Читать книгу Clarissa - Der Auftrag (Band 1) - Doreen Köhler - Страница 10

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Kapitel 6

Voll gefuttert ließ ich mich ein weiteres Mal an diesem Tag auf das frisch bezogene Bett in meinem neuen Zimmer fallen und betrachtete gelangweilt den Stundenplan.

Kurz kam Freude bei mir auf, als ich sah, dass wir jeden Donnerstag in der siebten und achten Stunde Theaterunterricht hatten. An meiner alten Schule hatte es das Fach auch gegeben. Eine Hauptrolle hatte ich allerdings nie gespielt. Das war aber auch gut so. Meistens war ich nur für das Basteln der Utensilien oder das Bemalen der Kulissen zuständig gewesen, und das hatte mir gefallen.

Erwartungsvoll suchte ich den Stundenplan nach Kunst ab, meinem absoluten Lieblingsfach. Doch nachdem ich den Stundenplan drei Mal durchgelesen hatte, gab ich enttäuscht auf.

Ich zuckte zusammen, als es plötzlich klopfte.

»Herein«, rief ich.

Die Tür öffnete sich langsam und Laura steckte ihren Kopf durch den offenen Spalt.

»Kommst du mit in die Bibliothek?«, fragte sie grinsend.

Bei dem Wort Bibliothek war ich natürlich hell wach.

»Klar«, rief ich begeistert. Für alle anderen wäre es völlig normal gewesen, wenn eine Freundin nach einem Bibliotheksausflug fragte, aber für mich war das genauso schön wie eine Reise nach Italien.

Erst auf der Treppe, als wir schon fast ganz unten waren, bemerkte ich, dass ich meinen Zeichenblock in der Hand hielt. Keine Ahnung wieso ich ihn genommen hatte, aber da ich keine Lust hatte umzukehren, nahm ich ihn einfach mit.

Ich staunte nicht schlecht, als wir die Bibliothek betraten. Unsere Stadtbücherei war dagegen ja fast schon winzig. Die Regale hier waren mindestens doppelt so breit und voll.

»Und das ist noch nicht alles, …«, prahlte Laura, die meinen beeindruckten Blick bemerkte. Sie öffnete eine Tür. »… hier ist der Raum der Nerds und Computerfreaks. Übrigens auch der einzige Ort in der Schule, an dem man überhaupt Netz hat. Telefonieren oder eine SMS schreiben geht auf den Zimmern, aber Internet … keine Chance, aber das hast du wahrscheinlich schon mitbekommen.«

Hatte ich nicht, aber das sagte ich ihr nicht. Stattdessen sah ich mich in dem Raum um. Dutzende Computer waren in dem riesengroßen Raum mit der hohen Decke verteilt. In der Nähe des Fensters saßen einige Schüler, die ich aber nicht kannte zumeist allein an einem der Tische.

Laura hockte sich gleich in Türnähe vor einen der Bildschirme und fuhr den Computer hoch.

»Mein rechter, rechter Platz ist frei, ich wünsche mir die Lissa herbei.« Sie grinste und klopfte auffordernd auf den freien Stuhl neben sich.

Lächelnd setzte ich mich an den PC daneben und schaltete ihn ebenfalls an. Da mir das mit dem nicht vorhandenen Kunstunterricht noch nicht ganz aus dem Kopf gegangen, beschloss ich einfach meine neue Freundin danach zu fragen.

Zu meiner großen Enttäuschung schüttelte sie den Kopf. »Nee, gibt es nicht, aber Theater. Das ist so ähnlich. Zumindest wenn du kein Schauspieler bist. Da bemalen wir nämlich die Gegenstände und Kulissen.«

»Ach so.« Ich versuchte mir meine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen.

»Aber wart mal, ich zeig dir was anderes echt Spannendes.« Laura stand auf, trat neben mich und tippte in der Suchleiste den Namen Zipp ein. »Mit diesem Programm kannst du was über jeden Schüler und Lehrer der Läresson herausfinden. Du musst hier einfach nur den Namen eingeben.« Sie berührte mit dem Finger oben rechts den Bildschirm, dann tippte sie als Beispiel Laura-Marie Hälran in die Eingabeleiste ein. »So, hier kannst du schon mal viel über mich erfahren.«

Aufmerksam las ich mir den Steckbrief über sie durch.

Name: Laura-Marie Hälran

Geburtstag: 2. März

Sternzeichen: Fische

Lieblingsessen: Sushi

Lieblingsfarbe: Grün

Lieblingstiere: Delfine

Hobbys: lesen, tratschen, schminken

Klasse: 11a

Grund, weshalb sie auf der Läresson ist: Vater bei Autounfall gestorben, Mutter hat schwere Depressionen

Ruf: Durchgeknallte Tratschtante

»Hast du das selbst über dich eingetragen?«, fragte ich sie ungläubig.

Wie konnte man bitte so viel Persönliches von sich preisgeben?

»Die Seite gehört nicht der Schule. Die hat mal irgendeiner der Schüler entwickelt. Niemand weiß woher er oder sie die ganzen Informationen hat. Alles anonym. Verstehst du? Die Schulleitung versucht immer mal wieder sie blockieren zu lassen, aber keine Chance, sie taucht immer wieder auf. Muss ein Computerfreak sein, der sich mit solchem Technikkram auskennt.«

Ich machte große Augen. Das klang wirklich spannend.

»Die Lehrer haben deshalb schon unzählige Vorträge dazu gehalten, in der Hoffnung, der- oder diejenige würde sich endlich stellen, weil da manchmal auch sehr private Sachen drinstehen. Deshalb solltest du am besten jede Woche mal unter deinem Namen nachgucken, ob es was Neues gibt. Ist nämlich ätzend, wenn die anderen es vor dir wissen.«

Ich nickte. Allein der Gedanke, dass ich beobachtet werden könnte, war schon ziemlich unangenehm. Doch als ich mir vorstellte, dass dieser anonyme Internetspinner vielleicht herausfinden könnte, dass ich mal in der Psychiatrie gewesen war, oder noch schlimmer … er oder sie könnte meinen Auftrag herausbekommen, lief es mir eiskalt den Rücken hinunter.

Schnell gab ich meinen Namen in das Suchfeld ein. Nichts. Da stand nicht einmal, dass ich überhaupt existierte. Erleichtert lehnte ich mich zurück.

»Bald wird dort auch über dich etwas stehen, keine Sorge.«

Im Gegenteil. Genau deswegen machte ich mir ja Sorgen.

Laura setzte sich wieder auf ihren Platz und wandte sich dem Bildschirm zu. »So, dann wollen wir mal sehen, was wir uns heute Schönes ausleihen.«

Während sie nach Büchern suchte, drehte ich möglichst unauffällig den Bildschirm ein wenig von ihr weg, gerade so weit, dass sie nicht sehen konnte, wen ich als nächstes eingab. Da ich seinen Nachnamen nicht mehr wusste, musste ich es mit seinem Vornamen versuchen.

Nach kurzem Laden erschien der Name Cody Arrington. Stimmt, so hieß er. Gespannt klickte ich auf seinen Namen, woraufhin sich eine zweite Seite öffnete. Ich schaute irritiert auf den Bildschirm, als da, im Gegensatz zu Laura, ziemlich wenig Informationen über ihn standen.

Name: Cody Arrington

Geburtstag: 20. Juli

Sternzeichen: Krebs

Klasse: 11a

Auffallend: Verlässt oft das Schulgelände

Grund, weshalb er auf der Läresson ist: Unbekannt

Ruf: Mädchenschwarm, geheimnisvoller Einzelgänger

Als ich bemerkte, dass Laura aufstand, beendete ich blitzschnell das Programm.

»Wollen wir zu den Büchern?«, fragte sie mich.

Ich nickte und fuhr den PC runter. Das war knapp.

Ich schnappte mir meinen Zeichenblock und folgte ihr in den Lesesaal.

Mein Herz setzte kurz aus, als ich Cody Arrington an einem der vielen Bücherregale bemerkte.

»Ich geh mal da hinten zu den Sachbüchern«, gab mir Laura Bescheid. »Ich brauch ein Buch für mein Referat in Politik.«

»Ja, mach, ich guck mich hier vorn noch ein bisschen um.«

Meine Antwort hatte sie wohl gar nicht mehr mitbekommen, so schnell wie sie hinter den Bücherregalen verschwunden war.

Unbemerkt schweifte mein Blick wieder zu Cody hinüber, der offensichtlich nach einem bestimmten Buch suchte. Genauso interessiert, wie ich ihn beobachtete, inspizierte er jede einzelne Reihe des Bücherregals. Als er erfolglos am Ende des Regales angekommen war, machte er einen Schritt um die Ecke und verschwand aus meinem Blickfeld.

Ich spähte durch ein paar Lücken in den Regalen hindurch, in der Hoffnung, er würde gleich wieder irgendwo auftauchen. Jedoch war dem nicht so. Hinter dem Regal, hinter dem er sich eigentlich hätte befinden müssen, war er nicht.

Bevor ich Zeit hatte, mich über sein Verschwinden zu wundern, ließ mich ein plötzliches Räuspern hinter mir zusammenfahren. Erschrocken drehte ich mich um. Der große, durchtrainierte Junge mit den schwarzen Haaren stand direkt vor mir und sah auf mich herunter.

Eigentlich war ich schlecht in Augenkontakt halten, doch in dem Moment konnte ich den Blick nicht von seinen schönen dunklen braunen Augen abwenden. Der Ausdruck darin war so bannend und gleichzeitig so durchdringend.

Von Nahem sah der Typ sogar noch besser aus. Sein Gesicht hatte keinen einzigen Makel. Doch dafür wirkte es wie eingefroren. Sein Blick war starr auf mich gerichtet, während sich seine Mundwinkel, im Gegensatz zu meinen, keinen Millimeter regten. Meine Lippen bebten, das fühlte ich, weil ich irgendetwas sagen wollte, aber nicht wusste, was. Ich durfte das hier jetzt auf keinen Fall vermasseln.

Da ich dies aber mit Sicherheit gemacht hätte, war es vielleicht - aber nur vielleicht - ganz gut, dass Jessica herbeigestürzt kam und besitzergreifend ihre Arme um Codys Hals schlang.

»Naaa? Hast du mich vermisst?«, flötete sie.

Cody nahm Jessicas Hände von seinem Hals und stöhnte genervt. »Ganz bestimmt.«

»Hab ich mir gedacht«, trillerte sie fröhlich.

Mich schien sie gar nicht zu bemerken. Und das war auch gut so.

»Du denkst ja an später, oder?«

Später??? Was war denn später?

»Jessica, ich hab andere Sachen zu tun.«

Offensichtlich versuchte Cody sie abzuwimmeln.

Sie zog eine Schmolllippe. »Komm schon, du musst unbedingt dabei sein.«

Wobei dabei sein? Mir platzte gleich der Kopf vor Neugier.

»Ich hab keine Zeit und das weißt du genau«, gab Cody ihr einen weiteren Korb, worüber ich mich insgeheim mehr als nur freute. Dafür nahm ich sogar Jessicas abfälligen Blick auf mir in Kauf.

»Wegen der da, oder was?«

Cody und ich sahen uns an, während ich mich auf das Schlimmste gefasst machte.

Er zog eine Augenbraue hoch und musterte mich irgendwie … kritisch?

»Wohl kaum«, meinte er schließlich auch nicht gerade freundlich.

Das tat weh. Laura hatte sowas von recht. Er war ein arroganter Arsch!

Jessica stellte sich auf die Zehenspitzen und flüsterte Cody etwas ins Ohr. Es war so leise, dass ich es leider nicht verstehen konnte. Unauffällig versuchte ich wenigstens auf seinen Gesichtsausdruck zu achten, der sich bei dem Geflüster aber nicht veränderte.

»Ich weiß«, bemerkte er trocken.

»Gut«, freute sie sich und gab Cody einen Kuss auf die Wange, wobei sie mir einen vernichtenden Blick zuwarf, der so gut wie alles sagte.

Doch den Kampf mit ihr würde ich eingehen müssen, ob ich wollte oder nicht. Ich musste es für meinen Vater tun.

Mit klackernden Schritten verließ sie die Bücherei und ließ Cody und mich zurück. Ich wollte und durfte nicht böse gucken, aber das war nicht gerade einfach, wenn man so abfällig behandelt worden war, wie von Cody gerade.

»Ich hoffe, du hast es nicht als Beleidigung angesehen, was ich gerade gesagt hab.« Sein Blick mir gegenüber war immer noch kühl und es klang nicht, als täte es ihm wirklich leid.

»Sollte es denn eine sein?« Ich versuchte das Zittern in meiner Stimme mit einem übertrieben festen Ton zu überspielen. Doch mein Herz begann gegen meinen Willen einen Marathon zu laufen und die Röte schoss mir wie eine Rakete ins Gesicht. Der arrogante Idiot redete mit mir und ich wurde nervös wie ein Newcomer vor einem Millionenpublikum. Ich hasste mich dafür.

Bevor er jedoch auf meine Frage antworten konnte, schoss Laura um das Regal und grinste so breit wie immer.

»Da bist du ja. Wollen wir gehen?« Sie sah meine leeren Hände. »Oh, anscheinend hast du noch gar kein Buch gefunden.«

»Ähm … ja, ich bleib noch etwas«, stotterte ich schnell. Aus dem Augenwinkel registrierte ich, dass Cody verschwunden war.

Laura nickte. »Okay, kein Problem, dann bis nachher beim Abendessen. Achtzehn Uhr, nicht vergessen.«

Nachdem sie gegangen war, sah ich mich unauffällig um, in der Hoffnung, Cody wiederzufinden. Wie es das Schicksal so wollte, sah ich ihn tatsächlich mit einem Buch an einem Tisch sitzen. Interessiert blätterte er Seite für Seite um, als würde er etwas Bestimmtes suchen. Anscheinend war er dabei sehr konzentriert. Sogar als ihn zwei Blondinen kichernd grüßten, sah er nicht mal auf, sondern hob nur kurz die Hand. Es waren die Tussen, die mich ausgelacht hatten, als Jessica mich angerempelt hatte und mir die Schulbücher runtergefallen waren.

Ohne sie zu beachten, schnappte ich mir ohne hinzusehen ein Buch aus dem Regal und schlenderte damit lässig zu einem Tisch in Codys Nähe. So elegant wie möglich setzte ich mich auf den Stuhl, schlug das Buch auf irgendeiner Seite auf und tat so, als würde ich lesen. In Wahrheit wollte ich jedoch nur einen Blick auf Codys Buch werfen. Wenn ich herausfand, was ihn interessierte, konnte ich viel leichter ein Gespräch mit ihm anfangen.

Leider saß ich noch immer zu weit weg, sodass ich die Schrift nicht entziffern konnte. Und dann war da auch noch das dämliche Getuschel von Jessicas Freundinnen.

Genervt sah ich zu ihnen hinüber. Als ich bemerkte, dass sie in meine Richtung schauten und anfingen zu kichern, wurde ich unsicher. Unauffällig blickte ich über meine Schulter und hoffte hinter mir, den Grund für ihren Heiterkeitsausbruch zu entdecken. Doch da waren nur Regale mit Büchern. Ich drehte mich wieder nach vorn und mein Blick fiel zufällig auf das Buch, das ich in der Hand hielt. Sie lachten eindeutig über mich, denn ich hatte ein Modelbuch erwischt, und als wäre das nicht peinlich genug, mussten es auch noch Unterwäschemodels sein.

Mittlerweile lachten nicht mehr nur die albernen Blondinen, auch Cody betrachtete interessiert und mit hochgezogenen Mundwinkeln den Bucheinband meiner Lektüre.

Hastig sprang ich auf, schlug das Buch zu und schob es irgendwo ins nächste Regal. Mit knallrotem Gesicht verließ ich die Bibliothek.

Seit ich Cody Arrington das erste Mal begegnet war, hatte ich ihn noch nie lächeln gesehen und dann musste es ausgerechnet durch diese bescheuerte Aktion von mir dazu kommen.

Clarissa - Der Auftrag (Band 1)

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