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3Wie entstehen Gefühle?
ОглавлениеBis jetzt haben wir festgestellt, dass Einsamkeitsgefühle dann entstehen, wenn Sie ganz bestimmte negative Einstellungen zu sich selbst, Ihrer Situation und der Zukunft haben. Einsamkeitsgefühle und Isoliertsein sind also die Folge und nicht die Ursache Ihrer negativen Gedanken.
Vielleicht werden Sie, liebe Leser, nun an dieser Stelle einwenden: „Sie haben gut reden. Ihnen geht es bestimmt viel besser. In meiner Lage muss ich mich doch einsam fühlen.“ Dann muss ich Ihnen erwidern, dass Sie einem Irrtum aufgesessen sind. Ihre Gedanken bestimmen Ihre Gefühle und Ihr Verhalten. Nicht umgekehrt. Damit Sie diesen Zusammenhang besser verstehen können, möchte ich Ihnen das ABC der Gefühle vorstellen.
Alle unsere Gefühle entstehen nach dem ABC der Gefühle. Stellen Sie sich vor, Sie sind auf einer großen Party eingeladen und sitzen mit Bekannten in einer Runde zusammen. Alle um Sie herum lachen und scheinen sich zu amüsieren. Sie fühlen sich einsam und ausgeschlossen. Woher mögen Ihre Einsamkeitsgefühle kommen?
Um dies herauszufinden, müssen wir wissen, was Sie in dieser Situation denken. Wenden wir deshalb das ABC der Gefühle auf dieses Beispiel an:
Unter A schreiben wir die Situation, in der Sie sich objektiv befinden:
ASituation: Was passiert?
Ich sitze mit Bekannten in einer Runde zusammen.
Sie lachen und unterhalten sich.
Unter B schreiben wir die Gedanken, die Sie in dieser Situation haben:
BGedanken: Was denke ich?
Zum Beispiel könnten Sie denken: Die anderen sind alle intelligenter als ich. Ich halte lieber meinen Mund. Niemand interessiert sich für mich. Wenn ich das Gespräch an mich reiße und mir fällt nichts mehr ein, dann bin ich blamiert. Die anderen reden nur dummes Zeug. Daran möchte ich mich nicht beteiligen.
Unter C schreiben wir Ihre Gefühle und das Verhalten, das Sie in dieser Situation zeigen:
CGefühle und Verhalten: Wie fühle und verhalte ich mich?
Ich fühle mich einsam und sage kein Wort.
Jeder einzelne Gedanke, der unter B aufgeführt ist, erklärt, warum Sie sich einsam fühlen und so verhalten. Wir können Ihre Gefühle erst verstehen, wenn wir wissen, wie Sie in dieser Situation denken. Ihre Gedanken sind der Schlüssel zu Ihren Gefühlen und Ihrem Verhalten. Schauen wir uns nun einmal an, wie die anderen, die sich amüsieren, denken könnten: Deren ABC der Gefühle könnte zum Beispiel so aussehen:
AWas passiert?
Ich sitze mit Bekannten in einer Runde zusammen.
BWas denke ich?
Das sind alles nette Menschen hier. Sie mögen mich und wir verstehen uns. Das war eine gute Idee, auf dieses Fest zu gehen. Es ist schön, sich über dieses Thema mit den anderen zu unterhalten. Ein gelungener Abend.
CWie fühle und verhalte ich mich?
Ich bin froh, zufrieden, selbstsicher und unterhalte mich. Auch hier erklären die Gedanken, warum sich die Bekannten gut fühlen. Sie bewerten die Situation positiv und haben demzufolge auch positive Gefühle.
Für jede Situation haben wir grundsätzlich drei Möglichkeiten der Bewertung, positiv, negativ und neutral, und damit auch drei Gefühlsbereiche, das heißt wir erleben positive, negative und neutrale Gefühle.
Deshalb kann es auf der Party auch Menschen geben, deren ABC der Gefühle folgendermaßen aussieht:
AWas passiert?
Ich sitze mit Bekannten in einer Runde.
BWas denke ich?
Bis jetzt ist es angenehm zuzuhören, was die anderen erzählen.
CWie fühle und verhalte ich mich?
Ich bin ruhig, gelassen und still.
Das ABC der Gefühle hilft uns, deutlich zu machen, dass wir uns unsere Gefühle selbst machen. Das, was passiert, können wir nicht mehr ändern, wenn es schon passiert ist. Aber wir haben immer die Chance, unsere Gedanken und damit unsere Gefühle zu verändern.
Ein anderer kann zwar über die Situation bestimmen, aber niemals über unsere Gefühle. Wir bestimmen selbst über unsere Gefühle, indem wir die Situation in ganz bestimmter Art und Weise bewerten.
Das ABC der Gefühle hier noch einmal im Überblick:
ASituation: Was passiert?
BGedanken?: Was denke ich?
CGefühl und Verhalten: Wie fühle und verhalte ich mich?
Gleichgültig, ob Sie es wollen oder nicht, verarbeitet und bewertet Ihr Gehirn in jedem bewussten Augenblick Ihres Lebens jedes Ereignis als positiv, negativ oder neutral.
Als Maßstab für seine Bewertung vergleicht Ihr Gehirn ein Ereignis mit allen in Ihrem Leben jemals gemachten und gespeicherten Erfahrungen. Haben Sie noch kein vergleichbares Ereignis erlebt, richtet es sich in seiner Bewertung nach dem Erlebnis, das noch am ehesten vergleichbar ist. Auch das Wissen, das Sie sich angelesen haben, wertet das Gehirn als Erfahrung. Je nach Ihrer Bewertung reagiert Ihr Körper mit positiven Gefühlen wie Freude und Begeisterung, mit neutralen Gefühlen wie Ruhe und Ausgeglichenheit oder mit negativen Gefühlen wie Angst, Ärger, Einsamkeit, Depression. Auch wenn Sie sich Ihrer Gedanken nicht bewusst sind, denken Sie etwas. Ihre Gedanken steuern Ihr bewusstes Verhalten und Ihre Gefühle. Mit dem Erlernen der Sprache beginnen Sie, die Ereignisse in Ihrem Leben als gut/schlecht oder neutral für Sie selbst zu bewerten. Ihre Eltern und andere Bezugspersonen vermitteln Ihnen einen Begriff davon, was gut und böse ist. Sie bringen Ihnen diese Bewertungen und Normen mit Hilfe von Belohnung, Bestrafung, Nichtbeachtung etc. bei. Der Erziehungsprozess ist dann abgeschlossen, wenn Sie selbst die gleichen Maßstäbe wie Ihre Eltern anlegen und eine Situation als negativ oder positiv einschätzen, ohne dass Ihre Eltern Sie daran erinnern müssen.
Je häufiger Sie eine Situation als gut oder schlecht bewerten, desto eher wird die Bewertung automatisch, das heißt Sie erhalten den Eindruck, nichts zu denken und nur zu fühlen. Von Geburt an haben wir lediglich die Fähigkeit, alle Gefühle zu empfinden, mitbekommen. Wie häufig wir Angst, Ärger, Freude, Depression, Einsamkeit, Ekel etc. empfinden, bestimmen unsere Bewertungen, die wir im Laufe unseres Lebens erworben haben.
Ein Beispiel für das Erlernen von Bewertungen ist zum Beispiel das Erlernen eines Ekelgefühls bei Schmutz. Kleine Kinder nehmen alles in den Mund, was sie in ihre Finger bekommen. Sie haben noch kein Ekelgefühl gegenüber Schmutz erlernt. Wenn die Eltern jedesmal, wenn das Kind Schmutz in die Hände oder den Mund nimmt, mit Tadel, Schlägen etc. reagieren, wird das Kind lernen: Schmutz ist schlecht und eklig.
Gleichzeitig mit dieser Bewertung wird das Kind ein Ekelgefühl entwickeln. Als Erwachsener werden Sie sich kaum noch dieser Gedanken bewusst sein, sondern nur noch auf Ihr Gefühl hören. Es wird Ihnen ganz normal erscheinen, bei Schmutz Ekelgefühle zu haben.
Gleichgültig ob Ihnen das ABC der Gefühle glaubhaft erscheint oder nicht, Sie haben in Ihrem Leben bis jetzt immer danach gefühlt und gehandelt. Mit einem einzigen Unterschied:
Sie haben Ihren Blick bis jetzt wahrscheinlich immer auf Ihre Gefühle gelenkt und nicht auf Ihre Gedanken. Und wenn man seinen Blick nur auf das Auftauchen und Verschwinden bestimmter Gefühle lenkt, bekommt man den Eindruck, die Situation oder andere Menschen würden unsere Gefühle bestimmen.
Zeugen dieser falschen Schlussfolgerung sind zum Beispiel folgende Redewendungen:
•„Du machst mich ärgerlich.“
•„Es kommt einfach über mich.“
•„In der Situation muss ich mich so fühlen.“
•„Er verletzt mich/kränkt mich.“
•„Das jagt mir Angst ein.“
•„Sie macht mich traurig.“
•„Am Wochenende fühle ich mich immer einsam.“
•„Wenn ich glückliche Paare sehe, muss ich mich als Versager fühlen.“
•„Wenn man allein ist, muss man sich einsam fühlen.“
Wir können heilfroh sein, dass jeder von uns selbst ganz allein dafür zuständig ist, wie er sich fühlt und verhält. Stellen Sie sich einmal vor, die Situation oder andere könnten tatsächlich über Ihre Gefühle bestimmen. Ihnen blieben dann nur zwei Möglichkeiten zu reagieren: die Resignation oder der Versuch, den anderen zu verändern. Sehr viele Menschen, die sich als Opfer anderer Menschen sehen, wählen den Weg der Resignation. Sie betäuben ihre negativen Gefühle mit Drogen, Alkohol oder Medikamenten. Andere wiederum sind aggressiv und zynisch oder kritisieren ständig andere Menschen, weil sie sich ihnen ausgeliefert oder unterlegen fühlen. Auch der Rückzug von anderen Menschen und die Isolation sind meist die Folge davon, dass sich Menschen gefühlsmäßig anderen Menschen ausgeliefert sehen.
Die Einsamkeitsgefühle sind Ausdruck davon, dass Menschen sich selbst nicht mögen und deshalb Angst davor haben, von anderen abgelehnt zu werden. Gleichzeitig haben sie Angst davor, anderen Zuwendung zu geben. Der Schlüssel zum Verständnis der Einsamkeit und zur Befreiung aus der Einsamkeit sind die Einstellungen zu sich selbst und zu anderen.
Denkanstoß
Stellen Sie sich einen wunderschönen Vogel vor, der in einem unverschlossenen Käfig sitzt. Er sitzt dort den ganzen Tag und fühlt sich einsam und verlassen. Zu Beginn seines Käfigdaseins hat er noch gesungen und war an seiner Umwelt interessiert, aber jetzt sitzt er fast nur noch apathisch in einer Ecke des Käfigs. Der Vogel weiß nicht, dass er gleichzeitig Gefangener und Wärter ist. Die Tür ist unverschlossen und er kann jederzeit in die Freiheit fliegen, wann immer er es möchte. In seinem Innern ist die Fähigkeit erhalten geblieben, zu fliegen. Aber der Vogel bleibt sitzen und bedauert sich. Manchmal wird er ein kleines bisschen aktiver und man spürt seine innere Energie – dann, wenn er auf die Menschen schimpft, die ihn in den Käfig getrieben haben und ihn scheinbar gefangenhalten. Er hätte die Chance, die große weite Welt wiederzusehen, aber gleichzeitig bedeutet die Welt für ihn auch eine Gefahr. Wenn er das Risiko eingehen würde, seinen Käfig zu verlassen, würde er seine Angst verspüren, verletzt zu werden und sich zu stoßen. Er würde sich auch dem Vergleich mit anderen Vögeln aussetzen. So bleibt der wunderschöne Vogel lieber im Käfig sitzen, der ihm Schutz bietet, und hadert mit seinem Schicksal. Alles, was er tun müsste, um sein Leben zu verändern, wäre, seine inneren Fähigkeiten zu nutzen und das Risiko einzugehen, sich ein paar Beulen zu holen. Gewinnen könnte er die Freiheit und die Möglichkeit, Neues zu entdecken. Sitzen Sie auch in einem unverschlossenen Käfig, der gleichzeitig Begrenzung ist und Schutz bietet?