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ZWEITES KAPITEL

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Die Idee, ihren Mann umbringen und spurlos verschwinden zu lassen, war ihr vollkommen spontan zwei Wochen vor der Tat bei einem Treffen mit ihrem Geliebten gekommen.

Sascha Winkler arbeitete als Trainer in einem Fitnessstudio, war ein Meter neunzig groß und äußerst muskulös. Doch trotz all der Anabolika und anderen illegalen Muskelaufbaupräparate, die er in den letzten Jahren geschluckt hatte, um seinem Idol Arnold Schwarzenegger nachzueifern, war er von der Natur nicht nur mit einem Ehrfurcht gebietenden Geschlechtsorgan, sondern auch mit der Ausdauer eines Langstreckenläufers ausgestattet worden. Seine Defizite lagen eher im intellektuellen Bereich, denn unter der blonden Kurzhaarfrisur und zwischen den beiden großen, etwas abstehenden Ohren befand sich ein Gehirn, dessen IQ an guten Tagen allenfalls im oberen zweistelligen Bereich anzusiedeln war. Allerdings war er extrem zuverlässig, Cora treu ergeben und schweigsam. Eigenschaften, die seine Unzulänglichkeiten in ihren Augen mehr als ausglichen. Daher hatte Cora trotz seiner gedanklichen Trägheit letztendlich auch keinerlei Bedenken gehabt, ihn mit dem Mord an Markus zu beauftragen.

Doch daran hatte sie noch nicht einmal im Traum gedacht, als sie sich, wie so oft, seit sie sich acht Monate zuvor kennengelernt und ihre außereheliche Beziehung begonnen hatten, am späten Nachmittag in Saschas Wohnung zu einer schnellen Nummer trafen. Cora hatte wie immer nur wenig Zeit, weil sie noch das Abendessen zubereiten musste, bevor Markus von einem wichtigen Geschäftstermin nach Hause kam.

Der Sex war wie immer kurz, aber heftig gewesen, und Cora fühlte sich unmittelbar danach etwas erschöpft und wund, gleichzeitig aber auch in höchstem Maße ausgefüllt und befriedigt. Wie immer, wenn sie mit Sascha schlief, hatte sie das überwältigende Gefühl, viel lebendiger und präsenter als sonst zu sein. Denn obwohl Sascha nicht unbedingt die hellste Birne am Kronleuchter war, war er – zumindest was den Sex anging – sehr einfallsreich. Aber vielleicht kam es ihr auch nur so vor, weil der Geschlechtsakt mit ihrem Ehemann schon seit längerer Zeit eine eher langweilige und eintönige Angelegenheit war. Sofern sie überhaupt noch miteinander schliefen, was von Jahr zu Jahr immer seltener vorkam.

Während Cora schon wieder neben dem Bett stand und sich mit raschen Bewegungen anzog, lag Sascha noch immer auf dem Bett, wie der liebe Gott ihn unter großzügiger Zuhilfenahme anaboler Steroide erschaffen hatte, und sah ihr lächelnd zu.

Es war Ende Juni und schon sehr warm, doch nicht nur deshalb waren beide jetzt verschwitzt. Cora würde, sobald sie zu Hause war, erst einmal unter die Dusche springen, um neben dem Schweiß auch Saschas Geruch von ihrer Haut zu waschen. Aus diesem Grund beeilte sie sich auch mit dem Anziehen.

»Wir müssen uns unbedingt öfter und länger sehen«, sagte Sascha unvermittelt und seufzte, als Cora die Bluse schloss und ihm damit den Ausblick auf ihre großen, vollen Brüste verwehrte.

Obwohl Cora bereits siebenundvierzig Jahre alt und damit über zehn Jahre älter als der 35-jährige Bodybuilder war, war sie noch immer eine schöne und begehrenswerte Frau. Sie hatte schulterlanges und leicht gelocktes champagnerblondes Haar und ein ebenmäßiges, ovales Gesicht mit einer kleinen Stupsnase, von Natur aus vollen, glänzenden Lippen und großen, ausdrucksstarken blauen Augen. Mit ihrem schlanken Körper und ihrer Größe von eins vierundsechzig wirkte sie neben dem großen Fitnesstrainer allerdings zuweilen wie ein Kind an der Seite eines Erwachsenen.

Cora hörte auf, ihre Bluse zuzuknöpfen, hob den Kopf und sah Sascha nachdenklich an. Wenn sie ehrlich war, wollte sie bestimmt nicht den Rest ihres Lebens mit ihm verbringen. Der Sex war zwar außergewöhnlich und genau das, was sie von Zeit zu Zeit dringend brauchte, um ihrem eintönigen und langweiligen Ehealltag zu entfliehen, doch zu einer echten Partnerschaft gehörte ihrer Meinung nach mehr als nur guter Sex. Und Sascha war nun einmal nicht der Typ, mit dem man mal eben tiefschürfende Gespräche über Politik, Bücher oder das Weltgeschehen führen konnte. Allerdings hätte auch sie nichts dagegen einzuwenden gehabt, sich öfter mit ihm zu treffen und mehr als nur die übliche halbe Stunde mit ihm zu verbringen.

»Und wie stellst du dir das vor?«, fragte sie und hob die Augenbrauen. »Du weißt doch, dass Markus die meiste Zeit zu Hause ist, sodass ich nicht einfach wegkann, wenn ich will. Und wenn er doch mal gelegentlich aus geschäftlichen Gründen wegmuss, was leider viel zu selten vorkommt, dann erfahre ich das immer erst kurz vorher und rufe dich so bald wie möglich an, um ein Treffen zu vereinbaren. Es ist so schon schwer genug, ohne dass Markus misstrauisch wird und uns irgendwann auf die Schliche kommt. Vor drei Wochen war er zum Beispiel schon wieder zu Hause, als ich von unserem Schäferstündchen zurückkam, und ich musste mir auf die Schnelle eine überzeugende Ausrede einfallen lassen, warum ich weg gewesen war.«

Sascha sah sie noch eine Weile mit ausdruckslosem Gesicht an, nachdem sie zu reden aufgehört hatte. Falls er irgendwelche Überlegungen anstellte, um eine Antwort auf ihre Frage zu finden, war ihm zumindest äußerlich nichts davon anzumerken. Dann zuckte er die Achseln und meinte: »Keine Ahnung. War ja auch nur so ‘ne Idee.«

Cora seufzte und schüttelte den Kopf. Das war mal wieder typisch Sascha. Erst kam er mit irgendwelchen Ideen oder Vorstellungen, und wenn man ihn fragte, wie er sich das eigentlich vorstellte, dann lautete seine Antwort meist: »Keine Ahnung.«

Dennoch hatte seine Bemerkung etwas in ihr ausgelöst, denn sie konnte nicht wie sonst einfach zur Tagesordnung übergehen. Stattdessen begann sie plötzlich tatsächlich darüber nachzudenken, wie man Saschas Vorschlag in die Tat umsetzen könnte. Während sie sich ihre Gedanken machte, setzte sie sich mit dem Rücken zu Sascha auf den Bettrand.

»Was ist los?«, fragte er, und sie konnte deutlich seine Irritation heraushören. Dass sie von ihren üblichen Gepflogenheiten abwich, sich nach dem Sex rasch anzuziehen und zu verschwinden, schien ihn zu verwirren. Sie spürte seine bratpfannengroße Hand, als er von hinten unter ihre Bluse fasste und überraschend zärtlich ihren Rücken streichelte. »Willst du etwa, dass ich es dir noch einmal besorge?«

»Nein!«, sagte Cora energisch. »Und jetzt halt gefälligst für ein paar Minuten den Rand, damit ich in Ruhe nachdenken kann.«

»Wie du willst.« Er zog seine Hand zurück, weil er vermutlich beleidigt war. Doch das würde nicht lange anhalten, wie sie aus Erfahrung wusste. Aber wenigstens blieb er still, wie sie es verlangt hatte, sodass sie nachdenken konnte.

Obwohl Markus und sie nun schon mehr als dreiundzwanzig Jahre verheiratet waren, wusste Cora noch immer nicht, womit ihr Mann eigentlich sein Geld verdiente. Einerseits hatte es sie nie sonderlich interessiert, andererseits hatte er auch stets ein Geheimnis daraus gemacht. Anfangs hatte sie zwar noch gelegentlich nachgefragt. Doch nachdem er ihr stets geantwortet hatte, dass sie sich darüber nicht ihr hübsches Köpfchen zerbrechen müsste und er schließlich genug Geld nach Hause bringen würde, um ihr ein angenehmes Leben zu ermöglichen und all ihre Wünsche zu erfüllen, hatte sie aufgegeben und sich damit abgefunden. Wichtig war ihr ohnehin immer nur gewesen, dass er tatsächlich, so wie er es versprochen hatte, eine Menge Geld verdiente.

Und das tat er auch. Obwohl Cora über ihre finanzielle Situation nicht Bescheid wusste, weil sich Markus um alles Geldangelegenheiten kümmerte, vermutete sie, dass sie ziemlich vermögend waren. Immerhin besaßen sie ein Haus im noblen Herzogpark, eine der exklusivsten Wohngegenden, die zum im Nordwesten von München gelegenen Stadtteil Bogenhausen gehörte. Die Villa besaß 16 Zimmer und war gewiss mehrere Millionen wert. Außerdem hatten sie einen ganzen Fuhrpark exklusiver Autos. Während sich Cora mit einem weißen Porsche 911 Turbo S Cabriolet zufriedengab, den ihr Markus zum zwanzigsten Hochzeitstag geschenkt hatte, hatte er die Wahl zwischen einem Ferrari 488 GTB, einem Porsche 918 Spyder, einem Mercedes-AMG GT S Coupé und einem BMW i8. Daneben besaßen sie ein Haus mit Seezugang und Bootshaus am Comer See.

Markus hatte also sein Versprechen gehalten und ermöglichte ihr ein angenehmes Leben, denn mithilfe ihrer Kreditkarte konnte sie ohne Limit einkaufen, was sie wollte, ohne auf den Preis achten zu müssen.

Allerdings wusste sie nicht, wie er dieses Geld verdiente. Sie wusste lediglich, dass er freiberuflich tätig war und seine Geschäfte, worin auch immer diese bestanden, von zu Hause aus erledigte. Meistens, wenn sie ihn in seinem großzügigen Arbeitszimmer im Erdgeschoss besuchte, sprach er gerade mit irgendwelchen Leuten am Telefon, verstummte allerdings sofort, sobald sie anklopfte, um seinen Gesprächspartner zu vertrösten und Cora hereinzubitten. Oder er starrte so konzentriert auf den Computermonitor, dass sie Mühe hatte, ihn auf sich und ihr jeweiliges Anliegen aufmerksam zu machen. Nur gelegentlich, ein- bis zweimal in der Woche, verließ er zu höchst unterschiedlichen Zeiten das Haus, um einen wichtigen geschäftlichen Termin wahrzunehmen, und blieb dann zwei bis vier Stunden, ganz selten auch einmal über Nacht weg.

Cora nahm an, dass Markus’ Tätigkeit mit dem Handel von Aktien zu tun hatte, denn wo sonst konnte man von zu Hause aus so viel Geld verdienen. Aber wie gesagt, es war ihr nie wichtig gewesen, genauer darüber Bescheid zu wissen, solange der Rubel weiterhin rollte und sie sich nicht einschränken musste.

Allerdings machte es ihr die Tatsache, dass Markus fast ständig zu Hause war und nur gelegentlich für wenige Stunden wegging, schwer, sich mit ihrem Liebhaber zu treffen. Da sie nicht vorhersehen konnte, wann Markus das Haus verließ, und es in der Regel erst kurz vorher erfuhr, konnte sie ihre Treffen mit Sascha nicht im Voraus planen, sondern musste flexibel sein. Und falls Sascha gerade keine Zeit hatte, weil er im Fitnessstudio arbeiten musste, dann ging es eben nicht. Und selbst wenn es klappte und sie sich bei ihm treffen konnten, musste es immer schnell gehen, weil sie nicht wusste, wie lange Markus heute wegbleiben würde.

So war es schon ein paarmal vorgekommen, dass sie noch unter der Dusche gestanden hatte, als er zurückgekommen war. Auf seine Frage, warum sie mitten am Tag duschte, hatte sie ihm vorgelogen, dass sie im Fitnessstudio gewesen wäre und keine Lust gehabt hätte, dort zu duschen. Und einmal war er schon da gewesen, als sie völlig verschwitzt heimgekommen war. Erneut hatte sie behauptet, sie wäre im Fitnessstudio gewesen und hätte im Anschluss sofort nach Hause gewollt, um zu sehen, ob er schon wieder zurück wäre. Cora hielt sich zwar für eine ausgezeichnete Lügnerin, hatte allerdings befürchtet, Markus könnte Saschas Geruch oder den Duft nach Sex an ihr riechen. Doch er hatte nichts davon bemerkt und sich gefreut, dass sie sogar im Fitnessstudio an ihn gedacht hatte. Anschließend hatte er ihr einen Kuss auf die verschwitzte Stirn gegeben, bevor er wieder in seinem Arbeitszimmer verschwunden war, um weiter seinen ertragreichen Geschäften nachzugehen.

Cora war klar, dass ihr außereheliches Verhältnis längst aufgeflogen wäre, wenn Markus nur ein wenig misstrauischer und aufmerksamer gewesen wäre. Doch er schöpfte trotz allem nicht den geringsten Verdacht, weil er sich vermutlich überhaupt nicht vorstellen konnte, dass seine Frau Verlangen nach einem anderen Mann haben könnte. Schließlich bot er ihr alles, was sich eine Frau nur wünschen konnte. Sie lebte im Überfluss, musste sich keine Sorgen um ihr Wohlergehen und ihre Zukunft machen und nicht selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen, sondern konnte ihren eigenen Interessen nachgehen – in ihrem Fall neben dem Fitnesstraining die Malerei, die sie in einem eigenen Atelier im Dachgeschoss betrieb.

Dass eine Frau ein bisschen mehr als nur ein schönes Heim und Wohlstand haben wollte, schien ihm hingegen nie in den Sinn gekommen zu sein.

Kinder beispielsweise, doch davon hatte Markus von Anfang an nichts wissen wollen, und Cora hatte sich damit – wie mit vielen Dingen, über die sie hinweggesehen hatte – irgendwann abgefunden.

Oder tollen, die Sinne vernebelnden, manchmal auch harten Sex. Und an diesem Punkt war Sascha ins Spiel gekommen, der letztendlich auch den Anstoß für ihre jetzigen Überlegungen gegeben hatte, denn sie dachte noch immer darüber nach, wie sie mehr Zeit mit ihm verbringen konnte.

Doch so sehr sie sich auch den Kopf zermarterte, ihr fiel keine Lösung ein. Denn wie sollte sie Markus dazu bringen, mehr Zeit außer Haus zu verbringen, oder ihm erklären, warum sie so oft und lange weg war? Es war im Grunde die Quadratur des Kreises und daher unmöglich.

Die einzige Möglichkeit, die ihr einfiel, bestand darin, ihn einfach umzubringen. Aber das war natürlich vollkommen absurd!

Aber ist es das tatsächlich?

Coras Überlegungen kamen an diesem Punkt abrupt zum Stillstand, als wäre ihr Verstand gegen ein Hindernis geprallt, denn es irritierte sie, dass sie den Gedanken, ihren Ehemann zu töten, nicht augenblicklich verworfen hatte, sondern sogar einen zweiten und dann auch noch einen dritten Gedanken daran verschwendete.

Schließlich hatte sie Markus noch nie zuvor den Tod gewünscht, noch nicht einmal dann, wenn sie richtig wütend auf ihn gewesen war. Schließlich war er ihr stets ein guter und – soweit sie wusste – treuer Ehemann gewesen. Er sorgte wie versprochen für sie, las ihr nahezu jeden Wunsch von den Augen ab und hatte sie noch nie geschlagen, ja, noch nicht einmal die Hand gegen sie oder die Stimme erhoben. Er war lediglich etwas zu dominant und bestimmte den Großteil ihres Lebens, aber damit konnte man leben.

Dennoch …

Die fixe Idee, ihn umzubringen, hatte sich bereits hartnäckig in ihr festgesetzt. Und sosehr sie sich auch einzureden versuchte, dass es absurd und falsch und gesetzeswidrig wäre, diesen Gedanken weiterzuspinnen, geschweige denn ihn auch noch in die Tat umzusetzen, schaffte sie es nun nicht mehr, ihn wieder loszuwerden. So wie der berühmte Zauberlehrling die Kräfte nicht mehr beherrschen konnte, die er in seiner Überheblichkeit entfesselt hatte, so konnte sie nun den Gedanken an einen Ehegattenmord nicht mehr in die Schublade zurücklegen, aus der sie ihn leichtfertig hervorgeholt hatte.

Und vielleicht soll es ja auch so sein.

Möglicherweise hatte sie schon länger unterbewusst mit diesem Gedanken gespielt, und Saschas Bemerkung war nur der Auslöser gewesen, der ihn in ihr bewusstes Denken katapultiert hatte. Denn obwohl sie alles hatte, wovon eine Frau nur träumen konnte, fühlte sie sich gleichwohl wie in einem goldenen Käfig eingesperrt und nicht richtig lebendig. Nur wenn sie mit Sascha zusammen war, fühlte sie sich voller Leben und wieder wie die alte Cora, die sie gewesen war, bevor sie Markus kennengelernt und geheiratet hatte.

Aber gab es denn gar keine Alternativen? Musste es wirklich unbedingt Mord sein?

Sie erwog natürlich auch eine Scheidung, doch diese legale Möglichkeit, eine Ehe zu beenden, war letztendlich auch nicht sehr überzeugend. Schließlich hatte sie dummerweise einen Ehevertrag unterschrieben und darin auf so ziemlich alle Ansprüche gegenüber ihrem Ehemann verzichtet. Nach einer Scheidung wäre es also definitiv vorbei mit dem Reichtum, dem Porsche und dem schönen Leben. Und dabei hatte sie sich sosehr daran gewöhnt, dass sie in Zukunft nur äußerst ungern darauf verzichten wollte. Also war Scheidung keine wirkliche Option.

Doch was blieb ihr dann?

Scheidung auf sizilianische Art?

Cora schüttelte den Kopf, als ihr klar wurde, dass ihr nichts anderes übrig blieb, als ihren Ehemann zu ermorden, wenn sie endlich frei und nicht länger wie ein Vogel im goldenen Käfig sein wollte. Und der Gedanke an ihre Freiheit hatte sich bereits so hartnäckig in ihrem Denken festgesetzt, dass sie ihn nun nicht mehr so einfach abschütteln konnte.

»Ich weiß, wie wir uns öfter sehen können.«

»Was?«, fragte Sascha, der möglicherweise eingeschlafen war oder zumindest vor sich hin gedöst hatte, sodass er nicht mehr wusste, wovon sie vor wenigen Augenblicken noch geredet hatten. »Wovon sprichst du?«

Sie wandte den Kopf und sah ihn von Kopf bis Fuß an. Was sie sah, gefiel ihr ausgesprochen gut, und sie spürte, wie ihre sexuelle Erregung erneut erwachte. Doch als sie ihm ins Gesicht sah, das ihren Blick mit einem leicht belämmerten, begriffsstutzigen Ausdruck erwiderte, war sie sich nicht mehr sicher, ob Sascha überhaupt ein Teil ihres neuen Lebens sein würde, das beginnen sollte, sobald sie Markus aus dem Weg geschafft hatten.

Ihr wurde jäh bewusst, dass aus dem vagen Gedanken von vorhin mit einer Schnelligkeit, die sie selbst verblüffte, im Nullkommanichts ein festes Vorhaben geworden war. Und sie empfand dabei nicht einmal die geringsten Skrupel oder Gewissensbisse. Vermutlich hatte sie irgendwann während ihrer Ehe aufgehört, Markus gern zu haben, ohne dass es ihr selbst bewusst geworden war, sonst könnte sie jetzt nicht so kaltherzig darüber nachdenken, ihn um die Ecke zu bringen.

»Cora? Alles in Ordnung?«

Ihr wurde bewusst, dass sie Sascha angestarrt hatte, während ihr diese Gedanken durch den Kopf gegangen waren. Sie nickte. »Keine Angst, mit mir ist alles in Ordnung.« Sie lächelte und fügte hinzu: »Mit mir ist sogar alles in bester Ordnung.«

»Was meintest du vorhin damit, dass du weißt, wie wir uns öfter sehen können?« Der Gedanke schien ihm zu gefallen, denn er sah sie erwartungsvoll an.

Sie lächelte noch immer, während sie Saschas fragenden Blick erwiderte. Doch es war ein unechtes Lächeln, das nur ihre Lippen krümmte, während ihre Augen dabei unbeteiligt und kalt blieben.

Cora sah, dass Sascha unter diesem Blick erschauderte und unwillkürlich nach der Decke griff, um seine Blöße zu bedecken. Der Mann würde zwar in ihrer Zukunft keine so große Rolle wie bisher spielen, doch momentan benötigte sie ihn noch, um ihren Plan, der allmählich Gestalt anzunehmen begann, in die Hand umsetzen zu können.

»Wenn wir mehr Zeit miteinander verbringen wollen, dann erreichen wir das nur, indem wir Markus aus dem Weg räumen.«

2

»Aus dem Weg räumen?«, fragte er und machte ein Gesicht, das voller Fragezeichen war, während er sich unbewusst im Schritt kratzte. »Was meinst du damit, Cora?«

Was wohl, du Idiot?, hätte sie ihn am liebsten gefragt, doch sie widerstand dem Impuls und schluckte ihre gehässige Gegenfrage hinunter. Schließlich wäre es kontraproduktiv, ihn zu beleidigen, wenn sie ihn anschließend dazu bringen wollte, für sie einen Mord zu begehen.

»Denk doch mal nach!«, sagte sie also stattdessen. »Schließlich bist du nicht auf den Kopf gefallen, oder?«

Er freute sich über das ungewohnte Lob und grinste. »Das stimmt« Er verzog das Gesicht zu einer Miene höchster Konzentration, als er ihren Vorschlag befolgte und tatsächlich nachdachte. Plötzlich – es war der Moment, als bei ihm der Groschen fiel, und Cora glaubte sogar, den Aufprall der Münze hören zu können – riss er die Augen weit auf und sah sie an. »Du meinst doch nicht etwa, dass wir …« Er verstummte, bewegte aber weiterhin die Lippen, um den Rest des Satzes lautlos zu beenden, als fürchtete er, sie könnten belauscht werden.

Cora nickte. »Genau das meine ich.«

»Aber …«

Sie streckte die Hand aus und legte ihm den Zeigefinger auf die Lippen, sodass er erneut – dieses Mal jedoch unfreiwillig – verstummte.

»Pst! Ich will jetzt kein Aber von dir hören! Ich will nur wissen, ob du dabei bist oder nicht.«

Er sah sie aus großen Augen an und schien erneut angestrengt nachzudenken. Als er allerdings wieder den Mund öffnen wollte, um etwas zu sagen, presste sie ihm mit Daumen und Zeigefinger die Lippen aufeinander.

»Es ist deine Entscheidung, Sascha. Wenn dir die Sache zu heikel, zu gefährlich oder auch nur zu schwer erscheint, dann ist das jetzt der richtige Zeitpunkt für dich, um es zu sagen und auszusteigen, noch bevor ich dir Einzelheiten meines Plans erzähle. Das wäre für mich kein Problem. Allerdings müsste ich mir dann jemand anderen suchen.« Seine Lippen bewegten sich, als wollte er etwas sagen. Zweifellos hatte ihm ihre Drohung, sich an jemand anderen zu wenden und ihn in Zukunft außen vor zu lassen, einen gehörigen Schrecken eingejagt. Doch Cora ließ nicht los, denn sie war noch nicht fertig. »Wenn du allerdings dabei sein und gemeinsam mit mir diese Sache durchziehen willst, dann machst du von nun an genau das, was ich dir sage. Und außerdem gibt es von diesem Punkt an auch kein Zurück mehr. Hast du mich verstanden?« Sie ließ seine Lippen los und zog die Hand zurück.

Sascha schluckte, doch dann nickte er. »Ja«, sagte er, und sein Nicken wurde immer heftiger. »Ja. Ich hab verstanden.«

»Und? Wie entscheidest du dich nun?«

Er nickte noch immer wie ein überdrehtes, außer Kontrolle geratenes Aufziehspielzeug. »Ich bin natürlich dabei! Ich sagte doch, dass wir mehr Zeit verbringen sollten. Und wenn das nur auf diesem Weg möglich ist, dann ziehen wir das eben durch, verdammt noch mal.«

Cora lächelte, griff unter die Decke und streichelte sein Glied, das augenblicklich auf die Berührung reagierte und sich versteifte. »So gefällst du mir, mein Tiger.«

Er imitierte das Fauchen einer Raubkatze, auch wenn es eher wie ein asthmatischer Hamster klang, und wollte nach ihr greifen. Doch sie entzog sich dem Zugriff seiner riesigen Hände geschickt, stand auf und schloss die restlichen Knöpfe ihrer Bluse.

»Hey!«

»Dafür haben wir jetzt leider keine Zeit«, sagte sie mit einem bedauernden und gleichzeitig verheißungsvollen Blick. »Ich muss los, denn ich bin eh schon spät dran.«

»Und was ist mit deinem Plan, deinen Mann … Na, du weißt schon.«

Sie schlüpfte in ihre Schuhe und nahm ihre Prada-Handtasche vom Nachtschränkchen. »Ich erzähle dir von meinem Plan, sobald wir uns das nächste Mal sehen. Ich muss mir ohnehin erst noch ein paar Gedanken darüber machen.« Sie wackelte zum Abschied mit den Fingern, bevor sie sich abwandte und das Schlafzimmer verließ.

Sobald sie in ihrem Wagen saß und auf dem Weg nach Hause war, dachte sie darüber nach, wie sie ihr Vorhaben verwirklichen konnten, ohne all die dummen Fehler zu begehen, die so vielen anderen vor ihnen schon zum Verhängnis geworden waren. Schließlich wollte sie durch die Tat mehr Freiheit haben und nicht das Gegenteil erreichen und die nächsten Jahre im Gefängnis verbringen.

Doch sie musste sich gar nicht so viele Gedanken machen. Die Entscheidung, Markus umzubringen, die zunächst nur ein plötzlicher vager Einfall gewesen war, der sie im Grunde selbst überrascht hatte, war wie ein Same, der in ihrem lebhaften Verstand auf fruchtbaren Boden gefallen war und nun prächtig gedieh und heranreifte. Er wuchs mit geradezu phänomenaler Geschwindigkeit und entwickelte sich fast von allein zum vollständigen und ausgereiften Plan des perfekten Mordes. Denn der perfekteste Mord war in ihren Augen derjenige, den niemand als solchen erkannte.

Als sie fünfzehn Minuten später ihren Wagen in die große Garage neben dem Haus fuhr, wusste sie bereits ganz genau, wie sie Markus im wahrsten Sinne des Wortes vom Angesicht der Erde verschwinden lassen würden, sodass hinterher nicht der geringste Verdacht auf sie fiel.

Denn ohne Leiche auch kein Mord! Und ohne Mord keine Gefängnisstrafe!

3

Ihr Plan war einerseits höchst effektiv, andererseits aber auch bewusst einfach gehalten, da Cora der Ansicht war, dass einfache Pläne von Haus aus weniger Fehlerquellen beinhalteten. Je komplizierter und verzwickter ein Vorhaben war, desto eher übersah man etwas und machte einen unverzeihlichen Fehler. Außerdem mussten der Plan und insbesondere Saschas Beteiligung daran so einfach und schlicht gestaltet sein wie möglich, damit auch er problemlos damit zurechtkam. Schließlich war er der Hauptakteur, der die Drecksarbeit zu erledigen hatte, während sie sich dezent im Hintergrund hielt, um nicht in Verdacht zu geraten.

Das Wichtigste war für sie daher zunächst, dass sie sich ein wasserdichtes Alibi verschaffte, denn selbstverständlich würde nach Markus’ Verschwinden der Verdacht sofort auf sie fallen. Deshalb beschloss sie, am übernächsten Wochenende für ein paar Tage zu ihren Eltern nach Norddeutschland zu fahren. Zufälligerweise feierte ihr Vater an diesem Sonntag seinen dreiundsiebzigsten Geburtstag. Normalerweise hätte sie nur ein sündteures Geschenk geschickt und kurz angerufen, da das Verhältnis zu ihren Eltern nicht das Allerbeste war. Doch nun kam ihr diese Gelegenheit wie gerufen, da es ihr einen triftigen und unverdächtigen Grund verschaffte, von hier wegzukommen, während Sascha seinen Löwenanteil an ihrem Plan verwirklichte.

»Warum kommst du nicht mit?«, fragte Cora ihren Mann, nachdem sie ihm vier Tage nach dem Treffen mit ihrem Geliebten beim gemeinsamen Abendessen mitgeteilt hatte, dass sie zum Geburtstag ihres Vaters fahren wollte. »Eine Pause würde dir auch mal guttun. Nicht immer nur in deinem Arbeitszimmer hocken und Geld verdienen.«

Seitdem sie sich dazu entschlossen hatte, ihn umzubringen, konnte sie es kaum erwarten, dass es endlich geschah. Dennoch verhielt sie sich ihm gegenüber wie immer und war überzeugt, dass sie ihre Sache gut machte und er keinen Verdacht schöpfte. Vermutlich war an ihr eine begnadete Schauspielerin verloren gegangen.

»Ich dachte, du magst das Geld, das ich verdiene.«

Seine Antwort versetzte ihr einen schmerzhaften Stich. Autsch! Hielt er sie etwa für geldgierig? Doch sie ließ sich nichts anmerken und lachte, als fände sie seine Bemerkung amüsant. »Sicher mag ich Geld, wer tut das nicht. Aber wir haben doch schon so viel.«

»Geld kann man nie genug haben«, sagte er und offenbarte damit, dass er mindestens ebenso geldgierig war, bevor er einen Schluck von dem sündhaft teuren Rotwein nahm, den er am liebsten trank.

»Das heißt dann wohl, dass du nicht mitfährst?«

Markus nickte. »Tut mir leid, Schatz, aber momentan kann ich hier beim besten Willen nicht weg. Es gibt ein paar wichtige geschäftliche Angelegenheiten, um die ich mich persönlich kümmern muss. Aber richte deinen Eltern schöne Grüße von mir aus.«

»Das mache ich natürlich, Schatz

Innerlich triumphierte Cora, denn das war genau die Antwort, die sie hatte hören wollen. Sie erwiderte sein Lächeln und sah einen todgeweihten Mann vor sich, der allerdings noch nicht ahnte, was auf ihn zukam. Sie forschte in ihrem Inneren, ob sie irgendwo ein Gefühl des Bedauerns oder der Trauer entdecken konnte, fand jedoch nichts. Deshalb fragte sie sich, ob sie ihn jemals wirklich gemocht oder sich nur eingeredet oder eingebildet hatte, sie würde es tun.

Doch dann zuckte sie nur mit den Schultern und griff nach ihrem gerührten Martini, denn letzten Endes war es ohnehin egal, weil sich diese Frage allerspätestens in zehn Tagen überhaupt nicht mehr stellte.

4

Eine Woche später verabschiedete sich Cora von Markus, nachdem er ihren Koffer im Porsche verstaut hatte.

»Fahr vorsichtig«, sagte er, umarmte sie und gab ihr einen Kuss.

Sie erwiderte den Kuss mit erheblich mehr Leidenschaft, als sie empfand, tröstete sich aber gleichzeitig mit dem Gedanken, dass es ohnehin das letzte Mal wäre, denn seit sie beschlossen hatte, ihn zu ermorden, erfüllte sie jede seiner Berührungen mit Ekel und Widerwillen. Doch erneut ließ sie sich nichts von ihren wahren Gefühlen anmerken und machte stattdessen gute Miene zum bösen Spiel.

»Mach ich«, sagte sie und befreite sich sanft aus seiner Umarmung. »Aber jetzt muss ich wirklich los, schließlich ist es eine lange Fahrt.«

»Mit dem Wagen schaffst du die Strecke im Nullkommanichts.« Er öffnete für sie die Fahrertür und ließ sie einsteigen. »Und die Strafzettel, die du bekommst, zahlen wir aus der Portokasse.«

Sie lachte und startete den Wagen, der mit einem satten Brummen ansprang. Das mit den Strafzetteln war eigentlich eine gute Idee, denn auf diese Weise konnte sie neben den Aussagen ihrer Eltern ihr Alibi erhärten. Wieso war sie nicht darauf gekommen? »Ich ruf dich an, wenn ich angekommen bin. Und was ist mit morgen Abend? Bist du da zu Hause?«

Er nickte. »Wie schon gesagt, muss ich mich um geschäftliche Dinge kümmern. Ansonsten habe ich nichts vor. Ich werde also hier sein.«

»Dann ruf ich dich morgen Abend um zehn noch einmal an.«

»Okay. Und grüß deine Eltern von mir.«

Sie nickte lächelnd, dann wandte sie den Blick nach vorn und fuhr über die gepflasterte Einfahrt zum zweiflügeligen Tor, das tagsüber offen stand. Bevor sie vom Grundstück auf die Straße fuhr, sah sie noch einmal in den Rückspiegel. Markus stand noch immer mit erhobener Hand an derselben Stelle und winkte. Sie hob die Hand und erwiderte sein Winken. Ihr wurde bewusst, dass sie ihn in diesem Augenblick zum letzten Mal sah. Sie spürte einen kurzen Stich des Bedauerns, der jedoch schnell verging, als sie sich vergegenwärtigte, was sie durch den Mord alles gewinnen würde. Dann richtete sie den Blick wieder entschlossen nach vorn und gab Gas, um die Vergangenheit endlich hinter sich zu lassen.

Als sie drei Tage später abends zurückkehrte, war das Haus leer und Markus spurlos verschwunden. Am Tag darauf griff sie zum Telefon, rief die Polizei an und meldete ihn als vermisst.

Zunächst rechneten die Beamten der Kriminalpolizei angesichts ihres Reichtums mit einer Entführung, doch als sich kein Einführer meldete, um ein hohes Lösegeld zu fordern, wurde die Angelegenheit vierzehn Tage später der Vermisstenstelle übergeben. Schließlich lagen auch nicht die geringsten Anhaltspunkte für eine Straftat vor, und das Alibi der Ehefrau, die in derartigen Fällen vermutlich zuerst und manchmal auch nicht zu Unrecht verdächtigt wurde, war wasserdicht. Deshalb gingen alle davon aus, dass Markus aus eigenem Antrieb und freiwillig verschwunden war.

Damit ging Coras voll Rechnung auf, und sie freute sich, dass ihr Plan so gut funktioniert hatte.

Doch wie es aussah, hatte sie sich zu früh gefreut, denn ihr Ehemann war gar nicht tot, sondern plötzlich wieder in ihrem Leben aufgetaucht.

GRABESDUNKEL STEHT DER WALD

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