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RIESEN-RUMMS
Оглавление„Die Götter entstammen den Riesen, und am Schluss unterliegen sie diesen.“
(„Als die Sau noch Göttin war“, 2000)
Naturwissenschaftlichen Berechnungen zufolge war das Universum vor 13,8 Milliarden Jahren noch nicht da. Es soll als winziger, hochverdichteter Urkern begonnen haben. Das Phänomen, das diesen mikroskopischen Nano-Kern schlagartig aufblähte zu dem gigantischen, ja grenzenlosen Gebilde, das wir als Universum kennen, wird Urknall genannt.
Nach germanischer Auffassung wäre dieser Urknall (hätten Angehörige germanischer Stämme seine Geschichte hören können) ein Riese gewesen.
Die älteste bekannte Atomtheorie stammt von Aristoteles. Dieser griechische Gelehrte der Antike ging bereits davon aus, dass alle Materie aus winzig kleinen Teilchen bestünde, die er „atomos“ („Unteilbares“) nannte. Zweieinhalb Jahrtausende später gelang es amerikanischen Wissenschaftlern, die Kerne solcher „unteilbaren“ Teilchen tatsächlich zu spalten. Die dabei freigesetzte Energie wurde als Atomexplosion bekannt. Die ersten beiden zerstörten 1945 die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki. Seither fanden weltweit jede Menge so genannter „friedlicher“ Atomexplosionen statt – die Schlagkraft der Bomben wurde größer und größer.
Nach germanischer Auffassung wären diese Explosionen (hätten Angehörige germanischer Stämme solche fürchten müssen), leibhaftige Manifestationen von Riesen gewesen. Feuerriesen aus Muspellheim, der Schreckenswelt der zerstörerischen Gluthitze…!
Da sowohl Atomphysik als auch die Urknalltheorie Errungenschaften des 20. Jhs. sind, die vorher nicht einmal erahnt werden konnten – welche anderen „Riesen“ können in historischen germanischen Zeiten beobacht- und erlebbar gewesen sein? Erdbeben zum Beispiel, Springfluten, Lawinen oder Feuersbrünste – alle denkbaren Naturgewalten; speziell alle als blindwütig und zerstörerisch titulierbaren. In einer rundum beseelten Welt sind eben auch Katastrophen, insbesondere solche, die mensch nicht aufhalten kann, Wesenheiten. Eisriesen, Frostriesen, Feuerriesen, Sturmriesen… Die Liste ist beliebig verlängerbar. Das Wirkprinzip ihrer möglichen Inhalte ist in einer Rune ausgedrückt: Thurisaz. Wortwörtlich „Riese“ (von altnordisch „Thurs“).
Was tut diese dritte Rune im Zusammenhang des erwähnten Schaffens- und Schöpfungsvorgangs, den die erste Achterreihe des Älteren Futhark beschreibt? Sie verbreitet die Materie, treibt sie auseinander, breitet sie aus – schlagartig und chaotisch. Was frappierend zu unserer heutigen Urknalltheorie passt… Vorahnungen derselben brauchen spätantiken Runenkundigen dabei keineswegs unterstellt werden. Übertragen wir das Denkmodell der ersten Runen-Acht zur Veranschaulichung auf etwas Alltägliches, zum Beispiel auf einen Hausbau. Dann steht Fehu für die Investition des nötigen Kapitals, Uruz für die Manifestation (in dem Fall: Anlieferung) des Materials – und Thurisaz ganz friedlich für dessen Ausbreitung über den Bauplatz. Auch wenn das nicht ganz so schlagartig erfolgen dürfte wie bei Explosionen: Um eine Art Entladung handelt es sich trotzdem, und das Ergebnis ist erstmal chaotisch. Denn sortiert wird das Material erst in der nächsten Phase. Zunächst muss es großflächig verteilt werden, damit auf die einzelnen Komponenten überhaupt eine Zugriffsmöglichkeit besteht.
Das Wesen der Rune Thurisaz ist demnach zuallererst Entladung – mit dem Ziel chaotischer (unsortierter) Ausbreitung, die in aller Regel so schlagartig wie möglich erfolgt.
Da es sich bei der Mehrzahl denkbarer „Riesen“ um eher zerstörerische, also Menschen und Menschenwerk gefährdende Phänomene handelt, erscheint die Vorstellung einer davor schützenden Gottheit folgerichtig. Nicht nur über die später aufgezeichneten Mythensammlungen (die uns in Form der Edda vorliegen), sondern auch über zahlreiche archäologische Hinweise (Ortsnamen, Inschriften) ist ein germanischer Donnergott verifizierbar, der im Süden Donar, im Norden Thor genannt wurde. (Noch sehr viel ältere schwedische Felszeichnungen, die eine hammerschwingende männliche Figur zeigen, lassen einen jahrtausendealten Werdegang entsprechender Gottvorstellungen immerhin vermuten.) Die Edda ist voll mit seinen Abenteuern und ihn beschreibenden Anekdoten. Sein Name ging nie ganz unter, obwohl eine Gestalt wie der verfilmte Thor der Marvel-Comics mit dem (bereits als Nacherzählung zu verstehenden) literarischen Vorbild aus der hochmittelalterlichen Edda natürlich kaum mehr Ähnlichkeiten aufweist (und die frei daherfabulierten Filmstories letzte noch ahnbare Zusammenhänge verblassen lassen – die aber auch nicht Sinn und Zweck solcher Geschichten sind).
Für mich ist Thor natürlich real. Ich stelle mir den Kraftgott allerdings nicht als rothaarigen, feuerbärtigen Kerl vor, der in seinem von Ziegenböcken über den Himmel gezogenen Wagen das (ebenfalls reale) Donnergrollen verursacht und seinen berühmten kurzstieligen Hammer schwingt, um „Riesen zu erschlagen“… obwohl ich dieses pittoreske Bild schätze und gern damit spiele. Selbstverständlich identifiziere auch ich den Großen Hammerschwinger mit Blitz, Donner und Gewitter – aber leite als Kind meiner Zeit noch ein ganz anderes Bild, eine weitergehende Bedeutung davon ab. Von was lebt unsere Zivilisation heute? Von einer gewissen Domestizierung eben jener Kraft, die sich von Natur aus am sichtbarsten und eindrucksvollsten in Gewittern entlädt: elektrischem Strom. Das ist Thor für mich. Genauer gesagt: seine Energie. Denn nicht ihn, den Gott, haben wir uns dienstbar gemacht, um unsere ganzen Geräte zu betreiben und die Nacht zu erhellen, wo und wie es uns passt – sondern nur die Kraft, die aus dem „Schleudern seines Hammers“ rührt, auf höchst raffinierte Art zur allverfügbaren Dauerleistung für unser Wohlleben eingespannt: so tiefgreifend und umfassend, dass sie uns längst als ebenso selbstverständlich erscheint wie sie unverzichtbar geworden ist. Kaum mehr als hundert Jahre („und ein paar zerquetschte“) ist das her – und hat die ganze Welt verändert. Und in jedem Stromschlag steckt sie noch: die mögliche blitzartige Entladung. Thurisaz.
Die Rune bedeutet immer noch „Riese“. Was unterscheidet den (in der Edda zwar als kämpferisch geschilderten, aber im Herzensgrunde gutmütigen, in eher schlichten Bahnen denkenden) Donnergott von den riesigen, riesischen Gewalten, vor denen er uns schützt? Der Verstand, das Bewusstsein? Im Prinzip ja – handelt es sich bei Riesen doch um die eher als unbewusst aufzufassenden Kräfte der Natur. Andererseits gibt es zahllose Geschichten über Riesen, in denen sie – personifiziert, wie sie dargestellt werden – ebenso selbstverständlich sprechen und denken können wie andere Wesenheiten (Menschen zum Beispiel) auch. Mit Logik allein ist dem nicht beizukommen; ich nehme die Bilder, wie ich sie vorfinde, genauer: wie sie mich ansprechen – und mache etwas daraus. Mit Gefühl, ja. Passend zu den allermeisten Phänomenen in der großen Natur, erscheint mir auch die Grenze zwischen Bewusstsein und Unbewusstem im Grunde als fließend. Denn solche Grenzen sind, wenn wir es recht bedenken, immer nur die von uns gezogenen: um die Welt beschreiben zu können. Es handelt sich nur um Abbilder der Welt, gewissermaßen um Landkarten – nicht um die Welt, die Landschaft selbst. Sie dienen der Sortierung und Orientierung. Und viele unserer praktischen Irrtümer entstehen aus der Verwechslung des kunst- und sinnvoll erdachten Abbildes mit dem, was es zeigt und beschreibt: der wirklichen Welt nämlich. Weil wir ohne solche Beschreibungen nicht auskommen, sind uns die meisten derart selbstverständlich geworden, dass wir sie für Wirklichkeit halten. Wobei sie diese doch nur abbilden im Sinne einer Einteilung! Wo hört tote Materie auf, wo beginnt Leben? Bereits manche Viren bilden ein Zwischenstadium, das uns im Alltag nicht interessieren braucht – aber schon die Einteilung zum Beispiel von Lebenszuständen in „gesund“ oder „krank“ ist weder natürlich noch irgendwie gottgegeben, sondern Ergebnis gesellschaftlichen Diskurses: Wie wir etwas sortieren, bleibt letztlich beliebig – und ist entsprechend veränderbar.
Zurück zu Thor und der Frage, was ihn von Riesen unterscheidet. Etwas provokativ ließe sich behaupten, dass es vor allem sein Hammer ist – zumindest angesichts der vielen Eigenschaften, die Thor und seinen mystischen Gegnern gleichermaßen zugeschrieben werden: vom schlichten Gemüt übers aufbrausende Temperament bis zur sprichwörtlich überbordenden Kraft. Der Hammer könnte so auch als Symbol dafür gesehen werden, auf welcher Seite der Gott steht: auf der des Bewusstseins. Solches äußert sich nie als Einzelleistung, sondern immer als gemeinschaftliches Phänomen. Auch und gerade die Geschichte des Hammers, obwohl er als Waffe und Werkzeug ganz allein Thor zugeschrieben wird (als dessen unveräußerliches Erkennungsmerkmal), verweist auf entsprechenden Kontext: Zwerge haben diesen Hammer, der „wie von Zauberhand“ nach jedem Wurf von allein in die Hand seines Schleuderers zurückkehrt, geschmiedet – und Trickstergottheit Loki (von der später noch mehrmals die Rede sein wird, keine Bange) sorgte in Gestalt einer boshaften Fliege (die dem schmiedenden Zwerg Brock immerzu ins Augenlid stach) dafür, dass der Stiel des Hammers etwas arg kurz geriet. Soweit der Mythos.
An eine grundsätzliche Ähnlichkeit zwischen den entgegengesetzten Kräften Thor versus Riesen zu erinnern, ist mir wichtig, da wir allesamt unseren Feinden ähnlicher sind, als wir meinen. Selbstverständlich nicht vollkommen, der oder die jeweiligen Unterschiede können haarscharf sein – müssen sie sogar, denn sie symbolisieren unsere moralische Überlegenheit. Erkennen wir die Ähnlichkeiten jedoch gar nicht oder ignorieren wir sie – zum Beispiel, wenn wir von unserer moralischen Überlegenheit schlichtweg (also gedanken- und kritiklos) ausgehen –, geben wir damit unseren Hammer aus der Hand. Und dann verlieren wir, selbst wenn wir nominell gewinnen, Wesentliches. Was wäre gewonnen, wenn wir uns hernach lediglich an derselben Stelle, auf denselben Positionen wie unsere Widersacher wiederfänden, die wir äußerlich bezwungen haben mögen, aber inhaltlich, vom Tun und Lassen her, nicht mehr von ihnen unterscheidbar wären? Wäre dann nicht ihrer Geisteshaltung der Sieg zuzuschreiben, wenn wir unsere Aufgaben unterwegs verlieren, des einen oder anderen kurzfristigen Vorteils (oder eben des ganzen nominellen Sieges) willen?
Ich behaupte: Wer die Ähnlichkeit zum eigenen Gegner nicht erkennt und anerkennt, ist schon dabei, ihm den Sieg zu schenken – weil es zunehmend egal werden könnte, wer ihn erringt.
Was hat das alles mit Thurisaz, der dritten Rune zu tun? Zunächst nichts. Ich kann es aber gerade am Beispiel dieser Rune nicht lassen, vor allzu schnellen Wertungen zu warnen. Moralische Überlegenheit, von der hier mehrfach die Rede war, ist ein hauchdünnes Gewebe – eine unbedachte Bewegung, und es bleibt irgendwo hängen und zerreißt… Wie schnell ist dieses zarte Ehrengewand dahin und hinterlässt uns entblößt!
In der Edda-Erzählung „Des Hammers Heimholung“ ist eine interessante Weisheit verborgen. Genüsslich wird geschildert, wie der Donnergott seinen von den Riesen geraubten Hammer, der ja in gewisser Hinsicht seine Identität darstellt, nur dadurch zurückgewinnen kann, indem er ein anderes, ihm offenbar wichtiges Identitätsmerkmal verleugnet: seine Männlichkeit. Der vordergründig derbe Schwank, dessen hochmittelalterliche Ausstattung nicht mehr viel Germanisches hat, hält damit einen überraschenden Feinsinn bereit, der allerdings unter dem groben Getobe erst einmal entdeckt werden will. Die Nebenbedeutung des Hammers als männlich apostrophiertes Fruchtbarkeitssymbol macht den Angelpunkt des Plots pikanter, als dessen dramaturgische Schlichtheit zunächst vermuten lässt. Allen Getues und Gepränges entblößt, ließe sich die Story glatt so deuten: Der Donnergott erhält das geraubte Hauptattribut seiner Männlichkeit nicht eher zurück, als er sich bereit zeigt, auf sein Mannssein ganz zu verzichten (obzwar nur zum Schein und als taktische Geste beziehungsweise Hinterlist, aber das ändert nichts am faktischen Sinn: den mal ganz ungeschminkt und unverkleidet betrachtet).
Es geht mir hier an dieser Stelle nicht um eine Genderfrage, sondern um das Wiedererlangen einer Identität (und zwar gleich welchen Inhalts). Deren gestisches Aufgeben sehe ich als springenden Punkt. Das hat – selbst wenn es so klar nicht intendiert gewesen sein mag (zumindest nicht bei Nacherzähler und Ausschmücker Snorri S., von dem wir die Geschichte haben) – initiatorische Qualitäten. Dass die in dem Fall über ein Attribut wie „Männlichkeit“ transportiert werden, halte ich für einen eher unbewussten Erzähl-Kniff zugunsten damals größtmöglicher Verständlichkeit. Unser heutiges Stirnrunzeln oder Augenverdrehen über Gründe und Auswirkungen sozialer Spurrillen, Unwuchten und Klischees wären zu den Entstehungszeiten des Schwanks – oder gar jener (uns unbekannten) Geschichten, die ihm vorausgingen, um in ihm zu münden – nicht ahnbar gewesen. Im Klartext: Ich bezweifle, dass vor siebenhundert oder noch mehr Jahren am Rollenverständnis der Geschlechter so gezweifelt werden konnte wie heute gezweifelt werden muss: Dieser Zweifel ist eine neuzeitliche, überaus junge Errungenschaft. Auch wenn es hier wie da zum Verzweifeln sein mag… und sich darüber hinaus die hochmittelalterlichen Geschlechterrollen von altgermanischen unterschieden haben mögen. Das aber lässt sich schwerlich anhand der Thrymskviða thematisieren, da der Schwank keine Spur davon enthält.
Plattes Moralisieren jedenfalls verengte unsere Sicht (nicht nur auf Runen) derart, dass ich es nirgends empfehlen kann, sondern dringend davon abrate. Wenn wir das Chaos für schlecht oder böse halten, nähern wir uns ihm anders, als wenn wir seine Eigenschaften unter zunächst ausschließlich dem Gesichtspunkt betrachten, wie sie sich wo auswirken und welche Folgen sie unter welchen Umständen haben. Eine solche Kühlheit der Betrachtung hat etwas Künstliches, sie gestattet uns jedoch einen klaren Blick auf die Parameter – und zwar alle. Die Mythen wiederum zeigen, dass die ihnen wesensgemäße Gefühlsbetontheit noch lange nicht aufs Glatteis von Gut-Böse-Plattheiten führen muss: Zwar wird die Edda nicht müde, die Riesen als Feinde der Götter und insbesondere Thors zu beschwören – doch tummeln sich (nicht nur mit Gjerda und Skadi) gebürtige Riesinnen sehr intim bei den Asen, dem Riesengeschlecht, dem auch Loki entstammt, und mit jenem Thursen, der in der Geschichte von Thors Fischzug durchs Kappen der Leine fürs Happy End sorgt, ist der Donnergott offenbar verkumpelt. Die Ausnahmen sind derart zahlreich und plastisch, dass das Klischee, dem sie entstammen, ohne so recht hineinzupassen, zumindest als solches bezweifelt werden will. Die Rivalität zwischen Göttern und Riesen erscheint so höchstens noch als – angesichts Ragnarök durchaus schwerwiegende – Tendenz, keinesfalls aber als durchgehendes Dogma. Letztlich geht es nicht um Gut versus Böse, sondern um ein dynamisches Ringen um Balance. Die in den nordischen Mythen geschilderten Figuren verfolgen gemäß ihrer jeweiligen Wesenseigenschaften ihre jeweiligen Interessen. Daraus entstehen Konflikte, aber wenn wir eine Moral daraus ziehen wollen, die dem Stoff gerecht wird, muss sie differenzierter ausfallen – und darf vielleicht sogar widersprüchlich bleiben. Ein Schwarzweißbild im Sinn einer sittenchristlichen Dualität – die Guten gegen die Bösen – ist bei der Beschäftigung mit altgermanischen Mythen, Wert- und Weltbildern unangebracht.
Wie wollen wir uns den Runen aber nähern, wenn nicht assoziativ? Bei meinen Seminaren und Workshops rege ich, sobald ich erste Ausdeutungen einer Runenreihe vermittelt habe, die Teilnehmenden an, eigene Assoziationen zu finden und vorzuschlagen. Ich ermuntere dazu, auch absurd erscheinende Ideen erst einmal zuzulassen – sie können leichter zu besseren führen als das Abnicken von Vorgekautem, das persönlich vielleicht nicht genügend überzeugt. So sah zum Beispiel eine ältere Teilnehmerin (bei einem Workshop 2011 in Hamburg) typische Thurisaz-Kräfte ausgedrückt im „Geschrei eines Babys“. Volltreffer – oder? (Wer je einem Säugling rund um die Uhr nahe sein durfte, mag erahnen, wie gut diese ungewöhnliche Assoziation passt.) Es muss kein hundertprozentiger Konsens gefunden werden zu einzelnen Ausdeutungen. Wichtig ist, dass es persönliche sind, die den eigenen Gefühlen und Erfahrungen entsprechen.
Oder wie beschrieb ich Thurisaz einst, als ich sie – tatsächlich selber in Wut – unversehens als Tagesrune zog:
„Thurisaz – Riesen-Rumms. Duck dich, Disney, jetzt platzt der Ponyhof und Bambi fliegt in Teilen übers Dach, das folgt ihm gleich. Sturm und Feuer tanzen Tango und streiten sich dabei, wer führt. Haus und Hof schmecken ihnen gut, oder was immer ihre Nahrung ist. Sie sind nicht wählerisch, sie nehmen, was sie vorfinden. So ähnlich wie Wut: Ihr Resultat kann beliebig weit entfernt vom Anlass sein – Hauptsache, sie tobt sich aus. Muss sie auch: Sonst geht, auch wenn das jetzt zynisch klingen sollte (ist es aber nicht, ätschi-bätsch, und beweisen muss ich gar nix, glaub mir oder fick dich doch – oder, wie ich gestern so schön belauschte: '…kannst dir auch einen Finger in den Arsch stecken und Hubschrauber spielen…'), noch mehr kaputt. Explosionen sind gesund.
Finden zumindest Thursen und Psychologen. Zweitere kann ich nicht erklären – entweder, ich verstehe sie nicht, dann irritieren sie mich, oder ich verstehe sie, dann graust es mir. Mich können sie nicht verstehen, denn ich passe zu schlecht in ihr Handwerkszeug. Dumm gewachsen! Vor Thursen graust es mir nicht, heute wäre ich am liebsten selbst einer. Bäm! Und runter mit dem Schiffchen auf den Grund – einfach der schönen Welle wegen. Höre ich Mecker? Dann kann ich sie auch in den Hafen schicken, wo ihr sie Hafenwelle taufen dürft, auf Undeutsch Tsunami. Es kommt natürlich umgekehrt, sie tauft euch, und das ist dann nicht der Anfang eurer Biografien, sondern ihr Ende. Richtig geraten, Riesen sind in der Regel und auch außerhalb von solchen tendenziell rücksichtslose Gesellinnen. Es ist nicht gesagt, dass sie doof sind. Aber ich würde, selbst wenn sie nur diskutieren, in Deckung gehen. Sie wickeln ihre Argumente gern in Materie ein, das verleihe ihnen mehr Durchschlagskraft. Ist auch so.
Sonst ein großer Bewunderer des Bewusstseins, versetze ich mich heute mal walkür-, äh, willkürlich auf die andere Seite und frage: Wär‘s nicht auch mal schön, keins zu haben? Schon klar: Da bliebe ich nur mit einem Riesen-Körper unabhängig. Als Mensch ohne Geist wirst du sofort eingesackt und stückgepresst, bis du in irgendein System passt (ungeachtet dessen Inhalts, der ist in Wahrheit voll wurscht) und du eine Meinung eingeplombt bekommst, die du für deine eigene hältst, oder, noch erbärmlicher, für deine Identität. Wie gern wär ich Riese! Also nicht nur zwei Meter – damit musst du dich nur ständig bücken und alles um dich rum ist dir 20 Zentimeter zu kurz, zu knapp, zu eng – sondern zwölfundachzig Hektar oder, noch besser: Radius gefährlich, da unberechenbar schwankend! Die Satelliten oben könnten sich die Blechärsche rundrechnen, wo ich wohl als nächstes wüten würde und was ich dann mache (Millionenschäden! Was sonst! Davor haben sie Respekt!), und im TV würde ich mit einem schicken Tornadonamen vorgestellt – Erwin oder Käthe… Hmm, nee danke, ich vergaß: Das verfickte Menschenpack ist ja dermaßen geschmacklos. Muss ich doch unter ihnen bleiben und da was machen dagegen. Nur was? Einen knallpengkarachokrätschgrantelkrawommigen – rummszerscherbundbröckel – Tag wumms, äh, wünsch ich euch!“