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Aus dem Leben von Frau W.

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Montag, 27. Januar

Frau W. hat ihren Ring verloren. Nein, nicht den Ehering, aber den schmalen silbernen mit dem rubinroten Stein. Den hat sie noch von ihrer Mutter. Ob er viel wert ist? Das weiss sie nicht so genau. Für sie jedenfalls ist er etwas wert! Sie mag ihn – er gehört zu ihr, der schmale Silberne. Das heisst: Er gehörte zu ihr. Denn er ist weg. Aber Geduld, sagt sich Frau W., den haben wir gleich wieder.

Dienstag, 28. Januar

Der Ring ist spurlos verschwunden. Frau W. schaut auf der Kommode im Flur nach. Sie guckt unter das Bett, wirft einen Blick auf den Spülkasten und unter die Garderobe. Kein Ring. Frau W. versucht zu rekonstruieren, wo sie gestern war. Sie fragt in der Metzgerei, in der Kleiderabteilung des Warenhauses und beim Arzt, ob vielleicht ...? Nein, leider hat niemand den Ring gesehen. Aber man wird die Augen offenhalten. Frau W. dankt und spürt eine leichte Welle von Panik in sich aufsteigen. Aber Geduld, es gibt noch so viele Orte, wo ein kleiner Ring sich verstecken kann.

Mittwoch, 29. Januar

Frau W. schüttelt den Teppich aus, räumt den Kleiderschrank aus und ein und rutscht auf den Knien durchs Wohnzimmer. Sie leuchtet mit der Taschenlampe hinter das Schuhschränkchen, leert ihre drei Handtaschen aus und öffnet sogar den Siphon in der Küche. Kein Ring.

Donnerstag, 30. Januar

Eine weitere Suchaktion findet statt, in deren Verlauf Frau W. den Handarbeitskorb durchwühlt, alle Schubladen in der Küche aufreisst und sämtliche Manteltaschen umdreht. Frau W. erzählt zwei Freundinnen am Telefon, dass ihr liebster, unersetzbarer Rubinring verschollen ist. Sie ist den Tränen nah.

Freitag, 31. Januar

Beim Abendessen sagt Frau W.s Mann: «Jetzt lass es aber gut sein. Wenn ich denke, wie viele Schmuckstücke du noch hast in deinen hundert Kästchen.» Frau W. schreit und weint und knallt die Tür zu. Herr W. merkt, dass er etwas Falsches gesagt hat.

Samstag, 1. Februar

Die Polizei weiss nichts von einem Ring, der aussieht wie der von Frau W.

Frau W. merkt, wie nahe daran sie ist aufzugeben.

Sonntag, 2. Februar

Der Ring ist wieder da! Er liegt in der Fruchtschale zwischen einer Banane und zwei Orangen. Keiner weiss, wie er ausgerechnet dorthin gekommen ist. Frau W. stösst einen Freudenschrei aus beim Anblick des kleinen roten Steins. Sie lacht und weint vor Freude. Frau W. ruft vier Freundinnen an und erzählt ihnen, dass ihr Ring gefunden wurde. Herr W. bekommt einen Kuss.

Montag, 3. Februar

Frau W. backt einen Kuchen und kauft eine Flasche Champagner, sechs Lachsbrötchen und eine Schachtel Pralinen. Sie erzählt dem Metzger, dem Arzt, der Abteilungsleiterin im Warenhaus und allen, die ihr über den Weg laufen, dass ihr Ring gefunden worden ist. Sie sagt das Fitnesstraining ab und feiert stattdessen mit fünf Freundinnen eine fröhliche Party. Denn ihr Ring ist wieder da!

So ähnlich erzählt es Jesus im Lukasevangelium im 15. Kapitel. Und fügt hinzu: «Stellt euch vor, wie sehr sich diese Frau freut, wenn sie findet, was sie verloren glaubte. Und genauso freuen sich die Engel und der ganze Himmel, wenn ein einziger Mensch zu Gott umkehrt, der nichts mehr von ihm wissen wollte.» – oder vielleicht sogar noch mehr, ist man geneigt zu denken ...

Oder welche Frau, die zehn Drachmen besitzt und eine davon verloren hat, zündet nicht ein Licht an, kehrt das Haus und sucht eifrig, bis sie sie findet? Und wenn sie sie gefunden hat, ruft sie ihre Freundinnen und Nachbarinnen zusammen und sagt: Freut euch mit mir, denn ich habe die Drachme gefunden, die ich verloren hatte. So, sage ich euch, wird man sich freuen im Beisein der Engel Gottes über einen Sünder, der umkehrt.

Jesus in Lukas 15,8–10

Frau W. diskutiert mit Jesus

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