Читать книгу Das rote Seidenkleid - Dorothée Linden - Страница 8

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Somita, Alina, Anita, Omita. Es war nicht leicht, sich die Namen der Kinder einzuprägen. In Bennys Ohren klangen sie alle so ähnlich, dass er eingen von ihnen Attribute verpasst hatte. Kicher-Omita gluckste ständig, Sause-Alina flitzte durchs Haus, und Murmelchen-Anita spielte unaufhörlich mit zwei kleinen Kugeln, deren Glas grün und blau schimmerte. Selbst in der Nacht hielt sie ihre Murmeln fest umklammert. Die Mädchen ließen sich die zusätzlichen Namen gern gefallen.

Bei den Jungs war es noch extremer, weil die meisten von ihnen Ram hießen, wie der im Land verehrte Gott. Benny nannte den einen Träume-Ram, weil er morgens nicht aus dem Bett zu kriegen war, den mit dem zierlichen Körperbau hatte er für sich Ramito-Ram getauft, und Iam-Iam-Ram konnte Unmengen an Reis verdrücken.

Es war ein munteres Durcheinander in den Zimmern, als Benny die Kinder weckte und zum Zähneputzen in den Waschraum schickte.

»Aufstehn, aufstehn!« Er tippte dem zwölfjährigen Träume-Ram auf die Schulter. »Aufstehn, sonst kommt der Benny mit dem kalten Wasser!«

Das nur halb verdeckte Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen.

»Benny, Benny!« Murmelchen zupfte an seinem T-Shirt und sagte irgendetwas auf Nepali. Er entnahm den Gesten, dass die Kleine ihre zweite Sandale nicht finden konnte. Er ging mit ihr auf die Suche, fand unter einem der Etagenbetten einen abgewetzten einzelnen Turnschuh und gab ihn ihr.

»Nein. Nein, nein.« Murmelchen lachte. Sie fanden die Sandale am Fußende ihres eigenen Betts.

»Guten Morgen.« Es war Arunas warme Stimme. Ihr hatte er keinen Beinamen verpasst, sie würde er niemals verwechseln. Sie kam morgens ins Haus und half den Praktikanten, die Kinder auf den Tag vorzubereiten. Bei Bedarf war sie auch an jeder anderen Stelle einsetzbar, sie konnte sogar besser kochen als die üppige Frau, die hierfür fest eingestellt war, aber oft keine Lust hatte zu arbeiten und einfach zu Hause blieb.

Aruna war ein knappes Jahr jünger als er und der liebenswürdigste Mensch, dem er je begegnet war, außerdem so schön, dass er, wenn sie nicht zusammen waren, mitten am Tag die Augen fest zusammendrückte, um sich ihr Gesicht vorzustellen und ihr aus seinem Herzen, das sich in solchen Momenten warm und weit anfühlte, ein unsichtbares Lächeln zu schicken. Es war anders als zu Hause, wo man schon mal mit einem Mädchen feiern gegangen war und ein bisschen herumgeknutscht hatte. Es hatte nichts bedeutet im Gegensatz zu dem, was Aruna bei ihm auslöste.

Sie kam aus einer wohlhabenden Familie, die im Thamel wohnte, dem Touristenviertel von Kathmandu. Sie hatte ihm erzählt, dass sie in einem weißen Haus mit Säulen über dem Eingangshof wohnten. Die Art, wie sie ihm davon berichtet hatte, war nicht hochnäsig rübergekommen, sie stellte es einfach fest.

Sie machte eine Ausbildung zur Fremdsprachenkorrespondentin und konnte sich fließend auf Englisch, Spanisch und auch Deutsch unterhalten. In Chinesisch sei sie noch nicht so sicher, hatte sie beinahe entschuldigend gesagt. Sie hatte nichts dagegen, mit ihm Nepali zu üben; umgekehrt war es für sie eine willkommene Gelegenheit, zusammen mit ihm ihre Deutschkenntnisse anzuwenden.

In ihrer freien Zeit betreute sie Studenten und Freiwilligenhelfer aus dem Ausland, mit denen er in einem Gebäude mit kargen, schlicht eingerichteten Räumen zusammen wohnte, wenn er nicht bei seinen Schützlingen im Waisenhaus übernachtete. Aruna half den Neuankömmlingen bei ihrem Einstieg in das nepalesische Leben, besonders dann, wenn sie sprachlich nicht weiter kamen oder Behördengänge zu erledigen hatten.

Sie sagte, dass das nur möglich war, weil ihr Vater sehr tolerant sei und sie in allem unterstütze, auch bei ihrer Ausbildung. Damit sei sie in ihrem Land sehr privilegiert. Vor allem in den ärmeren Familien wären die Mädchen an das häusliche Leben gebunden, bis sie heiratsfähig seien und an die Familie eines Mannes abgegeben würden, den der eigene Vater ausgesucht habe.

Mit der Hilfe ihres Vaters konnte sie sich den ehrenamtlichen Dienst im Waisenhaus und bei den Freiwilligen leisten, sich nützlich machen und gleichzeitig mit den ausländischen Praktikanten in deren Sprache zu reden üben.

»Ich gehe hoch und helfe beim Frühstück«, sagte sie, schüttelte ein paar Decken aus und verschwand mit einigen der Kinder nach oben in den ehemaligen Wintergarten, der als Küche, Esszimmer und Aufenthaltsraum genutzt wurde. Sie hatten tagelang gebraucht, um das Haus einigermaßen auf Vordermann zu bringen. Das unermessliche Chaos, das Benny bei seiner Ankunft vorgefunden hatte, der Müll und Dreck in allen Zimmern, hatten ihn dermaßen angeekelt, dass er freiwillig das große Aufräumen begonnen hatte. Dem Chef machte es nichts aus, aber Benny hatte es nicht ertragen können. Sie hatten es einigermaßen hinbekommen, aber es konnte einem immer noch passieren, dass man knirschend auf tote Kakerlaken zwischen den liegen gelassenen Küchenabfällen oder schimmelnde Reste trat. Die Lebensmittelspenden, die immer mal wieder abgegeben wurden, interessierten niemanden. Berge davon gammelten in einem separaten Raum vor sich hin.

Das Heim mit der Hausnummer 953 befand sich am Rand eines belebten Viertels mitten in Kathmandu und bestand aus drei Stockwerken und einem verglasten Dach mit Terrasse.

Benny hatte zusammen mit Tim, einem Freiwilligenhelfer aus der Nähe von München, mit dem er sich auf Anhieb angefreundet hatte, direkt in der ersten Woche nach seiner Ankunft die Außenfassade gestrichen. In den Abfällen auf dem Hof des Nachbarhauses hatten sie angebrochene Farbeimer gefunden. Das Gelb hatte für das Erdgeschoss und einen Teil der ersten Etage gereicht, den Rest hatten sie in einem hellen Rosa gestrichen. Das Ergebnis war ganz passabel, wenn auch manche Stellen fleckig blieben.

Im Eingangsbereich des Hauses war man über Müll und Unrat gestolpert. Tim und Benny hatten das Allermeiste ungeprüft in Plastiksäcke gestopft und auf die Straße zu all den anderen Abfällen geworfen, die vor sich hinschwelten, bis sie zu nicht festgelegten Terminen abgeholt wurden.

Direkt hinter dem Flur am Eingang führte eine Tür zu den Schlafplätzen der wenigen Alten, die im Heim eine Unterkunft gefunden hatten. Nebenan befand sich das Büro des Chefs, ein dunkler, von schwerer Zigarrenluft verpesteter Raum.

Die weiteren Schlafräume verteilten sich auf das erste und zweite Stockwerk. Die Kinder schliefen in Etagenbetten oder auf Matratzen, die nebeneinander auf dem Boden lagen. Am liebsten mochte Benny die Dachetage, die sich zur Hälfte unter freiem Himmel befand und deren anderer Teil von riesigen Glasfenstern eingefasst wurde, aus denen man in die Ferne auf die Berge sah. Sie hatten die schlichten Holztische mit harten Wurzelbürsten abgeschrubbt, bis sich eine einigermaßen saubere Fläche ergeben hatte.

An der den Fenstern gegenüberliegenden Wand standen auf einem Holzbrett, das die ganze Breite des Raumes einnahm, der Spültrog, eine Kochplatte mit zwei Feldern und eine dicke runde Heizspirale, auf der in einem riesigen Topf Reis und Linsen gekocht wurden. Unter der Platte stapelten sich Hunderte von Tellern sowie Gefäße aus Plastik, in denen die aktuell benötigten Vorräte aufbewahrt wurden.

Von den vier uralten Frauen, die mit im Haus lebten, schafften es zwei noch bis hierher nach oben. Sie waren immer gut gelaunt und sichtlich zufrieden, sich in der Küche nützlich machen zu können, indem sie Reis wuschen oder Gemüse zupften. Sie hatten tiefe Furchen im Gesicht, und die eine von ihnen war von Kopf bis Fuß mit braunen Flecken übersät. Niemand kannte ihr wahres Alter, aber Benny schätzte es auf an die hundert.

Sie waren spät dran, als er und Aruna schließlich mit ihren Schützlingen zur Schule aufbrachen. Der Regen hatte wieder eingesetzt, so dass sie völlig durchnässt waren, als sie auf dem Schulhof ankamen. Das morgendliche Begrüßungsritual mit einigen Liedern, die alle Schüler, von klein bis groß, auf dem Schulhof lauthals mitsangen, war fester Bestandteil eines jeden Tages. Danach aber driftete der Alltag der Kinder meistens ins Chaos ab. Die Klassenräume waren zu klein, als dass für jeden Schüler ein Tisch mit Stuhl Platz gehabt hätte. So saßen sie auf dem Boden oder zu mehreren auf den Tischen. In der ersten Klasse waren die Kinder bis zu zwölf Jahre alt, je nachdem, wie lang sie bis dahin in ihren Familien noch für andere Arbeiten gebraucht wurden. Einzig die Waisenkinder versuchte man möglichst schon im Alter von sechs Jahren in die Schule zu schicken.

In der ersten Woche hatte Benny sich den Unterricht der Lehrer nur angesehen und den Eindruck gewonnen, dass es ihnen völlig egal zu sein schien, ihren Schülern etwas erfolgreich beizubringen. Wenn sie sich nicht durchsetzen konnten und das Durcheinander aus dem Ruder geriet, verprügelten sie die unruhigen Kinder, oft mehrmals innerhalb der Stunde.

Die Klasse, die für Benny zusammengestellt worden war, bestand aus 16 Kindern, die er in Englisch unterrichten sollte. Er las ihnen vor und ließ sie anschließend den Text wiederholen und nochmals wiederholen, bis sie ihn auswändig und flüssig aufsagen konnten. Danach versuchte er, die nepalesische Version nachzusprechen. Und dann wieder alles auf Englisch. Die Kinder bissen an und machten Fortschritte. Er gab ihnen selbst zurechtgeschnittene Papiersternchen, wenn sie es gut gemacht hatten, und bald entbrannte ein großer Eifer auf möglichst viele dieser gezackten Auszeichnungen.

Um ein Uhr schnappte er sich seine Schützlinge, und sie liefen zurück zum Haus. Der Regen hatte aufgehört, die Wolkendecke öffnete sich nur langsam über der schweren Luft. Es war stickig in der Stadt, in den Straßen dampfte es, der schmierig gewordene Staub legte sich auf die Kleidung und ihre feuchte Haut.

Zum Mittagessen gab es mal wieder Reis mit Linsen. Eigentlich mochte Benny dal bhat, das in Nepal von früh bis spät angeboten wurde. Allerdings war es hier im Haus nicht viel mehr als ein einziger Klumpen ungewürzten Breis.

»Heute Nachmittag wird es ernst, Jungs«, sagte er. »Wir treffen uns um drei zum Fußballspiel. Wir machen zwei Mannschaften, eine trägt rote, die andere blaue Bänder. Also, bis gleich!«

Während die Kinder die Tische abräumten und beim Geschirrspülen halfen, ging Benny hinunter zum Büro des Heimleiters. Er nahm seinen ganzen Mut zusammen und klopfte an die halb geöffnete Tür. Ron zuckte zusammen. Offenbar war er in seinem Sessel eingenickt. Die Füße lagen auf einem Stapel Papier, und es roch widerlich nach abgestandenem Rauch.

»Was gibt’s?«

»Sag mal, gibt es sowas wie eine Adressenliste der anderen Praktikanten, die früher hier gearbeitet haben? Vielleicht kann man mal ein Treffen organisieren.«

»Du bist wirklich ein komisches Kerlchen.« Ron steckte sich eine Zigarre an, zog tief an ihr und blies den Rauch in langsam aufsteigenden Kringeln aus.

»Ich bin jetzt seit zehn Jahren hier, aber so einer wie du ist mir noch nicht untergekommen. Erst bestehst du darauf, nepalesisch zu lernen, dann willst du die ganze Welt zusammentrommeln. Vergiss es. Abgesehen davon, dass die meisten von euch aus Europa kommen und ihr euch doch besser drüben bei euch versammeln solltet, glaub ich nicht, dass ich dir helfen kann. Wir halten nicht alles fein säuberlich nach. Deinen Sinn für Ordnung und Reinlichkeit haben wir ja schon kennengelernt, aber wir haben hier nun einmal keine Personalakten oder sowas.«

»Aber ich habe bei meiner Ankunft doch auch ein Formular ausfüllen müssen.«

»Ja, so wollen es nun mal die Vorschriften. Gebraucht haben wir den Papierkram aber noch nie. Falls mal einer von euch umkippt oder abhaut, können wir dann theoretisch nach euch suchen. Theoretisch! Aber das ist noch nicht vorgekommen. Und außerdem, wenn es schon um Vorschriften geht: Da dürfte ich sicher nichts rausrücken, selbst wenn ich was hätte von all den Ehemaligen. Also: Vergiss es, und schönen Dank für’s Wecken.«

Benny verließ das Zimmer. Das hatte er sich einfacher vorgestellt. Es mussten doch irgendwo diese Formulare herumliegen. Aber ein Ordner oder ein Fach für Personalangelegenheiten war ihm jetzt auch nicht ins Auge gesprungen. Er musste sich noch mal persönlich umsehen, wenn Ron nicht da war.

Aus der Materialkiste unter der Treppe fischte er fünf rote und sechs blaue Bänder und rief die Kinder zusammen. Sie mussten erst einmal die Ziegel aufstapeln, die zwischen all dem Unrat herumlagen. Der Hof grenzte an ein Haus, aus dem jeden Tag immer neue Müllsäcke oder nicht mehr benötigte Steine herübergeworfen wurden. Benny hatte Ron gefragt, ob man nicht mit den Nachbarn sprechen könne, damit der Müll nicht immer bei ihnen landen würde. Aber Ron hatte nur mit den Achseln gezuckt und ihm erklärt, dass sich nicht mehr genau ermitteln lasse, wem der Hof gehöre und so lange würde er wohl unbebaut bleiben und jeder dürfe damit machen, was er wolle. Ein paar der Müllsäcke schwelten. Es stank unerträglich, aber Benny begann allmählich, sich daran zu gewöhnen.

Die Mädchen hatten keine Lust mitzuspielen, was auch besser war, denn sie wirkten zart und zerbrechlich, während die Jungen in ihrem kämpferischen Ehrgeiz rau und wild waren. Als nach lautem Hin und Her die Mannschaften feststanden und das eine fehlende rote Band durch ein rotes T-Shirt ersetzt worden war, konnte es losgehen. Die Mädchen stellten sich ins Fenster, zwei der Jungen, die ebenfalls nicht mitspielen wollten, saßen auf der Mauer. Benny pfiff das Spiel an, und schon begann ein erbitterter Kampf um den Ballbesitz, die Zuschauer kreischten und feuerten ihre Mannschaft an, was das Zeug hielt. Aus dem Augenwinkel sah Benny, dass sich Aruna zu den Mädchen gesellt hatte. Sie lächelte.

Nach dem dritten Tor, das mit großem Beifall gefeiert wurde, passierte es: Ramo fiel von der Mauer, wie ein Stein kippte er hinunter, zuckend und zitternd. Die Kinder waren sofort bei ihm. Benny schickte sie weg und schrie:

»Ein Arzt! Sanitäter! Aruna! Ron! Ein Arzt!« Der Junge ließ sich nicht beruhigen. Weißer Schaum quoll aus seinen Mundwinkeln.

»Ein Taxi! Ruft ein Taxi! Er muss ins Krankenhaus, wenn hier keiner helfen kann. Los, fasst mit an! Aber vorsichtig.«

Benny rannen Tränen über die Wangen. Ron nahm den Jungen und trug das zappelnde Bündel, immerhin behutsam und mit festem Griff, nach draußen, wo ein Taxi wartete, das Aruna gerufen haben musste.

»Bitte komm mit«, sagte Benny, und sie stieg vorne ein. Der Fahrer verlangte einen horrenden Preis und schaute einige Male zur Rückbank, als ob sie Aussätzige wären. An der Pforte zur Universität stieg Aruna aus, um den Wachmann nach dem Weg zur Klinik zu fragen. Benny sah, wie der Mann mit dem Kopf schüttelte und zurück in sein Häuschen verschwand.

»Er will damit nichts zu tun haben, er sagt uns nicht, wohin wir müssen.«

»Wir finden das schon selber.«

Benny nahm Ramo auf den Arm. Er musste seine ganze Kraft und Konzentration zusammennehmen, der Junge wog schwer und zitterte noch immer, er selbst fühlte sich hilflos und elend. Glücklicherweise war das Klinikgebäude bald in Sicht. Aruna lief voraus und führte sie zur Notaufnahme.

Der Arzt, auf den sie schließlich trafen, machte einen freundlichen und fachkundigen Eindruck. Er stellte Aruna einige Fragen. Benny verstand so gut wie nichts. Dann sagte Aruna:

»Komm, wir müssen weiter.«

»Was? Es geht ihm schlecht. Sag ihm, dass wir ein Notfallkind vom Waisenhaus haben und der Junge sofort Hilfe braucht. Das sieht man doch!« Benny war außer sich.

Aruna wiederholte nur: »Komm. Nimm ihn, wir gehen woanders hin.«

Er gehorchte. Draußen standen Taxen. Sie stiegen in den ersten Wagen ein, Aruna nannte dem Fahrer das nächste Ziel. Sie wandte sich Benny zu und sagte:

»Es war, weil ich gesagt habe, dass wir vom Waisenhaus kommen. Solche Kinder nehmen sie nicht.«

»Was sollen wir denn machen?« Benny zitterte jetzt selber am ganzen Körper.

»Im Norden der Stadt gibt es ein weiteres Krankenhaus. Ich sage ihnen, dass es mein Neffe ist, dann werden sie uns helfen.«

Aruna hatte den letzten Satz mit einem kurzen Blick auf den Fahrer auf Deutsch gesagt. Ramo weinte, auch wenn sein Zittern deutlich schwächer geworden war. Benny versuchte, beruhigend auf ihn einzureden, was ihm nicht gelingen wollte, weil er sich selbst schwach und völlig idiotisch fühlte.

Sie kamen nur stockend voran durch den dichten Verkehr, die Fahrt schien Ewigkeiten zu dauern.

Im Krankenhaus mussten sie nicht sehr lange warten, aber die Zeit reichte, um einen Eindruck von den Verhältnissen zu bekommen. Das Personal lief hektisch über die langen Gänge und schob Tragen vor sich her, die mit schmutzigen Laken bezogen waren, auf denen sich dunkle eingetrocknete Blutflecken befanden. Ameisen rannten über die Flure, Kinder schrien. Benny schauderte. Aber immerhin wurde Ramo nach einer Weile in ein Behandlungszimmer gebracht.

Am frühen Abend waren sie zurück im Waisenhaus. Benny legte sich neben Ramo aufs Bett. Der Arzt hatte eine Gehirnerschütterung festgestellt. Außerdem hatte Ramo vor dem Sturz von der Mauer einen epileptischen Anfall erlitten. Aruna hatte die Adresse ihrer Familie genannt und versprochen, die Rechnung in den nächsten Tagen zu bezahlen.

Sie setzte sich zu ihnen auf den Boden.

»Danke, Aruna, ohne dich hätten wir es niemals geschafft.«

Er weinte und begann, von seiner Schwester zu erzählen, die im Gegensatz zu Ramo gestorben war. Und er sagte, dass er auf den Spuren seiner Herkunft sei, nachdem er als Baby von einer dänischen Praktikantin gerettet worden war und dass er die nun wiederfinden wollte. Erst sie, dann seine leiblichen Eltern.

»Willst du mir helfen, sie zu finden?«

Aruna legte ihre Hand auf seinen Arm.

Sie sagte leise: »Ja«.

Dann schlief er ein.

Das rote Seidenkleid

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