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ОглавлениеVon einem Fenster im oberen Stock des Coles’schen Hauses starrte die alte Gram, Shelbys Urgroßmutter mütterlicherseits, aufs Oval hinunter, auf den dunklen Mann mit seinen goldbraunen Töchtern, und bekundete brummelnd ihr Missfallen an alldem, was sich in den achtundneunzig Jahren ihrer Plagen auf dieser Erde begeben hatte.
Einst waren all ihre Nachbarn weiß gewesen, echte Weiße wie Gram selbst, denn Grams Familie war seit Anbeginn des Südens weiß gewesen, bis Grams leibliche Tochter Josephine ihr reines weißes Blut, ihr blaues Blut, mit farbigem kreuzte und ihrer Mutter das Herz brach.
Josephine war inzwischen tot, lange schon, und bis auf Gram hatten alle ihre Abtrünnigkeit vergessen. Gram war nun selbst nur mehr ein Relikt aus der Zeit vor dem Krieg, mit dessen Ausgang sie sich immer noch nicht abgefunden hatte, und niemand im Oval interessierte sich dafür, ja die meisten wussten nicht einmal, dass ihr Vater Colonel Lance Shelby gewesen war, dem eine riesige Plantage gehört hatte, die ein halbes County umfasste, und ein Herrenhaus mit gewiss fünfzig Zimmern, und dass er genug Sklaven besessen hatte, um eine eigene kleine Armee aufzustellen, Sklaven, die allesamt bereit waren, für Marse Lance ihr Leben zu lassen, und ihre Freiheit nur annahmen, weil sie ihnen aufgezwungen wurde. Und jetzt lebte Gram, die geborene Aristokratin, inmitten von Sklavenabkömmlingen, ohne einen Platz zum Sterben zwischen ihnen, ohne ein Grab, das auf sie wartete, außer dem einen, in das diese Schwarzen sie legen würden, und mit nichts, was ihre Gebeine am Tag des Jüngsten Gerichts von denen der anderen Ovaliten unterschied, wenn sich der Himmel auftat, um sie alle zu empfangen, aber auch zu trennen in die, welche mit am Tisch des Herrn sitzen, und jene, die an ihm dienen.
Gram träumte davon, neben ihren Vorfahren zu ruhen, auf dem nur für Weiße zugelassenen Friedhof ihrer Blutsverwandten, weit fort vom grausamen Norden mit seiner störrischen Erde, die sich an einem Wintertag nicht öffnen wollte, sondern empört den Leichnam zurückwies, bis milderes Wetter kam, und die den Tod zu etwas Anstößigem machte, indem sie des Toten festgesetzte Verabredung mit dem Staub, dem er entstammte und zu dem zurückzukehren er das Recht hatte, einfach verschob.
Es war so wenig, was Gram vom Leben verlangte, bloß eine Möglichkeit, zum Sterben heimzukehren. Außer Kummer und Leid hatte ihr das Leben wenig gelassen. Das Einzige, was sie von den Segnungen gerettet hatte, die ihr bei der Geburt zugefallen waren, war das Shelby’sche Blut, und das pulste so langsam, so dünnflüssig durch ihre Adern, dass es ihrem müden Herzen auch keinen Trost mehr bot.
Sie lag seit dem Morgengrauen wach, aus dem Schlaf gerissen vom Geruch des Todes, den der seufzende Wind durchs Fenster hereintrug. Es war ein einzigartiger Geruch, so schwach, dass nur die Eingeweihten ihn wahrnahmen, und doch zu charakteristisch, um ihn zu verwechseln. Keine Möglichkeit, ihn zu beschreiben, nicht die geringste. Nur Bildvergleiche konnten ihm in gewisser Weise beikommen: Er war wie weiße Nelken, noch in der Knospe gebrochen, um in einer leblosen Umarmung zu welken und zu vergehen.
Gram war aufgestanden und kniete sich vors Bett, um zu beten. Sie hatte seit Jahren nicht mehr auf den Knien gelegen, denn der Weg dorthin und zurück war zu lang, zu gefährlich. Aber heute wollte sie sich vor Gott demütigen, auf dass Er sehe, wie der Glaube ihre Schwäche überwand.
Unser Vater, der du bist im Himmel, betete Gram mit fromm gefalteten Händen, der Tod ist im Oval. Seine weiten Schwingen werden den Himmel verdunkeln und einen Schatten auf das Haus werfen, das gemeint ist. Anders als ich weißt du, wem es bestimmt ist, einzugehen in die Herrlichkeit deines Reiches. Bitte, lass es nicht mich sein. Ich bin noch nicht bereit. Einstmals, als ich es war, gefiel es dir nicht, mich zu holen. Stattdessen schicktest du mich in ein fremdes Land, stießest mich mitten unter Fremdlinge und Wilde. Ich trug meine Last und habe mich nie beklagt.
Mein Rücken ist gebeugt von der Last, als Farbige zu leben. Nimm sie von mir in diesen meinen letzten Tagen. Mache meine Urenkelin zu deinem Werkzeug. Sie heiratet einen echten Weißen. Gib ihrem aufnahmewilligen Geist ein, zu leben wie eine Weiße. Gib ihrem liebenden Herzen ein, mich zum Sterben heimzuführen. Sie, die ihr Leben noch vor sich hat, wird ihre arme alte Gram nicht abweisen, deren Leben hinter ihr liegt.
Ich will mich nicht einmischen in deine unerforschlichen Wege, o Herr, aber man sagt, Addie Bannister sei dem Tode geweiht. Wenn du also zu Addie Bannister willst, ihr Haus liegt ein Stück weiter die Straße runter. Ich weiß, die Entscheidung liegt bei dir, nicht bei mir. Aber ich wollte, dass du auch meinen Standpunkt hörst. Gepriesen sei die Güte des Herrn. Amen, Amen.
Gram hatte sich von den Knien erhoben, hatte sich Stück für Stück hochgequält, mit einer Hand ihren Stock umklammernd, mit der anderen den Bettpfosten. Sie war schon halb aufgerichtet, als eine Hand den Halt verlor. Wieder versuchte sie es, und ein Fuß rutschte seitwärts, ihr Stock verfing sich in einer Falte ihres Morgenmantels. Gram wusste nicht, was sie unten hielt, bis sie das Geräusch von zerreißendem Stoff hörte, dann ein mächtiger Versuch mit aller ihr noch verbliebenen Kraft, und endlich stand sie aufrecht, mit wild pochendem Herzen, leicht wackelndem Kopf, die Augen vor Erschöpfung mit dunklen Ringen umschattet, ihr Seufzen und Ächzen halb Ausdruck des Schmerzes, halb der Verzweiflung über einen Körper, der zu alt war, um noch irgendetwas mühelos zu vollbringen.
Als sie wieder auf den Beinen stand, taumelte sie zu ihrem Sessel am Fenster, um sich niederzusetzen und von der Anstrengung auszuruhen, ein Weg, der zuverlässig festgelegt war von den Gegenständen, auf die sie sich stützen konnte. Denn alles in Grams Zimmer war fest am Boden verankert; Tisch- und Stuhlbeine standen in Gummischalen, die jedem Stoß standhielten, die Läufer waren mit Metallschienen gesichert, die unter einem strauchelnden Fuß nicht wegrutschen konnten.
Gram wünschte, sie hätte noch ihren alten Schaukelstuhl. Wie gern hätte sie sich so lange vor und zurück gewiegt, bis der Schlaf kam und ihr das Warten auf den hellen Tag verkürzte. Aber sie hatten ihr den Schaukelstuhl weggenommen, weil sie damit hätte umkippen oder über seine Kufen stolpern können. Ach, es war hart, den Körper einer Flickenpuppe zu haben, den zu beherrschen dem immer noch wachen Geist so schwerfiel.
Die Vögel stimmten ihr Morgenlied an, nicht so ausdauernd, so hinreißend und aus voller Kehle wie ihre Frühlingsweise, aber immerhin ein Sommerlied mit Läufen und Trillern und zahlreichen Mitwirkenden: Erdfink, Meise, Purpurgimpel, Reisstärling, Rotkehlchen – und dem Blauhäher, dessen Flötentöne zu Ehren der aufgehenden Sonne in auffallendem Kontrast standen zu seinen zwei schrillen Warnschreien, wenn ein Feind sich durch den Park schlich. Die Trauertauben klagten in den höchsten Eichen, und ihr monotones Gurren, das sich unaufhörlich wiederholte, sorgte in seiner Eintönigkeit schließlich dafür, dass Gram einnickte.
Als das schallende Gelächter von Lutes kleinen Mädchen erklang, regte sie sich. Sie blinzelte, sah Jezebel pfeilgerade aufs Haus zugerannt kommen und wusste, weshalb sie kam und was man ihr geben würde: einen Teller Futter mit so viel nahrhaftem Fleisch darauf, dass man damit Josephine hätte aufpäppeln können, damals, als genug zu essen vielleicht noch den Ausschlag dafür gegeben hätte, ob sie durchhielt oder aufgab.
Dieses Sorgenkind von einer Tochter, Josephine, die ihres Vaters schwachen Geist geerbt hatte und die Verzweiflung, an der er eher gestorben war als an jener Lungenentzündung, weil er nicht zurechtkam mit der neuen Herrschaft des reichen weißen Packs, das seinesgleichen enteignet hatte. Und Josephine hatte sich mit ihrem Hunger nicht abfinden können; die große Plantage Xanadu war bereits viel zu weit entrückt gewesen, zeitlich wie auch als Ideal, als dass sie sich von Erinnerungen hätte nähren können wie Gram, der ihre Erinnerungen damals wie jetzt das Elixier waren, das sie am Leben hielt.
Josephine wusste, dass die Ehe mit einem Mann, der sie ernähren konnte, ihre einzige Rettung war, wenn sie dem schrecklich entbehrungsreichen Leben als verarmte Adlige entgehen wollte. Doch es war niemand da, der sie hätte heiraten können. Die wenigen Männer, die sie kannten, hatten – gesetzt den Fall, sie hätten ihr überhaupt einen Antrag gemacht – nur ihren Namen zu bieten, und der war nicht mehr wert als ihr eigener, wenn es darum ging, beim Fleischer die Rechnung zu begleichen. Die einzigen Männer mit Geld waren weißes Pack, das die Aristokraten ihrer Souveränität beraubt hatte, und statt ihrer hätte Josephine lieber einen Schwarzen geheiratet, der wusste, dass er Dreck unter ihren Füßen war.
Das mit der Wahl zwischen zwei Übeln war nur eine leere Redensart. Josephine glaubte fest daran, dass sie als einsame Jungfer mit durch die Haut piksenden Knochen sterben würde, und um ein Haar hätte sich ihre Prophezeiung vorzeitig erfüllt. Beinahe wäre sie damals mit siebzehn an dem aufgestauten Hunger gestorben, der wie ein Feuer in ihr wütete und, da er sich von nichts anderem ernähren konnte, ihre Sinne aufzehrte.
Die schwarze Melisse, die auf Xanadu geboren und mit Gram an der Brust derselben Mammy gesäugt worden war, erfuhr, dass Miss Josephine, Miss Carolines Tochter, mit Fieber daniederlag. Melisse und Gram hatten als Kinder zusammen gespielt, und Melisse nannte Gram »Ca’line«, bis sie mit dem schwierigeren »Miss Ca’line« zurechtkam, das sie ohne Mühe oder Widerwillen schluckte und mitsamt Gram akzeptierte, als Teil von Gottes weisem Ratschluss.
Dass sie sich nach ihrer beider Heirat kaum noch sahen, lag vor allem daran, dass Melisse sich Gram nicht aufdrängen wollte, denn deren Armut war zwar nicht größer als ihre eigene, dafür aber hoffnungsloser, weil es überhaupt keine Hoffnung für sie gab.
Melisse kochte für die neuen Reichen und erweiterte ihr Geschäft bald um einen Lieferdienst für Speisen und Getränke. Allmählich verdiente sie gut und sparte das Geld, um ihren Sohn, sobald er alt genug wäre, auf ein College im Norden zu schicken, denn sie wünschte ihn fort aus dem zerstörten Süden, wo anständige Schwarze den Befehlen weißen Abschaums gehorchten, der vor dem Krieg nicht einen Fuß nach Xanadu hineingesetzt hätte, ohne mit der Peitsche verjagt zu werden, und Melisse und Miss Caroline hätten oben im Baumhaus gesessen und sich halb totgelacht über diese großen, plumpen Füße, die zurück in die Hügel flitzten.
Melisse betrachtete ihren prächtigen, stattlichen Sohn, der satt war von ihrer guten Küche, und wünschte, sie könnte etwas von seinem Fett abschöpfen und dem armen, schwächlichen Kind von Miss Caroline zukommen lassen, aber sie wusste, dass Miss Caroline diese Schicht Schwarz auf Weiß nicht gutheißen würde.
Ihr Sohn Hannibal war neunzehn, da schickte Melisse ihn mit einem großen Silbertablett und einer schneeweißen Serviette darüber, die sauberer war, als Gram je eine Serviette hätte waschen können, zu Miss Caroline an die Hintertür. In jeder duftenden Schüssel auf dem Tablett türmten sich Speisen, wie Gram sie seit Xanadu nicht mehr gekostet und die Josephine überhaupt noch nie gegessen hatte.
Melisse hatte Hannibal die passenden ehrerbietigen Worte mit auf den Weg gegeben und ihn zur Demut angehalten. »Miss Ca’line, ich bin Hannibal, Ma’am, Melisses Sohn. Mammy hat gehört, dass es Miss Josephine gar nicht gutgeht. Und da schickt sie dies Tablett, um ihr Appetit zu machen. Sie lässt sagen, das hier schmeckt viel, viel besser als die alten Schlammkuchen, die Sie miteinander in der guten alten Zeit gebacken hätten. Sie lässt sagen, sie weiß, dass Ma’am mit der Pflege von Miss Josephine alle Hände voll zu tun haben. Und es wär ihr eine Ehre, lässt sie sagen, Ma’am das Kochen abzunehmen, solange Miss Josephine Ihre Pflege braucht.«
Zu sehen bekam er Miss Josephine an dem Tag nicht, und es wäre ihm nicht eingefallen, sich zu fragen, wie sie wohl aussehen mochte. Sie war eine vornehme Dame, und wenn es seiner Mutter gefiel, sie deshalb zu verköstigen, dann haderte er weder mit ihrer Güte, noch interessierte er sich sonderlich dafür.
Als Miss Josephine kräftig genug für einen Ausflug war, steckte Melisse Hannibal in einen Kutscherrock nebst Zylinder, setzte ihn auf den Bock eines Mietfuhrwerks, stellte einen Picknickkorb daneben und schickte ihn los, um Miss Caroline und Miss Josephine zu einer Spazierfahrt über Land abzuholen.
Sie fuhren hinaus nach Xanadu. Von da an machten sie diesen Ausflug zweimal die Woche, denn Gram wollte nirgends hin außer zurück in die Vergangenheit. Hannibal, der die ganze Zeit mit dem Rücken zu den Damen saß, sodass er Miss Josephine fast nie von Angesicht zu Angesicht sah, geschweige denn Aug in Aug, außer wenn er ihr beim Ein- und Aussteigen half oder ihr etwas aus dem Picknickkorb reichte wie ein Kellner, wobei er sich nie hinsetzte und nichts zu sich nahm, bevor die Damen fertig waren, Hannibal also verliebte sich.
Eigentlich verliebte er sich in die Vergangenheit. Er, der darin nie eine romantische Rolle hätte spielen können, verliebte sich in Grams langatmige Geschichten über Xanadu, das die Yankees zerstört hatten, bevor sie sieben Jahre alt war, weshalb in ihrer Erzählung alles beständig größer und erhabener wurde.
Hannibal lauschte gespannt, aber Miss Josephine, die sich zuzuhören weigerte, dachte daran, dass Hannibal in den Norden gehen würde, und wünschte neidvoll, dass auch sie fortgehen könnte, irgendwohin, nur weg von diesem gestorbenen Traum, den keine Geschichte wiederbeleben konnte. Hannibals Unvermögen, in Miss Josephines Gegenwart auch nur einen einzigen zusammenhängenden Satz zu äußern, hätte Gram beunruhigen sollen. Doch das Einzige, was Gram zu Hannibals Stammeln einfiel, war, dass es idiotisch von Melisse sei zu glauben, eine weiterführende Ausbildung würde hier Abhilfe schaffen. Nein, die Yankee-Schurken würden ihm sein Geld abnehmen und ihn, mit halbverstandenen Büchern im Kopf und ohne, dass er irgendetwas Brauchbares gelernt hatte, in die Welt hinausjagen.
Aber es gab in diesem Land niemanden mehr, der junge Männer wie Hannibal in den Dingen hätte unterweisen können, die sie wissen sollten. Diejenigen, die ihnen dabei hätten helfen können, das zu werden, wozu sie geboren waren, konnten sich ihren Unterhalt nicht leisten. Was also sollte in diesen veränderten Zeiten aus einem wie Hannibal werden? Es gab sie nicht mehr, die guten Herren, die ihre Sklaven ihr Leben lang umsorgten wie die Kinder.
Während sie in der Kutsche fuhren, die ihnen Melisse geschickt hatte, sorgte Gram sich um die Zukunft von Melisses Sohn. Dass ihre und seine Zukunft miteinander verwoben waren, kam ihr nicht in den Sinn; sie hätte schon von Sinnen sein müssen, ehe ihr ein solcher Gedanke gekommen wäre.
Jahre vergingen, bevor Hannibal auf einen solchen Gedanken verfiel, Jahre der Trennung von Miss Josephine und Miss Caroline, in denen beide so dünn und durchsichtig wurden wie Papier. Gram, die reich und als Erbin eines großen Besitzes geboren war, hatte ebendieses stolze Wissen, um sich daran festzuhalten – Miss Josephine, die arm und ohne Erwartungen geboren war, hatte nichts als den Hunger, der sie zerstörte.
Was sie vor dem Wahnsinn bewahrte, waren Hannibals Briefe an Melisse. Melisse kam einmal die Woche, um sie sich vorlesen zu lassen, und brachte jedes Mal eine Köstlichkeit mit – einen Pekannusskuchen, eine dreistöckige Torte. Ihr fehlte der Vorwand dafür, etwas so Nahrhaftes wie eine Schüssel Eintopf mitzubringen, obwohl ihr das Herz weh tat, wenn sie sah, dass die Damen nur noch Haut und Knochen waren. Und sie wusste auch nicht, wie sie Miss Caroline hätte Geld anbieten können, obgleich ihr eigenes Schnupftuch, in dem sie ihre Ersparnisse aufhob, prall gefüllt war.
Also schickte Melisse das Geld aus ihrem Schnupftuch an Hannibal. Woche für Woche saß sie da und strich die Scheine auf ihrem beschürzten Schoß glatt, während Gram, die solch übertriebene Hätschelei missbilligte, den Brief schrieb, der das Geld begleiten sollte. Sie war es auch, die Hannibals Briefe an Melisse vorlas. Miss Josephine hörte zu, obwohl sie es sich nicht anmerken ließ. Sie beneidete Hannibal um seine Reisen, die sie an die von Gulliver erinnerten, und dachte mehr und mehr an ihn, denn es gab sonst nichts und niemanden, womit sich ihr Geist hätte beschäftigen können. Als die Fettschicht um Melisses Herz ihr Herz erstickte und sie umbrachte, wurde das Geld unter ihrer Matratze in ein Bündel geschnürt und an Hannibal geschickt, ohne dass Gram auch nur auf den Gedanken gekommen wäre, einen Penny für das Porto einzubehalten, das sie mehr kostete, als sie im ganzen Jahr für Briefmarken ausgab.
Nachdem Hannibal den Empfang bestätigt und sich bedankt hatte, gab es für ihn keinen Grund mehr zum Schreiben. Er hatte sich nie nach Miss Josephine erkundigt, weil er nicht wusste, ob das schicklich war. Er hatte überhaupt nichts geschrieben, woran Miss Josephine ihre Träume knüpfen konnte. Es war, als ob mit Melisses Ende alles zu Ende sei. Miss Josephine gab auf, verbrachte die meiste Zeit im Bett. Keiner wusste, was ihr fehlte. Die winzige Rente, die Gram von Papas einziger Investition außerhalb des Südens bekam, ging für Arzneien drauf, die nichts halfen. Dieser Scheck über zweihundert Dollar, die sich nicht strecken ließen und die doch für zwölf lange Monate reichen mussten, war rasch aufgebraucht, ohne dass sich der wahre Grund für Josephines Leiden offenbart hätte.
Die Prophezeiung erneuerte sich. In Miss Josephines Leben gab es nur eines: Tod durch langsames Verhungern, verschlimmert durch Krebs an der Seele.