ihrem Kopf herauszusaugen schien.

»Hören sie genau zu.« Ravenbergs Stimme klang nun scharf. »Die Späher des AKZ haben vor bereits geraumer Zeit ein weiteres Bogenscheinportal entdeckt. Es führt zu einem bislang unerforschten System, das in internen Kreisen als ‚Grüner Schlund‘ bezeichnet wird. Außer einem riesigen grünen Phosphornebel und einem scheinbar endlosen Asteroidenfeld, scheint nichts in diesem System zu sein.«

Noch ein anderes System. Und noch dazu ein völlig unerforschtes, dachte Morgaine und wurde sich in dem Moment klar darüber, dass die Mutantin ihre Gedanken gelesen hatte.

Wie als Antwort auf ihre stumme Bemerkung fuhr Ravenberg fort. »Doch das sei nur am Rande erwähnt. Das System hat ... kaum eine Bedeutung für die Andragon-Kantone. Vielmehr geht es darum, was in der nexusferneren Gegend von meinen vertrauten Spähern bei dem Portal registriert wurde. Es wurden ... interessante Energiemuster entdeckt. Meine Vertrauten und ich gehen in der Annahme, dass es sich um eine unergründete Intelligenz handeln könnte. Ich meine damit nicht die Zodiacs. Es könnte etwas ... anderes sein.

Ihre Aufgabe ist es nun, mit der Stronghold diese Koordinaten anzustreben und herauszufinden, was dahinter steckt. Die Stronghold ist das einzige Schiff mit noch dazu einem ... fähigen Captain, so wie man mir sagte, das entbehrlich und vor allem geeignet für diese Mission ist. Benutzen sie die Möglichkeiten, die ihnen zur Verfügung stehen. Senden sie Sonden, Kontaktschwärme ... Tun sie, was sie für richtig halten und informieren sie die Epos.«

Morgaine schluckte. Ihre Lippen waren trocken und ihre gesamte Muskulatur schmerzte bereits, da sie die ganze Zeit so angespannt war.

Ravenberg ließ ein Script-Pad zum Vorschein kommen. »Auf diesem Pad finden sie alle notwendigen Informationen. Sie werden die Koordinaten einlesen, den Zielpunkt anstreben und ihre Mission durchführen. Ich hoffe, ihnen ist die Tragweite dieser Mission bewusst. Wir müssen herausfinden – zum Wohle der Andragon-Kantone – ob es sich bei den registrierten Objekten um Intelligenz und um Freund oder Feind handelt. Handelt es sich um eine kleine Rasse, um Boten einer entfernten Zivilisation, um ein Imperium das uns bedrohen könnte ... Finden sie es heraus. Ich lege vollstes Vertrauen in sie.« Sein letzter Satz klang normal, aber Morgaine spürte etwas Düsteres in seinen Worten.

Ravenberg reichte ihr das Script-Pad, ohne sie aus den Augen zu lassen.

Morgaine nahm es und nickte. Sie realisierte, dass die Unterhaltung zu Ende war und wandte sich langsam ab.

Als sie die Tür erreicht hatte und hindurch treten wollte, hörte sie ein letztes Mal Ravenbergs eiskalte Stimme, die wie die feine Autopsiesäge eines Pathologen durch den Raum schnitt und sie verharren ließ. »Morgaine Hera ...« Die Pause war unerträglich, die folgenden Worte schlimmer. »Enttäuschen sie mich nicht.«

»Jawohl«, sagte Morgaine kühl ohne sich umzudrehen und ging durch die Tür.

Den gesamten Rückweg mit dem Röhrentransporter konnte Morgaine Ravenbergs letzten Satz nicht vergessen. Er echote immer noch in ihrem Kopf, als würde die entsetzliche Telepathin immer noch eine gedankliche Verbindung mit ihr halten und ihr diese Worte aufdrängen wie ein Mantra.

Neben Morgaine stand einer der beiden Cyborgs, die sie auch zu Ravenberg begleitet hatten. Er stand reglos da und schien an einen nicht definierbaren Punkt jenseits der Kapsel zu starren, die mit hoher Geschwindigkeit durch die Röhren raste.

Morgaine bemerkte, dass sie zitterte. Während des ganzen Gesprächs hatte sie versucht, eine durch jahrelange Übung antrainierte ausdruckslose Miene zu bewahren. Nun rächten sich ihre unentspannten Gesichtsmuskeln.

Sie dachte über ihre Aufgabe nach. Sie war sich nicht einmal genau im Klaren darüber, wie die Mission durchgeführt werden sollte. Vieles an Ravenbergs Worten ließ Unklarheit hinter sich. Vieles jedoch war auch zu deutlich. Deutlicher als Morgaine es sich gewünscht hätte. Auch verstand sie nicht, was mit Brooge geschehen war.

Morgaine würde ihre Mannschaft einweihen müssen. Aber sie wusste, dass sie jeglichen externen Funkverkehr würde vermeiden müssen, um ein Informationsleck zu verhindern. Sie konnte erahnen, dass ein Missachten des Geheimstatus der Mission Folgen nach sich ziehen würde.

Morgaine grübelte den Rest des rapiden Röhrentransports über das Geschehene. Durch die trübe Glasscheibe der Röhrenkapsel und durch die gelben sprühenden Funken konnte Morgaine das Innere der Epos an sich vorbeirasen sehen. Der großen Halle mit den vielen Menschen folgten die Nahrungsmittelfabriken und dann die vielen Förderbänder, die größtenteils unidentifizierbare metallische Gegenstände transportierten.

Morgaine drehte sich um neunzig Grad zur Seite und konnte ein großes längliches Schild mit der Aufschrift ‚Sektor C‘ lesen. Die Kapsel wechselte ruckartig mehrere Röhren und schoss an mehreren breiten Förderbändern mit organischen Abfällen entlang.

Morgaine sah aus der Glasscheibe und war wie gebannt, als sie für einen Augenblick glaubte, deutlich ein rotes, blutiges Gebilde auf einem der Förderbänder zu sehen, dass wie ein menschlicher Kiefer aussah. Der Kiefer erinnerte Morgaine dennoch an das eines Pferdes.

Sie schaffte es, alle ihre Gedanken vollkommen zu verdrängen und hastete den Weg zu Hangarbucht 22, ohne auf den Cyborg zu achten.

Ebenfalls ohne die Hangarwachen vor dem Perser-Shuttle zu registrieren, rannte sie durch die offen stehende Schleuse in das Shuttle. Sie ließ sich in den Sitz fallen und starrte die sich schließende Schleuse an, als hinge ihr Leben davon ab, bis der PGA leise zu summen anfing und das Perser-Shuttle sich in Bewegung setzte.

Der erste Offizier musste offensichtlich an Morgaines bleicher Gesichtsfarbe erkannt haben, dass etwas nicht in Ordnung war. »Captain Hera! Wie ist das Treffen verlaufen? Stimmt etwas nicht?«

Einige Offiziere auf der Brücke der Stronghold blickten auf. Manche versuchten, Morgaines Gesichtsausdruck zu lesen. Doch sie schaffte es, ihre gewohnte Ausdruckslosigkeit herzustellen, als sie vor Khaust auf der Plattform stand.

»Es ... Es ist soweit alles in Ordnung.« Es gelang ihr jedoch nicht ganz, ein Stottern zu verhindern. »Wir sollten uns unter vier Augen unterhalten. Jetzt sofort.« Sie blickte ihn durchdringend an.

Nachdem Khaust ihr ins Kapitänsbüro gefolgt war, erzählte sie ihm den Verlauf des Treffens. Er hörte wie immer stillschweigend zu, bis sie zum Ende kam und sagte schließlich nach einer Pause: »Ich werde sofort alles Notwendige in die Wege leiten. Der Funkverkehr muss untersagt werden.«

»So ist es«, bekräftigte Morgaine. »Sämtliche Kom-Verbindungen werden gesperrt. Nicht nur die offiziellen, sondern auch die privaten. Der Besatzung muss klar sein, dass es sich um einen Ernstfall handelt. Kein Funkverkehr mehr mit Freunden und Verwandten, keine Kom-Briefe, keine Benachrichtigungen.

Es dürfen keine Informationen nach Außen gelangen sonst ...« Sie stockte.

Khaust verstand sofort. »Ich werde dafür sorgen.«

»Hier haben sie die restlichen Informationen und die genauen Koordinaten. Sämtliche Routineprüfungen und Übungen oder dergleichen werden ab sofort eingestellt. Die vollste Aufmerksamkeit gilt ab jetzt der Mission. Bereiten sie Sonden vor und gehen sie auf Alarmstufe Gelb-Drei. Ich möchte, dass sie die Stronghold darüber informieren, dass wir eine Spezialmission im Namen des Andragon-Kanton-Zusammenschlusses durchführen. Erläutern sie jedoch nicht die Details dieser Mission an Offiziere vierten Grades. Lediglich die Besatzung der Brücke sollte darüber informiert werden, mit was wir es zu tun haben könnten.« Morgaine betätigte mehrere Knöpfe auf dem Bedienungspult an ihrem Schreibtisch, um diverse Ressourcen, Energievorräte, Mannkapazitäten und andere Statistiken zu überprüfen.

»Bestätigt.« Khaust strich sich über seinen Bart.

»Wegtreten«, murmelte Morgaine, die in Gedanken bereits in ihren Statistiken und verschiedenen Vorgehensweisen schwebte.

Stunden vergingen. Die Stronghold reiste mit AKZ-Prioritätstempo in Richtung des Bogenscheinportals zu ‚Grüner Schlund‘.

Morgaine war nun seit nicht ganz einem Tag im Arym Var-System und dennoch hatten sich ihre Befürchtungen bestätigt. Etwas war an diesem System, oder vielleicht waren es tatsächlich nur die Umstände und Geschehnisse, die Morgaine beunruhigten und Angst machten. Sie saß in ihren Privaträumen, die dem Kapitänsbüro angrenzten, welches sich wiederum direkt neben der Brücke befand. Vor ihr befand sich ein Pulshologramm, das über einem Gerät zum Vorschein kam. Das Hologramm schien über einem kleinen Tischchen zu schweben und zeigte einen großen Teil des Systems nach Scannerinformationen der Andragon-Kantone. Im Zentrum des Hologramms befand sich ein kleiner roter Pfeil, der die Stronghold mit ihrer derzeitigen Bewegungsrichtung darstellte.

So weit weg vom Großteil der Andragon-Kantone, dachte Morgaine und wünschte sich nicht zum ersten Mal in ihr geliebtes ‚Erbe des Lichts‘-System zurück.

Die enorm leistungsstarken Langstreckenscanner der Stronghold ermöglichten eine Darstellung verschiedener anderer relevanter und mobiler Objekte. Morgaine konnte die Epos sehen, auf der sie sich vor einigen Stunden noch selbst befunden hatte. Auch die Bentham, die Sanctus und die Marx befanden sich auf ihren Zirkulationspfaden durch das System. Viele andere Objekte der Kantone waren namenlos und als Punkteschwärme kreuz und quer im System verteilt zu erkennen. Lediglich einige relevante Kreuzer der Kantone wie die RS Terranigma des Karndalf-Kantons waren beschriftet.

All diese Objekte schienen sich zusammen mit den Planeten in der Nexusumlaufbahn immer weiter von Morgaine und der Stronghold zu entfernen, die mit halber Lichtgeschwindigkeit in Richtung ‚Grüner Schlund‘ raste.

Morgaine kam sich vor, als würde sie alleine an den Rand des Weltraums fliegen. Dort wo sich die Zielkoordinaten befanden, auf die die Stronghold zusteuerte, war lediglich ein kleiner gelber Punkt, der ein Bogenscheinportal symbolisierte.

Morgaine ließ sich in ihre Couch vor dem Hologramm zurückfallen. Sie starrte an die Decke des leicht abgedunkelten, komfortablen Raums, an dessen Seite ein längliches Flarrethochdruckfenster den Blick auf Milliarden unbekannte, weiß leuchtende Sterne preisgab.

Sie hatte vor, erst eine Sonde zu senden. Sollte die Sonde eine Intelligenz im nahen Raum registrieren, so würde Morgaine ein Botschafterschiff hinterherschicken, um eine Grußmeldung zu senden und, so hoffte Morgaine, einen Kontakt mit der Spezies herzustellen.

Sie hatte eine derartige Mission noch nie durchgeführt. Aber sie war sich darüber im Klaren, dass ein Captain einer Olympfregatte, eines der größten und mächtigsten Schiffe der Menschheit, derartige Aufgabenstellungen durchaus zu bewerkstelligen hatte. Thorwald hatte ihr einst erzählt, wie er Kontakt zu den Krakh, bei der Entdeckung des Krakh-Systems, hergestellt hatte. Die Sauerstoff atmenden Wesen, die mehr an aufrecht gehende Tiere erinnerten, hatten sich sofort kooperativ gezeigt. Nach ersten formellen Treffen hatten die freundlichen Geschöpfe, die ähnliche Werte und Gesellschaftsstrukturen wie die Menschheit besaßen, gezeigt, dass sie genauso interessiert an Bündnissen, Raumnutzungsübereinkommen und Handelsabkommen waren wie die Andragon-Kantone. Man konnte sagen, dass der erste Kontakt zu einer anderen Spezies absolut reibungslos und wie erhofft erfolgreich verlaufen war. Doch was, wenn eine Spezies feindlich gesinnt war?

Die Andragon-Kantone kannten Krieg. Die Geschichte Andragons war geprägt von unzähligen Kantonkriegen, Machteinschränkungskriegen durch den AKZ gegenüber revolutionären Kantonen, sowie von Kriegen gegen kleine Rebellen-oder Piratenkantone. Doch immer waren die Kriege mit Technologien von Menschen gegen Menschen geführt worden. Der AKZ besaß die besten Technologien in den bekannten Systemen weit und breit. Selbst die Streitkräfte der Krakh würden im Falle eines Krieges nicht das Geringste allein gegen den Zusammenschluss ausrichten können. Mit diesen Technologien konnten alle bisherigen Kriege – mit oder ohne Gewalt – gelöst werden.

Der AKZ verfügte neben den Olympfregatten über eine enorme Streitmacht, über Xeter-Geschwader, Andragon-Kampfkreuzer und Absolute-Torpedoträgern reichend bis hin zu kleineren Kampfschiffen, ob mehrköpfige Hybrid-Tachyonlanzenträger oder einköpfige Tachyon-Scarlets. Mit dieser Streitmacht konnten rein theoretisch gesamte Systeme wie das Krakh-System eingenommen werden.

Die Olympfregatten des AKZ besaßen Vorrichtungen, deren Feuerkraft kleine Monde zerstören konnten. Manche munkelten, das viel besagte Schafott der Epos könne sogar Planeten vernichten. In Aktion gesehen hatte es jedoch noch nie jemand.

Aber was, wenn eine feindliche Spezies nun Technologien besaß, die denen der Andragon-Kantone weit überlegen war?

»Die militärische Macht der Andragon-Kantone ist unbesiegbar und gottgleich«, hörte Morgaine in Gedanken Ernst Möbius sprechen, einen hohen Militäroffizier der AKZ-Streitmacht. Doch die Menschheit würde nicht zum ersten Mal an ihrer Selbstüberschätzung scheitern.

Morgaine stand auf, stellte sich vor das Fenster und blickte die Sterne im Weltraum an.

Sie glaubte, dass sich etwas veränderte. Seit Thorwald Ravenberg tot war und sein äußerst suspekter Sohn den Zusammenschluss regierte, seit die Andragon-Kantone ins Arym Var-System vorgestoßen waren, war etwas im Gange, dessen Folgen oder Ausgang niemand erahnen konnte. Die Andragon-Kantone waren dabei, sich zu verändern.

Morgaine fragte sich, welche Rolle sie dabei spielen würde. Es galt abzuwarten.

Einige Stunden später erwachte Morgaine aus einem zu ihrer Verwunderung erstaunlich ruhigem und entspannendem Schlaf in ihren Privatgemächern.

Als könne er hellsehen, meldete sich der erste Offizier Khaust genau in diesem Augenblick über das Schiff-Kom. »Captain Hera, hier spricht der erste Offizier von der Brücke der Stronghold. Wir erreichen in etwa einer Stunde die Koordinaten, an denen der Späher der Epos die Energiesignaturen registriert hatte. Wir bitten sie auf die Brücke.«

»Bestätigt«, hauchte Morgaine und gähnte gelassen. Doch mit einem Mal schien die gesamte Situation wie eine Last wieder auf sie nieder zu sinken und ihr die Luft zu rauben.

Sie machte sich fertig und ging auf die Brücke.

Khaust schenkte ihr ein Nicken bevor er sprach. »Wir haben das Portal auf dem Monitor.« Er wies mit der Linken in Richtung des riesigen Plasmamonitors, der etwa zehn Meter entfernt emporragte.

Zwei schmale, divergierende dunkle Bögen, die nicht anders als die des Bogenscheinportals von ‚Erbe des Lichts‘ nach Arym Var aussahen, waren darauf zu erkennen. Sie standen reglos wie zwei eingefrorene, verbogene Metallsäulen im Weltall.

»Die Koordinaten jedoch führen uns daran vorbei, in mehrere weitere Millionen Kilometer Nexusferne.« Khaust klang konzentriert wie immer. Er hatte die Arme am Rücken verschränkt und sah ruhig auf den Monitor.

»Ich verstehe«, murmelte Morgaine und strich sich über ihre faltige Stirn.

»Ravenberg sprach von einer Signatur in der Nähe des Bogenscheinportals.

Gibt es schon irgendetwas, das die Scanner registriert haben?«

»Bisher noch nichts. Nicht das Geringste«, sagte Khaust ohne zu Zögern.

»Bei unserer derzeitigen Position können wir fremde Energiemuster bis auf etwa fünfhundert Millionen Kilometer weit scannen. Es ist jedoch so, dass wir weder in nexusnaher, noch in nexusfernerer Gegend um das Bogenscheinportal nach ‚Grüner Schlund‘ ...«

Ein Offizier der Scan- und Sensorenstation unterbrach Khaust lauthals.

»Captain! Sir! Wir haben das Energiemuster! Ich habe es bereits mit den Mustern verglichen, die sie von Ravenbergs Scans erhalten haben und die Signatur ist identisch. Das Seltsame ist nur, dass die Koordinaten des Musters weit vom Bogenscheinportal entfernt sind. Laut meinen Berechnungen müsste es sogar in ... nexusnäherer Position liegen, als wir uns gerade befinden ...« Die letzten Worte des Offiziers klangen verwundert.

»Wieso haben wir es dann jetzt erst entdeckt?«, fragte Morgaine nicht ungereizt.

Der Offizier kratzte sich provisorisch am Kopf. »Nun, es gibt da einige ... eigenartige Fluktuationen, die ich mir nicht zu erklären ...«

»Kurs nehmen«, unterbrach ihn Morgaine und warf dem Steueroffizier einen deutlichen Blick zu. »Reagiert es bereits auf unsere Präsenz?«, fragte sie dann mehr in den Raum hinein als konkret an eine Person gerichtet.

»Negativ«, antwortete ein Offizier.

Das leise Summen des PGA änderte seine Tonlage. Die Geschwindigkeit wurde gedrosselt. Auf dem Hauptmonitor konnte Morgaine sehen, wie die bisher regungslosen Sterne in einer langsamen Linksbewegung wegdrifteten.

Die riesige Stronghold vollführte eine Rechtsdrehung und visierte den neuen Kurs an. Von der Drehung selbst konnte man nicht das Geringste spüren, weil der Schwerkraftgenerator die Bewegungen des Schiffs perfekt kompensierte.

»Geschwindigkeit?«, fragte der Steueroffizier.

»AKZ-Prioritätsgeschwindigkeit«, antwortete Morgaine wie aus der Pistole geschossen. »Reichweite bis auf hundert Millionen Kilometer. Bringen sie uns ran, bis wir erkennen können, um was es sich handelt.«

»Bestätigt, Captain.« Der Steueroffizier betätigte mit konzentrierter Miene mehrere Knöpfe auf seiner riesigen Konsole, die zentraler als die vielen anderen in der Brücke angebracht war. Der PGA beschleunigte das Schiff wieder auf halbe Lichtgeschwindigkeit.

»Captain.« Die Stimme des Offiziers der Scan- und Sensorenstation war fast nicht zu hören.

Khaust und Morgaine blickten gleichzeitig in seine Richtung.

»Dieses Ding ...« Es war ungewöhnlich, dass sich ein Offizier auf der Brücke einer Olympfregatte nicht ordnungsgemäß ausdrückte. »Es ... ist irgendwie nicht nur an einer Position.«

»Konkretisieren.« Khausts Stimme klang fast gelangweilt.

»Es scheint irgendwie seine Position zu verändern, als wie wenn es die ganze Zeit Teleportationssprünge unternehmen würde. Als wie wenn es sich nicht ausschließlich ... im normalen Raumkontinuum bewegen würde. So etwas ist eigentlich nicht möglich.«

Morgaine schwieg. Khaust auch. Er sah sie an.

»Darum sind wir hier. Um herauszufinden wie so etwas möglich ist«, sagte sie schließlich und zog die Augenbrauen nach oben. »Kurs halten«, fügte sie überflüssigerweise hinzu und wandte sich an Khaust. »Kümmern sie sich darum, dass die Sonden einsatzbereit gemacht werden.«

Er nickte und verschwand durch den Haupteingang der Brücke.

Bald befand sich die Stronghold in hundert Millionen Kilometer Reichweite zu dem Objekt.

»Drosseln auf Driftgeschwindigkeit.« Morgaine wandte sich vom Hauptmonitor ab und dem Offizier der Scan- und Sensorstation zu. »Gibt es schon mehr Informationen?«

»Positiv. Es scheint sich tatsächlich um eine Art Schiff zu handeln, das ...« Er schien nach einem Wort zu suchen, das er nicht fand und sagte schließlich: » ... wirr herumspringt. Als wäre es nicht an die Gesetze von Raum und Zeit gebunden. Oder zumindest an die des Raums. Allerdings bewegt es sich relativ langsam. Extrem langsam, um es genau zu formulieren. Bei einer derartigen Geschwindigkeit würde das Objekt etwa zwei Erdwochen brauchen, um den Nexus zu erreichen.«

Morgaine sah den Funkoffizier an. »Bauen sie eine Langstrecken-Interstellar-Kom-Verbindung auf. Frequenzteiler auf komplette Bandbreite einstellen.«

Der Funkoffizier betätigte mehrere Knöpfe und drehte an zwei Reglern auf seinem Pult. »Keine Reaktion, Captain.«

»Wäre auch zu schön gewesen«, murmelte Morgaine, so dass nur sie sich hören konnte.

Beim ersten Kontakt mit den Krakh hatten die damals noch primitiveren Kom-Verbindungen sofort eine Antwort vernehmen lassen, die mit Milliarden von Sprachalgorythmen gleichzeitig verglichen worden war, so dass sofort eine Art Übersetzung generiert werden konnte.

Diese Option fiel hiermit weg.

Morgaine entschied, Khaust über ihr Schiff-Kom zu rufen. »Offizier Khaust, hier spricht Captain Hera. Da eine Langstrecken-Kom-Verbindung von dem vermeintlichen Schiff nicht angenommen wird, brauchen wir genauere Informationen. Bitte starten sie die Sonde.«

»Bestätigt«, drang es aus dem Kom.

Der Offizier der Scan- und Sensorstation hatte das fremde Schiff über eine Objektivkamera auf den Hauptmonitor gelegt. Morgaine starrte fasziniert und nervös zugleich auf das, was sich am Monitor abspielte.

Die Form des Schiffs erinnerte an eine Kaulquappe, wie sie auf der alten Erde vorgekommen waren. Doch diese Struktur war nur vage hinter dem seltsamen, durchsichtigen Schleier zu erkennen, der das Schiff zu umgeben schien.

Der Schleier schien die dunkle Oberfläche des Schiffes zu verbiegen und zu deformieren. Die Sterne außen herum verschwammen. Das Objekt vollführte in unregelmäßigen Abständen Sprünge von einem Punkt zu einem anderen in seiner nahen Umgebung. Zumindest sah es so aus. Es verschwand spurlos im Schleier und tauchte irgendwo in der Nähe wieder wie aus dem Nichts auf.

Morgaine hatte etwas derartiges noch nie gesehen. Sie überlegte ob es sich dabei vielleicht um eine Art Spezialantrieb handeln konnte.

»Sonde freigesetzt«, sagte ein Offizier auf der Brücke. Gleichzeitig kam Khaust wieder durch die Haupt-Tür herein.

Vor der Plattform, auf der Morgaine sich befand, war ein ähnliches Hologramm wie das in ihren Privatgemächern angebracht. Es handelte sich um die strategische Überwachungsstation. Sie konnte erkennen, wie sich ein grüner Punkt, der die Sonde darstellte, von der Stronghold fortbewegte und auf das fremde Objekt zusteuerte. Als er relativ nahe vor dem Objekt war, das als roter Fleck auf dem Hologramm erschien, meldete sich der Offizier der Scan- und Sensorstation zu Wort. »Captain. Wir empfangen einen Haufen interessanter Daten über die Sonde.«

»Sofort sichern und archivieren.« Morgaine ließ ihren Blick nicht vom grünen Punkt im Hologramm.

»Soweit wir das beurteilen können, befinden sich mehrere Objekte ... Lebensformen auf dem Schiff. Eintausendzweihundert, um genau zu sein. Die Hülle ist aus einem Material, das in keiner unserer Datenbanken registriert ist. Ich bin mir nicht Mal sicher, ob man es als Material bezeichnen kann. Es könnte genauso gut eine flüssige Substanz um die Lebensformen sein, wie eine Schutzglocke. So etwas habe ich noch nie gesehen. Etwas Genaueres über die Lebensformen kann ich nicht herausfiltern. Die seltsame Hülle des Schiffs scheint die Sensorstrahlen zu zerstreuen, was genauere Informationsübermittlung verhindert.« Der Offizier klang fast begeistert.

Lebensformen. Raumschiff. Schutzglocke. Also eine intelligente Spezies, dachte Morgaine. Wenngleich sie am liebsten mit der Stronghold kehrt gemacht und der Epos per Interstellar-Kom Bericht erstattet hätte, wusste sie, dass die Mission noch nicht beendet war. Sie musste mehr herausfinden.

»Auf Kom-Signale reagieren sie nicht. Wir wissen nicht Mal, ob sie uns überhaupt registrieren.« Ihr Blick fiel wieder auf den grünen Punkt im Hologramm, der nun nahe am fremden Schiff vorbei flog, ohne seinen Kurs zu ändern oder eine andere Reaktion hervorzurufen.

»Selbst wenn ihre Scanner nicht so weit entwickelt sein sollten wie unsere ... Zu diesem Zeitpunkt hätten sie die Sonde nun spätestens entdecken müssen.

Sie zeigen keine Reaktion. Was schlagen sie vor, Khaust?« Morgaine legte die Hand ans Kinn und sah Khaust an.

Der erste Offizier sagte, was sie bereits dachte. »Wir müssen uns mit einem bemannten Botschafterschiff nähern. Dass sie die Sonde ignorieren, könnte daraus zu folgern sein, dass ihre offensichtlich begrenzt befähigten Scanner keine Lebenszeichen darauf entdecken konnten. Um die Stronghold zu scannen, sind ihre Scanner vielleicht zu schwach. Es wird uns wohl keine andere Möglichkeit bleiben als sie direkt zu konfrontieren und auf eine Reaktion zu hoffen. Ich nehme an, dass wir diese Reaktion benötigen ... Vorher brauchen wir nicht zur Epos zurückkehren.« Sein letzter Satz klang wie eine Frage, aber Morgaine ignorierte ihn.

»Bereiten sie ein Botschafterschiff mit normaler Besatzungsstärke vor.«

Ein Botschafterschiff zu schicken war die angemessene Option. Die Stronghold selbst nahe an das fremde Objekt heranzubringen würde zu riskant sein.

Zudem musste man immer damit rechnen, dass eine fremde Spezies die große und durchaus bedrohlich wirkende Stronghold als Kriegsschiff sehen und vielleicht sogar angreifen würde.

Die Besatzungsstärke in einem Botschafterschiff betrug im Normalfall an die fünfzig Mann. Dabei war es üblich, aus einem Register von qualifizierten Personen eine Besatzung zusammenzustellen, die die Mission auszuführen hatte. Der Captain der Olympfregatte begleitete eine derartige Mission nur von seinem Schiff aus und koordinierte sie falls notwendig, flog jedoch nicht selbst mit. Der Platz des Captains war auf seiner Fregatte. Morgaine konnte sich nicht verleugnen, dass ihr diese Festlegung gerade nicht besonders Ungelegen kam.

»Werde ich diese Mission leiten?«, fragte Khaust.

»Nein.« Morgaines Stimme klang wie ein Pistolenschuss. Es war durchaus üblich, den ersten Offizier auf eine Botschaftermission zu senden. Aber etwas in Morgaine sträubte sich dagegen. Sie hatte das Gefühl, dass sie Khaust hier brauchte.

Stattdessen setzte sie sich vor ihr Kommandopult und stellte ohne lange zu zögern mithilfe von Statistiken und dem Personenregister ein Team aus Leuten zusammen die sie nicht persönlich kannte. Bei einer Mannstärke von über zweitausend Besatzungsmitgliedern war es für sie selbstverständlich, dass sie über Personen verfügte und damit agierte wie mit Zahlen. Als Missionsleiter und Botschafter legte sie einen gewissen Carl Vesterham fest. Er hatte die Andragon-Interstellar-Akademie mit erstaunlich guten Leistungen abgeschlossen und arbeitete seit zwei Jahren als einer der Schiffsinternen Krakh-Botschafter auf der Stronghold.

Morgaine lud die Daten auf ein Script-Pad und reichte sie an Khaust. »Veranlassen sie, was nötig ist.«

»Jawohl.« Der erste Offizier ging zuerst zum Funkoffizier und verschwand anschließend durch die Haupttür.

Etwa zwanzig Erdminuten später startete das Botschafterschiff. Auf dem Hauptmonitor erschien das Gesicht eines jungen blonden Mannes Mitte zwanzig. Er war sichtlich nervös. Man konnte seiner faltigen, unordentlichen Uniform ansehen, dass er unter dem Zeitdruck des spontanen Befehls belastet gewesen war.

Er ist noch so jung, dachte Morgaine, fegte jedoch sämtliche Gewissensbisse fort wie mit einem Besen. Dies war ein Schiff des AKZ, nicht irgendein Kindergeburtstag.

»Carl Vesterham me ... meldet sich augenblicklich z ... zu Befehl!« stotterte Vesterham.

»Bestätigt.« Morgaine verschränkte die Arme vor der Brust. »Sie haben die notwendigen Daten auf ihrem Bordcomputer, Vesterham. Fliegen sie zu dem Schiff und senden sie Begrüßungssignale auf allen Kurzstrecken-Frequenzen.

Sollte das Schiff feindliche Aktivitäten zeigen, werden sie eigenständig sofort den Rückzug vornehmen. Wir werden eine ununterbrochene Audio-Kom-Verbindung mit ihnen halten, um über die Geschehnisse auf dem Laufenden zu bleiben. Alles Gute.«

»Jawohl!« Vesterham beendete die visuelle Kom-Verbindung und begann, Befehle zu erteilen.

Der Hauptmonitor vor Morgaine hatte nun mehrere unterteilte Bilder, die unterschiedliche Objekte zeigten. Auf einem kleinen Abschnitt in der Ecke war immer noch die Sonde zu sehen, die ohne ein konkretes Ziel in den nexusfernen Raum schwebte. Im Zentrum des Hauptmonitors befand sich das fremde kaulquappenförmige Schiff, das in einem verschwommenen Schleier unnachvollziehbare und unregelmäßige Sprünge vollführte. In einem anderen großen Abschnitt war nun das längliche Botschafterschiff mit seinen zwei getrennten PGA-Kuppeln zu erkennen. Es bewegte sich auf das fremde Objekt zu.

Auch das große Hologramm vor der Kommandoplattform im Zentrum der Brücke zeigte ein blaues Objekt, das sich von der Stronghold fort auf das rote Objekt zu bewegte.

»Tempo drosseln auf Aufklärungsgeschwindigkeit«, sagte Vesterham gerade. »Annähern auf zehntausend Kilometer.«

Das Objekt hatte einen Durchmesser von etwa vier Kilometer, was der sechs Kilometer langen Stronghold durchaus Konkurrenz machte. Es vollführte seine seltsamen Sprünge in Abständen von etwa ein bis drei Kilometern.

Morgaine fand die Annäherungsentfernung von zehntausend Kilometern fast noch etwas gering, sagte jedoch nichts.

»Bereiten sie die Kom-Transceiver auf ein starkes Breitbandsignal vor.

Frequenzteiler auf alle Kanäle, AKZ-Priorität.« Vesterhams Stimme klang von Mal zu Mal fester und entschlossener. Morgaine war zufrieden mit ihrer Auswahl.

Das Botschafterschiff hatte sich nun sehr nahe dem fremden Schiff angenähert, wie sie auch auf dem Hologramm erkennen konnte. Wenn etwas passieren sollte, so wäre jetzt der Zeitpunkt gekommen. Morgaine spürte nichts, weder Angst noch Spannung. Sie war hochkonzentriert.

»Wir senden nun das Begrüßungssignal«, verkündete Vesterham.

Es lag eine fast unheimliche Stille über der Brücke der Stronghold. Lediglich das Summen des PGA und das einiger Computer war zu vernehmen.

Auch auf der Brücke des Botschafterschiffs schien Stillschweigen zu herrschen.

Sie antworten wieder nicht, dachte Morgaine. Sie glaubte nicht an beschränkte Sensor-oder Scanreichweite des fremden Schiffes. Wenn sie geantwortet hätten, hätten sie es schon getan, als die Stronghold versucht hatte, eine Kom-Verbindung aufzubauen.

»Bislang ... keine Reaktion ...«, bestätigte Vesterham schließlich Morgaines Verdacht. »Versuchen optische Signalprozedur.«

Es bestand unter Andragon-Wissenschaftlerkreisen die Theorie, dass eine fremde Rasse nicht zwangsläufig die gleichen Arten der Kommunikation im Raum benutzen musste wie die Andragon-Kantone oder die Krakh. Einige Wissenschaftler glaubten sogar, dass konventionelle Übertragungstechniken rückständig waren und fortschrittliche Rassen durchaus mit visuellen Mitteln Langstreckenkommunikation betrieben. Eine optische Signalprozedur wurde von den Andragon-Kantonen mit unausgereiften Pulslichtvorrichtungen durchgeführt, um in Fällen wie diesem eine Möglichkeit zu besitzen, provisorisch mit visuellen Mitteln zu kommunizieren.

Nach etwa zwei Erdminuten meldete sich Vesterham erneut zu Wort. »Auch in dieser Hinsicht keine sichtbare ... Reaktion ...«

Plötzlich schien einer der Offiziere auf der Brücke des Botschafterschiffes Vesterham zu unterbrechen. »Sir, etwas ... tut sich hier. Etwas an dem Schiff verändert sich.«

Morgaine warf dem Offizier der Scan- und Sensorstation auf ihrer Brücke einen fordernden Blick zu.

»Ich kann das bestätigen«, sagte dieser. »Dieser ... Schleier, der das Objekt umgibt, verändert seine Raumpräsenz. Die Hülle, oder als was auch immer man diese dunkle Struktur bezeichnen soll, scheint seine materiellen Bestandteile ununterbrochen zu verändern.«

Morgaine wurde gereizt. Sie verstand kein Wort. »Konkretisieren sie das so, dass ich es verstehe«, sagte sie bissig.

»Das ist nicht so einfach, Captain.« Der Offizier klang todernst. »Es ... Es ist so. Alles, egal was, besteht aus einem Stoff. Einer molekularen Zusammensetzung. So wie reines Wasser nur aus H2O-Molekülen besteht, verstehen sie was ich meine? Die Hülle des Raumschiffs scheint nicht an dieses Gesetz gebunden zu sein. Aus welchen Stoffen auch immer sie besteht, sie verändern ununterbrochen ihre komplette Daseinsform. Als würde aus H2O auf einmal CO2 werden und im nächsten Moment H2SO3 entstehen, völlig ohne Reaktion oder ohne ... Grund ... Das ist überhaupt nicht möglich! Oder unsere Scanner spielen völlig verrückt ... oder sie werden irregeleitet von irgendeinem Störsignal. Etwas stimmt ni ...«

Es war wohl mehr Morgaines unkontrollierte Nervosität als ihre Wut, die ihre Stimme lauter werden ließ. »Irgendein Signal, irgendetwas ... verdammt noch Mal, konkretisieren sie endlich ihre Angaben, Offizier! Wir sind hier auf einem der fortschrittlichsten Schiffe der gesamten Menschheit und besitzen die besten Technologien überhaupt. Erzählen sie mir nicht, sie hätten nicht die technischen Möglichkeiten, das was hier passiert zu ...«

Weiter kam Morgaine nicht. Auf dem Bildschirm war das fremde Schiff zu sehen, dessen verschwommener Schleier zu zucken und zu pulsieren anfing.

Im nächsten Moment schnellte ein kaum sichtbarer, stummer dunkelblauer Energieblitz daraus hervor und zerfetzte das Botschafterschiff in einer kurzen aufwallenden und sofort erstickenden Explosion. Ein lautes Zischen und eine folgende Stille waren aus dem Kom zu hören. Kaum Wrackteile waren auf dem Monitor zu sehen, wo gerade noch der junge Carl Vesterham mit seiner Fünfzig-Mann-Crew gewesen war.

Morgaine starrte wie von einem Schock getroffen auf den Monitor. Khaust, der die ganze Zeit an einem der seitlichen Verwaltungspulte gesessen und die Situation beobachtet hatte, war aufgesprungen. Auch die anderen auf der Brücke waren entsetzt.

»Eindeutig ... fe ... feindliche Reaktion«, stammelte der Funkoffizier völlig überflüssigerweise, was unter anderen Umständen fast als belustigend betrachtet hätte werden können.

Morgaine schluckte und versuchte sich zu fassen, da es nun ihre Pflicht war.

Sie verdrängte den Gedanken so gut es ging, gerade fünfzig Mann in den Tod geschickt zu haben und ergriff das Wort. »Alarmstufe Rot-Drei.« Ihr Mund war wie ausgetrocknet. »Da wir dieses Verhalten zwangsläufig als feindlich zu deuten haben, werden wir sofort notwendige Maßnahmen vorbereiten.«

Khaust realisierte, dass nun er angesprochen war, obwohl Morgaine immer noch wie gebannt auf den Monitor starrte, auf dem das kaulquappenförmige Objekt umherzuckte, als sei nichts passiert.

»Waffensysteme aktivieren: Geschütztürme, Absolute-Tachyonlanze. Tachyon-Scarlets und Xeter-Geschwader einsatzbereit machen.«

Einige Offiziere warfen ihr fragende Blicke zu. Die Stärke von Xeter-Gefechtskreuzern war enorm. Ein gesamtes Geschwader auf nur ein Objekt dieser Größenklasse loszulassen galt in den Andragon-Kantone wie mit Kanonen auf Spatzen zu schießen.

»Und wenn wir ihnen nur Angst machen müssen. Ich darf alle daran erinnern, dass wir die Art der Technologie dieser Spezies nicht kennen. Wir müssen auf alles gefasst sein.« Es war ungewöhnlich für Morgaine, eine verteidigende Haltung vor ihren Untergeordneten einzunehmen, doch die Umstände belasteten sie mehr als vieles, das sie bisher erlebt hatte. Sie wusste, dass wohl viele in diesem Moment dachten, dass ihre Maßnahmen völlig übertrieben waren.

Selbst wenn das Objekt eine unbekannte Technologie besaß, glaubten sie dennoch sagen zu können, dass man mit der unglaublichen Feuerkraft des AKZ ein derartiges Raumschiff ohne Probleme würde ausschalten können. Doch Morgaine war sich seit kurzem mit überhaupt nichts mehr sicher.

Wie aus dem Nichts war die Brücke in Aufruhr. Offiziere steuerten von A nach B, gaben sich gegenseitig hektische Anordnungen und hämmerten verbissen auf den Knöpfen ihrer Konsolen herum. Auch Khaust mischte sich mit eiskaltem Gesichtsausdruck unter das Geschehen und gab die primären Befehle.

Lediglich Morgaine stand auf der Plattform, starrte ausdruckslos wie gewohnt auf den Hauptmonitor und verschränkte die Arme.

Ein lautes Brummen verkündete, dass sich die Absolute-Tachyonlanze des Schiffes auflud. Dieser Vorgang dauerte etwa sieben Erdminuten und fraß enorme Energieressourcen, doch danach würde Morgaine einen Mond zerstören können, wenn sie wollte. Die Kanone konnte jedoch nach Theorie nur einmal pro Zirkulationspfad abgefeuert werden, weil die mangelnden Ressourcen dann keinen weiteren Schuss mehr ermöglichen würden. Am Ende jedes Zirkulationspfades war ein Auftanken der gesamten Schiffsressourcen vorgesehen.

Doch Morgaine befand sich nicht auf einem gewöhnlichen Zirkulationspfad.

Sie war auf einer Sondermission. Dies erschwerte die Energierechnungen zusätzlich.

Plötzlich schrie einer der Offiziere an der Scan- und Sensorstation los.

»Captain! Captain! Sie bewegen sich, sie kommen auf die Stronghold zu ... Sie sind schneller als wir angenommen hatten!« Er schien einen Moment von einem seiner Monitore abgelenkt zu sein um dann fast gequält fortzufahren.

»Es sind mehrere ...«

»Was?« Morgaines entsetzter Ausruf übertönte die ganze Brücke.

»Die Scanner, sie ... sie zeigen mehrere dieser Objekte an ... zwei, nein drei ... vier! Sie bewegen sich aus Nexusferne auf das andere Objekt zu! Ihre Bauart scheint identisch mit der des anderen Schiffes zu sein. Ich glaube ... ich ...«

»Was glauben sie? Raus damit?« Partikel von Morgaines Speichel flogen über die Plattform.

»Ich glaube, sie greifen uns an! Es ist eine Angriffsformation! Fünf Schiffe!«

Sie haben nur gewartet, dachte Morgaine. Das alleinige Schiff hatte nur gewartet. Sie wollten gar nicht auf Kom-Signale antworten.

Dies war der Ernstfall. Der Fall, vor dem jedem Captain, ja jeder Spezies grauste. Der Kontakt mit einer ohne ersichtlichen Grund feindlich gesinnten anderen Spezies.

Morgaine schossen Wortfetzen und Zitate durch den Kopf. »Eine derartige Reaktion muss nicht auf eine feindliche Gesinnung zurückzuführen sein. Eine fremde Spezies kann sich nur bedroht fühlen müssen. Eine fremde Spezies könnte andere Strukturen und Werte aufweisen. Denken sie an die Möglichkeit einer Schwarmspezies, einer kollektiven Spezies. Ein Mord in unseren Augen muss nicht ein Mord in den Augen einer anderen Spezies sein.«

Alles Geschwätz, alles leeres Gerede. Nichts davon zählte jetzt. Nichts davon interessierte. Keine Reaktion war erfolgt, außer, dass fünfzig Mann getötet worden waren. Morgaine war nicht interessiert an Theorien, sie war interessiert an ihrem Instinkt, ihrem Leben und an denen ihrer Besatzung.

»Sofort Xeter-Geschwader und Tachyon-Scarlets starten! Gefechtstürme besetzen und auf weitere Instruktionen warten!«, donnerte sie.

Die Xeter-Gefechtskreuzer waren sechshundert Meter lang und somit etwa zwanzig Mal so groß wie die kleinen Tachyon-Scarlets, die von jeweils einem Piloten geflogen wurden. Es bot sich an, die mächtigen aber trägen Xeter-Kreuzer durch die wendigen Scarlets im unmittelbaren Nahkampf zu beschützen.

Bei dem Geschwader von zehn Xeter-Gefechtskreuzern und fünf Tachyon-Scarlets pro Kreuzer schickte Morgaine sechzig Schiffe in den Kampf.

Mit einer derartigen Streitmacht konnte man etwa dreimal Saltoris komplett verwüsten.

Über das Interstellar-Kom meldeten sich die Xeter-Majore einsatzbereit, die wiederum die Befehlsgewalt über jeweils fünf Scarlets besaßen.

»Barriereformation einnehmen. Gefechtsgeschwindigkeit Alpha. Visieren sie das Alleinstehende der fünf Schiffe an und zerstören sie es. Dann warten sie die Reaktion der anderen Schiffe ab. Prinzipiell gilt jedoch: Waffeneinsatz nach eigenem Ermessen.«

Die Majore bestätigten Morgaines Befehle.

Sie sah durch den Aufruhr auf der Brücke der Stronghold hindurch auf das Hologramm.

Zehn Objekte, umgeben von einer Anzahl weiterer kleiner Objekte, bewegten sich in gleichmäßigen parallelen Abständen von der Stronghold fort und auf das fremde, allein stehende Schiff zu, hinter dem sich vier weitere Schiffe näherten. Die Xeter-Kreuzer würden das Schiff erreichen, bevor die vier anderen Objekte an dessen Position eintreffen konnten.

Khaust stand nun neben Morgaine und starrte mit ihr abwechselnd auf das Hologramm und auf den Hauptmonitor, der die Frontkamerabilder der zehn Xeter-Kreuzer, das Frontkamerabild der Stronghold sowie den Status aller sechzig ausgesendeten Raumschiffe darstellte.

Dann erreichten die Schiffe das feindliche Objekt.

Morgaine, Khaust und alle anderen auf der Brücke wurden Zeugen eines unglaublichen Schauspiels, das sich innerhalb weniger Erdminuten abspielte.

Bevor die Xeter-Gefechtskreuzer und Tachyon-Scarlets ihre Waffensysteme überhaupt ausgerichtet hatten, veränderte sich der Schleier um das fremde Objekt erneut. Er zuckte, pulsierte und schleuderte mehrere kaum sichtbare dunkelblaue Lichtblitze in unglaublich schneller Reihenfolge in Richtung der Staffel. Die Blitze durchdrangen sämtliche Magnus-Schutzfelder der Schiffe wie Luft und zerfetzten auf einen Schlag sieben oder acht Tachyon-Scarlets, bevor diese überhaupt mitbekamen, was passierte. Das Ganze wiederholte sich nach drei Sekunden erneut. Die Statusanzeigen auf dem Hauptmonitor erloschen reihenweise, bevor Morgaine überhaupt richtig realisieren konnte, was gerade geschah.

Als wäre das nicht genug, baute sich auf einmal eine Art schwarze Sphäre um das feindliche Objekt auf. Die Sphäre expandierte und deformierte sich schließlich zu einem scheinbar verbogenen, unkontrolliert tänzelndem Strahl, der über einen der riesigen Xeter-Gefechskreuzer strich und ihn einfach in der Mitte auseinander riss. Der Kreuzer glühte kurz auf und trieb dann als lebloses Wrack durch den Raum.

Dann feuerten die anderen Xeter-Gefechtskreuzer ihre Absolute-Torpedos und Tachyonlanzen ab. Die Städte vernichtenden Torpedos schienen zu jedermanns Entsetzten in dem Schleier des Objekts zu verlangsamen und nahezu zum Stillstand zu kommen, bis sie schließlich wie im Nichts verschwanden ohne zu detonieren. Die Tachyonstrahlen, die nicht mit Projektilen sondern mit Energiestrahlen gleichzusetzen waren, durchdrangen den Schleier, schienen jedoch keine ersichtliche Wirkung auf der seltsamen Oberfläche des kaulquappenartigen Gebildes zu haben.

Schreiende und entsetzte Stimmen von Majoren und Offizieren schallten über sämtliche Kom-Verbindungen in die Brücke der Stronghold herein wie ein abscheulicher Chor.

Ein weiterer Xeter-Kreuzer und acht Tachyon-Scarlets wurden zerfetzt. Die Statusanzeigen auf dem Hauptmonitor erloschen wie Lichter bei einem Stromausfall. Etwa die halbe Stärke an Scarlets war nur noch im Einsatz. Die acht verbliebenen Xeter-Kreuzer feuerten aus allen Rohren. Die wirkungslosen Absolute-Torpedos waren verbraucht. Lediglich die Tachyonlanzen fegten wie ein Lichtermeer, ein Regen aus weißen Strahlen von allen acht Schiffen auf das Objekt, ohne hinter dem verschwommenen, wabernden Schleier eine Wirkung zu zeigen.

Ein weiterer Xeter-Gefechtskreuzer wurde zerstört. Sieben waren noch übrig. Zwanzig Scarlets. Sechzehn. Zwölf.

Die vier weiteren feindlichen Schiffe kamen dem Ort des Gefechts bedrohlich nahe.

»Captain.« Es war Khaust, der sprach. Er klang erstaunlich ruhig. »Captain. Was befehlen sie?«

Morgaine war starr. Ihr Gesicht war leichenblass und sie brachte kein Wort heraus. In ihrer gesamten Karriere hatte sie noch nie etwas Derartiges erlebt.

Dies war kein Fehler, kein Desaster. Dies war die Hölle.

»Captain. Wir sind unterlegen. Das ist ein Feind, gegen den wir nichts ausrichten können. Wir müssen uns zurückziehen. Sofort.«

Sechs Xeter-Kreuzer. Fünf. Vier Tachyon-Scarlets.

»Captain.«

Alle Scarlets zerstört. Vier Xeter-Kreuzer.

»Captain!« Khaust schrie Morgaine an.

Sie zuckte leicht zusammen und blickte langsam auf. Ihre Augenlider zitterten unkontrolliert. »Rückzug«, hauchte sie.

Khaust ließ nicht auf sich warten. »An die komplette Gefechtsstaffel! Sofortiger Rückzug, ich wiederhole: Sofortiger Rückzug!« Aus dem Gewirr von Stimmen und Schreien, die aus dem Kom drangen und deutlich hörbar weniger wurden, war keine konkrete Antwort zu vernehmen. Ein Blick auf den Hauptmonitor jedoch zeigte, dass zwei der Xeter-Kreuzer deutlich ihren Kurs änderten. Sie rotierten seitlich und schienen den neuen Kurs aufzunehmen. Eins der beiden Schiffe wurde zerstört. Das Bild der Frontalkamera erlosch, so auch die Statusanzeige. Das andere Schiff beschleunigte. Es musste bereits eine Geschwindigkeit von einem Zehntel Licht erreicht haben, als es der schwarze verbogene Strahl der Länge nach aufriss. Dann kamen die vier anderen feindlichen Schiffe an.

Einer der zwei übrigen Xeter-Kreuzer setze nun ebenfalls seinen Kurs auf die Stronghold. Das andere feuerte noch immer aus allen Rohren mit Tachyonstrahlen auf das erste feindliche Schiff. Der schwarze Strahl zuckte und der vorletzte Xeter-Kreuzer zerbrach wie ein Stück Holz.

Der Letzte kam erstaunlich weit, aber alle fünf Schiffe folgten ihm. Der Xeter-Kreuzer war etwa auf halber Strecke zur Stronghold, als er wie ein Stück Kohle aufglühte und verendete.

Einige auf der Brücke brachen in Panik aus, weil die fünf Objekte nun geradewegs auf die Stronghold zukamen.

Doch Morgaine hatte in allem Chaos nicht überhört, wie der Ladevorgang der Absolute-Tachyonlanze abgeschlossen worden war. Die Lanze bündelte das Vierhundertfache einer normalen Tachyonlanze eines Xeter-Kreuzers und schickte es auf einen Punkt. Die Lanze war so groß, dass sie nicht als separat steuerbares Kanonengeschütz an der Olympfregatte angebracht werden konnte. Sie führte vom kompletten Zentrum des Schiffes durch den vorderen Teil und zum Bug hinaus und war somit fest mit dem Schiff verankert.

»Richten sie die Stronghold auf das erste der fünf Objekte aus. Tachyon-Spulen aufwärmen.« Morgaines Gesicht sah aus, als würde dort ein Gewittersturm toben.

»Ich schlage die sofortige Flucht vor«, antwortete Khaust.

»Sofort«, sagte Morgaine kalt.

Ohne den Blick von ihr abzuwenden, richtete Khaust mehrere Befehle an verschiedene Offiziere. Das Schiff vibrierte. Es richtete den gesamten Schiffskörper aus.

»Bereit, Captain«, sagte Khaust.

Morgaine klang emotionslos. »Absolute-Tachyonstrahl Feuer.«

Das gesamte Schiff schien zu zittern, als die Lanze abfeuerte und die Kühlaggregate kurzzeitig über achtzig Prozent der Gesamten Schiffsenergie in Anspruch nahmen. Morgaine hatte das Gefühl, als würde die Welt um sie herum kurz dunkler werden angesichts der enormen Energie, die soeben freigesetzt worden war.

Eine weiße Säule war auf dem Hauptmonitor zu sehen, die mit dem Zielobjekt verbunden schien. Alles wurde weiß wie bei einer Atomexplosion. Die Brücke stand einen Moment in gleißendem Licht.

Dann war absolute Stille zu vernehmen.

Alle starrten auf den Monitor. Wäre das Zielobjekt ein Mond gewesen, so hätte die Kamera nun lediglich ein Meer von Gesteinsbrocken gezeigt, die sich in gleichmäßiger, expandierender Bewegung vom Zielpunkt entfernt hätten.

Das feindliche Schiff jedoch stand immer noch da. Aber etwas hatte sich verändert. Der große verschwommene Schleier schien sich fast nicht mehr zu bewegen. Er sah mehr aus wie ein unregelmäßiges Stück Tüte über dem Monitor.

Ein unhörbares, aber scheinbar spürbares Stöhnen ging durch die Brücke.

Morgaines Vorteil war, dass sie absolut nichts erwartet hatte und kühl blieb. Dadurch gewann sie all ihre Fähigkeiten als Captain einer Olympfregatte endlich wieder zurück.

»Sofort Kurs auf die Position der Epos nehmen«, sagte sie ohne zu zögern und fügte schließlich hinzu: »Bericht?«

Der leitende Offizier der Scan- und Sensorstation antwortete langsam. »Das Objekt ist noch vorhanden, aber dieser Schleier darum scheint gewissermaßen außer Funktion zu sein, soweit ich das behaupten kann. Das Objekt bewegt sich nicht mehr. Ohne vage Vermutungen anstellen zu wollen, behaupte ich, dass wir es zumindest beschädigt und kampfunfähig gemacht haben.« Er machte eine kurze Pause, um erneut zu sprechen. »Es scheint, als hätten die anderen vier Objekte ebenfalls aufgehört, sich zu bewegen.«

Morgaine spürte, wie die Stronghold ihren Kurs änderte und sich neu ausrichtete. »Sie sind also nicht unaufhaltsam«, murmelte sie grimmig.

»Aber die anderen vier Schiffe setzen sich wieder in Bewegung!«, sagte der Offizier, der nun wieder schneller Sprach.

»AZK-Notfallgeschwindigkeit!« Morgaines Mission war erfüllt. Sie wusste, was sie nun wissen musste. Mehr konnte sie hier nicht erreichen.

»Bestätigt«, sagte der Steueroffizier, an dessen bleichen Gesichtsausdruck man erkennen konnte, dass er auch stark unter dem was passiert war gelitten hatte.

Morgaine sah Khaust an. Der schwieg nur und blickte viel sagend zurück.

»Captain, die Energieressourcen haben beträchtlich unter dem Einsatz der Absolute-Tachyonlanze gelitten. Wir können nicht lange mit Notfallgeschwindigkeit fliegen.« Der Offizier der Ressourcenstation hatte sich auf seinem Drehstuhl zu Morgaine umgedreht.

»Das wird auch nicht nötig sein.« Alle sahen zum leitenden Offizier der Scan- und Sensorstation. »Die Schiffe bewegen sich zwar schneller, als wir erst annahmen, können jedoch nicht im geringsten mit unserer Geschwindigkeit von neun Zehnteln Licht mithalten. Falls diese Geschwindigkeit, mit der sie sich gerade bewegen, ihr Maximum darstellt, so beträgt dieses ein zwanzigstel Licht.«

»Die erste gute Botschaft an diesem Tag«, knurrte Morgaine. Sie schaffte es immer noch zu verdrängen, dass sie eben fast die Hälfte ihrer Besatzung und gleichzeitig neunzig Prozent der kompletten Streitmacht der Stronghold in einem Massaker verloren hatte.

»Wir können rein theoretisch auf AKZ-Prioritätsgeschwindigkeit drosseln. Sie werden uns nicht einholen. Bei dieser Geschwindigkeit erreichen sie den Nexus in etwa zwei bis drei Erdwochen, sollten sie Kurs darauf nehmen.« Der Offizier blickte Morgaine an.

Sie legte die Hand an ihr Kinn und überlegte kurz. »Bestätigt. AKZ-Prioritätsgeschwindigkeit«, sagte sie schließlich und wandte sich leise an Khaust.

»Khaust, ich bitte sie, kümmern sie sich um ... die Besatzung ... ich ...«

»Ich verstehe, Captain.« Khaust ließ ein schwaches Lächeln unter seinem Schnauzer erkennen. »Gehen sie. Es ist in Ordnung. Ich kümmere mich um alles. Nehmen sie sich eine Auszeit.«

»Ich danke ihnen ... Ich danke ihnen, Khaust.« Morgaine ging langsam zu ihrem Büro, durch den Raum hindurch und in ihre Privatgemächer. Mit jedem Schritt spürte sie, wie sehr die Last des eben Erlebtem tatsächlich auf ihr ruhte. Doch diese Last hatte sie allein zu tragen. Diese Last konnte ihr niemand abnehmen, da nur sie der Captain der Stronghold war.

Langsam ließ sie sich in ihren Sessel sinken. Das entsetzliche zehrende Gefühl in ihrer Brust wurde wieder stärker und die Stimmen und Schreie der sterbenden Xeter- und Scarletpiloten schienen in ihrem Ohr zu hallen wie die Aufzeichnung eines Audiosignals. Wie ein schwarzer Schatten kroch das unangenehme Gefühl der Schuld, der Angst und des Entsetzens in ihr hoch und schien sie in ihrem Sessel zu verschlucken.

Morgaine hatte keinen Schlaf gefunden, bis sie die Koordinaten erreicht hatten, an denen sich die Epos befand. Die Epos hatte ihren aktuellen Zirkulationspfad verfolgt und war weiter im Arym Var-System vorgedrungen.

Sie war am Aaron-Schwarm vorbei geflogen und befand sich nun etwa vier oder fünf Tage von Infidelis’ Orbit entfernt, aus Gründen, die Morgaine nicht weiter bekannt waren und sie auch nicht interessierten.

Was sie vielmehr interessierte, oder vielmehr, wovor ihr graute, war ein erneutes Treffen mit Ravenberg. Noch dazu nach alldem was passiert war. Würde er sie degradieren, weil sie nahezu die komplette Streitmacht der Stronghold in den Tod geschickt hatte? Oder würde er sie sogar ...

»Captain«, unterbrach sie Khausts Stimme aus dem Kom. »Wir sind in Interstellar-Reichweite zur Epos. Soeben ist eine Kom-Verbindung eingegangen.«

»Ich komme.« Es ist so weit, dachte Morgaine, nahm ihr vorbereitetes Script-Pad und verließ ihre Privatgemächer.

Auf der Brücke war bereits das Bild desselben, eigenartigen Mannes auf dem Monitor zu sehen, der ein Headset aufhatte und eine seltsame Vis-Vorrichtung vor seinem linken Auge trug.

Er sprach in seiner gewohnt monotonen Stimme. »Captain Morgaine Hera von der Stronghold, ein Perser-Shuttle ist bereits unterwegs zu ihrem Schiff, um sie abzuholen und zum Führer des Andragon-Kanton-Zusammenschlusses, Maurizius Ravenberg, zu bringen.« Die Kom-Verbindung wurde beendet, bevor Morgaine überhaupt den Mund aufmachen konnte, um zu antworten.

Mit steinerner Miene ignorierte sie Khausts Blick von der Seite und verließ die Brücke.

Morgaine war fast überrascht über sich selbst, als sie das Perser-Shuttle in Hangarbucht 14 auf der Epos verließ und zusammen mit zwei Cyborgs zum Röhrentransporter geführt wurde. Diesmal begrüßte sie keine pferdegesichtige Lieutenant Brooge mehr.

Morgaine war überrascht, weil sie fast keine Angst hatte. Es war ihr gleichgültig, was Ravenberg mit ihr anstellen würde oder was er ihr sagen würde. Es war ihr egal, was sein Mutantenscheusal für Gedanken aus ihr heraussaugen würde.

Seit der Begegnung mit der fremden Spezies war Morgaine ein anderer Mensch.

Sie ignorierte die Umgebung, die durch die gelben Funken hinter der Transportkapsel an ihr vorbeiraste und stand schließlich vor der rothaarigen Mutantenfrau, die vor Ravenbergs Zimmer hinter einem Tisch saß und ihr ein seltsames und zugleich widerliches Lächeln zuwarf. Morgaine hatte gute Lust, ihr ohne tiefere Gründe die Faust zwischen die Zähne oder auf eins ihrer leuchtenden blauen Augen zu jagen. Sie kontrollierte dann jedoch ihre Aggressionen und trat durch die geöffnete Tür in Ravenbergs Zimmer.

Morgaine ließ ihr Script-Pad fallen und ging fast zu Boden, als die abscheuliche Telepathiemutantin alles und tatsächlich alles was passiert war –alle Gedanken, alle Worte, alle Handlungen – aus ihrem Kopf heraussaugte wie eine Spinne, die ihr Opfer aussaugt.

Ravenberg saß ruhig hinter seinem erhöhten Pult und betrachtete die Situation gelassen. Er faltete die Hände zusammen und verzog seine markanten Züge zu einem unlesbaren Gesichtsausdruck. »Captain Morgaine Hera.« Er klang wie bei ihrem ersten Treffen.

Als Morgaine sich wie von einem betäubenden Schlag auf den Kopf erholt hatte, zögerte sie nicht länger, ihre sämtlichen Sinne mit Hass und Verachtung gegenüber der Mutantin, Ravenberg und sogar dem gesamten AKZ zu füllen und sie gedanklich in den Raum zu schleudern.

Ravenberg machte ein Geräusch wie ‚ts, ts, ts‘ und schüttelte sachte und amüsiert den Kopf.

»Captain Morgaine Hera«, wiederholte er, nun leicht lächelnd. »Wer wird denn gleich ...«

Morgaine war sich sicher, dass er alles wusste. Er konnte ihre Wut an seinem Bildschirm ablesen. Er wusste, dass der Großteil der Streitmacht der Stronghold zerstört war. Er wusste einfach alles.

Ein blubberndes Geräusch drang von dem Behälter der Mutantin zu Morgaine. Sie verzichtete darauf, ihren Blick von Ravenberg abzuwenden.

»Also sind die Wahrsagungen tatsächlich eingetroffen«, sagte er schließlich nachdenklich, aber ohne seinen kalten Ton zu verlieren. »Die Neuigkeiten sind in der Tat beunruhigend. Die Talloniden beeinträchtigen den Fortschritt der Andragon-Kantone.«

Wahrsagungen? Morgaine verstand kein Wort.

»Lassen sie es mich erklären, Captain Morgaine Hera.« Wenn Ravenberg ihren Namen aussprach, hatte Morgaine das Gefühl, Messerstiche versetzt zu bekommen. »Über viele Jahre habe ich gelernt, auf die Hinweise meiner teuren Freundin zu hören.« Er wies verhalten mit der rechten Hand auf die Mutantin. »Doch vor wenigen Wochen zeigte sie mir einige beunruhigende ... Bilder. Sie zeigte mir, dass die Andragon-Kantone in absehbarer Zeit auf eine harte Probe gestellt werden würden. Meine Aufgabe wird sein, sie in dieser schweren Zeit zu leiten.« Er senkte den Blick wie ein Priester, der die Absolution erteilt, lächelte und fuhr fort. »Die Talloniden. Eine dunkle Präsenz im All. Sie werden schon in wenigen Erdwochen kommen.«

Er ist verrückt, dachte Morgaine. Hätte sie gesprochen, so hätte sie sich nun auf ihre Zunge gebissen. Doch bei Gedanken war dies nicht möglich.

»Sie halten mich für verrückt«, stellte Ravenberg monoton in den Raum, fuhr dann jedoch unbeeindruckt fort.

Morgaine konnte ihn nicht einschätzen.

»Nun, sie sollten sich darüber im Klaren sein, dass die Zukunft der Andragon-Kantone davon abhängt, wie die Obersten des Zusammenschlusses agieren, Morgaine Hera.«

Morgaine ergriff zum ersten Mal das Wort. Sie ignorierte die Anspannung, die Ravenberg konstant durch seine bloße Präsenz verursachte und fasste sich ein Herz. »Maurizius Ravenberg. Was hat das alles zu bedeuten? Wer sind die Talloniden und was wollen sie? Was passiert mit den Andragon-Kantonen? Ich bitte sie, mich aufzuklären.«

Sie konnte nicht feststellen, ob Ravenberg amüsiert oder kochend vor Wut über das unaufgeforderte Erheben ihrer Stimme war.

Er legte sein Kinn auf seine zusammengefalteten Handflächen und sah sie an.

»Sie zeigte mir die Dunkelheit, Morgaine. Die Talloniden sind die Dämonen, die aus der Hölle aufgefahren sind um die Menschheit auf die Probe zu stellen.«

Er ist abergläubisch, stellte Morgaine fasziniert fest.

Zum ersten Mal konnte sie etwas wie ärger auf Ravenbergs Zügen entdecken.

»Sie wissen nichts, Hera«, sagte er abfällig. »Überhaupt nichts. Sie kommen in ihren abscheulichen Kokons in unser System, weil sie hinter dem Artefakt von Arym Var her sind, mit dem sie sich die Welt zu Eigen machen wollen. Unsere Aufgabe ist, dies zu verhindern. Wir werden das Artefakt gegen sie selbst benutzen.«

»Welches Artefakt?«, fragte Morgaine.

»Das Artefakt der Hüter«, antwortete Ravenberg bestimmt, als würde das alles erklären.

Morgaine wartete.

Ravenberg stand auf und ging langsam von seiner Erhöhung hinter dem Pult herunter. Er machte einen nachdenklichen Gesichtsausdruck und stellte sich vor die Glasröhre, in der die entstellte Mutantin schwebte. Die Frau schien ihr pupillenloses Auge zu bewegen. Ihr offener, verzogener Mund zuckte, als würde sie auf einem großen unsichtbaren Gegenstand kauen. Wieder kam ein leises, zischendes Geräusch aus dem oberen abgedeckten Teil der Glassäule.

Einer der Schläuche, die aus dem Kopf der Mutantin ragten, vibrierte leicht.

Ravenberg strich langsam mit seiner rechten Hand über die Glasoberfläche und starrte auf das abscheuliche Wesen. »Das hat auch sie mir gezeigt«, sagte er fast sanft. »Es ist ein heiliges Artefakt. Wir vermögen noch nicht zu beurteilen, was genau das Artefakt in sich birgt. Aber wir müssen es finden, bevor die Talloniden es tun. In diesem Moment suchen wir bereits danach.

Wir vermuten es aufgrund von entdeckten ungewöhnlichen Energiesignaturen auf Infidelis. Es wird nicht einfach sein, das Artefakt zu bedienen. Doch meine Gehilfin leitet mich bereits auch zu einem geheimen Code, der das Artefakt entschlüsselt.

Die Talloniden kommen von jenseits des Weltraums. Sie kommen von dem Ort, der sich hinter den Grenzen des Universums verbirgt. Wenn wir das Artefakt besitzen und seine Macht ergründen, werden wir sie dort zurücktreiben wo sie hingehören.«

»Warum kommen sie von diesem Ort ausgerechnet in unsere Systeme?«

Ravenberg machte ein Gesicht, als würde ihn Morgaines Frage überfordern.

»Das Artefakt jedoch«, fuhr er dann fort, als hätte sie nie gesprochen, »ist nicht unser einziger Trumpf. Es gibt noch etwas ...« Er machte einen seltsamen Gesichtsausdruck, als er sich ihr wieder zuwandte. »Sie haben sich bewährt, Captain Hera.«

Morgaine war nicht wenig erstaunt.

Ravenberg wurde ernst. »Sie haben uns mit ihren Handlungen nahe dem Bogenscheinportal nach ‚Grüner Schlund‘ demonstriert, mit welcher Art von Feind wir es zu tun haben. Sie haben diese Informationen ohne Zwischenfälle überbracht.«

»Aber, die ... die Streitmacht der Stronghold ... ich habe sie ...«, hauchte Morgaine.

Doch Ravenberg unterbrach sie. »Dies ist irrelevant, Captain. Einzelne Menschenleben sind ersetzbar, Maschinen und Waffen kann man neu bauen. Doch um was es geht ist das Gesamtbild. Die gesamten Kantone. Der einzige große Andragon, verstehen sie? Den gilt es zu bewahren und zu vervollkommnen!«

Seine Augen schienen zu leuchten.

»Ich glaube nicht, dass ihr Vater derartige Werteansichten mit seiner Vision des einzigen großen Andragons vereinbaren konnte, Maurizius.« Morgaine war schockiert über sich selbst, dass sie diesen Satz so eiskalt und hasserfüllt in den Raum gestellt hatte.

Ravenberg schien grau zu werden. Sein Mund wurde ein dünner Strich, seine Züge waren wie eingefroren.

Jetzt ist es vorbei, dachte Morgaine. Sie hatte damit gerechnet, dass sie die Epos betreten und nicht mehr verlassen würde. Doch nun, da es so weit zu sein schien, dem Ende entgegenzutreten, hatte Morgaine Angst. Angst, dass sie wie ein kleines Mädchen schreiend davonlaufen wollte. Angst, dass sie nach ihrer seit vielen Jahren verstorbenen Mutter schreien wollte. Angst, dass es ihr das Körpergleichgewicht raubte.

Doch Maurizius schüttelte langsam den Kopf. »Nein, kleiner Captain. Noch brauche ich sie.« Er lächelte.

Arym Var

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