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»Umbringen?«, wiederholte Elke zögernd und skeptisch wie ein unsicher gewordenes Echo. »Aber wieso denn? Und wer überhaupt? Handelt es sich um Kriminelle? Hast du dich mit den falschen Leuten eingelassen?« Die Fragen, die seine Worte in ihr erzeugt hatten, schossen mit der Geschwindigkeit eines Schnellfeuergewehrs aus ihr heraus.

Elke war entsetzt, denn Rainers Probleme besaßen allem Anschein nach weitaus größere Dimensionen, als sie zunächst angenommen hatte. Sofern das, was er sagte, überhaupt stimmte. Schließlich hatte sie Rainer schon ganz am Anfang im Treppenhaus einen kurzen Moment lang für wahnsinnig gehalten. Vielleicht war er das ja tatsächlich und bildete sich in seinem Wahn imaginäre Verfolger ein, die es angeblich auf sein Leben abgesehen hatten. Verfolgungswahn oder Paranoia nannte man so etwas wohl. Und falls er ihr als Nächstes auch noch erzählte, dass er der einzige Mensch wäre, der die Welt vor diesen Unholden retten könnte, würde sie vermutlich keine Sekunde länger zögern, schnurstracks zum Telefon marschieren und die Polizei rufen. Aber noch schreckte sie vor diesem Schritt zurück, denn vielleicht tat sie ihm ja Unrecht, und er wurde wirklich verfolgt.

Rainer blinzelte nervös und schluckte krampfhaft, als hätte er einen dicken Kloß im Hals. Er vermied direkten Augenkontakt und ließ seinen Blick stattdessen ziellos umherschweifen, als könnte er die Antworten auf ihre Fragen an den Wänden ablesen. Dabei befanden sich die Antworten in seinem eigenen Verstand. Allerdings schien er große Angst davor zu haben, sie würde ihm nicht glauben. Dass sie ihm vielleicht gar nicht glauben wollte, weil er sich schon die ganze Zeit wie ein Verrückter benahm. Und vielleicht befürchtete er ja – zu Recht, wie Elke insgeheim zugeben musste – sie könnte schon nach seinen ersten Erklärungsbemühungen einfach aufstehen und die Polizei rufen, damit jemand kam und ihn umgehend abholte.

Elke ahnte, dass es momentan so oder ähnlich hinter seiner gerunzelten Stirn zugehen musste. »Bitte, Rainer«, beschwor sie ihn daher sanft, »sag mir doch endlich, was los ist. Ich glaube dir ja, dass du Hilfe brauchst. Und ich möchte dir ja auch gerne helfen. Das kann ich aber nicht, solange ich nicht weiß, was mit dir geschehen ist und vor wem du davonläufst. Also tu mir bitte diesen Gefallen und fang endlich an zu reden!«

Rainer seufzte tief und drückte seine Kippe im Aschenbecher aus. Dabei zitterte seine Hand so stark, dass er beinahe seine Kaffeetasse umgestoßen hätte, die direkt danebenstand.

»Du hast ja recht«, sagte er nach kurzem Nachdenken. »Schließlich bin ich hierhergekommen, um dir alles zu erzählen.« Erneut legte er eine Pause ein und runzelte nachdenklich die Stirn, als wollte er endlich die richtigen Worte finden und damit den schlechten Eindruck, den sie bislang von ihm gewonnen haben musste, nicht noch verschlimmern. »Zuerst einmal: Es … es sind keine Kriminellen, die mich verfolgen. Zumindest nicht im herkömmlichen Sinn, auch wenn sie gesetzeswidrige Dinge tun, sondern eher … Wie soll ich es bloß ausdrücken? Also, diejenigen, die mich jagen, sind eigentlich … noch schlimmer und gnadenloser als gewöhnliche Verbrecher. Kriminelle können einen allenfalls töten, aber was meine Verfolger tun und auch mit mir vorhaben, ist viel schrecklicher. Sie … sie töten ihre Opfer nämlich nicht nur, sondern rauben ihnen anschließend auch irgendwie die Seele, damit sie so werden wie sie.«

Elkes Unglaube musste deutlich auf ihrem Gesicht abzulesen sein, doch Rainer achtete nicht darauf. Er sah sie nicht einmal an. Sie beschloss allerdings, noch etwas Geduld mit ihm zu haben und ihm zumindest die Chance zu geben, alles zu erklären. Vielleicht hatte er sich ja auch nur missverständlich ausgedrückt und es gar nicht wortwörtlich so gemeint, wie er es gerade gesagt hatte: … rauben ihnen anschließend auch irgendwie die Seele, damit sie so werden wie sie?

Er schien nicht zu ahnen, auf welch schmalem Grat ihr Verständnis balancierte, trank einen Schluck Kaffee und zündete sich eine neue Zigarette an. Erst dann fuhr er fort, und seine Stimme, die leise begann, gewann mit jedem Wort an Lautstärke und Festigkeit: »Am besten fange ich wohl bei null an, ganz am Anfang der Geschichte. Also gut, alles … alles begann vor vier Jahren, nur wenige Monate, nachdem du den Ort verlassen hattest und hierher gezogen warst.«

Er verstummte, verzog ein wenig das Gesicht und schluckte betreten, als überkämen ihn plötzlich schmerzhafte Erinnerungen an ihre Trennung. Er wandte den Kopf ab und starrte auf die Zeichnungen an den Wänden.

Elke zündete sich ebenfalls eine neue Zigarette an, lehnte sich auf der Couch zurück und sog den Rauch tief in ihre Lungen. Sie sagte jedoch nichts, sondern schwieg und wartete geduldig, dass er seine Erzählung von sich aus fortsetzte. Sie hoffte, dass es bald geschah, denn sie wollte endlich die ganze Geschichte hören und erfahren, wer oder was die Verantwortung dafür trug, dass aus Rainer dieses menschliche Wrack geworden war.

Ihre Geduld wurde belohnt, denn unvermittelt, wie auf ein unhörbares Kommando, riss Rainer seinen Blick von den Bildern los und richtete ihn erstmals wieder auf seine Zuhörerin. In seinen Augen war nun nichts mehr von dem irrsinnigen Funkeln zu sehen, das Elke zuvor dort wahrgenommen zu haben glaubte, als er sich innerlich einen Ruck zu geben schien und seine Erzählung fortsetzte:

»Nachdem du damals so plötzlich und total aus meinem Leben verschwunden warst, ging es mir eine Zeitlang nicht so gut. Die Trennung machte mir anfangs noch ziemlich zu schaffen. Allerdings musste das Leben ja trotzdem irgendwie weitergehen, und vielleicht, so versuchte ich mich zu trösten, fand ich ja demnächst wieder jemanden, bei dem ich mich so wohlfühlte wie bei dir früher. Schließlich war ich noch jung und hatte den größten Teil meines Lebens noch vor mir. Zumindest dachte ich das damals, als ich noch nichts von den schrecklichen Dingen ahnte, die uns bevorstanden. Aber ich sollte nicht schon wieder vorgreifen und alles schön der Reihe nach erzählen. Also, wo war ich? Ja, genau, mein Leben ging auch nach der Trennung noch irgendwie weiter. Ich besuchte weiterhin das Gymnasium und traf mich mit meinen Freunden. Unsere Clique, die damals aus fünf Jungs bestand, war mein einziger Trost in dieser Zeit und half mir über viele schwere Stunden hinweg. Wie du dich vermutlich noch erinnern kannst, gingen wir alle auf dieselbe Schule und verbrachten auch den größten Teil unserer Freizeit zusammen. Am Wochenende trafen wir uns am Abend meistens in unserer örtlichen Stammkneipe, dem Gasthof zum Hirschen, wo wir uns dann überlegten, was wir noch unternehmen könnten. So war es auch an jenem verhängnisvollen Abend, als alles begann …«

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