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7.2 Abwertung und Aufwertung
ОглавлениеWenn wir nun die Stereotypisierung unter dem Wertaspekt betrachten, so fällt auf, dass Urteile, die nur von einem Geschlecht geäußert werden, eher negative Attribute des anderen und positive des eigenen Geschlechts betreffen. Dagegen beziehen sich Ansichten, die geteilt werden, auf eher wertneutrale Eigenschaften. Es lässt sich also bereits im Alter von drei bis vier Jahren die deutliche Tendenz ausmachen, das eigene Geschlecht auf- und das andere abzuwerten.
Diese Tendenz trat auch in einer wiederum von Dannhauer in der DDR durchgeführten Studie an 450 Kindern im Alter von dreieinhalb bis fünfeinhalb Jahren deutlich zutage (Dannhauer, 1973). Der Autor gab bestimmte Tätigkeiten vor und ließ die Kinder urteilen, ob diese eher vom Vater oder von der Mutter ausgeübt würden. Bereits die Dreieinhalbjährigen gaben hier sehr viele geschlechtsrollenkonforme Urteile ab, und bei den Vierjährigen unterschied sich das Wissen fast nicht mehr von dem der fast Sechsjährigen. Der Vater wurde dabei als jemand charakterisiert, der Zeitung lese, vor dem Fernseher sitze, Bier trinke und Zigaretten rauche, während die Mutter die Hausarbeit erledige, einkaufen gehe, sauber mache, Wäsche wasche und Knöpfe annähe. Man bedenke, dass diese Ansichten von Kindern geäußert wurden, die in einer Gesellschaft aufwuchsen, in der die meisten Frauen berufstätig waren!
In Bezug auf Gleichaltrige stellte Dannhauer folgende Fragen ( Abb. 7.2): »Stell dir vor, die Mutter hätte einen Buben und ein Mädchen, welches Kind ist braver – stärker – hört oft nicht – hilft fleißiger – fährt schneller Roller?«. Die Kinder urteilten wiederum in Übereinstimmung mit den üblichen Geschlechtsstereotypen.
In diesem Zusammenhang zeigte sich ein interessanter Entwicklungstrend, der recht gut zu den Befunden von Kuhn passt (Kuhn et al., 1978). Die jüngeren Kinder betonen dort die Unterschiede, wo das eigene Geschlecht günstig abschneidet. So finden sich die dreijährigen Mädchen »braver« als die Jungen, während letztere bezüglich dieses Merkmals noch nicht erkennen lassen, wohin das Pendel ausschlägt. Sie wiederum beziehen aber, was das Merkmal »stärker« betrifft, bereits eine eindeutige Position.
Diese Verteilung verschiebt sich im Alter dann aber dahingehend, dass die Fünfjährigen ihr Fremd-Stereotyp an das positive Selbst-Stereotyp des anderen Geschlechts etwas angleichen, während sie das negative Fremd-Stereotyp der anderen bis zu einem gewissen Grad übernehmen. So finden fünfjährige Jungen auch, dass Mädchen braver als Jungen sind, wenn natürlich auch nicht in dem Ausmaß, wie Mädchen das von sich selbst behaupten. Und entsprechend akzeptieren die fünfjährigen Mädchen die Stärke der Jungen. Diese wiederum gestehen zu, dass sie weniger gut gehorchen und nicht so fleißig helfen.
Die Entwicklung verläuft also nicht so, dass das eigene Geschlecht stetig höher bewertet und korrespondierend dazu das andere Geschlecht zunehmend abgewertet wird, so dass man sich selbst schließlich nur noch in den rosigsten Farben, das andere Geschlecht aber ausschließlich negativ sieht. Zwar besteht eine Tendenz zu einer sich verschärfenden Polarisierung, aber gleichzeitig gibt es Anzeichen einer realistischeren Einschätzung, die dem Gegengeschlecht auch positive Seiten zugesteht und für sich selbst negative Aspekte akzeptieren kann.
Abb. 7.2: Entwicklung von Geschlechtsstereotypen bei Kindern
Gemäß Kohlberg müsste das Ausmaß der Stereotypisierung mit der Entwicklung der Geschlechtsidentität zusammenhängen; je weiter die letztere fortgeschritten ist, umso detaillierter sollte das Wissen sein. In einigen Arbeiten, wie z. B. der Untersuchung von Kuhn und Mitarbeitern, wurde dies überprüft. Hier nahm die Stereotypisierung nicht nur mit dem Alter zu, sondern war bei jenen Kindern besonders weit fortgeschritten, die auch schon zur Geschlechtskonstanz zutreffende Angaben machten. Ein solcher Zusammenhang konnte aber nicht in allen einschlägigen Studien festgestellt werden. Stereotypen kommen nämlich auch schon bei Kindern vor, die in der Geschlechtskategorisierung noch unsicher sind. Es lässt sich also nicht eindeutig belegen, dass sich das Stereotypenwissen in Abhängigkeit von der Entwicklung der Geschlechtsidentität verbessert. Vor allem ist zu bedenken, dass eine Korrelation durchaus auch auf einen umgekehrten Verursachungszusammenhang hinweisen könnte. Es wäre ja denkbar, dass manche Kinder erst Stereotype ausbilden und gestützt auf dieses Wissen dann auch beginnen, die Geschlechtsbestimmung zu meistern. Generell ist zu Untersuchungen der geschilderten Art kritisch anzumerken, dass sie allesamt die als Geschlechtsstereotypen geltenden Tätigkeiten und Eigenschaften vorgeben, so dass den Kindern dann nur noch die Möglichkeit bleibt, diese zuzuordnen. Dadurch könnte das Bild eingeschränkt werden, das sich ein Kind tatsächlich über das eigene und das Gegengeschlecht macht.
Kohlberg selbst hatte versucht, auch das spontane Wissen von Kindern über Geschlechterrollen zu erfassen, indem er Interviews mit ihnen durchführte (Kohlberg, 1966). Ab dem Alter von 5 Jahren charakterisierten die Kinder Männer als aktiver, stärker, aggressiver und furchtloser, Gefahren ausgesetzt, eher geneigt zu strafen, weniger zärtlich und weniger fürsorglich. Die Rolle der Frauen schilderten sie im häuslichen Bereich und in der Kinderbetreuung, sie galten als zärtlicher und fürsorglicher. Da Kinder in diesem Alter physische Eigenschaften als Indikator für psychische nehmen, halten sie den Stärkeren und Größeren auch für gescheiter und mächtiger. Die eher als klein, zart und schwächer wahrgenommenen Frauen dagegen erscheinen ihnen als hilfloser und dümmer.