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Das Hotel, in dem für uns Zimmer gemietet worden waren, trug den Namen Wellington Plaza und gehörte einer Kette an, die rund um die großen Seen recht verbreitet war. Sowohl in Kanada als auch auf amerikanischer Seite zwischen New York State und Michigan. Es war ein Mittelklasse-Hotel. Bevor wir auf unsere Zimmer gingen, luden wir die Daten, die Max Carter uns geschickt hatte auf ein PDA. Bevor uns am nächsten Morgen mit den Kollegen des Buffalo Police Department zum Briefing trafen, mussten wir uns mit den Daten einigermaßen vertraut machen.

Am Morgen fuhren wir nach dem Frühstück ins Hauptquartier des Buffalo Police Department.

Captain Josephson erwartete uns zusammen mit Detective Sergeant Serena Morgan in einem Konferenzraum. Dr. Franklin Martin traf etwas später ein.

Er gab einen Bericht über die Befragung des Mannes, den wir bisher nur unter seinem Vornamen Larry kannten.

Seine Identität hatte inzwischen festgestellt werden können. Sein voller Name lautete Larry William Basener. Er besaß einen College-Abschluss, arbeitete aber gegenwärtig als Aushilfsfahrer in einer Wäscherei. „Den Job, den er davor in einem Fast Food Restaurant hatte, verlor er, weil er Gäste anpöbelte und sie verdächtigte, vom Satan beeinflusst zu sein“, erklärte Martin. „Der Mann leidet zweifellos unter einer starken Psychose. Er glaubt, dass die Welt vom Satan beherrscht wird, der seiner Ansicht nach fast allen Menschen als eine Art Dämon innewohnen würde. Durch das Tragen eines Satanszeichens, des umgekehrten Kreuzes, glaubte er sich vor dieser feindlichen Umwelt schützen zu können. Er leidet außerdem unter paranoiden Vorstellungen.“

„Und Sie zweifeln noch immer daran, dass wir den Richtigen verhaftet haben?“, fragte Josephson kopfschüttelnd. „Ich denke, dass er unser Mann ist!“

Der Profiler hob die Augenbrauen. „Zumindest hat er aber kein feindseliges Verhältnis zu rothaarigen Frauen“, erklärte Dr. Martin. „Er kam mit drei Jahren in eine Pflegefamilie, weil die Mutter drogensüchtig und nicht in der Lage war, sich um ihr Kind zu kümmern. Welche frühkindlichen Traumata er da erlitten hat, ist bisher schwer zu beurteilen. Da fehlen mir noch wesentliche Informationen. Tatsache ist aber, dass Larry Basener zu einer rothaarigen Pflegemutter kam. Als ich mit ihm über sie zu sprechen begann, wurde er zugänglicher und war mehr und mehr bereit, sich zu öffnen.“

„Kann man seine frühkindlichen Erlebnisse nicht auch als dein Indiz für seine Täterschaft werten?“, argumentierte Josephson.

Aber der Captain der Homicide Squad bekam für diese Meinung keine Unterstützung. Franklin Martin war anderer Ansicht. Er schüttelte entschieden den Kopf. „Nein, die Sache scheint bei Basener etwas anders zu liegen, als Sie vielleicht denken. Basener hatte ein überaus positives Verhältnis zu seiner Pflegemutter. Er bezeichnet sie als eine der wenigen Menschen, die nicht vom Satan beherrscht würden.“

„Mit anderen Worten, er hat eigentlich keinen Grund, rothaarige Frauen umzubringen“, stellte ich fest.

Martin nickte. „So ist es. Er war übrigens mehrfach in psychiatrischer Behandlung. Seine Probleme begannen, nach dem Tod der Pflegemutter. Sie starb an Krebs, als er vierzehn war. Danach kam es zum ersten Mal zu einer mehrmonatigen Einweisung in eine psychiatrische Klinik. Auf die entsprechenden Unterlagen warte ich noch. Aber ich bin mir ehrlich gesagt nicht mehr sicher, ob wir die überhaupt noch brauchen, um Basener als Täter auszuschließen.“

„Weshalb?“, fragte Josephson. „Also für mich ist das längst noch nicht so klar. Vielleicht hat er seiner rothaarigen Pflegemutter nie verziehen, dass sie krank wurde und starb. Kann das nicht auch als ein Im-Stich-Lassen empfunden werden?“

„Völlig richtig, Captain. Aber Tatsache ist nun mal, dass Larry Basener das nicht auf diese Weise verarbeitet hat.“

„Dr. Martin, er hatte einen Elektro-Schocker, er ist dem letzten Opfer gefolgt, das ihm eine Abfuhr erteilte…“

Josephson nippte an seinem Kaffee und es war für mich überdeutlich, dass er diesen Fall einfach nicht mit der nötigen sachlichen Kälte betrachten konnte. Zu tief saß die Niederlage, die ihm der mysteriöse Killer vor Jahren beigebracht hatte.

Dr. Martin schloss unterdessen sein Laptop an einen Beamer an. Er projizierte eine Karte an die Wand, die den Norden der USA zeigte. Im Westen reichte der Kartenausschnitt bis Idaho, im Osten bis zur Grenze von Maine. Kreuze markierten Orte vor allem in New York State, Ohio, Pennsylvania und Indiana. Außerdem gab es noch eine Reihe von Fragezeichen, die sich vor allem auf Illinois, Michigan und Wisconsin konzentrierten. In Wisconsin gab es außerdem ein Kreuz.

„Sie sehen hier eine geografische Übersicht über alle Fälle, die wir mit dem Red Hair Killer in Verbindung bringen. Die Kreuze bezeichnen Fälle, in denen das sehr wahrscheinlich ist, obwohl wir in manchen davon keine Leiche vorfanden. Aber bei sämtlichen Fällen, die durch ein Kreuz bezeichnet wurden, fanden wir am vermutlichen Tatort zumindest so viel DNA – meistens in Form von Blut – dass wir erstens sicher sein können, dass die betreffende Frau wirklich ermordet wurde und zweitens Rückschlüsse genug auf die Begehungsweise der Tat gezogen werden können, um eine Verbindung zu unserer Serie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit herzustellen. An insgesamt drei Tatorten fanden wir auch Spuren des Täters, die zumindest beweisen, dass drei dieser Fälle von ein und demselben Mann begangen wurden.“

„Ich nehme an, dass bei Larry Basener auch ein Gen-Test durchgeführt wird“, meinte Milo.

Dr. Martin nickte. „Ja, wir erwarten das Ergebnis frühestens übermorgen.“

„Und was sind die Fragezeichen?“, erkundigte ich mich.

„Die Fragezeichen sind Fälle von vermissten Frauen, die von ihren Persönlichkeitsmerkmalen her in das Beute-Schema des Killers passen. Ich habe die über NYSIS zugänglichen Daten verwendet. In wiefern die vollständig sind, entzieht sich meiner Kenntnis. Es ist durchaus möglich, dass da noch der eine oder andere Fall hinzukommt. Ich habe nun zunächst einmal versucht alle diese Fälle in ein zeitliches Raster zu setzen. Danach hätte der Täter vor zwanzig Jahren mit seinen Morden begonnen, hat darauf wahrscheinlich regelmäßig den Wohnort und den Job gewechselt und ist langsam ostwärts gezogen. Ich konnte übrigens die Zahl der Fragezeichen auf diese Weise reduzieren. Der Täter scheint immer nur Opfer in der näheren Umgebung seines Wohnortes gesucht zu haben und ist dann nach einer Weile weiter gezogen.“

„Vielleicht weil der Fahndungsdruck zu groß wurde?“, vermutete ich.

Martin zuckte mit den Schultern. „Das könnte durchaus ein Grund gewesen sein. Jedenfalls gab es in der Gegend von Buffalo vor sieben Jahren den ersten Fall. Seitdem scheint der Täter diese Gegend nicht mehr verlassen zu haben.“

„Er hatte eine Möglichkeit, die Leichen – wie er glaubte – sicher zu entsorgen“, stellte ich fest. „Norma Jennings wurde vor fünf Jahren getötet und in ein Säurefass gelegt.“

„Gut möglich, dass er sich deswegen sicher fühlte“, nickte Martin. „Wir suchen jedenfalls einem Mann, der um vierzig ist – plus Minus ein paar Jahre. Das trifft auf Larry Basener zu. Er ist 38 Jahre alt. Aber er verbrachte diese gesamten 38 Jahre hier in Buffalo. Die einzigen Unterbrechungen waren Aufenthalte in psychiatrischen Kliniken in Detroit und in Springfield, Colorado. Und ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass Basener in dieser Zeit kreuz und quer durch das Land reiste, um sich seine Opfer zu suchen!“

„Dann fangen wir also wirklich wieder von vorne an?“, fragte Milo.

„Nein, nicht ganz“, meinte Martin. „Wir wissen schon eine ganze Menge über den Täter.

„Unter anderem, dass er Zugang zu eine Giftmülldepot gehabt haben muss“, meinte ich.

„Richtig“, nickte Martin. „Er könnte dort mal gearbeitet haben. Ich wollte noch etwas zum Motiv sagen. Er handelt aus einem Zwang heraus. Er glaubt irrealerweise, dass etwas Schreckliches geschieht, wenn er die Tat nicht vollbringt. Aber bei der Durchführung geht er sehr planvoll vor – so wie jemand, der unter einem Wasch- oder Kontrollzwang leidet, die Handlung an sich auch mit großer, fachmännischer Akribie ausführt. Dazu passt auch das Entsorgen der Leichen. Es geht ihm nicht darum, Macht zu demonstrieren oder jemandem etwas zu zeigen oder zu beweisen! Ganz im Gegenteil. Und sexuelle Motive scheinen auch ausgeschlossen zu sein. Mit den Jahren verstärkt sich der Zwang. Die zeitliche Frequenz, in der die Handlung durchgeführt werden muss, verringert sich. Er muss immer häufiger töten. Außerdem ist bei der Person, die wir suchen mit Sekundärzwängen zu rechnen.“

„Was meinen Sie damit?“, fragte Milo.

„Es erfordert ungeheure Kräfte, die Zwänge immer zu erfüllen. Schon ein einfacher Kontrollzwang kann zu völliger Erschöpfung führen. Bevor das geschieht gibt es eine Art Notbremse in der menschlichen Psyche. Der Betreffende befreit sich kurzfristig von einem Zwang, in dem er sich einem weniger anstrengenden Zwang unterwirft – zum Beispiel dem, beim Gehen irgendwelchen Linien auf dem Fußboden zu folgen. Unser Mann könnte Ähnliches tun.“

„Gibt es eigentlich Fälle in Kanada?“, fragte ich. „Wir befinden uns hier direkt an der Grenze. Es wäre doch nur logisch, wenn der Täter auch auf der anderen Seite der Grenze zugeschlagen hätte, zumal er sich doch Ihrer Theorie nach mindestens sieben Jahre mehr oder minder ununterbrochen in dieser Gegend aufhält.“

„Und rothaarige Frauen gibt es auch auf der anderen Seite der Grenze“, warf Milo ein.

„Das habe ich bereits abgeklärt“, sagte der Profiler. „Auf kanadischer Seite gibt es keinen einzigen Fall, der ins Raster passt.“

„Das muss einen Grund haben“, meinte Milo.

„Vielleicht war unser Mann einfach nur nie in Kanada!“, warf Josephson ein. Seine Stimme klang leicht genervt. Offenbar hatte er sich schon zu sehr darüber gefreut, dass mit Larry Baseners Verhaftung der ganze Fall gelöst war.

Aber das war er nicht.

„Vielleicht kann er nicht über die Grenze“, schlug ich vor.

„Der Personen- und Warenverkehr ist doch zwischen beiden Ländern frei“, meinte Milo.

„Es wäre möglich, dass er dort straffällig wurde und deswegen nicht über die Grenze kann“, sagte ich.

„Bravo!“, sagte Dr. Martin. „Damit könnten wir ein weiteres Merkmal haben. Vielleicht ist er sogar gebürtiger Kanadier.“

Sommermordsgrauen: 7 Krimis in einem Band

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