Читать книгу Zuckerschnecken - Doris Nox - Страница 5
Level 2
ОглавлениеIch fahre einfach weiter und weiter, immer der Stupsnase nach.
Es ist mir völlig gleichgültig, wohin.
Von mir aus könnte es ewig einfach so weiter gehen, aber mein Kumpel streikt.
Hektische Lämpchen leuchten auf.
Ich steuere die nächste Ladesäule an.
Niemand interessiert sich für meine Klapperkiste und mich.
Na ja, wenn ich ehrlich bin: es ist nicht mein eigenes Auto, mit dem ich unterwegs bin.
Ich habe es mitgenommen, entwendet, geklaut.
Aber erst, nachdem ich ihn getötet habe.
Mit meiner gewissen Bauernschläue habe ich vor meiner Flucht noch den blauen, ölverschmierten Overall, den ich im Auto gefunden habe, übergezogen und meine Haare unter einer voluminösen Baseballmütze versteckt.
Etwas mühsam und gar nicht so elegant, wie es sich für eine Dame meines Kalibers gehört, schlängle ich mich nun in diesem Outfit aus dem Sportwagen mit Elektromotor.
Eine paar ältere Männer, die auf einer Parkbank auf Action lauern, starren mich und meinen Kumpel an, als seien wir Aliens.
Ihre Blicke bohren sich in meinen Nacken und mir ist klar, dass sie mir Fragen stellen würden, auf die ich nun mal einfach keine Antwort weiß.
Das würde mich viel zu sehr verwirren.
Ich muss also schnellstens hier verschwinden und meinen Freund zurück lassen. Er wird schon klar kommen, ohne mich.
Ist sowieso nur eine Maschine.
Ich schaue mich betont lässig um wild entschlossen, mich von meinem treuen Begleiter zu trennen und meine Reise zu Fuß fortzusetzen.
Zum Abschied schlage ich so kräftig auf die Motorhaube, dass eine tiefe Delle entsteht.
Das kann ich jetzt auch nicht mehr ändern und mit einem charmanten Lächeln suche ich das Weite, nicht ohne vorher die alte, zerfetzte Plastiktüte aus dem Auto an mich genommen zu haben.
Ich schaue mich um.
Auf dem Marktplatz gibt es zahlreiche einladende Cafés und Restaurants. Aber ich habe weder Hunger noch Durst.
Ich straffe meine Schultern und marschiere nach Norden.
So schnell wie möglich schlage ich mich in eine Seitenstraße und erreiche ein großes Gebäude, vor dem zahlreiche junge Menschen stehen.
Sie beachten mich nicht.
Ein lauter Gong ertönt und wie ferngesteuerte Roboter strömen alle in das Gebäude.
Ich bemühe mich, ihnen betont lässig und besonders unauffällig zu folgen. Ein lockerer Gang ist für mich noch immer eine große Herausforderung und es ist mehr ein Schleichen als ein Gehen. Ich bin froh, dass sich der Fahrstuhl ganz in der Nähe des Eingangs befindet. Ich fahre bis ganz nach oben und steuere die nächste Toilette an.
Dort reiße ich mir die grässliche Mütze vom Kopf und ziehe meine Klamotten wieder an.
Ich schaue zufrieden in den Spiegel.
Dann höre ich Schritte auf dem Flur und husche so schnell ich kann wieder hinter eine Toilettentür.
Ich bin mucksmäuschenstill und lausche angestrengt, damit mir kein verräterisches Geräusch entgeht.
Doch niemand kommt herein.
Niemand stöbert mich auf in meinem Versteck und ich traue mich wieder heraus aus meinem Versteck, zurück auf den Flur.
Von einem Fenster aus kannte ich meinen verbeulten Kumpel sehen. Er ist umringt von einer Menschentraube. Auch die Polizei scheint sich sehr für das als gestohlen gemeldete Auto mit dem zerlegten Schaukelstuhl im Kofferraum zu interessieren.
Die Spurensicherung wird nach Fingerabdrücken suchen.
Ich grinse, denn sie wird nur Fingerabdrücke von Fred finden.
Nun bin ich hoch motiviert, an meinem Laufstil zu arbeiten.
Dafür ist dieser lange Flur einfach ideal.
Immer schneller und sicherer gehe ich den langen Flur auf und ab.
Bereits nach einem Kilometer und 118 Metern habe ich mein Lauftraining erfolgreich absolviert. Ich habe die höchste Stufe, das Level „TopModel“, erreicht und klopfe mir innerlich auf die Schulter.
Da es nicht zielführend ist, hier zu bleiben, beschließe ich dieses merkwürdige Gebäude durch einen kleinen Nebenausgang zu verlassen.
Bald erreiche ich den Bahnhof.
Dezent stopfe ich meine zerrupfte Plastiktüte in einen überquellenden Müllcontainer.
Schräg gegenüber entdecke ich ein Schaufenster, das mich neugierig macht und sorgfältig beäuge ich die ausgestellten Perücken. Die Sonne steht so, dass ich mein Spiegelbild in der Fensterscheibe sehe und mein Entschluss steht fest.
Ich brauche neue Haare und zwar sofort!
Dieses Puppenhaar passt nicht zu einer Mörderin auf der Flucht!
Raspelkurze, rote Haare müssen es sein! Ich zögere kurz, weil mir die blaue Variante daneben beinahe noch besser gefällt.
Kurzentschlossen betrete ich das Geschäft und ehe es sich die Verkäuferin versieht, habe ich die Perücke aus dem Schaufenster geangelt und mir übergestülpt.
Die Dame bleibt gelassen.
Das imponiert mir sehr.
Sie flötet, dass dieser kesse Kurzhaarschnitt meine klassische Kopfform besonders schön zur Geltung bringt.
Sie mag Recht haben.
Mir geht es ums Prinzip, denn mein Gestrüpp auf dem Kopf habe ich mir nicht ausgesucht.
Während ich elektronisch bezahle, gibt mir die Verkäuferin noch den Rat, meine Haare unter der Perücke zu verstecken. Ich nicke, denke aber nicht im Traum daran, ihren dämlichen Rat zu befolgen.
Helena wird fluchen, wenn sie ihre Kreditkartenabrechnung sieht.
Ach – es ist herrlich, sie auf die Palme zu bringen.
In dem kleinen Park, der an den Bahnhof angrenzt, finde ich eine alte, bemooste Holzbank. Meine Energie ist aufgebraucht und ich setze mich auf das morsche Holz und warte.
Ich weiß nicht, worauf ich warte und wieso ich hier bin.
Irgendetwas in mir ist völlig durcheinander geraten.
Die Lautsprecherdurchsagen vom Bahnhof schallen verzerrt herüber und vor dem Bahnhof herrscht emsiges Treiben. Es riecht hier süßlich und das laute Hupen erinnert mich an meine wilde Autofahrt, die leider in dieser grässlichen, schmutzigen Stadt endete. Ein Rotkehlchen ist auf die Sitzfläche der Bank geflattert und hüpft neugierig näher.