Читать книгу 30 Minuten Achtsamkeit - Dörthe Huth - Страница 10
1.2 Fernöstliche Tradition und westliches Denken
ОглавлениеAchtsamkeit und Meditation können hilfreiche Mittel sein, sich den komplexen Anforderungen, die das Leben an uns stellt, auf andere Weise zu stellen, als wir es gewohnt sind. Über Jahrtausende wurden Meditation und Achtsamkeit in den großen Religionen eingesetzt, um spirituelles Wachstum bis zur Erleuchtung zu erreichen. Besonders der Buddhismus hat Achtsamkeitspraktiken entwickelt und über lange Zeit erforscht – eine Ressource, die in der westlichen Welt lange übersehen wurde. Seit den 1970er-Jahren hat auch die westliche Wissenschaft Meditation und Achtsamkeit als Ressource und Forschungsgegenstand entdeckt. Im Laufe der Jahre wurde die positive Wirkung von Achtsamkeit vielfach nachgewiesen. Die zunehmende Akzeptanz im Business hat Achtsamkeit aber nicht nur der Wissenschaft zu verdanken, sondern auch der Loslösung von ihrem religiösen Hintergrund.
Die Wurzeln von Achtsamkeit
Die Ursprünge der Achtsamkeit sind in verschiedenen Religionen zu finden, im Hinduismus und Buddhismus ebenso wie in der Kontemplation im Christentum. Traditionell besteht das Ziel der großen Weltreligionen vornehmlich darin, das spirituelle Wachstum sowie die Erweiterung des Bewusstseins und die Versenkung zur Vergegenwärtigung des Göttlichen zu fördern. Besonders im Buddhismus ist die Praxis der Achtsamkeit über lange Zeit gewachsen, immer wieder überprüft und geübt worden. Aus Sicht des Buddhismus ist eine übertriebene Ich-Bezogenheit die Ursache menschlichen Leidens. Um dieses Leiden zu überwinden und über das begrenzte Ich-Bewusstsein hinauswachsen zu können, wurden Techniken von Achtsamkeit und Meditation eingesetzt. Dieses Loslassen von Gedanken, Vorstellungen, Zielen, Erwartungen, Wünschen oder Ablenkungen soll bestenfalls anstrengungs- und absichtslos erfolgen.
Auch ohne diese spirituellen Ziele ist Achtsamkeit ein hilfreiches Werkzeug für den modernen Menschen. Die buddhistische Psychologie sieht die Befreiung des Einzelnen von einschränkenden Vorstellungen und Verhaltensmustern im Zentrum. Besonders der Aspekt der Überwindung des Leidens macht nicht nur Meditation und Achtsamkeit für den Westen interessant, sondern den Buddhismus insgesamt.
In der buddhistischen Psychologie werden Praktizierende angeleitet, die eigene Ich-Struktur zu durchleuchten, um ihren Erfahrungsspielraum auf körperlicher, geistiger und kommunikativer Ebene zu erweitern. Dazu werden Werkzeuge der Selbsterforschung gelehrt, die eine heilsame Geisteshaltung und Lebensführung fördern und tief in der buddhistischen Lehre verwurzelt sind. Dazu gehören die Praktiken von Achtsamkeit, verschiedene Meditationstechniken oder die Kultivierung von Mitgefühl. All diese „Techniken“ sind darauf ausgerichtet, niemandem Schaden zuzufügen und dem Wohle aller zu dienen. Viele von ihnen bereichern mittlerweile die westlichen Denkansätze und Traditionen in vielen Bereichen auf ganz pragmatische Weise.
Selbsterforschung und Selbstregulation mithilfe von Achtsamkeit
Der Medizinprofessor Jon Kabat-Zinn hat dazu beigetragen, Achtsamkeit religionsunabhängig in einer sehr weltlichen Weise einzusetzen, indem er Achtsamkeit als ein Mittel zur Selbsterforschung und Selbstregulation begriff. In den 1980er-Jahren entwickelte er an der University of Massachusetts ein achtwöchiges Achtsamkeitstraining, um damit die Heilung bei körperlichen Erkrankungen zu unterstützen. Zunächst wurde dieses Programm, das unter dem Namen Mindfulness-Based Stress Reduction (MBSR) bekannt wurde, in Kliniken eingesetzt. Das achtwöchige Trainingsprogramm half den Patienten, sehr viel besser mit Belastungen, Ängsten und Schmerzen umzugehen. Zudem gewannen sie an Selbstvertrauen, Optimismus und Durchsetzungsvermögen. Diese positiven Effekte wurden vielfach untersucht und nachgewiesen.
Eine sehr eindrucksvolle Übung aus dem MBSR, die verdeutlicht, wie automatisiert wir normalerweise im Alltag agieren, ist die Aufgabe, achtsam eine Rosine zu essen. Dazu wird die Rosine erst einmal genau betrachtet, anschließend ihre Farbe, ihre Form und ihr Geruch genau wahrgenommen. Erst dann wird sie langsam zum Mund geführt und in Zeitlupe gekaut. Dabei wird der Geschmack genau registriert sowie der vermehrte Speichelfluss. Diese Übung zeigt nicht nur, wie automatisiert wir üblicherweise essen, sondern auch, wie unkontrolliert viele Impulse im Alltag vonstattengehen. Achtsamkeit setzt dem etwas entgegen, indem die inneren Ressourcen kultiviert werden. Die MBSR-Schulungen richten sich insbesondere an Menschen mit Stressbelastungen und Erkrankungen wie Erschöpfungszustände, Burnout, Bluthochdruck, Krebs, Herzerkrankungen, Schlafstörungen oder psychosomatischen Beschwerden. Ziel des MBSR-Programms ist es, mit den Teilnehmern hilfreiche Strategien zur Bewältigung der persönlichen Belastungen und des Stresserlebens zu entwickeln und diese Möglichkeiten in den Alltag zu integrieren.
Die Wirkung von Achtsamkeitsübungen
In einem Zustand der Achtsamkeit nimmt man eine offene und akzeptierende Haltung ein. Wahrnehmungen, Gedanken und Gefühle dürfen einfach sein und erfahren die volle Zuwendung ohne Bewertung. Das bedeutet, ganz im Hier und Jetzt zu sein und den Moment umfassend wahrzunehmen.
Gerade im Alltagsstress gelingt es nur schwer, sich eine Auszeit zu nehmen und ganz zur Ruhe zu kommen. Gedanken können in der Regel nicht auf Befehl abgeschaltet werden, dazu ist etwas Übung erforderlich. Während einer Achtsamkeitsübung nimmt man eine Beobachtungsperspektive ein, durch die Abstand zu äußeren und inneren Geschehnissen entsteht. Der Gedankenstrom verlangsamt und fokussiert sich. Selbst schwierigen Themen, starken Gefühlsregungen oder belastenden Gedanken kann man sich aus dieser Distanz heraus leichter zuwenden, sie ausreichend würdigen und auf diese Weise loslassen. Belastendes wird wahrgenommen, beobachtet und gewürdigt.
Positive Effekte und Kontraindikationen
Bereits die ersten Schritte auf dem Weg der Achtsamkeit können viele Vorteile mit sich bringen. Dafür genügen schon wenige Minuten täglich über den Zeitraum einiger Wochen, bis sich eine gewisse Routine in der Übungspraxis eingestellt hat. Grundsätzlich kann jeder Mensch Achtsamkeit praktizieren, auch völlig unabhängig von spirituellen Lehren. Zu beachten ist jedoch, dass im Falle psychischer Probleme keine Achtsamkeitsübungen ohne vorherige Absprache mit einem Arzt oder Therapeuten praktiziert werden sollten. Die Hinweise und Vorschläge in diesem Buch beziehen sich auf Anwender in einer psychisch stabilen Verfassung.
Achtsamkeit ...
• macht das Hier und Jetzt erlebbar.
•lässt die Gedanken zur Ruhe kommen.
•trägt zu Stressabbau und Ausgeglichenheit bei.
•hat mit Zulassen und Loslassen zu tun.
•macht wohltuende Stille erlebbar.
•bringt bewusste Erfahrungen mit sich.
•hat keinen Leistungsanspruch.
Viele Techniken der Achtsamkeit stammen aus der fernöstlichen, insbesondere aus der buddhistischen Tradition. Achtsamkeit lässt sich auch ohne spirituelle Zielsetzung praktizieren. Die Wirksamkeit ist wissenschaftlich erwiesen.