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Die Unterschrift stammte von Lute McNeil und verriet eine kraftvolle, ungeübte Hand – ungeübt freilich nur im Schreiben, denn seine üblichen Werkzeuge wusste Lutes Hand sehr wohl anmutig und elegant zu führen. Lute McNeil war im Begriff, als Möbeltischler in Boston reich zu werden, und die Nachfrage überstieg bereits sein Angebot. Jetzt plante er, das vierstöckige Gebäude zu kaufen, in dem er früher einmal Speicherplatz gemietet und wo er, noch früher, im Keller gehaust hatte.

Dabei hatte geschäftlicher Erfolg nicht zu Lutes Kinderträumen gehört. Er war hauptsächlich deshalb auf die Berufsschule gegangen und hatte ein Handwerk erlernt, weil man ihn als schwer erziehbar aus der Realschule hinausgeworfen hatte. Seit seinen wilden Teenagertagen war der Erfolg bei Frauen seine einzige Passion, und bis zum Sommer der Hochzeit meinte er, diesen Erfolg auch errungen zu haben. Bis zum Sommer der Hochzeit hatte er noch keine klaren Wertvorstellungen.

Lute McNeil mit seinen drei kleinen Töchtern, die alle von weißen Müttern stammten, freilich jede von einer anderen, mit seiner langen Reihe von Haushälterinnen, die manchmal nur das waren und manchmal sehr viel mehr, mit seiner derzeitigen Frau Della, die ihm die geforderte Scheidung verweigerte und der er im Gegenzug drohte, ihrer Beacon-Hill-Familie die heimliche Hochzeit zu enthüllen – mit all diesen Komplikationen in seinem Leben war Lute McNeil, der Außenseiter, der noch nie einen Fuß ins Haus der Coles gesetzt hatte, entschlossen, die Hochzeit zu verhindern, denn die Frau, die er begehrte, war keine andere als Shelby.

In Addie Bannisters Cottage ging eine Fliegentür auf und klappte wieder zu. Ein honigfarbener Cockerspaniel, dick und bejahrt, watschelte über die Veranda, beschnupperte ein paarmal den jungen Morgen und ließ sich alsdann nieder, um ihn einer gründlicheren Prüfung zu unterziehen. Kurz darauf klappte die Fliegentür wieder auf und zu, und drei honigfarbene kleine Mädchen, barfuß, in T-Shirts und Shorts, die Älteste mit Kamm und Bürste in der Hand, trippelten im Gänsemarsch heraus und hockten sich zu dem honigfarbenen Hund auf die oberste Treppenstufe, wo sie zu viert ernst und gelassen darauf warteten, dass Lute kam und mit ihm ihr Tag begann.

Lute stürzte mit einer solchen Heftigkeit durch die Tür zur Veranda, als ob gar keine Tür da wäre. Wie auf Kommando wirbelten der Hund und die Kinder herum, blickten zu ihm auf, und der Hund klopfte mit dem Schwanz auf die Dielen. Aus ihrer Winzlingsperspektive betrachtet stand Lute wie ein Riese mit breit gespreizten Beinen über der Welt, der Welt, die er für sie erschaffen hatte.

Er war groß, gut gebaut, in T-Shirt und Shorts, schlank und geschmeidig, nussbraun, mit entschlossenen, wohlgeformten Gesichtszügen, dunklen, tiefliegenden Augen, die durchdringend und verstörend blicken konnten, und kurzgeschorenem Haar, das drahtig war und dicht.

Der Name McNeil war nur geborgt; seine Mutter hatte ihn sich von dem Mann geliehen, der sein Vater war oder den sie dafür hielt. Denn sie war eine vom Leben gebeutelte, derbe Person, und nichts überraschte sie mehr, als dass ihr einer ein Kind angehängt hatte. Den Jungen hatte sie Luther getauft, nach ihrem Vater, der sie wegen ihres liederlichen Lebenswandels aus dem Haus gejagt hatte, was sie wiederum damals ziemlich stolz auf ihn und seine unbeugsame Rechtschaffenheit machte. Ihren Sohn gab sie zu Freunden in Pflege, die ihn ihrerseits zu Freunden in Pflege gaben, und so fort, bis er schließlich als Mündel unter amtliche Vormundschaft kam, da der Aufenthaltsort der Mutter unbekannt war.

Lute stupste den Hund sanft mit seiner Sandale an. »Schleich dich, Jezebel, und mach dein Geschäft. Wenn dich keiner aufscheuchen tät’, würdest du dich den lieben langen Tag nicht vom Fleck rühren.«

Jezebel, die in der Tat etwas zu erledigen hatte, stand auf und trottete langsam die Treppe hinunter. Dabei warf sie Lute einen kläglichen Blick zu, der vor Heuchelei nur so triefte. Mit hängendem Schwanz schleppte sie sich die Straße entlang, auf der Suche nach einem geeigneten Gebüsch, das ihr Deckung bieten würde. Einmal sah sie sich noch um, und wieder lag jämmerliches Unglück in ihrem Blick.

Das Grüppchen auf der Veranda strafte den Hund mit Nichtachtung, worauf Jezebels Schwanz, wie erwartet, schlagartig aufhörte, trübselig hinter ihr herzuschleifen. Plötzlich unternahm ihre Schnauze im Zickzackkurs begeisterte Ausflüge durch den Park, wo letzte Nacht die Kaninchen im Mondschein herumgetollt waren, und ihr Watschelgang steigerte sich zu einem recht respektablen Trab, während sie mit neu erwachter Begeisterung den Morgen begrüßte.

Lute packte seine älteste Tochter schwungvoll um die Taille, hob sie hoch, ließ sich auf ihrem frei gewordenen Platz nieder und nahm sie zwischen die Knie. Sie reichte ihm Kamm und Bürste hinauf, und Lute begann, Barbys vom Schlaf zerzauste Haare mit vorsichtigen Strichen zu entwirren.

Sie hatte langes, wunderschönes Haar, dessen Farbe von hellerem Gold war als ihre sonnengebräunte Haut. Mit ihren großen grünen Augen und den feinen Gesichtszügen war Barby eine bezaubernde Achtjährige, der ihre Schwestern indes an Reizen nicht nachstanden.

Wie sie rechts und links von Lute auf der Treppe saßen und darauf warteten, bis sie mit Bürsten und Flechten an die Reihe kämen, wirkten die sechsjährige Tina und die dreijährige Muffin – ihre eigene Verballhornung ihres Taufnamens Maria – wie Kinder von der Staffelei eines Malers. Tinas Haar war goldbraun, mit silberblonden Strähnen durchwirkt. Ihre lang bewimperten Augen waren graublau. Muffin hatte kastanienbraunes Haar, das nach dem Bürsten schimmerte wie polierte Bronze. Ihre runden fragenden Augen waren von einem tiefen Veilchenblau.

»Ach, Daddy«, sagte Barby zufrieden, »so gut wie du bürstet keiner.«

Und Lute arbeitete wirklich sehr geschickt, strich Wellen glatt und bürstete Barby jede verirrte Locke, die sich ihr in die Stirn ringelte, aus dem Gesicht.

»Das liegt bloß daran, dass keiner so viel Übung hat wie ich«, sagte Lute. »Aber Mütter können’s doch am besten. Ihr würdet euch wundern, wie gut Mütter sich auf alles verstehen.«

»Ist denn GiGi nicht unsere Mutter?«, fragte Muffin, die keine Ahnung hatte, was eine Mutter eigentlich war.

»Natürlich nicht!« Barby seufzte ungehalten über Muffins Unwissenheit. »Sie ist unsere Haushälterin.« Und Mrs. Jones war tatsächlich nur das, denn die, die mehr gewesen war, hatte Lute bald, nachdem er Shelby entdeckt hatte, abserviert.

»Sie ist unsere Haushälterin«, wiederholte Muffin eifrig, obschon sie noch gar nicht wusste, worin der Unterschied bestand.

»Hab ich auch mal eine Mutter gehabt?«, fragte Tina schüchtern. Sie hatte schreckliche Angst davor, dass dies eine dumme Frage sei, eine, auf die sie selbst die Antwort hätte wissen müssen. Aber sie hatte sich schon den ganzen Sommer den Kopf darüber zerbrochen, wieso die Kinder im Oval so selbstverständlich von ihren Müttern sprachen, als hätten sie sie von Anfang an gehabt.

Lute war inzwischen dabei, Barbys Haare zu zwei festen Zöpfen zu flechten. Zwar stand zu erwarten, dass sich ihr Haar wie das ihrer Schwestern, lange bevor der Tag zur Neige ging, lösen und die Schönheit ihrer Gesichter noch verführerischer zur Geltung bringen würde, doch Lute bemühte sich mit diesem Morgenritual wenigstens, die Mädchen zur Sittsamkeit zu erziehen.

»Ihr hattet alle eine Mutter«, sagte er jetzt, um einen möglichst sachlichen Ton bemüht, zu Tina.

»Aber wo sind sie?«, fragte Muffin erstaunt und blickte sich unwillkürlich um, als müssten die Mütter irgendwo zu entdecken sein.

»Sie sind geschieden«, sagte Barby ruhig und ohne zu wissen, dass das für ein Kind eine traurige Aussage war.

»Geschieden sind sie«, wiederholte Muffin vergnügt und freute sich, dass sie ein neues Wort gelernt hatte.

»Was heißt das?«, verlangte Tina zu wissen. Sie wollte nicht, dass es hieß, die Mütter seien tot, nicht jetzt, wo sie erfahren hatte, dass jedes Kind eine haben konnte.

»Das heißt, Daddy wollte uns haben, sie aber nicht«, antwortete Barby unbekümmert.

Lute zog Barby an den Zöpfen zum Zeichen, dass er mit ihr fertig und bereit für Tina war. Als Barby und Tina die Plätze tauschten, krabbelten sie wie zwei kleine Hündchen über Lute hinweg.

Er setzte Tina zwischen seine Knie, fuhr sich nachdenklich mit dem Bürstenrücken an der Nase entlang und überlegte, wie das zu erklären sei.

»Nein, es heißt nicht, dass sie euch nicht haben wollten. Alle Mütter wollen ihre Babys. Aber wenn eine Mutter und ein Vater sich scheiden lassen, können sie das Baby nicht teilen, und darum müssen sie losen. Ich hatte immer das Glück, den langen Strohhalm zu ziehen.«

»Wie viele Scheidungen hatten wir?«, fragte Tina, nicht sicher, ob sie für Scheidungen war.

»Geht auf drei zu«, sagte Lute, bemüht, es wie einen völlig normalen Vorgang klingen zu lassen.

»Drei«, wiederholte Tina staunend. »Drei Scheidungen und drei Mütter.« Nebenan wohnten drei Kinder mit nur einer Mutter für alle zusammen – eine Regelung, die ihr irgendwie gefiel. Ganz bestimmt aber wusste sie, dass sie es furchtbar gefunden hätte, wenn sie und Barby und Muffin drei Väter gehabt hätten. Es war besser, nur jeweils einen beziehungsweise eine zu haben. Bloß dass sie und ihre Schwestern überhaupt keine Mutter hatten, auch wenn es früher sogar drei gegeben hatte. Sie überlegte, ob Barby sich wohl eine Mutter wünschte. Muffin wollte immer nur Puppen, damit sie die dann genauso herumkommandieren konnte wie die Haushälterin sie. Aber falls Barby sich eine Mutter wünschte, dann würde Daddy vielleicht etwas unter-nehmen. Daddy sagte doch immer, Barby sei die Vernünftigste.

Doch Barby wollte nie und nimmer eine Mutter. Sie kannte sich aus mit Müttern. Die weinten immerzu. Barby konnte sich nicht an das Gesicht ihrer Mutter erinnern, aber ihr Schluchzen hatte sie noch lebhaft und beängstigend im Ohr; später folgte das heftigere Schluchzen von Tinas Mutter, und jetzt war da die Frau, die Daddy Della nannte und die wahrscheinlich Muffins Mutter war, denn nachts schluchzte auch sie.

Bevor Tina auch nur fragen konnte, sagte Barby frei heraus: »Ich mag keine Mütter. Sie machen mich nervös, weil sie immerzu heulen. Und sie werden so oft böse, und dann rufen sie Daddy einen ›Nigger‹.«

Das war ein hartes, ein hässliches Wort, ein Wort, das noch niemand aus ihrem Mund gehört hatte. Doch um Tinas willen musste sie es jetzt aussprechen. Sie konnte sich darauf verlassen, dass Muffin sich keine Mutter wünschte. Aber sie bekam langsam Bedenken wegen Tina, die zu viel Umgang mit der Mutter von nebenan hatte. Tina wusste nicht, wie Mütter waren, wenn sie heulten wie verrückt. Sie war noch zu klein gewesen, um sich daran zu erinnern – genau wie Barby zu klein gewesen war, um es zu verstehen.

»Manchmal«, meinte Lute vorsichtig, »manchmal sagen Mütter, wenn sie böse sind, Sachen, die ihnen dann später leidtun, wenn sie nicht mehr böse sind.«

Das war für die Kinder indes kein Trost. Muffin hatte bei Barbys letzten Worten seinen Arm umklammert, und Tina zappelte unruhig, obwohl sie sich sonst zwischen Lutes Knien geborgen fühlte. Das verbotene Wort hatte die beiden erschreckt. Barby hatte gehört, wie ihre Mütter es benutzten, kein Wunder also, dass sie Mütter nicht leiden mochte. Muffin verzog das Gesicht zum Zeichen dafür, wie sehr sie diese Sorte Frauen ablehnte. Tina strengte sich an, es ihr gleichzutun, brachte es aber irgendwie nicht fertig. Das Bild der Mutter von nebenan schob sich dazwischen.

Die Mutter von nebenan weinte nie. Und jedes Mal, wenn sie Tina sah, lächelte sie. Wenn sie sprach, dann waren ihre Worte immer liebevoll. Jeden Tag nahm sie Tina in den Arm und gab ihr einen Kuss, manchmal mehr als einen und manchmal sogar mehr als zwei. Tina hatte den ganzen strahlend schönen Sommer in atemloser Vorfreude auf dieses Ritual verbracht.

Die Kinder von nebenan waren nur ein fadenscheiniger Vorwand für ihre Besuche drüben. Barby verachtete sie, weil es Jungs waren, die sie an den Zöpfen zogen, und Muffin schlug mit den Fäusten nach ihnen, wenn sie ihre Puppen außer Reichweite über ihr herumschwenkten und sie zwangen, bitte zu sagen. Aber Tina tat so, als mache es Spaß, mit Jungs zu spielen, obwohl sie schreckliche Angst bekam, wenn sie grob mit ihr umsprangen.

Der Weg zum Himmel war nicht immer leicht, aber das Ziel war alle Beulen und blauen Flecke wert. Denn dann kam die Mutter von nebenan und tröstete einen. Sie war weich und rund. Sich an sie zu schmiegen war ein ganz anderes Gefühl als bei Daddy. Ein Gefühl der Sicherheit, als könne sie so tief in diese warme, atmende Weichheit versinken, dass sie für immer vor allem, was ihr Angst machte, geborgen wäre.

Die Mutter von nebenan sagte, Tina sei genau das kleine Mädchen, das sie sich immer gewünscht hätte, bis sie schließlich den Versuch aufgab, selbst eine Tochter zu bekommen. Es war offensichtlich, dass Jungs nicht das waren, was sie sich wünschte. Wenn sie die Jungs umarmte, kicherten die albern und wanden sich von ihr los. Nicht so Tina. Sie stand ganz still, stumm und geschmeidig. Ab und zu bekam Tina sogar einen Extrakuss aus dem Liebesfonds, einen, der bei den Jungs keinen Abnehmer fand.

Ja, die Mutter von nebenan hatte Tina gefunden. Sonderbar, wie die Dinge sich entwickelten. Wunderbar, wie die Dinge sich entwickelten. Noch nie hatte es einen Sommer gegeben, der so verheißungsvoll war.

Die Hochzeit

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