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Carolin West hat einen neuen Job

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Das neue Büro von Carolin West lag günstig. Es war hell, mit lichtvariablen Glasfenstern nach draußen und drinnen, doch noch viel wichtiger war das Stockwerk: der Flur der Stabsfunktionen von LifeRobotics. Sie war mittendrin. Von ihrer Flurecke ging es in die eine Richtung zu den Aufzügen und der Rechtsabteilung, in die andere zum Forschungsleiter und der Qualitätsabteilung. Ihre neuer Chefin, Melissa Winter, hatte sie sehr fürsorglich herumgeführt und allen vorgestellt, allerdings auch deutlich gemacht: so viel bekämen sie dann doch nicht miteinander zu tun. Melissa war für alle nicht technischen Fragen des Betriebs verantwortlich, war verbindlich und freundlich, aber zeigte zu jeder Sekunde, dass sie auf einer anderen Umlaufbahn lebte. Eine Zahlenfrau, wie Carolin schnell erkannte. Ihr war das egal. Sie selbst hatte auch nicht Melissa, sondern ein intelligentes Computersystem für diesen Job ausgesucht, davon war sie überzeugt, und diese Systeme waren auch ihr wichtigerer Kontakt. Außerdem natürlich die Kollegen auf dem Flur.

Seit gestern, sie konnte es kaum glauben, so viel war seitdem passiert, war sie verantwortlich für das öffentliche Erscheinungsbild von LifeRobotics: Die öffentliche Wahrnehmung, der Lobbyismus und die Presse. Sie kannte diese Art Job gut. Hatte bei einem großen Agrarkonzern erfolgreich die Vorteile der modernen Landwirtschaft verteidigt, konnte auftreten, beherrschte die Sprache der Medien und sie beherrscht vor allem die Wirkung der meinungsbildenden Systeme. Die feinen Rädchen der Stimmungsmechanik, wenn es darum geht, was die Menschen gut finden und was verdächtig. Und LifeRobotics gefiel ihr als Unternehmen besonders gut. Auch sie hatte eine wilde Seite und die LifeRobotics Produkte passten zu ihrer Vorstellung, nach der sich geniale Technologie und Lebensfreude sehr wohl vereinen ließen. Die kritischen Bedenkenträger, die immer wieder das Gegenteil behaupteten, hielt sie für Langweiler.

Mit diesem Motto hatte sie sich jedenfalls ihren neuen Kollegen präsentiert und war freudig empfangen worden. Bester Laune trat sie deshalb nun ihren zweiten Arbeitstag an, etwas übermüdet und mit wackeligen Beinen, denn die Kollegen hatten ihr zum Antritt gleich ein Willkommensgeschenk mit nach Hause gegeben. Silvio - eine schwindelerregende Wucht aus der neuesten Serie - die Nacht war sehr viel mehr aufregend als erholsam gewesen. Das bestätigte sie jedoch nur umso mehr in ihrer Meinung über ihren neuen Job. Mit Mitte dreißig konnte man so etwas ja noch aushalten und ein Blick in den Spiegel zeigte ihr auch an diesem Morgen eine gutaussehende, blonde Frau, deren leicht unscheinbares Äußeres durch ein bestimmendes Auftreten mehr als wettgemacht wurde. Nun saß sie über den Organisationstafeln und studierte. Mit bunten Linien verbundene Kästen erklärten den Aufbau ihres neuen Arbeitgebers. Die riesige Bildschirmwand an der Seite des Büros, die von nirgendwoher einsehbar war, tat gute Dienste, denn das Unternehmen war komplexer, als sie gedacht hätte. Stück für Stück arbeitete sie sich durch die Abteilungen, studierte ihre Arbeitsinhalte und wie sie in das Gesamtgefüge der Firma eingebettet waren. Verblüfft war sie über die Größe der medizinischen Abteilung. Allerdings wurde bei näherem Hinsehen schnell klar, warum. Sie gliederte sich in zwei Gruppen: die Abteilung für Verhaltenspsychologie mit ihren Berechnungsanlagen, im Film wurde eine Rechnerfarm gezeigt, die das Warmwasser für die Stadt Göteborg heizte, außerdem große Virtuelle Parks, in denen Analyseergebnisse vor- oder nachgespielt wurden, sowie die Abteilung für Fertilität: Alles rund um Erbgutqualität, Zeugungsverfahren und Austragung. Dieser Zweig tauchte im öffentlichen Bild kaum auf, war dabei aber ein großer Teil des Geschäftes von LifeRobotics. Nach einem kurzen Blick in die Wirtschaftsdaten pfiff sie zwischen den Zähnen. Die Abteilung für Fertilität machte zwar weniger Umsatz, aber sehr viel mehr Gewinn. Woher das Geld kam, war aus den Daten nicht erkennbar. Fasziniert sah sie einen Kurzfilm nach dem anderen an. Nette Wissenschaftler erklärten, wie LifeRobotics lenkend in die Vermehrung eingriff und wie sich die Qualität der Bevölkerung seither verbessert hatte. Film für Film stieg ihr Stolz auf ihren neuen Arbeitgeber und sie war noch gar nicht bei den Abteilungen, die sie besonders interessierten: den Robotern für Lebensbegleitung, oder auch Sexrobotern, wie sie im Volksmund genannt wurden.

Doch zuvor blieb sie noch bei der Rechtsabteilung hängen. Deren Leiter, Francois Muller, hatte sie bereits kennengelernt. Sein Büro war gleich um die Ecke. Nun verstand sie sein selbstbewusstes Auftreten: Die Abteilung war fast so groß, wie die medizinische. Der Auftrag war umfangreich: Rechtliche Räume gestalten, mögliche Klagen vorher erkennen, Schaden und Schuld sorgsam trennen.



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