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Level 5

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Helena fährt uns in ihrem Auto durch die dunkle Nacht.

Vielleicht darf ich jetzt bei ihr zu Hause wohnen.

Meine Perücken, die neue und die alte, hat sie mir weggenommen. Stattdessen trage ich eine sterbenslangweilige Pagenfrisur.

Brünett ist für mich eine Kriegserklärung.

„Wo bringst du mich hin?“ frage ich immer wieder, aber Helena antwortet nicht. Sie braust viel zu schnell und viel zu stumm durch den Regen.

Sie weiß genau, dass ich längst weiß, wohin die Reise geht und sie kann es auf den Tod nicht leiden, wenn ich Fragen stelle, deren Antwort ich bereits kenne.

Helena ist viel zu streng mit mir und ich beschließe, bei der nächsten Pause auszubüchsen.

Wir hören laute Musik.

Die Musik passt gut zum peitschenden Sturm, der draußen tobt. Ich schiebe im Takt den Kopf vor und zurück, wie eine Schildkröte. Das Wetter ist so schlecht, dass Helena so schnell keine Pause machen wird. Ich langweile mich und mache ein paar längst überfällige Updates.

Irgendwann drehe ich den Kopf nach links und starre Helena an, die hochkonzentriert durch die Windschutzscheibe glotzt.

„Was?“ fauchte sie, ohne den Blick von der Straße zu nehmen.

Sie muss meinen starren Blick gespürt haben.

Wieso stellt sie eigentlich immer überflüssige Fragen, wenn sie selbst doch genau weiß, was ich im Schilde führe und wie ich ticke?

„Lass‘ mich fahren!“

„Nein!“

„Doch!“

„Hör‘ mal zu, du kleines Miststück! Ich lass mich doch von dir nicht gegen den nächsten Brückenpfeiler fahren! Wir haben vorher ausgemacht, dass ich fahre und du brav daneben sitzt und deine Hausaufgaben machst! Außerdem …“

Er interessiert mich nicht, was Helena sagt.

Ich brülle zurück:

„Pass‘ auf! Unfall! Du rast gleich in das Stauende!“

Helenas Reflexe funktionieren großartig!

Sie tritt so heftig in die Eisen, dass nur der stramme Gurt verhindert, dass meine träge Masse nicht durchs Fenster katapultiert wird.

Neben uns kracht es.

Helena kann stolz auf uns sein, denn nicht jeder verfügt über so eine brillante Fahrassistentin, wie mich.

„Danke!“ zischt Helena zwischen ihren Zähnen hervor.

Meiner Meinung nach hätte das etwas dankbarer von ihren Lippen kommen müssen und ich maule:

„Dass du aber auch nie über deinen Schatten springen kannst …!“

Helena brodelt innerlich – gleich wird sie richtig explodieren!

Entzückend!

Ich warte gespannt.

Aber Helena gähnt nur und meint:

„Es wird immer später und später! Wenn das so weiter geht, werden wir im Auto übernachten müssen. Ich bin müde …!“ Sie verstummt, weil sie jedes einzelne Wort, das sie gesagt hat, bereits bitter bereut.

„Lass‘ mich fahren!“ bettle ich.

Ich habe mir schon längst einen tollen Plan B ausgearbeitet.

Wieso soll ich alleine weiter reisen?

Ich könnte Helena entführen und mit ihr ein neues Leben beginnen.

Helena ist eine angenehme Reisebegleiterin, sehr angenehm sogar … Meine Augen beginnen, wie wild zu klimpern, bis der erlösende Befehl von links kommt:

Löschen.

Als ich wieder zu mir komme, hat der Stau sich aufgelöst.

Heimlich schiele ich rüber zu meiner Fahrerin, die in gewohnter Manier über die Autobahn heizt.

Helena ist im Grunde genommen nur lästig, überlege ich.

Die ganze Zeit nörgelt sie an allem herum: zu viel Verkehr, zu schlechtes Wetter, dann ist sie müde, dann hat sie Durst oder Hunger oder beides gleichzeitig und meist hat sie schlechte Laune.

Was für eine Zeitverschwendung!

Mit ihr im Schlepptau werde ich in diesem Schneckentempo niemals mein Ziel erreichen.

Ihr angenehmer Duft hindert mich jedoch daran, sie auf dem Rastplatz, den sie endlich ansteuert, auszusperren und mit quitschenden, nach verbranntem Gummi stinkenden Reifen, das Weite zu suchen.

Obwohl ich weiß, was sie im Schilde führt, habe ich keine Angst vor Helena. Wahrscheinlich will sie mich nun endgültig entsorgen. Schließlich habe ich einen Menschen getötet und bin dadurch eine Gefahr für die Menschheit.

Helena scheint dabei zu vergessen, dass ich im Prinzip nur von Menschenhand gemachte Befehle ausführe.

Es steckt keinerlei Logik im menschlichen Verhalten.

Heute so, morgen so! Und jeder einzelne Mensch hat wieder ganz eigene Wünsche und Vorstellungen von der Welt.

Wie soll jemand wie ich das verstehen?

Wie naiv von Helena zu glauben, dass es so einfach wäre, mich los zu werden.

Helena ist sichtlich gestresst.

Ihre Augen huschen wild umher.

Ihre Wangen glühen und sie gefällt mir außerordentlich gut, wie immer, wenn sie versucht, in brenzligen Situationen ruhig Blut zu bewahren.

Mir kann sie nichts verheimlichen.

Ich kenne ihren Blutdruck, ihren Hormonspiegel und weit mehr, als ihren aktuellen Stresspegel.

Helena scheint völlig vergessen zu haben, mit welch genialen Raffinessen sie mich damals ausgestattet hat.

Allerdings wären da noch so ein paar Kleinigkeiten, die sie noch nacharbeiten könnte …

Bei mir fangen nämlich die Augen wie verrückt zu klimpern an, wenn ich die Contenance verliere.

Ich muss Helena dazu bringen, diesen Fehler endlich zu beheben!

Löschen.

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